DMS für KMU
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/19
Von der internen Weisung über die Kundenrechnung bis zum möglicherweise irgendwann juristisch relevanten E-Mail: Dokumente aller Art müssen über ihren gesamten Lebenszyklus genau dann und dort mit geringstmöglichem Aufwand zugänglich sein, wo sie benötigt werden. Weder die Speicherung auf den PCs und Notebooks der einzelnen Mitarbeiter noch
die meist mehr zufällige als organisierte Ablage auf einem Fileserver – Stichwort «Datensilo» – genügen dieser Anforderung.
Ein Dokumentenmanagementsystem (DMS) begleitet die unternehmensrelevanten Dokumente von der Erfassung von Papiervorlagen (Scanning, Texterkennung) über die Klassifizierung anhand von Schlüsselbegriffen (Taxonomie), die Ablage auf einem Fileserver, in einer Datenbank oder einem Data Warehouse, die Suche und situationsgerechte Präsentation der relevanten Dokumente (Retrieval), die langfristige Archivierung zwecks Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften bis zur endgültigen Löschung.
Im Grossunternehmen genügt diese klassische Art der Dokumentenverwaltung allerdings nicht. Neben herkömmlichen «Dokumenten» im Stil von Office-Dateien gehören auch sämtliche dokumentenartigen Informationen aus transaktionsorientierten Business-Systemen wie ERP und CRM zum firmenweiten Informationsschatz und müssen eingebunden werden: Dokumentenmanagement wird zum Enterprise Content Management (ECM) beziehungsweise Enterprise Information Management.
Für mittelgrosse und besonders kleinere Unternehmen ist eine ausgewachsene ECM-Suite zu viel des Guten: Die Lizenzpreise sind unerschwinglich, Implementation und Betrieb sind aufwendig, und die Bedienung überfordert zumindest die nicht speziell geschulten Mitarbeiter. Mit einer einfacheren Lösung ist dem KMU mit seiner oft ohnehin überlasteten IT-Abteilung mehr gedient.
Unsere Marktübersicht konzentriert sich
auf klassische Dokumentenmanagementlösungen, die vom Hersteller für den KMU-Einsatz positioniert werden. Die Palette reicht von Desktop-Produkten mit Fokus auf Digitalisierung von Papierdokumenten über All-in-One-Lösungen mit integrierter Kontakt- und Terminverwaltung bis zum waschechten DMS mit grundlegenden Funktionen zum Prozessmanagement und Schnittstellen zur Integration mit KMU-gängigen ERP-Systemen. Als Beispiele für DMS der Enterprise-Klasse haben wir die Lösungen von Docuware und Optimal in die Tabelle aufgenommen, die sich laut Hersteller auch für mittelgrosse Kunden eignen.
Auch der einzelne PC-User braucht auf Dokumentenmanagement nicht zu verzichten. Die Lösungen von Add-on.com und Nuance sind als Desktop-Anwendungen implementiert, andere Hersteller wie Dr.Doc, ELO (Elooffice), Kendox (Infoshare Client ohne serverseitige Komponente) und Windream (Windream Solo) bieten neben den hier vorgestellten netzwerkfähigen DMS auch Produktvarianten für den Einzelplatz an.
- OCR-Spezialist Nuance kombiniert das Texterkennungspaket Omnipage 16, die Imaging- und Ablagesoftware Paperport 11 und den PDF-Generator PDF Create zu einer DMS-Lösung für die elementarsten Bedürfnisse. Das Schwergewicht liegt naturgemäss auf Scanning, OCR und Volltextsuche, weitergehende Funktionen wie Versionierung und E-Mail-Archivierung fehlen.
Die Mehrzahl der KMU-gängigen DMS basiert auf einer konventionellen Client/Server-Architektur, der Anwender nutzt die DMS-Funktionen entweder über eine Windows-Applikation oder einen Web-
Client. Einige Highlights:
- Die DMSfactory erlaubt mit Tinca Solutions laut eigener Aussage, «ohne besondere Vorkenntnisse ein professionelles DMS zu betreiben». Dem Anwender bietet das System die Wahl zwischen dem vollen Client Tinca Enterprise, der die meisten DMS-Funktionen über eine einzige Windows-Anwendung erschliesst, und dem reinen Such- und Anzeigeclient Tinca Viewer. Die Serverseite – hier Tinca Contentserver genannt – läuft wie bei den anderen hier vorgestellten Client/Server-Lösungen unter Windows. Für die Integration mit Exchange und anderen Backoffice-Systemen ist der Tinca Document Pipeliner zuständig, der mit Hilfe verschiedener Import- und Export-Plug-ins einen zentralen Routing-Service bereitstellt.
- Dr.Doc ist eine Komplettlösung mit voller DMS-Funktionalität, Anbindung an Messaging-Systeme, automatischer Archivierung von Spool-Daten aus ERP- und Finanzsystemen und integriertem Compound-Document-Server zur revisionssicheren Verwaltung verteilter Dokumente. Ausserdem ist eine Termin- und Kontaktverwaltung mit an Bord, die sich im Sinn eines CRM-Systems einsetzen und mit Outlook abgleichen lässt. Ein Workflow-Editor sorgt für die prozessgerechte Verarbeitung der Dokumente.
