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Test Tiger.ch: Vorbildliche Vision, schwache Umsetzung
Quelle: Screenshot SITM

Test Tiger.ch: Vorbildliche Vision, schwache Umsetzung

Die Schweizer Suchmaschine Tiger.ch verfolgt einen löblichen Ansatz, was die Wahrung der Privatsphäre betrifft. Doch leider erweist sich der Dienst als nicht wirklich konkurrenzfähig.
6. März 2025

     

Ein Tiger steht nicht nur symbolisch für Macht und Eleganz, auch im echten Leben hat die Raubkatze als Spitzenprädator keine natürlichen Feinde. Möglicherweise waren dies die Beweggründe der Schweizer Suchmaschine Tiger.ch, den Dienst nicht nur namentlich an die Wildkatze anzulehnen, sondern die erhabene Erscheinung gleich noch als Maskottchen festzulegen. Wer angesichts des Namens eine durchgestylte Website erwartet, wird beim Anblick aber überrascht sein: Tiger erscheint wie ein Relikt aus den Anfängen des WWW, die Seite wirkt wie auf die Schnelle zusammengebastelt und insgesamt nicht sehr vertrauenerweckend, da veraltet. Dabei buhlt der Dienst genau damit um Nutzer: Tiger verspricht, keine personenbezogenen Daten zu verwenden oder diese zu verkaufen. Ferner wird auch der Sucherverlauf nicht gespeichert, wie die Betreiber versprechen. Aber Design ist bei einer Suchmaschine zweitrangig, und daher konzentrieren wir uns fortan auf die technischen Qualitäten.

Anonyme KI-Nutzung


Die Nutzung der Suchmaschine unterscheidet sich in zwei Details von gängigen Konkurrenten. Zum ersten kann ein klickbares Schloss links von der Suchmaske die Suchanfragen verschlüsseln, sodass der Suchbegriff in der URL nicht mehr als Klartext vorzufinden ist. Zudem verspricht Tiger, dass der gesamte Suchverlauf nicht mehr im Browser aufzufinden ist, sobald er geschlossen wurde. Das zweite Detail betrifft die Formulierung. Wird eine Anfrage mit einem Fragezeichen beendet, versteht Tiger.ch dies als Aufforderung, sie direkt zu beantworten, und greift dazu auf verschiedene KI-Dienste zurück. Standardmässig beantwortet ChatGPT die Frage, doch man hat als User per Dropdown die Wahl, zusätzlich zwischen Gemini und Claude zu wählen. Das Resultat der KI wird einem allerdings einmal mehr in einer mässig ansprechenden optischen Form präsentiert. Zudem nimmt Tiger.ch keine aktive Rolle ein: die Antwort wird nicht gekürzt, um die Frage prägnant zu beantworten oder gar die plausibelste oder beste Antwort der verschiedenen KIs zu servieren. Stattdessen wird einfach die Antwort der KI in einem separaten Abschnitt oberhalb der Suchresultate angezeigt. Aber immerhin kann man auf diesem Weg einen KI-Chatbot nutzen, ohne dass persönliche Daten abgegriffen werden oder ein Account vorausgesetzt wird.

Suchresultate mit mässigem Erfolg

Bei Wissensfragen (die man normal sucht und nicht per Fragezeichen an die KI delegiert), bietet Tiger eine seltsame Gewichtung. Oftmals findet sich die Antwort auf das Gesuchte erst nach den ersten drei bis fünf Suchresultaten. Google oder auch Swisscows als Vergleich beantworten die Frage direkt, indem ein Zitat aus einer vertrauenswürdigen Quelle wiedergegeben wird. Bei Tiger ist das bloss sporadisch der Fall. Aber während die Gewichtung im besten Falle fragwürdig ist, so ist die Menge an relevanten Suchresultaten der endgültige Genickbruch. Sucht man auf der Schweizer Alternative nach tagesaktuellen Gegebenheiten, so finden sich deutlich weniger Suchresultate als etwa bei Google oder auch Swisscows. Auffallend ist auch, wie viele ausländische Domains hoch oben bei den Suchresultaten stehen. Zwar lässt sich die Suche mit einem Klick ausschliesslich auf Schweizer Webseiten beschränken, doch auch dann spuckt die Suchmaschine bei weitem nicht alle möglichen Treffer aus. Noch vernichtender fällt das Urteil aus, wenn man spezifischer sucht, beispielsweise nach einem Produkttest. Während man bei Google von der Fülle an brauchbaren Resultaten je nach Beliebtheit des entsprechenden Produkts beinahe erschlagen wird, herrscht bei der kaum als Konkurrenz zu bezeichnenden Schweizer Suchmaschine weitgehend Leere. Zwar finden sich einige Treffer, aber nur schon die Tatsache, dass der erste Testbericht erst an 11. (!) Stelle steht, macht Tiger de facto unbrauchbar. Es scheint, als würde der Schweizer Suchdienst lediglich einen winzigen Bruchteil des gesamten Internets indexieren. Theoretisch müsste das eigentlich besser sein, da die Betreiber auf ihrer Seite schreiben, dass Tiger anonym in bis zu 13 Quellen sucht, einschliesslich beispielsweise Google, Youtube, Duckduckgo, Wikipedia sowie im Schweizer Index.
Dass es besser geht, zeigt die ebenfalls schweizerische Lösung Swisscows. Diese Suchmaschine kann zwar ebenfalls nicht mit der enormen Fülle an passenden Suchresultaten von Google auftrumpfen, aber immerhin stimmen hier Gewichtung und Relevanz, ausserdem reicht die Menge der angezeigten Resultate, um damit arbeiten zu können. Die einzige – überraschende – Gemeinsamkeit ist, dass beide Schweizer Suchmaschinen häufig deutsche Webseiten zuoberst einblenden, Schweizer Seiten kommen erst ein paar Positionen weiter unten.

