Anfang nächsten Jahres ist Schluss mit der herkömmlichen Telefonie und Swisscom stellt sämtliche Anschlüsse hierzulande auf All IP um. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Schweizer Unternehmen somit gezwungen, auf eines der zahlreichen IP-Telefonie-Angebote zu wechseln. Immerhin besteht mittlerweile ein beachtliches Angebot an VoIP-Telefonie-Lösungen für Unternehmen, wie bereits die letztjährige Marktübersicht in "Swiss IT Magazine" 2016/04 gezeigt hat.
Obwohl die Deadline immer näher rückt, arbeiten nach wie vor unzählige KMU in der Schweiz noch immer mit ihrem althergebrachten Telefonsystem. Als Grund für das Festhalten an der betagten Telefonlösung wird oftmals die vermeintliche Komplexität einer Migration angegeben. Wir wollten wissen, wie sich die Inbetriebnahme der IP-Telefonie in der Praxis gestaltet, und haben zu diesem Zweck exemplarisch das Produkt Sipcall vom Schweizer IT-Dienstleister Backbone Solutions getestet.
Um die Konfiguration der IP-Telefone vorzunehmen, wird zuerst die IP-Adresse vom Telefon ermittelt... (Quelle: SITM)
... um damit dann die Konfigurationsseite im Webbrowser aufzurufen und den Apparat zu registrieren. (Quelle: SITM)
Weiterleitungen lassen sich flexibel konfigurieren und miteinander kombinieren... (Quelle: SITM)
... Dazu lassen sie sich zeitlich eingrenzen, beispielsweise um an unterschiedlichen Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten entsprechend reagieren zu können. (Quelle: SITM)
Die Voicebox lässt sich einerseits als konventionelle Voice-Mailbox, als Faxbox, aber auch als IVR-System einsetzen, womit die Konfiguration auch komplexer Sprachmenüs ermöglicht wird. (Quelle: SITM)
Wird vom Sipcall-Anbieter empfohlen: Das IP-Telefon DX800A vom Hersteller Gigaset. De facto lassen sich aber die meisten VoIP-fähigen Telefone einsetzen. (Quelle: Gigaset )
Die Basis-Konfiguration
Um eine VoIP-Lösung in Betrieb zu nehmen, braucht es im Grunde genommen drei Dinge: Einen einigermassen leistungsstarken Internetanschluss, wie er heute in quasi jedem KMU zur Verfügung steht, einen Vertrag mit einem VoIP-Anbieter mitsamt den betreffenden Zugangsdaten sowie die nötige Anzahl IP-Telefone. Dieses Setup ist bei quasi allen Anbietern identisch.
Unabhängig vom Anbieter ist meist auch die Inbetriebnahme der Telefonielösung hier wie dort dieselbe und läuft in der Praxis wie folgt ab:
1. Anschliessen des Telefonapparats am Router beziehungsweise am lokalen Netzwerk
2. Anmeldung des Apparates via Webbrowser
3. Einrichten und Konfigurieren der weiteren Funktionen
Schritt für Schritt
Die meisten VoiP-Anbieter empfehlen zu ihren Angeboten bestimmte IP-Telefonmodelle ausgesuchter Hersteller, deren Konfiguration dann auch im Detail dokumentiert wird. Tatsache ist allerdings, dass in den meisten Fällen quasi jedes SIP-fähige Gerät genutzt werden kann, für das dann allerdings seitens des Telefonie-Providers nur selten Support bereitgestellt wird.
Im Fall von Sipcall wurde uns für unseren Test ein Gerät der Marke Gigaset zur Verfügung gestellt. Vor dem Anschluss ans interne Ethernet angeschlossen, gilt es sicherzustellen, dass das Gerät in den Netzwerkeinstellungen auf DHCP gesetzt wird, damit das Telefon vom entsprechenden Serverdienst automatisch eine IP-Adresse zugewiesen bekommt. Nachdem das angeschlossene Telefon gebootet hat, muss die zugewiesene IP-Adresse ausfindig gemacht werden. Bei allen uns bekannten Geräten lässt sich die Adresse vom Display abrufen, nachdem das betreffende Menü aufgerufen wurde. Da diese meist recht verschachtelt sind, empfiehlt sich, hierfür einen kurzen Blick ins Handbuch des IP-Telefons zu werfen.
