Smartphones sind noch kaum smart genug

Die Kombination aus Organizer und Handy ist zwar bequem, bei den ersten Geräten besteht aber noch viel Raum für Verbesserungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/16

     

Die Auswahl an Smartphones ist zur Zeit noch äusserst bescheiden. Nokia bietet zwar seit langem schon seinen Communicator in immer wieder erweiterten Versionen an - auch Ericsson und Motorola blieben nicht untätig und haben bereits ihre ersten Sporen im Smartphone-Umfeld abverdient. Vor allem Geräte aber, die ihre Wurzeln in der PDA-Welt haben, sind noch rar. Seit einiger Zeit gibt es das eine oder andere Add-on, das den Pocket-PC- oder Palm-PDA zum Mobiltelefon erweitert. Geräte, die bereits von Haus aus eine Handyfunktion verpasst bekamen, kann man hingegen noch an einer Hand abzählen. Einen ersten Anlauf nahm Sagem mit dem WA 3050. Es folgte Siemens mit dem hier getesteten SX 45, und das neueste Gerät bietet nun Handspring mit dem auf dem Palm OS basierenden Treo an.




Einmal mehr hat Palm selbst auf der eigenen Plattform also das Nachsehen gehabt - ein entsprechendes Gerät hat der Marktführer aber noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt. Ohne das Fazit vorwegzunehmen: Wenn Palm den Handspring Treo ein wenig studiert, dürfte es für den Branchenleader ein leichtes sein, bereits im ersten Wurf ein ideales Smartphone auf den Markt zu werfen.


Wunschvorstellungen werden enttäuscht

Das ideale Smartphone auf PDA-Basis hätte wohl in etwa den kompakten Formfaktor eines Palm-Geräts, keine Antenne, dafür Bluetooth integriert, damit man über ein drahtloses Headset per Sprachbefehl die Nummer wählen und telefonieren kann, ohne den PDA aus der Innentasche herausnehmen zu müssen. Die Gegenwart sieht ein wenig anders aus, und nimmt man die Geräte genauer unter die Lupe, ist festzustellen, dass die Hersteller noch weit von dieser Wunschvorstellung entfernt sind.



Vielmehr noch, die beiden Geräte, die InfoWeek hier zu einem Vergleichstest antreten liess, zeigen vor allem eines: Smartphones aus dem PDA-Umfeld müssen sich die Bezeichnung smart zuerst noch verdienen. Zwar bieten sowohl das Siemens- als auch das Handspring-Produkt durchaus interessante Funktionen, die sie für den einen oder andern User interessant machen. Beide Geräte haben aber auch noch einige Pferdefüsse, die nahelegen, dass viel Raum für Verbesserungen vorhanden ist wobei Siemens noch ein wenig mehr dazulernen muss als Handspring.





Handspring Treo

Die Bezeichnung Treo will auf die Dreifaltigkeit dieses jüngsten Handspring-Geräts hinweisen: Unter der Haube werden Handy, Organizer und mobiler Internetzugang verschmolzen. Das ist dem Hersteller gesamthaft betrachtet auch ziemlich gut gelungen. Einzig der Antennen-Popel trübt das äussere Erscheinungsbild ein wenig. Er lässt sich zwar abschrauben - was aber selbstverständlich für den Anschluss einer externen Antenne gedacht ist und nicht, um ihn kompakter zu machen.



Der Treo ist mit einem Klappdeckel versehen, der zum einen das Display schützt, zum andern dient er als Hörer und erlaubt, einen Anruf direkt entgegenzunehmen… Sofern man überhaupt wagt, ohne Kopfhörer zu telefonieren. Ein Wagnis ist es, ohne Kopfhörer zu telefonieren, da das Gerät, direkt ans Ohr gehalten, nicht gerade schick aussieht - man fühlt sich so an ein dinosaurieraltes Ur-Handy erinnert. Der für eine PDA/Handy-Kombination trotzdem kompakte Ansatz zieht sich auch bei der Synchronisation weiter. Handspring verzichtet auf eine Docking-Station, ein Kabel für den USB-Anschluss am PC genügt. Dank USB erfolgt denn auch der Datenabgleich in angenehmer Geschwindigkeit.




Die schlanke Figur, mit dem das Gerät um Käufer buhlt, hat aber auch eine Schattenseite: Erweitern lässt sich der Treo nicht. Die von den übrigen Handspring-Produkten bekannte Schnittstelle für Springboard-Module fehlt genauso wie ein Schacht für andere Speicher- oder Erweiterungskarten. Die Firma stellt einen solchen Wandel für den Treo auch nicht in Aussicht. Springboard-Add-ons werden den Visor-Modellen aus demselben Haus vorbehalten bleiben.



