Kreativität im Paket und in der Cloud

Viel Neues bei Photoshop, generelle Leistungssteigerung und ein Mietmodell – mit der Creative Suite 6 und der Creative Cloud bringt Adobe neuen Schwung ins Portfolio.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/06

     

Ende April hat Adobe die Creative Suite 6 (CS6) offiziell vorgestellt, seit Mitte Mai ist die neueste Ausgabe der Kreativsoftware-Toolbox erhältlich. Erstmals sind die CS-Programme nicht nur als Einzelpakete und in diversen Collections für verschiedene Anwendungsszenarien zum Kauf zu haben, sondern auch im Abonnement zur Miete. Das nennt sich dann «Creative Cloud» und umfasst neben der Software diverse Online-Dienste – mehr dazu im Kasten auf Seite 57.

Beschleunigung allenthalben

Eine der Hauptneuerungen, die das Adobe-Marketing hervorstreicht, ist die Leistungssteigerung. Dies ist dem «Mercury Performance System» zu verdanken: Die Arbeitspferde Photoshop, Illustrator, Premiere Pro und After Effects sind voll auf 64 Bit ausgelegt und nutzen für manche Funktion zusätzlich zur CPU den Grafikprozessor. Photoshop, Premiere Pro und After Effects CS6 setzen denn auch ein OpenGL-2.0-fähiges System voraus.
Die CS6-Apps starten in der Praxis erkennbar schneller als die Vorgänger. Zum Beweis der verbesserten Performance liefert Adobe als Illustrator-Beispieldatei die «Mischievous Venus» mit, eine moderne Variante des ursprünglichen Illustrator-Symbolbilds, das an Botticellis Venus erinnert. Die maliziöse Venus wiegt 21 Megabyte, hat rund zwei Dutzend Ebenen mit vielen sehr komplexen Pfaden und gibt sich im Handling in Illustrator CS6 merklich flüssiger als in Illustrator CS5.
Auch Photoshop profitiert von Performance-Steigerungen. So arbeiten verschiedene Tools, darunter das «Liquify»-Werkzeug, das in der Modewelt gerne zur Verschlankung von Modelfotos eingesetzt wird, nun GPU-gestützt und eliminieren so die bisher üblichen Wartezeiten. Auch das verbesserte Quick Selection Tool arbeitet Hardware-gestützt und damit schneller, obwhol es präzisere Ergebnisse liefert. Getestet haben wir übrigens auf einem knapp ein Jahr alten iMac mit einem 2,8-GHz-Core-i7-Quad, 8 GB RAM und einem Grafikchip ATI Radeon HD 4850 mit 512 MB VRAM.

Photoshop mit Interface-Schock

Photoshop, und auch Illustrator, warten schon beim Start mit einer Überraschung auf. Die früher in hellen Grautönen gehaltene Oberfläche ist jetzt dunkel. Jedenfalls dann, wenn man dies in den Voreinstellungen nicht wieder zurückändert. Das dunklere User-Interface betone statt der Tools die zu bearbeitenden Inhalte, meint Adobe – besonders Fotografen schätzen dies offenbar, was Produkte wie das nicht in der Suite enthaltene Lightroom oder Apples Aperture belegen.
Eine zweite Überraschung zeigt sich beim Freistellen von Bildern. Das Crop-Tool wurde in Photoshop CS6 völlig überarbeitet und nutzt jetzt Hardware-Unterstützung. Auch hier gilt: Kein Warten mehr. Ausserdem stellt die Software in einem Pop-up-Menü verschiedene Seitenverhältnisse wie Goldener Schnitt, Goldene Spirale oder Drittelregel als Vorgabe bereit. Beim Freistellen wird dann auf Wunsch ein entsprechendes Gitter über das Bild gelegt. Neu zeigt Photoshop bereits beim Anwählen des Crop-Tools einen Freistellrahmen um das gesamte Bild, man muss also nicht erst einen Rahmen aufziehen. Dies macht Freistellvorgänge besonders leicht, bei denen nur die Höhe oder Breite beschnitten werden soll. Und es kommt noch besser: Vor dem Freistellen kann man per Checkbox angeben, ob die abgeschnittenen Pixel erhalten bleiben sollen. Dann ist die Freistelloperation nichtdestruktiv, und man kann jederzeit wieder zum ursprünglichen Zustand zurückkehren.
Direkt ins Crop-Tool integriert ist die neue Begradigungsfunktion: Einfach den Button anklicken, im Bild eine Linie markieren, die waagerecht erscheinen soll, und Photoshop rechnet das Bild passend um. Für perspektivisch verzerrte Aufnahmen empfiehlt sich das Perspective Crop Tool, mit dem aufgrund eines flexiblen Gitters das Bild begradigt und gleichzeitig freigestellt wird. Allein die neuen Cropping-Funktionen lohnen unserer Ansicht nach den Upgrade auf die CS6-Version.

