cnt

Schweizer Software-Industrie vor massiven Umwälzungen

Die Schweizer Software-Industrie steht am Scheideweg. Kleine, lokale Software-Hersteller sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/06

     

Während multinationale Unternehmen wie Oracle, Microsoft oder IBM den Software-Markt im Office- und Infrastruktur-Bereich seit langem kontrollieren, war Business-Software für KMUs bis vor kurzem eine Domäne von lokalen Herstellern. Hiesige Software-Häuser wie Abacus, Simultan oder Sesam dominierten, als einziger ausländischer Hersteller konnte sich bislang die dänische Navision ein messbares Stück des KMU-Kuchens abschneiden.



Ab Ende 1999 änderte sich dies radikal: Der britische Multi Sage übernahm mit Sesam den hiesigen Lokalmatadoren im Segment der Kleinunternehmen. Ein Jahr später schreckte Microsoft mit der Übernahme von Great Plains, einem grossen US-Hersteller von KMU-Business-Software auf. 2002 folgten sich die Übernahmen und Ankündigungen Schlag auf Schlag. Exakt vor einem Jahr kündete der ERP-Riese (Enterprise Ressource Planning) SAP den Einstieg ins Geschäft mit KMU-Software an, und kurz darauf kaufte Microsoft die erfolgreiche dänische Navision-Gruppe.



Im gleichen Zeitraum verglühten mit Miracle und Complet-e zwei Schweizer Software-Hersteller und verschwanden vom Markt. Miracle ging Konkurs, Complet-e wurde übernommen.


Der Drang zu SAP

Seither haben sich gewichtige Schweizer Software-Hersteller und -Integratoren für eine Partnerschaft mit SAP entschieden. Der grosse KMU-Berater und -Treuhänder OBT vertreibt das SAP-Paket Business One genauso wie die Pragmatica-Gruppe oder etwa die Spreitenbacher Steffen Informatik und der bekannte KMU-Spezialist MTF. Ausserdem kann SAP auf die Unterstützung von Simultan, dem nach unserer Schätzung zweitgrössten Hersteller von KMU-Business-Software in der Schweiz, als Entwicklungspartner zählen. Simultan wird für SAP bestimmte Software-Module wie beispielsweise eine Kostenstellenrechnung und eine Anlagenverwaltung herstellen und an Business One anpassen. Im Gegenzug vertreibt der deutsche Riese die Simultan-Produkte europaweit über Partner.



Einen ähnlichen Deal schloss der Frauenfelder Steuer- und Treuhandspezialist Pebe Datentechnik. Die Frauenfelder entwickeln für SAP Business One eine Schweizer Personal-Verwaltungssoftware und werden die eigene Geschäftssoftware mittelfristig in die Oberfläche von Business One integrieren.



Während Konkurrenten spotten, es seien die "Looser" der Szene, die sich in die Arme von SAP flüchten, argumentiert Simultan-Chef Roland Renggli anders. Es gehe um die Fertigungstiefe, die Frage also, welche Teile einer Software man zukaufen könne und bei welchen die lokale Kompetenz eines Herstellers gefragt sei. Ausserdem komme Simultan auf einen Schlag zu einem internationalen Vertriebskanal, den man aus eigener Kraft gar nicht aufbauen könne, sagt Renggli.




"Der Schweizer Markt ist zu klein"

"Die Kooperationen mit SAP scheinen mir sehr stark durch Angst vor der Zukunft getrieben", kommentiert ein ungenannt bleiben wollender Brancheninsider. In der Tat: Der Einstieg von SAP, Microsoft und Oracle in den Schweizer Markt für KMU-Geschäftssoftware wird die Branche massiv verändern. Kleinere, lokale Hersteller von Geschäftssoftware sehen sich vor die Wahl gestellt, sich entweder einem der Multis als Unterlieferant anzuschliessen, sich in eine Nische zurückzuziehen oder aufzugeben. Denn der Aufwand, Software auf neuestem Stand zu halten, zum Beispiel auf eine .Net-Umgebung zu migrieren, wird immer grösser und damit auch teurer.



