Wer ist der Schnellste im ganzen Land?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/30
Kündigt ein PC-Hersteller einen neuen Computer an, so nimmt davon heute kaum mehr einer Notiz. Neue Modelle gehören zum gewöhnlichen Gang der Dinge. Ab und zu werden auch PC-Familien ausgetauscht und neue Konzepte eingeführt. Doch für Aufsehen sorgt das nicht. Für ein Segment der Branche gilt das jedoch nicht: Die Hersteller von Prozessoren. Intel und AMD, die beiden wichtigsten Exponenten im Markt für CPUs, bekämpfen sich wie eh und je nicht nur durch Leistung, sondern auch über ihre Ankündigungen. Es gehört bereits zum gewohnten Bild, dass Intel neue Modelle seiner Prozessoren vorstellt und Preise senkt und AMD innert Tagesfrist mit einer eigenen Ankündigung nachzieht. Seltener ist es umgekehrt.
Der Betrachter wird dabei den Eindruck nicht los, dass es den beiden nur darum geht, wer den schnellsten Prozessor auf dem Markt hat und damit die Position des Leistungsleaders für sich beanspruchen darf. Diese Frage spaltet die Lager: Jeder beansprucht diese Krone für sich, auch wenn die Prozessoren entweder gar nicht lieferbar, ungleich viel teurer als nur wenig langsamere Modelle sind oder der Vorsprung, sollte er tatsächlich bestehen, nur von kurzer Dauer ist.
Bestand der Kampf der Prozessorfirmen vor einigen Jahren noch darin, die Taktfrequenzen der Chips zu vergleichen, ist das heute nicht mehr ohne weiteres möglich. Das beginnt mit der Modellbezeichnung der Chips, über die die Taktrate der Prozessoren heute bewusst nicht mehr wiedergeben wird. Der "Athlon XP 2600+" etwa taktet mit 2,133 GHz, gilt aber als durchaus vergleichbar mit Pentium-4-Prozessoren mit höherer Taktrate.
Diese Aussage ist wiederum ein Ergebnis von Benchmark-Tests, die letztlich aber oft nicht aussagekräftiger sind als die erwähnten Taktfrequenzen. Denn die "Leistung" eines Prozessors hängt von vielen Parametern ab, die in solchen Tests unterschiedlich gewichtet werden können. Ist ein Prozessor in einer bestimmten Aufgabe besonders leistungsfähig, wird er in einem Test, der dieser Aufgabe viel Gewicht beimisst, besser als die Konkurrenz abschneiden. Entsprechend viele solcher Tests gibt es, und entsprechend umstritten sind sie.
So versucht AMD seit einiger Zeit, hinter den Kulissen Fachjournalisten und Analysten davon zu überzeugen, dass die neueste Version von "Sysmark" bewusst angepasst wurde, um die Stärken des AMD-Athlon-Chips herunterzuspielen und den Pentium 4 in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Verantwortlich dafür, so soll vermutet werden, ist Erzrivale Intel, der nebst Compaq, Dell, IBM und anderen Firmen zu den Gründern des Sysmark-Erfinders BABCo zählt. Ob die Vorwürfe zutreffen, wird AMD jetzt selber prüfen können: Mitte Jahr entschloss sich die Firma schweren Herzens, BABCo ebenfalls beizutreten, um nächstes Jahr ebenfalls mitwirken zu können.
Für ein Produkt günstige Benchmark-Tests sind aber nur eine Spielart der Branche. In anderen Fällen wurden statt der Testanlagen die Testobjekte "optimiert": Ein Hersteller soll einen Grafikprozessor so programmiert haben, dass er Benchmark-Tests erkennt und sich in der Folge so verhält, dass er unter diesem Test bessere Werte erzielt als ihm eigentlich zustehen würden. Hier stellt sich auch die Frage der rechtlichen Zulässigkeit solcher "Fördermassnahmen".
Die Energie, die in solche Schaurennen der PC-Technik investiert wird, sollte lieber produktiveren Aktivitäten zu Gute kommen. Ich bin der Ansicht, dass sich heute niemand mehr dafür interessiert, ob nun AMD oder Intel den schnellsten Prozessor hat. Mehr noch: Das Publikum wird selbst bei Intels bekanntem Pentium 4 grösstenteils nicht mehr wissen, welche Taktfrequenz das schnellste Modell heute erreicht. Sind es 2 Gigahertz oder sogar über 2,5? Seit letzter Woche - Intel hat einige neue Modelle vorgestellt - sind es 2,8.
Das Interesse hält sich in Grenzen. Für die Geschwindigkeit eines PC ist der Prozessor nur einer von vielen Faktoren. Das Chipset, die Grösse des Hauptspeichers, der Systembus oder die Geschwindigkeit der Festplatte und die Leistung der Grafikkarte sind weitere, ebenso wichtige Faktoren. Und je mehr aktive Tasks ein Benutzer auf seinem PC laufen hat, desto stärker nimmt die für Applikationen verfügbare Leistung ab. Die Leistung eines PC ist zwar nicht Nebensache. Konstanz in der Produktpalette und hohe Funktionalität dürfte für ein mittleres oder grösseres Unternehmen aber ein ebenso wichtiger Faktor in der Beschaffung sein.