Kaum Auswahl

Nebst den klassischen Suchresultaten bietet Tiger auch die Möglichkeiten, nach Videos oder Produkten zu suchen. Doch die Video-Auswahl ist gelinde gesagt ein Witz. Selbst populäre Themen fördern lediglich eine Handvoll Video-Vorschläge zutage. Vorschau, Beschreibung? Fehlanzeige, lediglich Thumbnail und Titel sind zu sehen. Da fragt man sich, welcher Teil von Youtube denn nun durchsucht wird. Im ähnlichen Stil geht es weiter, wenn man versucht, mittels der Suchmaschine ein Shopping-Erlebnis zu gestalten. Auch hier liegt das Problem an der mickrigen Auswahl, selbst wenn man einen weit gefassten Suchbegriff wie etwa "Tastatur" eingibt. Auch Bewertungen oder Filter für eine gezieltere Suche stehen nicht zur Verfügung. Ein Alleinstellungsmerkmal ist dafür immerhin die Integration von Jobinseraten. Man kann direkt auf der Website nach offenen Stellen suchen und nach Kanton sowie Pensum filtern. Doch die nette Idee scheitert einmal mehr an der Tatsache, dass die Anzahl an Inseraten – etwa im Vergleich zu Jobs.ch – verschwindend klein ist.

Schweiz im Fokus

Ein paar Pluspunkte kann die Suchmaschine immerhin mit dem Bezug zur Schweiz einheimsen. So findet man allerlei Statistiken zum Land Schweiz, die der Dienst vom Bundesamt für Statistik bezieht. Einen erheblichen Mehrwert bieten diese zwar nicht, doch handelt es sich dabei um einen gelungenen Gag, der die Schweizer Wurzeln unterstreicht. Ferner werden ausschliesslich Schweizer Unternehmen als Werbekunden akzeptiert, um für die User eine gewisse Relevanz zu schaffen. Gesponserte Suchresultate hat die Redaktion während des Tests allerdings ohnehin nur wenige gesichtet. Im Gegensatz zum Primus Google kann man bei Tiger nicht flexibel mit einem bestimmten Tagesbudget werben, sondern muss ein Jahresabo abschliessen, das je nach Funktionsumfang zwischen 118 und 295 Franken kostet. Ohne Zweifel sind diese Kosten aufs Jahr gesehen bei weitem niedriger als bei Google, doch der Erfolg dürfte aufgrund der geringen Nutzerzahl eher bescheiden sein. Auf der Website selbst gibt der Betreiber an, dass die Seite monatlich über 450’000 mal besucht wird. Die App für Android dagegen weist im Google Playstore lediglich über 100 Downloads auf.

Keine Relevanz

Die Idee, eine Schweizer Suchmaschine für die Schweiz mit besonderem Fokus auf Datenschutz zur Verfügung zu stellen, ist zwar löblich, doch der Praxistest zeigt, dass die gebotene Leistung im Alltag leider kaum Mehrwert bieten kann. Erschwerend kommt hinzu, dass Tiger offenbar nicht von einem finanziell starken Unternehmen, sondern vom kleinen IT-Dienstleister Winforma Witschi in Bern betrieben wird – einem KMU, dessen Daily Business offenbar nicht darin besteht, eine intelligente Suchmaschine zu betreiben und zu verbessern. Als Maskottchen würde ein handzahmer Stubentiger jedenfalls besser passen als die Raubkatze.

Fazit

Die Schweizer Suchmaschine Tiger verschreibt sich eigenen Angaben zufolge dem Schutz der Privatsphäre. Dass sogar der Suchverlauf umgehend gelöscht wird und Suchanfragen verschlüsselt übertragen werden, zeigt, dass hinter dem Versprechen tatsächlich grosse Bestrebungen stehen, ein anonymes Sucherlebnis zu bieten. Leider vermögen die angezeigten Suchresultate im Praxistest allerdings nicht zu überzeugen. Nicht nur die Menge an Resultaten ist bei gewissen Themen erschreckend gering, auch die Relevanz und die Reihenfolge der Suchresultate ist teils fragwürdig. Der nach Ansicht der Redaktion einzige grosse Mehrwert von Tiger eröffnet sich, wenn man eine KI nutzen möchte: Mithilfe des Schweizer Dienstes kann man anonym und ohne Benutzerkonto die Dienste namhafter KI-Chatbots nutzen.

Positiv
+Suchbegriffe werden in der URL ver­schlüsselt
+intuitive KI-Integration
+diverse KI-Dienste können anonym und ohne Account genutzt werden
+klarer Fokus auf die Schweiz mit Werbekunden und Statistiken


Negativ
-Suchergebnisse lassen bezüglich Menge, Relevanz und Gewichtung teils stark zu wünschen übrig
-bei KI-Nutzung keine Folgefragen möglich
-sehr wenige Suchresultate bei News, Shopping und Videos
-veraltetes Design

Hersteller / Anbieter
Winforma Witschi, www.Tiger.ch

Preis
kostenlos

Wertung
Funktionalität: 2,0
Bedienung: 5,0
Gesamt: 3,5


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