Textformate, Vektorgrafik und scriptbasierte Muster

Auch der Umgang mit Textinhalten, insbesondere längeren Textpassagen, erfährt in Photoshop CS6 bemerkenswerte Neuerungen. Das Programm kennt jetzt Zeichen- und Absatzformate, die sich wie in Indesign entweder auf Basis der aktuell selektierten Textstelle oder über ein Dialogfenster erstellen und dann benennen und speichern lassen. Dabei können praktisch alle typografischen Merkmale eingestellt werden. Die so angelegten Textformate gelten dokumentenübergreifend. Dazu kommt eine neue Text-Rendering-Engine mit verbessertem Anti-Aliasing, die besonders bei kleineren Schriftgrössen die Zeichen sauberer und klarer auf den Schirm und aufs Papier bringt.
Deutlich verbessert wurde das Shape-Tool, mit dem man Polygone, Linien und Spezialformen nun auf einfachere und logischere Weise direkt ohne Umweg über das Erstellen einer Füllebene zeichnet und in der oberen Toolbar mit Füll- und Konturfarben, -verläufen und -mustern sowie verschiedenen Linienstilen anreichert. Die so erstellten Objekte werden jeweils in einer Vektorebene abgelegt. Die Eigenschaften solcher Vek-torobjekte können bequem über Flyout-Panels in der oberen Toolbar angepasst werden. Verschiedene Objekte lassen sich mit boole’schen Operationen vereinigen oder voneinander subtrahieren.
Mit der neuen Funktion «Scripted Patterns», zugänglich über den Dialog «Fill…», ordnet Photoshop das gewählte Füllmuster nach einer generativ erstellten Verteilung an. Zur Wahl stehen Varianten wie Backsteinmauer, Schachbrett und Spirale. Wie das Ergebnis aussieht, hängt stark vom ursprünglichen Muster ab – die neue Funktion ist eine ideale Spielwiese für Gestalter, die gerne experimentieren.

Diverse Werkzeuge erneuert

Adobe hat in Photoshop CS6 weiter die inhaltssensitiven Tools verbessert und erweitert. So erlaubt der neue inhaltssensitive Modus beim Reparaturpinsel genaue Kontrolle darüber, was geschieht: Man wählt zunächst den Bereich, aus dem der Patch erstellt wird und legt dann fest, wie die Retusche appliziert werden soll. Dabei kann man genauer festlegen, wie der Patch mit dem darunterliegenden Bild verschmilzt.
Mit dem Content-aware Move Tool lässt sich ein selektiertes Objekt verschieben, ganz ähnlich wie man mit dem bestehenden Content-aware Fill Tool Objekte magisch verschwinden lässt. Photoshop ergänzt den Hintergrund automatisch, was je nach Art des Bildes mehr oder weniger gut funktioniert. In den meisten Fällen muss danach noch manuell nachgebessert werden.
Analog funktioniert die inhaltssensitive Erweiterung: Mit dem gleichen Tool lässt sich ein Bildteil ausdehnen. Dies eignet sich zum Beispiel dazu, ein Dach optisch zu verlängern oder den Bildhintergrund zu vergrössern, wenn als Endresultat ein anderes Seitenverhältnis benötigt wird, das mit dem bestehenden Material nicht ausgefüllt werden könnte – ideal einsetzbar, und dies meist mit relativ gutem Ergebnis, auch für Produktfotos, bei denen rund um das fotografierte Objekt zu wenig Hintergrund erscheint.
Bisher haben wir einige, aber noch lange nicht alle Neuerungen von Photoshop CS6 erwähnt. Da wären zum Beispiel die umfassenden Funktionen zum Erstellen von Videos, in CS6 verbessert und neu auch in der Standardversion enthalten. Bisher gab es Video Editing nur in der Extended-Variante. Mit dem Adaptive Wide Angle Filter, der auf der mit Photoshop CS5 eingeführten Objektivkorrekturfunktion basiert, lassen sich gerundete Linien in stark weitwinkligen und in Fisheye-Aufnahmen unkompliziert korrigieren – Voraussetzung ist, dass man weiss, mit welchem Objektiv fotografiert wurde.
Neu gibt es drei zusätzliche fotografische Weichzeichner: Die Ergebnisse von Iris Blur, Tilt Shift und Field Blur lassen sich auf Systemen mit moderner Grafikkarte dank Mercury-Engine in Echtzeit begutachten. Der RAW-Importer Adobe Camera Raw liegt in Version 7 vor und bietet laut Adobe eine verbesserte Engine sowie feinere Kontrolle über die verschiedenen Parameter.
Den Anwendern von Photoshop CS6 Extended vorbehalten sind die 3D-Funkionen, die mit einer runderneuerten, einfach zu bedienenden Oberfläche mit direktem Editieren der 3D-Szenen auf der Arbeitsfläche glänzen.
Der Test stellt klar: Photoshop CS6 ist ein wichtiger Release, ein Upgrade ist sehr zu empfehlen. Weniger umfangreich fallen die neuen Features bei den übrigen Komponenten der Suite aus. So bietet Illustrator CS6 vor allem massiv verbesserte Funktionen zum Nachzeichnen von Fotos und zum Erstellen nahtlos gekachelter Muster und erlaubt neu Verläufe auf Konturen. An der Oberfläche wurde auch gearbeitet, verschiedene Panels sind logischer gestaltet als bisher.

