E-Ink-Screens sind vor allem bei E-Readern etabliert. Auf den bisher in der Regel schwarzweissen Displays liest es sich in der Tat hervorragend, vergleichbar mit Papier, aber mit optionaler Bildschirmbeleuchtung. Ein weiterer Vorteil ist der niedrige Energieverbrauch der Screens. Im Gegenzug nimmt man eine tiefe Bildwiederholrate in Kauf (was beim Lesen aber absolut egal ist). Und wie angemerkt opfert man gegenüber Tablets und Smartphones natürlich die Farben, denn die meisten E-Ink-Screens konnten bisher nur Schwarz respektive Grautöne darstellen.
Seit geraumer Zeit gibt es aber auch immer mehr digitale Notizblöcke auf E-Ink-Basis. Diese werden in aller Regel gleich mit den bereits genannten E-Readern gepaart, sind also Reader und Notizblock in einem. Zwei davon stellen wir an dieser Stelle vor respektive gegenüber: Den Kindle Scribe von
Amazon sowie das Inkpad Eo von
Pocketbook. Soviel können wir vorweg verraten: Es wird ein richtig enges Rennen, bei dem letztlich der Geschmack entscheidet.
In Dokumenten Notizen zu machen, ist grundsätzlich mit beiden Modellen möglich. Während man beim Pocketbook (rechts) einen Textmarker vermisst, hat der Kindle ein ganz anderes Problem: Die Dokumente müssen via «Send to Kindle»-Funktion ans Gerät geschickt werden, via Sideloading mit USB-Kabel fehlt hingegen die Notizfunktion. (Quelle: SITM)
(Quelle: Amazon/Pocketbook)
Zwei ähnliche und doch ganz unterschiedliche Geräte
Amazon und seine Kindle-E-Reader dürften den meisten wohl ein Begriff sein. Der erste Kindle kam nur kurz nach dem ersten iPhone 2007 auf den Markt und bis heute dominiert die Produktreihe den E-Reader-Markt massiv: Amazons Marktanteil bei E-Readern liegt bei über 70 Prozent. Mit dem Kindle Scribe kam Ende 2022 dann das heute aktuelle Kindle-Modell mit Eingabestift, womit auch die Kindle-Marke in den Bereich der digitalen Notizblöcke eingestiegen ist. Uns liegt als Testgerät die 32-GB-Version mit dem Premium-Stift vor, die im Schweizer Handel derzeit für knapp 400 Franken zu haben ist.
Bei der etwas weniger bekannten Marke
Pocketbook handelt es sich derweil um einen Hersteller mit Schweizer Wurzeln (der Hauptsitz ist in Lugano). Trotz kleinerer Bekanntheit bringt Pocketbook eine ähnlich lange Erfahrung mit E-Readern mit wie
Amazon: Das erste Modell – das Pocketbook 301 – wurde ebenfalls 2007 vorgestellt. Pocketbook will seinen Nutzern laut eigenen Angaben eine möglichst offene Plattform und damit vor allem Freiheit und Flexibilität bieten können. Als Testgerät liegt uns von Pocketbook das Inkpad Eo mit 64 GB Speicher und Eingabestift vor, welches seit Mitte Mai für rund 550 Franken im Handel verfügbar ist.
Einen sehr augenscheinlichen und daher an dieser Stelle erwähnenswerten Unterschied haben die beiden Geräte: Während der Kindle Scribe ein gewohntes E-Ink-Display in Grautönen bietet, kann der Eo auch Farben darstellen. Die Sorge, dass das der Vergleichbarkeit schadet, ist beim Testen aber schnell verflogen – wir kommen später darauf zurück.
Die beiden Hersteller und deren eigene Ansprüche an die Geräte könnten kaum unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite der internationale Tech-Riese Amazon mit eigenem Bücher-Imperium, auf der anderen Seite der Nischen-Player Pocketbook aus der Schweiz mit Open-Source-Philosophie. Aber wer baut nun den besseren digitalen Notizblock?