Im nächsten Schritt gilt es, dass Telefon mit den vom Anbieter erhaltenen Credentials zu füttern. Konkret ist dies die Telefonnummer, ein Passwort sowie die Kennung des SIP- und Proxy-Servers, die meist identisch sind. Hierfür wird die zuvor ermittelte IP-Adresse des Telefons in einem Webbrowser eingegeben, worauf eine Konfigurationsoberfläche aufgerufen wird. Nicht selten wird hierbei bereits ein Login benötigt. Sollte dies nicht bekannt sein, kann das Passwort – oft auch als System-PIN bezeichnet – am Gerät selbst neu gesetzt werden.
Hier werden nun einerseits die persönlichen Provider-Daten, also die Telefonnummer und das Passwort gespeichert, anderseits aber auch die Domäne und der Registrationsserver des VoIP-Providers angegeben. Dazu erfolgt hier die Konfiguration der verwendeten Audio-Codecs. Diese sind im Normalfall allerdings vorkonfiguriert und können in der Regel so belassen werden.
Je nach IP-Telefonmodell bietet die webbasierte Oberfläche weitere Funktionen, die über die reine Anmeldung der Geräte hinausgehen. So lassen sich wie im Fall des getesteten Gigaset-Geräts auf Geräteebene ein Internet-Zeitserver oder Online-Telefonbücher wie tel.search.ch definieren. Ebenfalls nicht allerorts zu finden ist die hier integrierte Export-Funktion, um die Einstellungen auszulesen und auf dem PC zu sichern.
Sobald Rufnummer, Passwort und Registrierungsserver erfasst sind, ist das Telefon einsatzbereit und kann sowohl für ein- wie auch für ausgehende Anrufe genutzt werden. Bei älteren Geräten wird allenfalls noch ein Neustart initiiert, um die neuen Settings zu aktivieren. Im Fall des Gigaset-Apparats dauerte der ganze Prozess nur wenige Minuten.
Dass Gerät ist nach der Konfiguration im übrigen keineswegs an irgendein bestimmtes Netzwerk gebunden. So kann das IP-Telefon theoretisch an einem beliebigen LAN mit Internet-Connectivity angeschlossen werden und müsste auf Anhieb funktionieren. Sollte dies nicht der Fall sein, stehen in vielen Fällen Firewalls im Weg. Hier muss die VoIP-Telefonie oftmals freigeschaltet werden und den Verbindungen über eine Quality-of-Service-Einstellung, kurz QoS, eine Priorisierung und minimale Bandbreite zugeordnet werden. In der Regel genügen hier 100 KB/s pro Nummer beziehungsweise Leitung.
Was die Gesprächsqualität betrifft, gibt es nichts zu meckern. Sowohl bei eingehenden als auch bei ausgehenden Anruf liess die Übertragung via Sipcall keine Wünsche offen, und auch irgendwelche Störgeräusche waren keine feststellbar. Unter dem Strich liessen sich bei der Sprachqualität keine Unterschiede zu den VoIP-Lösungen von weiteren Mitbewerbern ausmachen, deren Lösungen beim Test parallel zur Verfügung standen.