Layout für viele Plattformen

Bei Indesign CS6 liegt der Schwerpunkt klar auf dem Erstellen alternativer Layouts für unterschiedliche (Mobil-)Plattformen. Dazu hat Adobe die Layoutsoftware mit diversen neuen Funktionen ausgestattet. Mit «Alternate Layout» generiert Indesign im gleichen Dokument beliebige zusätzliche Layouts mit anderen Seitenformaten, zum Beispiel fürs iPad und für ein 10-Zoll-Android-Tablet, und kopiert die Inhalte des Basislayouts auf die neu erstellten Seiten. Die Inhaltselemente werden dabei verknüpft – Änderungen im Basislayout können durch einen Update der Verknüpfungen in den alternativen Layouts nachgeführt werden.
Was Alternate Layout von Haus aus nicht berücksichtigt, sind die geänderten Dimensionen. Die Inhalte werden genau so auf den neuen Seiten plaziert, wie sie ursprünglich positioniert waren. Man kann sie nun von Hand skalieren und verschieben. Das ist je nach Komplexitiät der Publikation ziemlich mühsam. Um dem Gestalter wenigstens einen Teil der Umformatierung abzunehmen, bietet In-
design CS6 deshalb die «Liquid Layout»-Regeln: Damit lässt sich festlegen, wie die Objekte auf den alternativen Seiten verteilt und skaliert werden sollen. Es gibt dabei vier verschiedene Modi (Scale, Re-center, Guide-based und Object-based), die je nach Art des neuen Layouts unterschiedlich gute Ergebnisse liefern. Am flexibelsten ist Object-based: Hier lässt sich für jedes Objekt festlegen, wie es positioniert und skaliert werden soll. So kann man ein Logo zum Beispiel grundsätzlich immer oben links plazieren lassen, während ein Fliesstext je nach Seitengrösse breiter oder schmaler angelegt und dabei unter Umständen auch die Anzahl Spalten angepasst wird.
Neu sind auch die «Content Collector Tools», mit denen sich die Inhalte einer Seite einfach auf andere Seiten kopieren und automatisch verlinken lassen. Das funktioniert nicht nur innerhalb eines Dokuments, sondern auch zwischen verschiedenen Dokumenten. Dazu wählt man mit dem Content Collector die zu übertragenden Inhalte aus. Indesign legt sie im Content Conveyor ab, den Adobe als virtuelles Fliessband sieht, aus dem die Elemente mit Hilfe des Content Placers auf die neue Seite kopiert und verlinkt werden. Normalerweise verschwindet ein Element, sobald es plaziert ist, wieder aus dem Conveyor. Man kann aber auch festlegen, dass es darin verbleibt. Auf diese Weise lässt sich ein Stock an häufig benötigten Elementen wie Logos und Textbausteine anlegen, der dokumentenübergreifend genutzt werden kann.
Alternate Layout, Liquid Layout und die Content Collector Tools sind für Gestalter, die eine Publikation für verschiedene Medien und Geräte aufbereiten müssen, sicher sehr interessant, wenn auch vor allem die Liquid-Layout-Regeln einige Einarbeitungs- und Experimentierzeit in Anspruch nehmen. Abgesehen von diesen Funktionen bietet Indesign CS6 aber wenig Neuerungen – mit einer Ausnahme, die ebenfalls vor allem für einen bestimmten Anwenderkreis interessant sein dürfte: Man kann jetzt PDF-Formulare direkt in Indesign gestalten und mit interaktiven Features wie Buttons und Tooltips anreichern. Darüber hinaus bietet Indesign kleinere Verbesserungen, zum Beispiel beim Font-Handling, bei EPUB- und beim PDF-Export.

