PCs im Sekunden-Takt
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/08
Ausgerechnet in Schottland hat Compaq 1987 sein grösstes und erstes PC-Werk in Europa erbaut. In Schottland, wo einem das Wetter das Gefühl gibt, dass die Rechner bereits mit einem Wasserschaden ausgeliefert werden, da es dauernd regnet.
2200 Arbeiter beschäftigt Compaq in ihrem Werk in Erskin - nahe Glasgow. Zu Spitzenzeiten, beispielsweise gegen Jahresende, wird die Belegschaft nochmals um 300 oder 400 Leute aufgestockt. Und diese Arbeiter haben alle Hände voll zu tun. Sie bauen Compaqs Desktop-Rechner für ganz Europa zusammen, 24 Stunden am Tag, zwei Schichten zu je zwölf Stunden, Woche für Woche. Dafür kann sich der Ausstoss der Fabrik sehen lassen. Alle 4,3 Sekunden verlässt ein Gerät die Fliessbänder, das ergibt ein Total von rund 20'000 Stück am Tag.
Die Zahlen des Werkes sind beeindruckend: Täglich rollen 40 Trucks mit Rohmaterial heran, täglich 744 Paletten mit Komponenten, von den Gehäusen bis zu den neuesten Intel-Prozessoren, insgesamt 264 verschiedene Bausteine. 50 Lastwagen - durch den Zusammenbau nimmt das Platzvolumen selbstverständlich zu - verlassen das Werk jeden Tag vollgepackt mit Hightech in Richtung Küste, um die Rechner an das Compaq-Distributionscenter in Holland zu verschiffen oder direkt an die Kunden zu liefern.
Wer glaubt, dass sein Rechenknecht vollautomatisch von Robotern und Maschinen zusammengebaut wurde, irrt sich gewaltig - zumindest wenn das Gerät aus dem Hause Compaq stammt. Flexibilität ist von den PC-Herstellern und deren Mitarbeitern gefragt. In Erskin werden beispielsweise sechs Produktefamilien wie die Presario-Rechner oder die iPaq-Desktops hergestellt. Dabei gilt es bereits zu berücksichtigen, dass in Europa mit 26 verschiedenen Sprachen hantiert werden muss. Allein dadurch gibt es unendlich viele mögliche Konfigurationen. Ausserdem wird beim Bestelleingang zwischen zwei Kategorien unterschieden. Zum einen in "Build to Order", zum anderen in "Configure to Order". Bei der Build-to-Order-Kategorie handelt es sich um Standard-Produkte, während bei Configure-to-Order-Aufträgen die flexible Konfiguration der Rechner gefragt ist - ein wachsender Mark, wie es von den Werksverantwortlichen hiess.
Geht man durch die Produktionsstrassen, wird einem bewusst, wie viel Handarbeit in einem Rechner steckt.
An erster Stelle steht das Zusammenstellen der Kits aufgrund der Bestellformulare. Wertvolle Komponenten wie Prozessoren, Speicherbausteine oder Software-Lizenzen werden hierbei in abschliessbaren Gitterkäfigen aufbewahrt. Die zuständigen Fabrikarbeiter stellen die Komponenten in einer Box zusammen, welche danach automatisch weiterbefördert wird.
An der nächsten Station werden die PCs mit einigen wenigen, geschickten Handgriffen zusammengebaut: Das Motherboard wird auf das Gehäuse geschraubt, RAM und CPU aufgesteckt, die Laufwerke in die dafür vorgesehenen Halterungen geschoben und die Kabel an der richtigen Stelle angeschlossen - fertig ist ein weiterer Rechner.
Als nächster Schritt kommt der PC in den Testbereich, wo die ganze Hardware durchgecheckt wird und bei kleineren Bestellungen auch die Software auf den Rechner geladen wird. Bei grösseren Bestellungen wird zu Beginn des Produktionsprozesses die Software an Ladestationen direkt auf die Harddisk überspielt.
Nach dem Testprozess gehen die Maschinen zurück auf ein Fliessband, wo sie mit den Dokumentationen versehen, verpackt und zur Auslieferung bereitgemacht werden.
