Die Gefahren von Kamerahandys
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/03
Stellen Sie sich folgendes Szenarium vor: Ihr Projektteam hat gerade das Design eines neuen Produktes abgeschlossen, das Ihrem Unternehmen einen entscheidenden Vorsprung bringen wird. Dieser Erfolg wird gefeiert. Einer der Gruppe macht dabei mit seiner Handykamera ein Bild von der Gesellschaft und schickt es voller Stolz gleich einem Freund per MMS. Im Hintergrund des Fotos sind die Spezifikationen und die Marketingstrategie sichtbar.
Dieses Beispiel zeigt es: Unternehmen müssen sich darüber im klaren werden, wie sie mit Kamerahandys umgehen.
Als die ersten mit Fotokameras bestückten Handys, mit denen man digitale Bilder (heute mit vielen Geräten auch Videos) schiessen, speichern und an andere verschicken kann, vor etwa drei Jahren auf den Markt kamen, wurden sie von vielen nicht ganz ernst genommen. Ausser zur Vermittlung eines flüchtigen Eindrucks eines besonderen Moments taugten die ersten Geräte kaum für etwas. Ein professioneller Einsatz war schwer vorstellbar.
In der Zwischenzeit hat die Technik aber entscheidende Fortschritte gemacht, die Bildauflösung erreicht bereits das Niveau von normalen Digitalkameras und die Preise sind massiv gefallen. Die Qualität der geschossenen Bilder reicht sogar in speziellen Fällen bereits für die Publikation in einer Zeitung: 2003 druckte der «Blick» ein Handybild, das das geheime Innere eines Armeebunkers zeigte, und im letzten November veröffentlichte der niederländische «De Telegraf» ein Bild des von einem Islamisten ermordeten Filmemachers Theo Van Gogh, das ein Passant mit seinem Mobiltelefon geschossen hatte, bevor die Polizei eingetroffen war.
Und auch Unternehmen setzen Kamerahandys immer öfter als Arbeitswerkzeuge ein. Baufirmen rüsten ihre Mitarbeiter damit aus, um die Fertigstellung einer Arbeit festzuhalten. Versicherungsagenten dokumentieren Schadensfälle, Lageristen beweisen eine Fehllieferung und Mitarbeiter von Gärtnereien inventarisieren Pflanzenschäden mit dem Handy. Ob Fertigung, Gebäudeunterhalt, Marketing oder Aussendienst; in den unterschiedlichsten Bereichen sind die praktisch immer verfügbaren Handykameras heute ein grosser Bestandteil von Arbeitsprozessen.
Mit der wachsenden Popularität der Fotohandys steigt aber auch zwangsläufig der Missbrauch. Die häufigste Art betrifft heute Verletzungen der Privatsphäre. Fälle von Männern, die versuchen, heimlich unter Frauenröcken Schnappschüsse zu schiessen, oder Leute, die im Umkleideraum von Fitnessstudios voyeuristische Bilder aufnehmen, haben in der Zwischenzeit bereits zahlreiche Gegenmassnahmen provoziert. Viele Fitnessklubs und Schwimmbäder verbieten heute Kamerahandys generell; Saudi-Arabien hat gar einen landesweiten Bann ausgesprochen.
Vor 18 Monaten entschloss sich schliesslich mit der südkoreanischen Samsung Electronics der drittgrösste Handyhersteller der Welt zu einem bis dahin beispiellosen Schritt. Samsung verbot sowohl Besuchern als auch Mitarbeitern in einer Reihe von Fabriken und Forschungszentren den Gebrauch von Kamerahandys aus Angst vor Industriespionage. Die Ironie der Geschichte: Samsung hatte im Jahr 2000 das erste Kamerahandy überhaupt entwickelt. Noch prophezeit der Hersteller auf seiner Webseite: «In absehbarer Zukunft werden Kameras in Handys nicht mehr nur Nice-to-have-Features sein, sondern eine Pflichtfunktion, ein bleibendes Bedürfnis der weltweiten mobilen Anwender» – es sei denn innerhalb der eigenen Fabriken, müsste man heute anfügen.
