Das letzte Jahr hat auf eindrückliche Art und Weise gezeigt, dass viel mehr Arbeitnehmende ausserhalb ihres Büros arbeiten können, als bisher angenommen. Die Frage ist: Was macht diese Verlagerung ins Home Office mit unserer Arbeit? Eine Umfrage von
Xing hat ergeben, dass die Arbeit zuhause zahlreiche positive Effekte hat, aber auch Herausforderungen mit sich bringt.
Die Mehrheit arbeitet zuhause produktiver
In der Umfrage gaben 66 Prozent an, dass sie sich im Home Office besser konzentrieren können. Bei nur gerade 9 Prozent klappt es im Büro besser mit der Konzentration. Zudem sagen 59 Prozent, dass sie bei der Arbeit zuhause produktiver sind. 46 Prozent können im Home Office besser eigene Ideen entwickeln und kreativ sein. Nur 16 Prozent sagen, dass bei ihnen die Kreativität im Büro höher ist.
Die Arbeit im Home Office wird also oft als produktiver wahrgenommen und es fällt vielen zuhause leichter, sich zu konzentrieren. Entscheidend für die tatsächliche Produktivität sind aber auch die technische Ausstattung und ein ergonomischer Arbeitsplatz, und dies entzieht sich im Home Office weitgehend dem Einfluss des Arbeitgebers. Instabile Netzwerkverbindungen, lückenhafter Telefonempfang, ein schlecht eingerichteter Arbeitsplatz und das Bearbeiten von Excel-Tabellen auf einem 13-Zoll-Laptop bremsen die Produktivität im Home Office aus. Zudem müssen die Prozesse von Unternehmen auf die Arbeit im Home Office angepasst werden. Wenn Dokumente eine physische Unterschrift benötigen, im Home Office aus IT-Security-Gründen aber nicht gedruckt werden kann, so kommen gewohnte Abläufe rasch zum Erliegen.
Unternehmen sollten also ein Interesse daran haben, dass Mitarbeitende im Home Office möglichst gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Oft ist es aber noch so, dass die Mitarbeitenden selbst für ein entsprechendes Umfeld sorgen müssen. Gemäss der Xing-Befragung hat mehr als die Hälfte (54 Prozent) von ihnen selbst in technisches Equipment für das Home Office investiert. Lediglich 37 Prozent wurden bei der Ausstattung ihres Büros zuhause finanziell durch den Arbeitgeber unterstützt. Zur Sicherstellung einer hohen Produktivität im Home Office müssen Unternehmen künftig vermutlich eine aktivere Rolle spielen.
Höhere Produktivität zu Lasten der Innovation?
Obschon die Umfragewerte zur wahrgenommenen Produktivität im Home Office zuversichtlich stimmen, darf nicht vergessen werden, dass es immer Mitarbeitende geben wird, die aufgrund der Situation zuhause in ihrer beruflichen Tätigkeit stark eingeschränkt sind. Dies zum Beispiel, wenn aufgrund der Platzsituation kein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder wenn die familiäre Situation konzentriertes Arbeiten verunmöglicht. Ein angeordnetes Remote-Working nach dem Ende der Corona-bedingten Restriktionen wäre in solchen Fällen kontraproduktiv, weshalb bei künftigen Regelungen der individuellen Situation der Mitarbeitenden Rechnung getragen werden muss.
Die Arbeit zuhause bringt auch zahlreiche Herausforderungen mit sich, die sich unter Umständen erst mittel- und längerfristig negativ bemerkbar machen. Eine der grössten Schwierigkeiten beim Arbeiten in örtlich verteilten Home-Office-Teams ist die Kommunikation untereinander. Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmung mit Vorgesetzen und das gemeinsame Finden von Ideen funktionieren gemäss der Xing-Umfrage im Home Office deutlich schlechter als im Büro. Kaum überraschend geben denn auch 79 Prozent an, dass ihnen der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit im Home Office fehlt. Dies kann insbesondere die Entwicklung neuer Ideen behindern. Die Frage drängt sich auf, ob eine kurzfristig gesteigerte Produktivität möglicherweise zulasten der längerfristigen Innovationsfähigkeit eines Unternehmens geht.
Verzerrte Wahrnehmung der Arbeitsleistung kann zu Spannungen führen
Bemerkenswert an den Befragungsergebnissen ist auch, dass die wahrgenommene Arbeitsleistung im Home Office stark subjektiv ist. Während 58 Prozent von sich selbst sagen, im Home Office mehr zu arbeiten, so glauben nur 34 Prozent, dass dies bei ihren Kolleginnen und Kollegen der Fall ist. Der fehlende persönliche Kontakt kann zu einer verzerrten Wahrnehmung führen, was Spannungen zur Folge haben kann. Gerade im Home Office sind Führungskräfte deshalb gefordert, eine starke und vertrauensbasierte Unternehmenskultur zu fördern und zwischenmenschlichen Themen genügend Aufmerksamkeit zu schenken, um solche Spannungen zu umgehen und einem Nachlassen der Produktivität über die Zeit vorzubeugen. Ihre nicht ganz leichte Aufgabe ist es, trotz der physischen Distanz ein Gefühl der Nähe zu schaffen, eine positive Arbeitskultur aufrechtzuerhalten und Mitarbeitende weiterhin zu motivieren. Aus diesem Grund werden Führungskräfte vermehrt die Jobs ihrer Angestellten im Remote-Work-Kontext hinterfragen und Strukturen sowie Arbeitsprofile etablieren müssen, die für Sinnhaftigkeit und Freude bei der Arbeit sorgen. Remote Work heisst auch Remote-Führung, und diese wird für die Mitarbeiterzufriedenheit und die Produktivität längerfristig entscheidend sein.
Arbeitsmodelle der Zukunft: hybrid und flexibel
Künftige Arbeitsmodelle bauen auf ortsunabhängigem Arbeiten auf, sind aber hybrid und flexibel. Ein Hybridformat – eine Kombination aus Arbeiten zuhause und im Büro – trägt den positiven Effekten beider Standorte Rechnung: konzentriertes und produktives Arbeiten im Home Office, soziale Kontakte, persönlicher Austausch und gemeinsame Ideenfindung am Arbeitsplatz. Ein solches Modell könnte zum Beispiel drei Arbeitstage im Unternehmen sowie zwei Arbeitstage im Home Office oder einem anderen Ort ausserhalb des Büros vorsehen. Eine bessere und bewusstere Verteilung zwischen kurzfristigen, oft unterbrochenen Arbeitsphasen und vertieften, konzentrierten Arbeitsphasen macht uns im Arbeitsalltag schöpferischer und leistungsfähiger. So ergeben sich aus den Impulsen der Coronakrise Chancen, um Mitarbeitenden künftig mehr Selbstbestimmung zu geben und damit sowohl die Produktivität als auch die Zufriedenheit am Arbeitsplatz nachhaltig zu steigern.
Der Autor
Robert Bertschinger ist Geschäftsführer von
Xing Schweiz, einem Tochterunternehmen von New Work. Als ausgewiesene Führungskraft und Unternehmer verfügt er über umfangreiche Managementerfahrung im ICT-Sektor. Bevor er 2019 zu Xing stiess, arbeitete Robert Bertschinger in verschiedenen Geschäftsleitungspositionen bei internationalen und Schweizer Technologieunternehmen.