Am Tag der InfoWeek-Besichtigung befand sich ein UBS-Grossauftrag in den letzten Zügen: 300 von insgesamt 38'500 PCs mussten für die Schweizer Bank noch fertig gebaut werden. In Spitzenzeiten wurden 650 Rechner am Tag gefertigt und konfiguriert, welche direkt an die UBS geliefert wurden.
Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen, die an den PC-Lieferanten gestellt wurden, ist der UBS-Auftrag ein besonders interessanter Fall.
Der Beginn des Produktionsablaufes unterscheidet sich in keiner Weise von anderen Bestellungen. Die UBS hat ihre Rechner in vier Grundkonfigurationen bestellt, welche auf insgesamt zehn Produktionsstrassen gefertigt werden. Nach dem Zusammenbau unterscheidet sich der Weg der UBS-Rechner jedoch von denen einer herkömmlichen Bestellung. Die PCs landen in einer sogenannten Staging-Area, einem vergitterten, abgeschlossenen Käfig mitten in der Produktionshalle. Dieser Käfig, bei dem stets Kontrolle darüber herrscht, wer ihn betritt, wurde speziell für den UBS-Auftrag erstellt. In der Staging-Area wird nicht nur der PC getestet, sondern die ganze System-Integration vollzogen. Dafür wird die Software direkt via Standleitung von einem UBS-Server in der Schweiz auf die Rechner geladen - nicht pauschal, sondern separat und User-spezifisch für jede Maschine.
Dafür wird jeder PC mit einer sogenannten Migrations-ID, einem Kleber auf dem Gehäuse, versehen. Dieselbe ID wird auch in das BIOS des jeweiligen Geräts geladen. So kann jeder Rechner für jeden individuellen UBS-Arbeitsplatz aufgesetzt werden, inklusive Passwörtern oder Mailadressen. Jeder der neuen Rechner wird also bereits im Werk in Schottland für einen genau definierten UBS-Mitarbeiter konfiguriert. Der Download der Software via Internet dauert dabei zirka 35 Minuten.
Danach folgt wie bei allen anderen Aufträgen der Verpackungsprozess, der sich beim UBS-Auftrag aber ebenfalls unterscheidet. Auch die Verpackung wird mit der Migrations-ID versehen, ausserdem mit Aufklebern, welche die Nummer des zu ersetzenden Rechners und des zuständigen UBS-Mitarbeiters aufgedruckt haben. Damit sollte die Lieferung des richtigen Geräts an die richtige Adresse gewährleistet sein.
Auf die Frage, wie viele PCs denn schon auf dem falschen Schreibtisch gelandet sind, konnte oder wollte niemand so recht Auskunft geben.
Man mag sich fragen, warum Compaq ausgerechnet Schottland als Sitz für ihr europaweites PC-Werk ausgewählt hat. Ausserdem hat der Capellas-Konzern noch ein zweites Werk in Ayr, das nur unweit von Erskin entfernt liegt und weitere 1000 Angestellte beschäftigt. Dort werden vor allem Workstations und High-End-Server hergestellt. Doch Compaq ist bei weitem nicht allein im hohen Norden. Praktisch alle grossen Hersteller der IT-Branche besitzen Werke im sogenannten Silicon Glen, dem Streifen zwischen Edinburgh und Glasgow, sei dies nun IBM, National Semiconductor, Sun, Motorola und wie sie alle heissen.
Warum also Schottland, das nun gewiss nicht im Herzen Europas liegt und sich deshalb geografisch überhaupt nicht aufdrängt? Zum einen, gab man bei Compaq Auskunft, liege es darin, dass Grossbritannien einen grossen Marktanteil besitze, rund 25 bis 30 Prozent in Europa. Zum zweiten sei die Schuldbildung in Schottland vergleichsweise hoch, man habe viele Universitätsabgänger, aber auch viele Stellensuchende und ein relativ tiefes Lohnniveau. Aus diesem Grund kann man beispielsweise zu Spitzenzeiten mir nichts, dir nichts 300 Leute mehr über einen Zeitraum von drei Monaten anstellen.
Immerhin: Rund 37,5 Prozent aller PCs europaweit werden in Schottland gefertigt. Bei den Workstations beträgt der Anteil sogar 80 Prozent.
Übrigens, das Vorurteil mit dem Wasserschaden musste revidiert werden, während der ganzen Präsentation ist nicht ein Regentropfen gefallen.