Editorial

Wie man das Internet zum Goldesel macht

Das Internet beginnt, uns sein hässliches Gesicht zu zeigen. Was einst als militärisches Netzwerk geplant, später für die universitäre Kommunikation genutzt und schliesslich als neues Massenmedium gefeiert wurde, soll nun zum Goldesel umgebaut werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/35

     

Stellen Sie sich vor, Sie basteln eine Website. Eine richtige Website mit vielen Seiten, bunten Bildern, Datenbankanbindung und einer ausgeklügelten Navigationsstruktur.
Sie schalten das Ganze online und sind zufrieden.



Einige Tage später erhalten Sie Post vom World Wide Web Consortium (W3C). Sie haben für Ihre Webseiten HTML benutzt, einen patentierten Standard, und nun werden Lizenzgebühren fällig. Ähnliche Schreiben folgen von Microsoft und Adobe, weil Sie DHTML-Tags nach dem MS-Pseudo-Standard eingebaut und ihre Grafiken in den PNG- und SVG-Formaten gespeichert haben.




Auch der Surfer wundert sich: Auf jeder x-ten Seite poppt ein Fenster mit einer Meldung, einer Frage und zwei Buttons auf. Die Meldung: "Diese Seite enthält XML." Die Frage: "Wollen Sie diese Seite betrachten?" Die Buttons: "Bezahlen!" und "Abbrechen".



Absurd? Natürlich. Keiner der genannten Standards ist glücklicherweise patentiert, jeder darf sie frei nutzen. Aber auf genau diese Weise könnte einem die Freude an künftigen Web-Standards vergällt werden, wenn es nach dem Willen des W3C und einiger Grosskonzerne geht (vgl. S. 13). Die Idee ist ja so abwegig nicht: Statt mit dem gratis abgegebenen Webbrowser soll nun halt über die verwendeten Technologien Geld verdient werden.



Dennoch: Das Internet beginnt, uns sein hässliches Gesicht zu zeigen. Was einst als militärisches Netzwerk geplant, später für die universitäre Kommunikation genutzt und schliesslich als neues Massenmedium gefeiert wurde, soll nun zum Goldesel umgebaut werden. Dass das World Wide Web ohne freie Standards wohl nie dermassen schnell zu einer so grossen Verbreitung gefunden hätte, wird dabei ausgeblendet.



Nun geht es dem W3C allerdings gar nicht darum, komplette Standards zu patentieren. Vielmehr soll es künftig möglich sein, in neuen Standards auch Technologien zu verwenden, die durch ein Patent geschützt sind. Das wird zwar heute schon so gemacht, schliesslich ist es ziemlich schwierig, einen Standard festzulegen, der kein Patent enthält. Die Patentinhaber verpflichten sich in solchen Fällen einfach dazu, zugunsten des Wachstums des Internet auf die Durchsetzung ihrer Rechte zu verzichten und keine Gebühren zu verlangen.



In Zukunft soll das aber besser gehandhabt werden können, und insbesondere sollen die Patentinhaber nicht mehr leer ausgehen.



Damit legt sich das W3C allerdings selber lahm: Bei der Entwicklung neuer Standards würde künftig jede Firma, die für irgendeinen Aspekt der Spezifikation ein Patent zu haben glaubt, versuchen, ihre Rechte geltend zu machen. Man würde über die Höhe der Gebühren streiten, statt die Entwicklung voranzutreiben. Und käme der Standard zustande, würde ihn keiner nutzen - weil die Entwicklung viel zu lange gedauert hat und seine Implementierung viel zu teuer wäre.



Und damit hätte die geplante Standard-Patentierung sogar eine gute Seite. Wenn für die Benutzung von Technologien bezahlt werden müsste, würden diese nicht mehr besonders häufig verwendet. Das wiederum liesse hoffen, dass einem beim Surfen eine Menge Schrott erspart bleibt, den man sich heute auf vielen Seiten nur deshalb ansehen muss, weil der Entwickler seine überragenden technischen Fähigkeiten beweisen wollte.




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