Web 2.0 vor Konsolidierung
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/21
Auf ihrem Weg um die Welt machte die Web 2.0 Expo in Berlin halt, um auch das europäische Publikum in Sachen Web 2.0 auf den neusten Stand zu bringen. Die Aussichten sind dabei nüchterner als auch schon: Tim O‘Reilly, Erfinder des Begriffs «Web 2.0», sagte es gleich am ersten Tag in seiner Keynote. Die Grossen werden immer grösser und die kleinen Firmen müssen sich anstrengen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Web 2.0 sei «ein Schlachtfeld, in dem sich die Wettbewerber mit Zähnen und Klauen bekämpfen», kein «Summer of Love». Der Hype habe seinen Höhepunkt erreicht und man sei bereits wieder auf dem Weg in eine Phase der Konsolidierung. Die Beträge, die in Web 2.0 gesteckt würden, seien zudem wieder kleiner und gezielter.
Dafür konnte die Expo selber kaum gross genug werden, die auf dem weitläufigen Gelände der Messe Berlin stattfand, von der aber nur wenige Hallen und Konferenzräume genutzt wurden. Von der versprochenen Ausstellung war trotzdem kaum etwas zu sehen, und bei den Vorträgen wollte die US-Begeisterung für die boomende Branche nicht recht aufs Publikum im regnerisch-kalten Berlin übergehen.
Nebst vielen interessanten Gesprächen mochte dafür das Seminarprogramm zu überzeugen. Themen waren nebst Ajax und
E-Commerce auch die Frage, wie man mit einer plötzlich aufkommenden Besucherflut umgeht, ohne dass der Server abstürzt. Blogger und Schriftsteller Cory Doctorow hielt einen rasanten Vortrag darüber, ob Europa wirklich die Fehler wiederholen muss, die Amerika in Copyright-Fragen bereits gemacht hat. Er erinnerte die Rundfunkanstalten daran, sich für die Belange der Öffentlichkeit einzusetzen und nicht jedem Druck von mit Klagen drohenden Rechteinhabern nachzugeben.
Autorin Kathy Sierra erklärte, wie man die User, um die sich ja bei Web 2.0 alles dreht, so motiviert, dass sie einem Produkt, sei es nun eine Website oder eine neue Kamera, treu bleiben. Man müsse den User dazu bringen, dass er etwas lernt und ihn nicht nur mit Fakten und Informationen zupflastern. Dazu müsse er zuerst eine Schwelle überschreiten, bei dem die Interaktion mit dem Produkt noch vor allem Frust sei. Nur ein User, der echten Spass am und mit dem Produkt habe, werde ihm treu bleiben und es weiterempfehlen.
Patrick Chanezon von Google stellte Open Social vor, eine offene Schnittstelle für Websites, die auf Social Software basieren. Also kein eigenes Netzwerk, wie es beispielsweise Facebook ist, sondern eine javascriptbasierte Schnittstelle, was die gegenseitige Einbindung von Inhalten fördert. Ob Open Social zu einem Branchenstandard wird, ist noch nicht abzusehen, kleinere Netzwerke werden davon aber wohl profitieren. Die Session war jedenfalls ausserordentlich gut besucht - hinter den Sitzreihen setzten sich die Besucher mit ihren Laptops auf den Boden.
Für Aufsehen sorgte auch das Schweizer Unternehmen Wuala, das seinen gleichnamigen Internet-Storage-Dienst vorstellte. Wuala basiert im Gegensatz zu Anbietern wie Amazon mit S3 auf einem Peer-to-Peer-Netz, das die zu speichernden Daten verschlüsselt und in vielen Fragmente aufgeteilt auf den Rechnern der Teilnehmer ablegt.
In einer Abschlussrede erzählte Don Tapscott, wie Unternehmensgründer immer jünger werden und wie sie, weitab vom Mainstream, immer neue Communities auf den Markt werfen, die schneller wachsen, als die Analysten das zu beurteilen wissen. Teenies hätten schon ihre zweite oder dritte Firma gegründet und wieder verkauft. Man erinnert sich: Sowohl Microsoft als auch Facebook wurden von Zwanzigjährigen gegründet. Sicher ist: Die Zukunft spielt sich im Netz ab und ist global. Und sie spielt sich schneller ab, als man gemeinhin vermutet.