Auch dürften die meisten der lokalen Softwarehäuser der geballten Marketing-Macht einer Microsoft oder SAP wenig entgegensetzen können. Kurt Sidler, der Geschäftsleiter von Sage Sesam, hat eine ähnliche Einschätzung: "Es braucht für einen Software-Hersteller in der Schweiz eine kritische Grösse. Unser Mutterkonzern Sage übernimmt in einem Land jeweils immer die Nummer 1 oder 2. Ich bin überzeugt, dass eine Abacus oder eben wir von Sage Sesam eine Zukunft haben. Aber für kleinere Hersteller wird es sehr schwierig."



Sage Sesam fährt in der Schweiz eine dreigleisige Strategie. Für das höhere Segment setzt man auf eine lokalisierte Version einer deutschen Lösung für die Deutschschweiz und einer französischen Lösung für die Romandie. Die eigene KMU-Lösung für kleinere Firmen wird hingegen selbst in der ganzen Tiefe weiterentwickelt. Dazu kommt eine dazugekaufte Lösung für Kleinstfirmen und das konzernweit vertriebene CRM-Paket (Act!).




Die Nische lebt!

Ähnliche Aussagen sind auch von anderen in der Branche zu vernehmen, so von Beat Stark, dem Chef der Schweizer Niederlassung von PSI. Die deutsche PSI hat sich auf Software für Produktionsplanung und -Steuerung spezialisiert und integriert für das Finanzwesen Module von Simultan. Stark: "Der Schweizer Markt ist sehr klein. Ein lokaler Entwickler kommt nicht auf genügend grosse Stückzahlen, um komplette Eigenentwicklungen finanzieren zu können."



Ganz anders sieht dies Roland Messerli, der sich mit seiner Messerli Informatik auf die Herstellung und Integration von Software für die Bau- und Elektrobranche spezialisiert hat. Messerli: "Wir haben keine Angst vor SAP. Es gibt gute Software-Firmen in der Schweiz, die problemlos überleben können. Wir haben auf jeden Fall genug Arbeit." Eher Sorgen macht ihm Microsoft. Die Integration von gewissen CRM-Funktionen in MS-Office könnte ihm den Markt für seine CRM-Module kaputt machen. "Es könnte sein, dass wir die eigene CRM-Lösung aufgeben müssen", so Messerli.




Trau, schau, wem

Wer heute eine neue KMU-Business-Software evaluieren muss, hat es wahrlich nicht leicht. Es empfiehlt sich sehr, bestehende KMU-Lösungen nicht nur in Bezug auf die gewünschten Funktionalitäten, Flexibilität und den Preis zu untersuchen. Vielmehr müssen die Zukunftspläne des Software-Herstellers und auch seine Bilanz gut angeschaut werden.



Wird der Hersteller unabhängig bleiben, und ist er in der Lage, künftige Generationen der Software zu entwickeln oder zumindest einen Migrationspfad aufzuzeigen? Ist der allfällig beigezogene Partner des Herstellers auch noch in ein paar Jahren fähig, die Software zu unterstützen?




Die Multis kommen


November 1999: Sage (GB - 3000 Mitarbeiter) kauft die Baarer Softinc Ltd. (Sesam)




Dezember 2000: Microsoft (USA) kauft Great Plains (USA). In der Schweiz ist Great Plains mit der Business Software "Apertum" nur schwach präsent.




März 2002: SAP kündigt das KMU-Paket "Business One" an. Es entstammt aus der Übernahme einer israelischen Firma.




Mai 2002: Microsoft kauft die dänische Navision-Gruppe, die ihrerseits erst kurz zuvor den ebenfalls dänischen Hersteller Daamgard übernommen hatte. Navision dürfte in der Schweiz etwa Rang 4 oder 5
unter den Herstellern von Business-Software einnehmen.




Dezember 2002: Als letzter Multi kündigt Oracle den Eintritt in den Schweizer Markt mit einer KMU-Software an.



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Fliegen erledigte das tapfere Schneiderlein auf einen Streich?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER