IT Realities: Knowledge Management - Bald eine Existenzfrage!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/05
Studiert man die aktuellen Angebote der diversen Management-Akademien, ist eindeutig Knowledge Management (KM) der Renner der Saison. Trends kommen und gehen - bekanntlich auch bei den Management-Theorien. Wenn wir uns aber schon hinter so plakativen Aufklebern wie "Virtual Reality" oder "Information Society" wohl fühlen, müsste da dem zielorientierten Umgang mit Informationen bzw. Wissen nicht tatsächlich grösste Bedeutung zukommen?
Wenn alle von einem Trend reden, muss der noch lange nicht gültig sein. Und KM ist eines jener modernen Phantome, die man überall und nirgends findet. Trotzdem wage ich die Prognose, dass in wenigen Jahren nur noch diejenigen Unternehmen am Markt bestehen können, die den zielorientierten Umgang mit Wissen als wichtige Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit verstanden haben.
Generell muss die verarbeitete Information in den Köpfen der Menschen nutzbar gemacht werden. Denn das beste Instrument bringt nichts, wenn es zwar verfügbar ist, aber nicht richtig genutzt wird.
Genügen informelle Gespräche, die allseits so beliebten Koordinationssitzungen oder das freundschaftliche "talking in the door" nicht? Oder braucht's bloss einen PC und etwas Organisationssoftware, und die Sache läuft "elektronisch" von alleine?
Nein. Primitivversionen von Knowledge Management sind noch schlechter als gar keine, weil sie Illusionen nähren. Die Voraussetzung für ein Knowledge Management, das diesen Namen verdient, ist in erster Linie ein Kulturwandel im Unternehmen selber. Denn die einfache Formel "Wissen ist Macht" hat im Zeitalter der flachen Hierarchien nichts von ihrer Gültigkeit eingebüsst. Wissen im eigenen Gärtchen zu horten ist zwar "menschlich", für das Unternehmen jedoch wird das gefährlich, und zwar auf allen Hierarchiestufen. Wissen, das innerhalb eines Unternehmens erarbeitet wurde, gehört diesem Unternehmen und muss ihm voll zur Verfügung stehen. Andererseits - und diese Funktion wird oft nicht gesehen - schafft "geteiltes" Wissen auch Vertrauen und Sicherheit, in einem weit über das blosse Betriebsklima hinausgehenden Masse.
Die zweite Voraussetzung für ein funktionierendes KM ist die Systematik. Denn nur Wissen, das strukturiert vorliegt, ist greifbar und nutzbar. Das tönt nach "Investition". Das ist es auch, aber nicht nur. Denn KM ist gleichzeitig ein Instrument, welches sozusagen als Nebeneffekt das Unternehmen dazu zwingt, seine gesamten Geschäftsprozesse abzuklopfen und die Bedürfnisse an Informations-Input und -Output genau zu analysieren. Nur schon das kann enorm viel in Bewegung setzen.
Es steckt aber noch mehr drin. Dann nämlich, wenn man KM offensiv betreibt. Das heisst, Wissen wird mit strategischer Optik gesucht, wo immer in der Welt es sich befindet. Vor allem im Dienste der Marktentwicklung, der Trendforschung und der Konkurrenzanalyse. Hier geht es weniger um Hard Facts als um Soft Facts. Die Wirkung ist zukunftsorientiert, der Interpretationsbedarf ist hoch. Das steigert zwar die Anforderungen an die Systematik, kann aber ganz entscheidende, existentielle Hinweise für die Geschäftsentwicklung generieren. Wie soll ein Unternehmen sonst etwa rechtzeitig erkennen, dass nicht der direkte Mitbewerber, sondern ein Substitutionsprodukt in den nächsten zwei Jahren den angestammten Markt neu aufmischen wird? (Beispiel: Brettspiel-Hersteller haben den Trend zu Gameboys verschlafen). Oder wie anders kann ein Quasi-Monopolist voraussehen, dass ein cleverer Hersteller mit einem guten Billigprodukt den Markt von unten aufrollen wird? (Beispiel: Intel unterschätzte das Potential billiger Prozessoren und AMD schraubte den Anteil im Billig-PC-Segment in wenigen Monaten auf über 50 Prozent). KM als Konkurrenz-Monitoring mutiert zur Competitive Intelligence.
Oft hört man die Meinung, Knowledge Management sei nur etwas für Grossfirmen. Das ist mit Bestimmtheit falsch. Entscheidend ist viel eher, ob das Management die Funktion des KM richtig sieht und den nötigen Top-Down-Ansatz bei der Realisierung akzeptiert. Diese Investition wird sich auszahlen, denn auch und gerade am Markt wird Wissen zur Macht.