Widersprüche hin oder her; Samsungs Versuch, seine Geschäftsgeheimnisse zu schützen, ist legitim. Viele andere Unternehmen haben seither ähnliche Regeln erlassen. Dazu gehören neben den Samsung-Konkurrenten Nokia und Motorola auch die Autohersteller Hyundai und BMW. Andere haben ihren Mobilfunkbetreiber angewiesen die Mobiltelefone der eigenen Mitarbeiter zu modifizieren. Dazu werden die Linsen ausgebaut oder verdeckt oder aber ein Tonsignal eingebaut, das die Bildaufnahme deutlich hörbar macht. Das US-Mobilfunkunternehmen Sprint hat eine kameralose Version eines Smartphones angekündigt, um «Sicherheitsbedenken von Unternehmen zu adressieren».
Ein schwerwiegender Fall von gezielter Handy-Spionage ist bisher allerdings noch nicht öffentlich geworden (was nicht heisst, dass noch keiner vorgekommen ist). Die Gefahr liegt heute eher in zufälligen, durch Unachtsamkeit begangenen Vertrauensbrüchen, wie sie das eingangs erwähnte Projektteam-Szenario illustriert. Professionelle Spione haben für ihre Zwecke noch wesentlich effektivere Gadgets zur Verfügung.
Trotzdem sollten Unternehmen vorsichtig sein. Ob absichtlich oder nicht, Bilder von Prototypen, geheimen Geschäftsdaten, Marketingideen oder chemischen Formeln können über Kamerahandys schnell in falsche Hände geraten.
Dies ist an sich kein neues Phänomen. Bereits mit dem Aufkommen der eigentlichen Digitalkameras wurde dieses Risiko sichtbar. Die in Mobiltelefonen eingebauten Kameras heben das Problem aber auf eine höhere Stufe. Handys werden an Orten toleriert, von denen Kameras auch schon im analogen Zeitalter ausgeschlossen waren. Dazu gehören neben Forschungseinrichtungen und Fabriken auch Gerichtssäle, Banken, Sitzungszimmer, Spitäler oder militärische Einrichtungen. Und mit den Handys lassen sich nicht nur Bilder machen und speichern, sondern auch sofort und unbemerkt verschicken. Zudem wird an vielen Orten immer noch kein Verdacht geschöpft, wenn jemand mit seinem Mobiltelefon hantiert.
Der Hauptunterschied zu den Digitalkameras liegt aber in der Konnektivität. Fotos können mit Handys einfach und unmittelbar verschickt werden. Dabei nimmt mit der Einzigartigkeit und Wichtigkeit des Bildes auch die Möglichkeit der schnellen und weiten Verbreitung zu. Ist eine Fotografie aber einmal im Cyberspace gelandet, wird es praktisch unmöglich, die Vervielfältigung zu stoppen. Vielmehr ist die Chance gross, dass eine interessante Geheimaufnahme nie mehr aus dem Internet verschwinden wird.
Um diesen Risiken zu begegnen, sind generelle Verbote für Unternehmen aber nicht immer die beste Antwort. Ein differenzierter Umgang, der sich an realistischen Risikoabschätzungen für einzelne Bereiche einer Firma orientiert, bringt häufig mehr.
Ein Beispiel: Wenn man von Besuchern die Abgabe sämtlicher Kameras am Eingang fordert, verlangt man von ihnen gleichzeitig auch, sich von ihrem Mobiltelefon zu trennen. Einige werden sich an einer solch unflexiblen Regelung stossen, weil für sie ununterbrochene Erreichbarkeit essentiell ist. Dem könnte man begegnen, indem man statt eines Kameraverbots in weniger sensitiven Bereichen bloss ein explizites Fotografierverbot erlässt. Der Vorteil dieses Vorgehens: Während viele Leute das generelle Verbot als indirekte Unterstellung einer böswilligen Absicht empfinden, akzeptieren sie das blosse Fotografierverbot als Vorbeugemassnahme gegen schädliche Handlungen.
Zudem enthalten die Geräte der Besucher oft selber sensitive Informationen aus deren Unternehmen. Aus diesem Grund wird ihnen eine Übergabe an das Sicherheitspersonal widerstreben. BMW hat hierfür eine saubere Lösung gefunden. Gäste können ihre Handys in einem speziellen Fach selber einschliessen, bevor sie die «No Cameraphone»-Zone betreten.
Bruno Giussani ist Affiliated Fellow der Standford Universität und beschäftigt sich als Berater mit den sozialen Auswirkungen von Innovation. Er wird künftig als Kolumnist für InfoWeek schreiben.