Das Sipcall-Portal
Wie bei den meisten VoIP-Anbietern wird auch bei Sipcall eine virtuelle Telefonzentrale, eine Virtual PBX, für die Konfiguration und Verwaltung des VoIP-Systems bereitgestellt Der Funktionsumfang entspricht in etwa jenem, den auch das Gros der Mitbewerber zu bieten hat. So lassen sich hier Rufumleitungen konfigurieren oder eine Übersicht der Gespräche mitsamt den Kosten kann abgerufen werden. Leider wird das Sipcal-Portal nur spärlich dokumentiert und auch eine Hilfe-Datei sucht man vergebens. Lediglich bei der IVR-Funktion (Intergrated Voice Response) wird eine Anleitung zur Verfügung gestellt. Seitens des Anbieters stellt man sich hier auf den Standpunkt, dass die Bedienung derart intuitiv sei, dass auf eine Online-Hilfe verzichtet werden könne. Gerade Einsteiger aber dürften eine Schritt-für-Schritt-Anleitung mit Beispielen zu schätzen wissen. Auch haben sich bei der Bedienung des Portals mit Microsofts Internet Explorer hier und dort funktionale Störungen bemerkbar gemacht, die bei der Nutzung mit Chrome oder Firefox dann allerdings gänzlich verschwunden sind. Zudem machen sich hie und da kleine Inkonsistenzen in der Bedienung bemerkbar.
Keine Krux mit Anrufweiterleitungen
Für jede einzelne Nummer bietet Sipcall die Möglichkeit, eine oder mehrere Weiterleitungen einzurichten. Mit dieser Basisfunktion lässt sich relativ einfach die Umleitung von Anrufen von einer Hauptnummer beispielsweise an drei Mitarbeiter-Telefonnummern einrichten. Dabei kann festgelegt werden, ob eingehende Anrufe jeweils gleichzeitig, in der vorgegebenen Reihenfolge oder in einer zufälligen Reihenfolge an die drei empfangenden Telefone weitergereicht werden. Schliesslich kann bei Bedarf auch bei den empfangenden Anschlüssen eine weitere Weiterleitung eingerichtet werden, wodurch sich die Zahl der involvierten Telefone stufenweise erweitern lässt. Wird eine Weiterleitung für einmal nicht benötigt, lässt sie sich praktischerweise über einen Schalter zwischenzeitlich deaktivieren und ebenso leicht wieder in Betrieb nehmen. Ein Löschen und Neuerfassen erübrigt sich also.
Dazu können hier die Zeitfenster gesetzt werden, in denen die Umleitung aktiviert wird. Das Sipcall-System zeigt sich hier von der flexiblen Seite und erlaubt das Setzen mehrerer Aktivzeiten. So können Weiterleitungen an den verschiedenen Wochentagen und Arbeitszeiten unterschiedlich gehandhabt werden.
Allein mit diesen Basisfunktionen erweist sich Sipcall als erstaunlich flexibel und hat man sich den Mechanismus dieser Weiterleitungsfunktionen erst einmal verinnerlicht, ist es ein Leichtes, auch komplexe Szenarien umzusetzen.
Die Voice-Mailbox
Während bei vielen Telefonieanbietern die Voice-Mailbox und die Weiterleitung der Audio-Mitteilungen an eine E-Mail-Adresse im Basispreis enthalten ist, geht man hier beim Sipcall-Angebot andere Wege: Die Voice-Mailbox muss kostenpflichtig für jede Nummer aktiviert werden und schlägt mit 5 Franken pro Monat zu Buche, wobei man immerhin 10er Bundles zum vergünstigten Tarif von monatliche 30 Franken beziehen kann. Die Voice-Mailbox optional anzubieten macht durchaus Sinn, zumal viele IP-Telefonapparate bereits über einen integrierten Telefonbeantworter verfügen. Diese bieten zwar selten den Komfort von webbasierten Lösungen, mögen in vielen Fällen den Ansprüchen aber durchaus zu genügen.
Die Freischaltung der Voice-Mail-Funktion für eine Rufnummer lässt sich direkt im Sipcall-Portal bewerkstelligen und kann da auch gleich wieder gekündigt werden. Neben der Standard-Funktion als Voicebox lässt sie sich auch als Interacitve Voice Response, kurz IVR (mehr dazu später) oder als Faxbox einrichten. Letztere Variante ist quasi selbsterklärend und dient dazu, eingehende Fax-Mitteilungen direkt als PDF an eine Maildresse weiterzuleiten.
