Dem Mac die Seele geraubt
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/08
Seit Steve Jobs wieder das Ruder bei Apple übernommen hat, mussten die treusten Mac-Fans schon mehrere harte Schläge verkraften. Zuerst die Abkehr von ihrem geliebten OS 9. Dann der Switch von der vermeintlich überlegenen PowerPC-Plattform zum gewöhnlichen und verhassten x86, bei dem Steve Jobs ausgerechnet Chipzilla Intel statt Robin Hood AMD als Partner gewählt hat. Und nun das: Die Apple-Software Boot Camp (Test in dieser Ausgabe) erlaubt es, Windows auf einem Mac zu installieren.
Die Mac-Fundamentalisten sind entsprechend aufgewühlt. Viele werfen Steve Jobs und Apple vor, ihre Ideale zu verraten. Einige fürchten sogar, dass Boot Camp der Anfang vom Ende des Macs ist, so wie wir ihn kennen. Und dass immer mehr Software-Hersteller, ganz nach dem Vorbild von Adobe, immer weniger Programme für den Mac bringen werden und irgendwann vielleicht ganz damit aufhören. Der «Spiegel», den schon seit Jahren eine innige Hassliebe mit Apple verbindet, schreibt sogar bereits das Ende von MacOS X herbei und fiebert 100 Prozent Marktanteil für Microsoft entgegen – die Horror-Vision für alle Mac-Fans.
Doch alle sitzen dabei einem gewaltigen Irrtum auf. Apple hat sich einen eigenen, äussert profitablen Markt geschaffen, der extrem nah am Kunden ist und ihm, obwohl er eigentlich nur einen x-beliebigen PC in der Hand hat, ein Gefühl von Exklusivität gibt. Die entscheidende Komponente ist dabei MacOS X, denn dieses Betriebssystem ist es letztlich, was den Mac, egal wie gut man die Hülle kopiert, vom Dell-, Lenovo- oder Hewlett-Packard-PC unterscheidet: Knopf drücken, Lifestyle erleben.
Boot Camp ist insofern nur ein Mittel, um die Hardware-Verkäufe anzukurbeln, und kein Ersatz für MacOS X. Denn Apple hat verstanden, dass – wie beim iPod – nicht die Innereien, sondern das Resultat, das Erlebnis zählt. Und die Möglichkeiten, welche die Plattform bietet. Kurz, man gewinnt Kunden und vor allem Windows-User nicht mit Idealen, sondern mit Opportunismus und grosser Beweglichkeit. Es interessiert nicht mehr, ob der Computer moralisch einwandfrei ist, sondern ob er alle ihm gestellten Aufgaben mit der bestmöglichen Effizienz lösen kann und dabei noch gut aussieht. Windows ist dabei nur ein Add-on. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.