Editorial

David schlimmer als Goliath?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/22

     

Die berühmt-berüchtigten Tauschbörsen haben für manchen Surfer den sympathieträchtigen Beigeschmack des Anrüchig-Grenzkriminellen. Der David-Goliath-Effekt spielt: Die böse Entertainment- und Software-Industrie als Goliath bedroht den Surfer nicht nur mit zunehmend schwachsinnigen Schrottinhalten zu Wucherpreisen – Küblböck & Co. lassen grüssen –, sondern ganz konkret mit Strafandrohungen. In der Mitte steht die Tauschbörse als David, der Goliath die Stirn bietet.



Es gibt aber noch ganz andere Bedrohungen im Zusammenhang mit P2P-Anwendungen. Insbesondere Kazaa sei die schlimmste Pest, die man sich aufs System holen könne, wie Computer Associates letzthin vermeldete. Die Software belaste mit ständig eingeblendeter Online-Werbung das Netzwerk, belege Unmengen an Speicherplatz und öffne die Dateistruktur für dreieinhalb Millionen Peers. Schlimmer als die meiste andere Spy- und Adware sei das, meint CA.




Nun bringt die Firma ihre Pestware-Erkenntnis natürlich nicht ohne Eigennutz an die Öffentlichkeit: Das Spyware Information Center hat CA simultan zum Launch von eTrust PestPatrol Anti-Spyware Release 5 ins Netz gestellt. Im Prinzip hat CA aber Recht: Die meisten Benutzer dürften sich nicht über die umfassenden Eingriffe ins System im Klaren sein, die mit der Installation von P2P-Anwendungen verbunden sind. Kazaa zum Beispiel hat einen «Klumpenfaktor» von 50 – will sagen, der Kazaa-Installer bereichert das System mit sage und schreibe 50 zusätzlichen Dateien, Verzeichnissen und Registry-Einträgen. Kein Wunder, dass selbst die besten Anti-Spyware-Scanner im Schnitt 25 Prozent der «Systemergänzungen» übersehen.



Das Erstaunliche daran: Kaum ein Kazaa- oder sonstiger P2P-Nutzer stört sich daran, dass die betreffende Software den eigenen PC scheunentorweit für Hinz und Kunz öffnet, fröhlich Verzeichnisinhalte und andere Daten rund um den Planeten schickt und dafür auch noch das System stark belastet. So etwas hätte längst weltweiten Massenprotest ausgelöst, wenn statt Kazaa Microsoft oder sonst ein Industriegigant auf dem Etikett stünde. Offenbar wird hier mit verschiedenen Ellen gemessen – aber eben, Microsoft ist halt der böse Goliath...



Analog verhält es sich mit Google, wie Kazaa eine Marke mit David-Anstrich und Outlaw-Sympathiebonus. Nach wie vor kommt die meistgenutzte Suchmaschine im puritanischen Non-Design daher, das Seriosität und Unabhängigkeit verspricht. Trotzdem strotzen die Suchresultate nur so von bezahlten Links – ganz zu schweigen von der lästigen Tatsache, dass bei einer Suche nach Produktinformationen die meisten Ergebnisse auf Online-Shops, Preissuchmaschinen und Auktionssites verweisen.



Und auch das neueste Google-Feature ist nicht über jeden Zweifel erhaben: Google Desktop
Search präsentiert die auf dem eigenen PC gefundenen Dateien und Browser-History-Einträge auf Wunsch zusammen mit Suchergebnissen vom Web auf einer gemeinsamen Seite im klassischen Google-Stil – dazu müssen die lokalen Resultate aber erst mal zum Google-Server übermittelt werden. Persönliche Daten landen damit bei Google, der Datenschutz geht flöten. Ist David womöglich genauso schlimm wie Goliath, oder als Wolf im Schafspelz gar noch schlimmer?

(ubi)


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