Was Handspring hingegen plant, ist im Sommer GPRS-Unterstützung als Update anzubieten. Der genaue Termin und der Preis sind noch nicht klar. GPRS macht gleich in zweierlei Hinsicht Sinn: Zum einen wird der Internetzugriff dadurch ein wenig schneller, zum andern ist der mobile Datenübertragungsstandard bei einem Gerät, mit dem man direkt und ohne Umweg über ein Handy oder über den PC auch E-Mails verschicken oder auf das World Wide Web zugreifen kann, geradezu Pflicht. Schade ist nur, dass der Hersteller nicht gleich von Anfang an auf GPRS gesetzt hat. Ebenfalls geplant ist von Handspring, im Sommer einen Treo mit Farbdisplay auf den Markt zu bringen.
Damit gelangt man denn auch gleich zu einem weiteren Punkt, der beim ansonsten gut gelungenen Konzept von Handspring ziemlich enttäuscht. Das Monochrom-Display ist zwar gut lesbar - in dieser Geräteklasse und zum Preis von rund 1100 Franken dürfte man aber Farbe auf dem Bildschirm erwarten.




Einfache Bedienung

Ansonsten überzeugt die Geräteausstattung weitgehend. Die grundlegenden Funktionen hat man schnell intus, und auch die Konfiguration des mobilen Internetzugriffs oder des E-Mail-Accounts ist keine Hexerei. Positiv fällt zudem der sogenannte Rocker Switch, ein Drehrad, an der linken Geräteseite auf, mit dem man durch Menüs scrollen kann - hier hat Handspring zweifelsohne bei Sony und dem "legendären" Jog-Dial-Rad abgeguckt.



Bei der Bedienung macht sich aber trotzdem auch die eine und andere Unzulänglichkeit bemerkbar. So erweist es sich beispielsweise als eher umständlich, eine Telefonnummer über die virtuelle Tastatur auf dem Display einzugeben. Und ohne Eingabestift ist dies praktisch unmöglich. Auch wenn es die Polizei nicht erlaubt: Die Nummernwahl im Auto wird dadurch zum Spiessrutenlauf. Zudem fällt negativ auf, dass die auf der SIM-Karte gespeicherten Nummern nicht ohne weiteres in den Speicher des Treo übernommen, sondern über eine eigene Anwendung angewählt werden müssen. Nur über die SIM-Buch-Applikation lassen sich die Nummern dann kopieren. Hingegen können Telefonnummern, die durch die Synchronisation mit einer PIM-Anwendung wie Lotus Notes oder Microsoft Outlook in das Treo-Adressverzeichnis gelangt sind, direkt angewählt werden. Ein weiterer entscheidender Mangel ist, dass beim Treo weder Sprachbefehle noch Sprachwahl zur Verfügung stehen, was die Bedienung doch erheblich komfortabler machen würde. Zudem fehlt auch die Möglichkeit, verschiedene Profile für Klingeltöne einzurichten. Dafür kann man sich vom Gerät mittels Vibration diskret auf einen eingehenden Anruf aufmerksam machen lassen.





Siemens SX 45

Kann man beim Treo ohne tomatenrot zu werden, noch von einem gelungenen ersten Smartphone-Wurf sprechen, fällt einem dies beim Siemens-Gerät doch ziemlich schwer. Nicht nur, dass das SX 45 wie auch der Treo über eine "herausragende" Antenne verfügt. Auf den ersten Blick springt zudem ins Auge, dass das SX 45 seinen Abmessungen zufolge auch ziemlich viele Gramm auf die Waage bringt. Und dieser Eindruck täuscht nicht: Es ist mit über 300 Gramm schlicht zu schwer für den Transport in der Innentasche eines Jacketts. Um so mehr schmunzeln muss man angesichts dessen über die folgende Aussage auf dem Siemens-SX-45-Datenblatt: "Attraktiver Formfaktor, passt nahezu in jede Tasche, hochmobil." Obwohl: Genaugenommen kann man Siemens nur den Vorwurf machen, ein solches Gerät anzubieten, entwickelt wurde es von Casio, wie ein Blick auf die Geräterückseite Aufschluss gibt.
Das SX 45 ist mit seinem doch stolzen Gewicht kaum geeignet, um beim Telefonieren ans Ohr gehalten zu werden. Das dachten sich wahrscheinlich auch die Produktentwickler und haben dafür gesorgt, dass ausschliesslich über das mitgelieferte Stereo-Headset telefoniert werden kann. Ohne eingesteckte Kopfhörer ist die Rufannahme unmöglich.