Lieferumfang und Einrichtung
Zum Lieferumfang und zur Verarbeitung der beiden Geräte gibt’s kaum Kritik. Beide kommen mit dem benötigten USB-C-Kabel, einem Eingabestift sowie einigen Ersatz-Spitzen für den Stift und einem Werkzeug zum Auswechseln der Spitzen. Und beide Geräte überzeugen durch eine auf den ersten Blick wertige Verarbeitung und ein angenehmes, beinahe identisches Format, mit dem die Hersteller sowohl genügend Platz zum Lesen schaffen als auch eine gewisse Mobilität bewahren.
Beide Hersteller haben uns auch gleich eine passende Hülle mitgeliefert – dies aus gutem Grund, denn ohne Hülle will man den wertvollen Notizblock wohl nicht in die Tasche packen. Ausserdem bieten die Hüllen Platz für den Eingabestift, den man sonst gerne mal verlegt. Die Anschaffung ist also empfehlenswert, die Hüllen starten etwa bei 15 Franken und gehen je nach Ausführung und Hersteller bis in den dreistelligen Bereich.
Bei der Einrichtung zeichnet sich erstmals einer der grossen Unterschiede ab: Während man das
Pocketbook einfach einschalten und sofort unkompliziert nutzen kann, geht beim Kindle reichlich wenig, bevor man sich nicht mit einem Amazon-Account anmeldet.
Der Farb-Screen beim Inkbook hält in der Realität (links) nicht ganz, was das Marketing verspricht (rechts). Die Qualität bei Farbbildern bleibt so weit hinter anderen Screens zurück, sodass der Sinn etwas abhanden geht. (Quelle: SITM/Pocketbook)
Der Notizblock
Die im vorliegenden Test wichtigste Frage ist, ob der Kindle Scribe und das Pocketbook Inkpad Eo als Notizblock im Geschäftsalltag taugen. Und das Wichtigste in unseren Augen ist dabei das Schreibgefühl. Denn passt dieses nicht, wird das Gerät wohl eh wieder in der Ecke landen. Festzuhalten ist, dass sich dieses Schreibgefühl bei beiden Modellen trotz allen Herstellerversprechen nach wie vor vom Schreiben auf Papier unterscheidet. Zwar ist die Führung des Stifts auf den leicht rauen E-Ink-Screens angenehm und weich, eine leichte Verzögerung der Strichführung ist aber stets minimal zu spüren.
Beide Modelle bieten fürs Schreiben und Zeichnen verschiedene Modi (Pinsel, Füller etc.) und bei beiden wird die Verzögerung grösser, wenn ein «komplizierteres» digitales Schreibgerät verwendet wird. Gemeint sind damit die druckempfindlichen Modi wie der Füller oder solche mit Textur wie etwa der Bleistift. Am flüssigsten schreibt es sich mit den nicht druckempfindlichen Stiften («Stift» beim Kindle, «Kugelschreiber» beim Inkpad).
Alles in allem hat der Kindle die Nase beim Schreibgefühl vorne – die Stiftführung ist natürlicher und weicher, die Verzögerung geringer. Ausserdem fühlt sich der (Premium-)Stift beim Kindle wertiger und stabiler an als der Pocketbook-Stylus. Letzterer hat denn auch einen deutlich zu hohen Widerstand in der Spitze, um die Druckempfindlichkeit überhaupt zu aktivieren, während beim Kindle schon leichter Druck genügt, um einen Effekt zu sehen. Klarer Punkt für
Amazon.
Weiter sind die Notiz-Apps sehr unterschiedlich. Während Amazon auf maximale Einfachheit setzt und dem Nutzer nur sehr begrenzte Optionen bietet, gibt’s bei Pocketbook eine Notiz-App mit allen Schikanen. Beim Kindle kann man schreiben, radieren, Objekte anwählen und diese grundlegend modifizieren – das wars. Derweil bietet das Inkpad Eo neben all diesen Grundfunktionen massig weitere Werkzeuge: Etwa Formen (z.B. für Pfeile oder Kasten – sehr praktisch), Text und Bildimport. Der Punkt für den Funktionsumfang der Notiz-App geht damit wiederum deutlich an
Pocketbook.