Die Inbetriebnahme einer Voicebox ist nach der Freischaltung recht einfach. Zuerst wird auf allen in Frage kommenden Rufnummern die Weiterleitung an die Voicebox-Nummer definiert, was sich beim Punkt "Verhalten eingehender Anrufe" bewerkstelligen lässt. In einem nächsten Schritt wird auf der Voicebox-Rufnummer bestimmt, ob die Anrufenden mit einer Standard-Ansage oder einer individuellen Ansage begrüsst werden sollen. In zweiten Fall lassen sich Audio-Dateien in den Formaten WAV, MP3 oder AU hochladen, wobei eine Gesamtgrösse von 1,5 MB nicht überschritten werden darf. Last but not least wird noch eine Mailadresse definiert, an welche die hinterlassenen Nachrichten als MP3-Files verschickt werden.
Sprachmenü à gogo
Wie erwähnt lässt sich die Voicebox funktional auch mit der Option Integrated Voice Response in Betrieb nehmen. Bei der IVR handelt es sich um eine Funktion der virtuellen Sipcall-PBX, welche die Konfiguration von Sprachmenüs erlaubt. Ein klassisches Beispiel ist etwa die Sprachauswahl nach dem Wählen der Hauptnummer: "Wenn Sie Deutsch wünschen, drücken Sie jetzt die 1".
Hat man sich für die IVR-Nutzung entschieden, wird man für die Konfiguration auf ein weiteres Backend-Portal umgeleitet, wo die benötigten Ansagetexte, die Antwortoptionen sowie die damit verknüpften Umleitungen hochgeladen beziehungsweise hinterlegt werden. Die IVR-Funktion erweist sich als recht mächtiges Instrument und erlaubt auch die Umsetzung komplexer Abläufe. Es lohnt sich daher, die vorgesehene Kommunikationsstruktur erst aufzuzeichnen, bevor man mit der Umsetzung beginnt. Erfreulicherweise wird hier eine Konfigurationsanleitung bereitgestellt, in welcher die wichtigsten Einstellungen anhand eines Beispiels erläutert werden.
Tarif-Unterschiede
Beim Sipcall-Business-Angebot bezahlt der Kunde eine Pauschale für die PBX-Nutzung von monatlich 18.90 Franken. Wird auf eine Vertragsmindestlaufzeit verzichtet, fällt zusätzlich eine Setup-Gebühr über 100 Franken an. Für einen portierten 10er-Block Rufnummern werden weitere 12.90 Franken pro Monat verlangt. Hinzu kommen schliesslich noch die angesprochenen monatlichen Kosten pro benötigte Voicebox sowie die eigentlichen Gesprächsgebühren. Hierfür stehen wie bei Mitbewerbern auch auch Flatrate-Angebote sowie Vergünstigungen für Vieltelefonierer zur Verfügung.
Andere Anbieter berechnen oftmals einen Fixpreis pro Rufnummer, teilweise mit, teilweise ohne Voicebox. Generell sind die Bundles auf dem Schweizer Markt höchst unterschiedlich geschnürt und lassen sich nur schwer vergleichen. Es empfiehlt sich daher, die Preise im Hinblick auf die konkreten Bedürfnisse zu prüfen, wobei man auch einen möglichen Ausbau der Unternehmung im Auge behalten sollte. Aus finanzieller Sicht dürfte sich der Umstieg auf eine VoIP-Lösung ohnehin lohnen.
Die Nummern-Übernahme
Wechselt man zu einem VoIP-Anbieter und wendet Swisscom den Rücken zu, will man die bestehenden Telefonnummern in den allermeisten Fällen mitnehmen. Diese Nummern-Portierung ist eine rein formale Angelegenheit und jeder Anbieter unterstützt die Kunden bei diesem Vorhaben. Im Normalfall werden die Nummern blockweise beim neuen VoIP-Provider registriert, der dann die Übernahme abwickelt. Je nach Anbieter werden hier allerdings Gebühren verlangt, die abhängig vom Volumen bis zu dreistellige Beträge erreichen können. Einige wenige Anbieter, wie auch Backbone Solution beim Sipcall-Business-Angebot, erlassen ihren Kunden diese Kosten gänzlich. Zu beachten gilt es ausserdem, dass der Portierungsprozess bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen kann.
(rd)