Wie von Pocket-PC-Geräten gewohnt, ist auch das SX 45 mit der bekannten Fülle von Applikationen ausgestattet, welche die Microsoft-Plattform auszeichnet. Zusätzlich erhält der Käufer auch noch Goodies wie etwa einen MPEG4-Video-Player oder eine Applikation für das Betrachten von Bildern. Dem unbedarften Anwender wird aber diese Reichhaltigkeit am Anfang die Arbeit mit dem Gerät wohl eher erschweren als erleichtern. Kommt hinzu, dass die Konfiguration des Internet- und E-Mail-Zugangs im Vergleich zum Treo von Handspring ein wenig umständlich geraten ist.




Was zudem fehlt, ist ein Vibrationsalarm. Dafür bietet das SX 45 ein Farbdisplay, das einzig deshalb ein wenig negativ auffällt, weil es bei direkt einfallendem Tageslicht nur mühsam lesbar ist.




Telefonieren und mehr

Im Gegensatz zum Handspring Treo lässt sich aber das Siemens SX 45 erweitern. Zum einen steht ein Slot für MMC-Erweiterungen zur Verfügung, zum andern bietet das Gerät einen Einschubschacht für CompactFlash-Karten. Und der Siemens-PDA bietet von Haus aus bereits 32 MB Arbeitsspeicher, beim Treo sind es lediglich 16 Megabyte.



Die grundlegenden Funktionen sind beim SX 45 alle über entsprechende Knöpfe am Gerät direkt zugänglich. Zudem wurde wie beim Treo auch ein Drehrad für das bequeme Scrollen durch Menüs eingebaut. Und ebenfalls wie beim Treo sucht man erweiterte Telefoniefunktionen wie Sprachwahl und -befehle oder die Möglichkeit, verschiedene Profile einzurichten, vergeblich. Features, die bei einem Business-Handy mittlerweile gang und gäbe sind. Zudem ist das Eintippen von Nummern ohne Stift wie beim Handspring-Modell auch kaum von Erfolg gekrönt. Eine weitere Unschönheit ist, dass beim Schreiben von SMS-Nachrichten nicht angezeigt wird, wie viele Zeichen noch zur Verfügung stehen.
Überzeugend gelöst ist hingegen die On-Screen-Funktion, über welche die Telefonnummern, die in Pocket Outlook gespeichert sind, direkt abgerufen werden können.




Abschliessend ist noch zu erwähnen, dass das Siemens SX 45 ziemlich gemächlich arbeitet. Wird beispielsweise die Telefonfunktion aktiviert, erfolgt ein längerer Ladevorgang.



Im Gegensatz zu Handspring bietet Siemens das SX 45 auch als GPRS-Version an, die 100 Franken mehr kostet als die Standardversion. Wer bereit ist, rund 1600 Franken für ein Smartphone auszugeben, sollte vor diesem Aufpreis nicht zurückschrecken. Wer hingegen bereits die Standard-GSM-Version des SX 45 gekauft hat, kann für 220 Franken GPRS nachrüsten lassen.




Handspring führt gegenüber Siemens

Was überdies bei beiden getesteten Geräten positiv auffällt, ist die Funktion, mit der die Handy-Einheit ein- und ausgeschaltet werden kann. Dies erlaubt es, den Stromverbrauch drastisch einzuschränken.



In der direkten Gegenüberstellung der beiden Geräte kann man aber nur zu einem Schluss kommen: Das Siemens SX 45 ist gegenüber Handsprings Treo klar im Hintertreffen. Während der Treo als erste Generation eines Palm-Smartphones im wesentlichen überzeugen kann, gelingt dies dem SX 45 kaum.




Man darf gespannt sein, ob Siemens bei einem nächsten Smartphone die Mängel des ersten Versuchs beheben wird. Dasselbe gilt auch für Handspring. Im Sommer wird man Klarheit darüber haben, ob es die Firma geschafft hat, beim Modell mit Farbdisplay die Kinderkrankheiten der ersten Fassung auszumerzen.



Zudem in der Print-Ausgabe: Handspring Treo vs. Siemens SX 45 - die Features im direkten Vergleich.



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