Notizen-Management und OCR
Das Management der Notizen ist bei beiden Modellen recht ähnlich: Es können Ordner und Notizbücher erstellt, umbenannt und nach Wunsch verschoben werden, was bei beiden hervorragend klappt – hier schenken sich die beiden Modelle kaum etwas.
Beim Export der Notizbücher wiederum gibt’s erneut deutliche Unterschiede. Auf dem Inkpad Eo ist es etwa möglich, aus einer Notizbuchseite direkt auf dem Gerät selbst ein PDF oder eine Bilddatei zu erstellen – eine Funktion, die man beim Kindle vermisst. Um einen PDF-Export zu bekommen, muss man bei Kindle das Notizbuch per Mail an eine gewünschte Adresse versenden. Das klappt zwar ausgezeichnet, aber einmal mehr: Ohne die Abhängigkeit vom Amazon-Account (und damit auch einer Internetverbindung) geht hier gar nichts. Derweil kann der Inkpad-Nutzer das PDF lokal erstellen und es mit einer beliebigen Plattform teilen (E-Mail, Gdrive, Messenger-Apps etc.) oder einfach per USB-Kabel vom Gerät kopieren.
Beeindruckt hat uns rund ums Dokumenten-Management des Kindle aber besonders eines: Die OCR-Funktion. Beim Versenden eines Notizbuches kann das Dokument im gleichen Zug in Text umgewandelt werden. Den ersten Versuch haben wir mit einer schrecklich krakeligen Handschrift gewagt. Und bis auf kleine Fehler hat sich die Schrifterkennung von
Amazon beeindruckend geschlagen. Bei
Pocketbook konnten wir die OCR-Funktion leider nicht testen, sie war zum Testzeitpunkt noch nicht verfügbar. Laut Pressestelle soll diese aber in Kürze per Patch nachgereicht werden.
Zusammenfassend, was die Fähigkeiten als Notizblock angeht: Der Kindle macht, was er soll, und das macht er gut – das Schreibgefühl ist angenehm und die Texterkennung beeindruckend. Darüber hinaus gibt’s aber keine Extras, ausserdem schafft die chronische Amazon-Abhängigkeit unnötige Barrieren und hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Bei Pocketbook bekommt man derweil eine offene Spielwiese mit vielen Optionen – besonders das Importieren von Bildern und das anschliessende darauf Rumkritzeln macht Spass und ist für viele Anwendungsfälle praktisch. Dafür macht man kleine Abstriche beim Schreibgefühl.
Betriebssystem und weitere Funktionen
Die beiden Geräte haben einen entscheidenden, nun schon mehrfach angesprochenen Unterschied: Während der Kindle als mehr oder weniger geschlossenes System konzipiert ist, das eigentlich nur mit Amazon-Account vollständig nutzbar ist, setzt
Pocketbook auf möglichst viel Offenheit und bietet ein Gerät, bei dem der Nutzer entscheidet, wie er es nutzen will.
Stellenweise hat uns das geschlossene System von
Amazon wahrlich in den Wahnsinn getrieben. So klappt das Sideloading von Büchern und Dokumenten (via USB-Kabel) zwar mit PDFs auf Anhieb, nicht aber mit dem Standardformat für E-Books (.epub). Dieses muss man erst ins Amazon-Format (.mobi) umwandeln. Und das ist noch nicht mal der Gipfel der proprietären Frechheit. Diesen erklimmt man erst, wenn man in einem Buch oder Dokument rumkritzeln will. Das klappt nämlich nur, wenn das entsprechende File über die «Send to Kindle»-Plattform (Browser oder App) an den Kindle geschickt wird. Nicht aber, wenn es vom Rechner via USB-Kabel aufgespielt wird. Uns fehlen die Worte. Dass wir die Lösung dafür nicht mal im Manual, sondern nach 10 Minuten googeln auf Reddit finden mussten, setzt dem Unsinn dann noch die Krone auf.