- Die Leitz-Tochter ELO Digital Office – der Firmenname leitet sich vom ursprünglichen Produkt «Elektronischer Leitz-Ordner» ab – führt neben Elooffice für Kleinfirmen und Freiberufler und dem serviceorientierten Eloenterprise für Grossunternehmen die Mittelstandslösung Eloprofessional auf Client/Server-Basis. Das Produkt ist modular aufgebaut und bietet als Besonderheit optionale Module für den Umgang mit CAD-Dokumenten inklusive Prüfung der Vollständigkeit aller Baugruppen und verschachtelten Zeichnungsstrukturen, E-Mail-Management, Collaboration und Mobilzugriff sowie einen Internet-Gateway für den Zugriff via Browser und die Integration via Web Services.
- Bei GSD Software, ebenfalls ein deutscher Hersteller, bildet das DMS nur einen Teil der Produktpalette: Das Unternehmen gehört im grossen Kanton zu den bekannteren ERP-Anbietern und hat auch eine Finanzbuchhaltung im Programm. Die DMS-Lösung Docuframe fungiert auch als Kontakt- und Terminverwaltung – so präsentiert der Startbildschirm «Docutoday» die aktuellen Termine und verpassten Telefonanrufe. Kunden- und projektbezogene Abläufe werden mit dem Workflow-Editor, dem Eskalationsmanagement und der integrierten Entwicklungsumgebung «Docucontrol» abgebildet.
- Aus der Schweiz stammt die stark auf Knowledge-Management ausgerichtete Lösung Infoshare, erhältlich in den Varianten Business Edition (Fokus auf klassischem Dokumentenmanagement, Basis Windows), Midrange Edition (für i5- beziehungsweise AS/400-Systeme von IBM) und Knowledge Edition (mit automatischer Klassifizierung und Verarbeitung grosser Mengen von unstrukturierten Dokumenten. Die Business Edition umfasst neben dem Windows-Client und dem Server verschiedene Module für Scanning, Batch-Verarbeitung und COLD sowie den SAP Archive Server zur revisionssicheren Ablage von SAP-Dokumenten, einen Notes-Connector und eine Web-basierte Retrieval-Anwendung.
Einen anderen Ansatz verfolgt Windream: Die DMS-Funktionalität ist hier als virtuelles Filesystem in Form einer zusätzlichen Softwareschicht zwischen Betriebssystem und Anwendungen implementiert. Funktionen wie klassifizierte Ablage, Versionierung und Check-in/out sind aus jeder Windows-Anwendung heraus in den Dialogen zum Speichern und Öffnen sowie im Kontextmenü des Windows Explorer zugänglich, die Recherche erfolgt über die Sucheingabe im Windows-Startmenü. Systemeinstellungen und Objekttypen des DMS lassen sich über eine Management-Konsole verwalten. Der Bochumer Hersteller bietet auch Zusätze für SAP-Anbindung, Web-Zugriff und Workflow-Management an.
Interessanterweise stammt die Mehrzahl der Mittelstands-DMS aus Deutschland. Aber auch Schweizer Entwickler haben interessante Produkte zu bieten. Neben der Ostschweizer Firma Kendox sind uns die Produkte von zwei helvetischen Herstellern besonders aufgefallen:
- Intrapact von Comitas ist eigentlich eine Intranet-Lösung, die laut Hersteller den Betrieb eines firmenweiten Informationsportals «out of the box» ermöglicht – egal ob es um fünf oder tausend Arbeitsplätze geht. Mit einem Content-Management-System als Kern bietet bereits die Standardversion elementare Funktionen für die Dokumentenverwaltung, die sich mit einem optionalen Add-on zum DMS ausbauen lassen, allerdings ohne Imaging-Komponenten und vollwertige Taxonomie.
- Archivista war in unserer letzten DMS-Marktübersicht noch mit einer Client/Server-Lösung mit Windows-Frontend vertreten. In der Zwischenzeit hat sich das Produkt radikal gewandelt: Heute offeriert der Hersteller eine Appliance mit vorinstallierter Software, die sich ohne grosse Konfiguration sofort nutzen lässt. Die Archivista Box basiert auf Open-Source-Software, und auch die Zusatzentwicklungen des Pfaffhauser Herstellers sind unter der GPL2 freigegeben. Der Zugriff erfolgt über einen Webclient. Neben den grundlegenden DMS-Funktionen bietet Archivista direkte Anbindung an diverse in der Schweiz gängige ERP-Systeme wie Opacc, Tosca, KHK Selectline und Axapta an – weitere Systeme integriert der Entwickler «in maximal ein bis zwei Tagen zum Fixpreis». Die Box ist nach dem Motto «Ganze Berge von Dokumenten» in verschiedenen Varianten von «Dolder» und «Rigi» (Einzelplatz, maximal 20’000 Akten, empfohlen für 50 bis 500 Seiten pro Tag, 470 beziehungsweise 850 Franken) bis «Eiger» (für 4000 bis 40’000 Seiten pro Tag und hundert gleichzeitige Benutzer, 8600 Franken) zu haben.
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