Dreamweaver und Flash

Auch bei Flash liegt das Hauptaugenmerk auf dem Erstellen von Inhalten für verschiedene Plattformen wie Desktop-Computer, Smartphones, Tablets und internetfähige TV-Geräte. Flash CS6 unterstützt dazu die AIR 3.2 Runtime. Die neue Version hält überdies einen Sprite-Sheet-Generator bereit, der aus den Frames einer Animation automatisch eine Sprite-Grafik mit passendem Datenfile für verschiedene wählbare Datenformate von JSON bis easeljs erstellt. Dies dürfte vor allem Game-Entwickler freuen. Die Entwicklung für Mobilgeräte erleichtert Flash CS6 mit einem AIR-Mobile-Simulator und Support für Touch-basierte Ereignisse.
Dreamweaver entwickelt sich auch in der neuesten Generation immer mehr zum Webdesign-Tool, das auch die Anhänger von Standard-basiertem Design erfreut. Eines der wichtigsten neuen Features sind die Fluid Grid Layouts: Wählt man beim Anlegen eines neuen Dokuments diese Option, generiert Dreamweaver ein CSS3-basiertes Spaltenlayout, das sich flexibel verschiedenen Bildschirmgrössen anpasst. Das Prinzip basiert auf der Idee des Adaptive Design, das in der Webdesign-Szene derzeit sehr aktuell ist. Die Inhalte kommen dann mit Fluid-Grid-Layout-DIVs auf die Seite, die man aus dem Insert-Panel aufruft. Dreamweaver generiert zu jedem solchen DIV automatisch CSS-Code im zugehörigen CSS-File. Verschachtelte Layout-DIVs werden derzeit allerdings nicht unterstützt.
Eine weitere interessante Neuerung ist das CSS Transition Panel. Damit kann man ohne Codieren CSS3-Animationen zusammenstellen, indem man den passenden Eigenschaften der zu animierenden Elemente die gewünschten CSS3-Transitions zuordnet. Trivial wird das aber auch mit Dreamweaver CS6 nicht – man benötigt dabei gute Kenntnisse der Funktionsweise von CSS-Transitionen; Dreamweaver erleichtert bloss die Zusammenstellung der CSS-Statements.

Adobe Creative Cloud

Eines vorweg: Dass Adobe mit der Creative Cloud die CS6-Anwendungen neu mit einem Miet-Preismodell anbietet, heisst keineswegs, dass die im Fachhandel erhältlichen Pakete verschwinden. Die Creative Cloud ist vielmehr eine Alternative zum Kauf der Master Collection. Es handelt sich auch nicht um ein SaaS-Angebot: Die Apps werden wie gehabt lokal auf dem Computer installiert. Danach wird regelmässig überprüft, ob die Lizenz noch gilt. Das funktioniert noch nicht völlig reibungslos – wir wurden trotz gültigem Abo des öfteren gemahnt, die Trial-Periode sei jetzt vorbei und mussten dann per Klick «die Software lizenzieren», was aber jeweils anstandslos und ohne neue Bezahlung über die Bühne ging. Nicht tragisch, aber lästig — hier muss Adobe noch nacharbeiten.
Was jedoch voll und ganz überzeugt, ist der Funktionsumfang der Creative Cloud. Für rund 70 Franken pro Monat kann man alle CS6-Programme inklusive Premiere Pro und After Effects nutzen. Dazu kommen weitere Apps wie die Edge Preview und Muse, die in den Paketen gar nicht enthalten sind. Für die Zukunft verspricht Adobe sämtliche Updates während der Aboperiode sowie weitere Anwendungen, insbesondere Lightroom.
Neben der Software selbst sind diverse Online-Dienste inbegriffen, darunter Webhosting mit Business Catalyst (5 Websites der «Web Basics»-Stufe inklusive, die mit Dreamweaver oder Muse bewirtschaftet werden), der Webfont-Dienst Typekit (alle Fonts, 500'000 Pageviews pro Monat) und ein Filesharing-Dienst mit 20 GB Speicher, über den auch Dateien von den Touch Apps importiert werden können. An der Oberfläche und der Integration in die Desktop-Welt gibt es hier noch einiges zu tun – der Dienst funktioniert, aber die Bedienung ist etwas umständlich.
Noch nicht verfügbar, aber versprochen, sind weitere Services wie ein Dienst zur Kommunikation zwischen Gestalter und Kunden.
Insgesamt begeistert die Creative Cloud, auch wenn einzelne Aspekte noch entwicklungsfähig sind. Die einzige Unsicherheit: Der Preis ist nur fürs erste Jahr garantiert – danach kann Adobe die Gebühr anpassen. (ubi)


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