Pocketbook: Was man für 150 Franken mehr bekommt
Noch einige Worte zum Mehrwert, den man bei
Pocketbook für die rund 150 Franken Aufpreis gegenüber dem Kindle Scribe bekommt. Da wäre zum einen der Elefant im Raum: das Farb-Display. Tatsächlich hat uns dieses beim Test nur mittelmässig überzeugt – denn die Farbechtheit ist eher mau und gegenüber anderen Screen-Technologien auf Steinzeit-Niveau. Erschwerend dazu kommt, dass die Auflösung bei Farbbildern von 300 auf 150 dpi runtergeschraubt und das Bild damit recht körnig wird. Manchmal ist etwas Farbe im Leben zwar hübsch, in unseren Augen ist der bunte Screen aber kein Game Changer für den Grossteil der Anwendungsfälle.
Weiter gibt’s beim Pocketbook eine Kamera. Die geschossenen Bilder haben mit den schwachen Farben zwar einen gewissen Charme auf dem E-Ink-Screen, die Qualität nach dem Export auf dem Rechner lässt aber stark zu wünschen übrig. Das Feature ist für eine begrenzte Nutzergruppe aber wohl enorm nützlich – etwa, um auf einer Baustelle spontane Bilder zu schiessen und diese in der Notiz-App direkt mit Bemerkungen und Markierungen zu versehen.
Der für uns grösste Pluspunkt (der aber wohl wenig mit dem Preis zu tun hat) ist aber die offene Plattform. Auf dem Inkbook ist ein reguläres Android 11 installiert, womit auch alle Smartphone- und Tablet-Apps über den Google Play Store geladen und genutzt werden können. Von beliebigen Apps bis hin zu Screen Sharing gibt’s daher kaum Grenzen. Dazu kommen noch Lautsprecher (aber keine Lautstärkeregelung am Gehäuse), Bluetooth und ein MicroSD-Kartensteckplatz. Damit ist das Inkpad Eo im Prinzip ein reguläres Android-Tablet mit E-Ink-Screen. Beim Kindle gibt’s neben den Notizbüchern und der Bibliothek derweil gerade einmal einen Webbrowser.
Ein Sieger für jeden Geschmack
Der Kindle Scribe kann bei weitem nicht das, was das Inkpad Eo kann und leidet im Vergleich an einer gewissen Unterkomplexität. Dafür macht der Kindle das meiste, was er dann doch kann, ein bisschen besser als das Inkpad.
Die Nase vorn hat der Kindle beim Schreiben: Das Schreiberlebnis ist besser als beim Inkpad, der Stift ist wertiger, die Funktionen im Notizblock Dummy-proof. Auch der deutlich grössere Funktionsumfang in der Notiz-App des Inkpads reisst das Ruder nicht weit genug herum. Jedoch leidet der Kindle an der massiven Abhängigkeit zu seinem Hersteller, mit teilweise wahrlich abstrusen Limitierungen.
Das Inkpad punktet derweil mit einer offenen Plattform, die alle möglichen Formate (ja, auch .mobi-Dateien) lesen kann, auf der beliebige Anwendungen installiert werden können und die einem damit kaum Grenzen setzt. Flexibilität, Unabhängigkeit und Erweiterbarkeit sind für uns die zentralen Argumente für den Kauf des Inkpads.
Die Auszeichnung für den besseren digitalen Notizblock geht alleine aufgrund des Schreibgefühls und der ausgezeichneten Texterkennung (wichtig: zum Zeitpunkt des Tests) an den Kindle. Gäbe es einen Publikumspreis, würde dieser aber wohl ans Inkpad gehen.
Spätestens wenn
Pocketbook eine gute Texterkennung und vielleicht sogar auch noch einen qualitativ besseren Premium-Stift nachliefert, wird die Luft für den Kindle so richtig dünn. Und sobald man als Nutzer irgendwas ausser schreiben und lesen machen will, hat der Platzhirsch eigentlich keine Chance mehr gegen die Schweizer Konkurrenz.
(win)