Wir kommen zum dritten und letzten Teil dieser Mini-Serie über die Schweizer Tech- und Innovationslandschaft, und ich habe das Gefühl, dass ich damit zur richtigen Zeit begonnen habe. Vielleicht ist es nur meine Bubble, aber in den letzten Wochen lese ich überall von Aufrufen, die die Dringlichkeit weiterer Investitionen in die Start-up-Industrie unterstreichen. In meiner letzten Kolumne habe ich ebenfalls darauf hingewiesen, dass wir starke Führungspersönlichkeiten benötigen, die sich entschliessen, in Venture Capital zu investieren. Diese Führungspersönlichkeiten und ihre Influencer möchte ich heute ein wenig motivieren.
Im September 2024 wurde der Bericht zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit («The Future of European Competitiveness: Report by Mario Draghi») veröffentlicht. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU wird mit derjenigen der USA und Chinas verglichen, wobei vor allem in den Bereichen Forschung & Entwicklung (F&E) und Zugang zu Wachstumskapital grosse Hürden sichtbar werden. Europas Zukunft hängt in den nächsten Jahren stark davon ab, die Produktivität zu steigern.
Der derzeitige Produktivitätsrückstand der EU gegenüber den USA resultiert hauptsächlich daraus, dass Europa die erste digitale Revolution der 1990er-Jahre verpasst hat. Die Auswirkungen spüren wir bis heute: einerseits an der Börse – die fünf wertvollsten Unternehmen der Welt sind im Oktober 2024 allesamt US-Tech-Unternehmen – andererseits in der Digitalisierung bereits bestehender Unternehmen. Um diesen Rückstand aufzuholen und Abhängigkeiten in kritischen Industrien wie Verteidigung, Energie oder dem Gesundheitssektor abzubauen, dürfen wir die nächste Tech-Welle nicht verpassen. Diese umfasst laut dem Bericht vor allem autonome Roboter, generative KI, KI-Dienste, Quantencomputer und die Gesundheitsbranche.
Der Bericht fordert für die EU in den Bereichen F&E sowie Venture Capital eine jährliche Investitionsquote von etwa 5 Prozent des BIP. Wir investieren in der Schweiz jährlich rund 23 Milliarden Franken in F&E, was etwa 3 Prozent des BIP entspricht. Im internationalen Vergleich weisen wir eine dementsprechend gute Investitionsquote auf. Wir werden auch seit Jahren als Innovationsweltmeister gefeiert. Man könnte meinen, dass alles nach Plan läuft – und dann beziehen wir laut der UBS 75 bis 80 Prozent des Kapitals für unsere Start-ups aus dem Ausland. Das bedeutet vereinfacht gesagt auch, dass wir potenziell 75 bis 80 Prozent unseres F&E ins Ausland abgeben. Wir stehen also vor der Herausforderung, unsere eigenen Forschungsresultate in den Markt zu bringen und letztlich über unseren Heimmarkt hinaus zu skalieren. Wir müssen einen Markt schaffen, in dem wir unsere ausgezeichnete Basis auch selbst kommerzialisieren.
Um diese Hürde zu überwinden, müssen wir auch in der Schweiz dringend weiteres Risikokapital aufbringen. Es ist schwer zu verstehen, warum unsere Privatwirtschaft nicht mehr in den Venture-Capital-Markt investiert. Die Voraussetzungen sind hervorragend: Wir haben enorm viel Talent in der Schweiz – nicht nur dank der renommierten Hochschulen wie zum Beispiel der ETH / EPFL, sondern auch unsere IT- und Tech-Lehrlinge gewinnen bei internationalen Meisterschaften regelmässig die ersten Plätze. Das steuerliche Umfeld für institutionelle Anleger ist vorteilhaft gestaltet, und die Analysten von «Invest Europe» zeigen sogar bessere durchschnittliche 10-Jahres-Renditen von europäischen Fonds gegenüber den US-Kollegen. Trotz all dieser Voraussetzungen scheint dies bei uns noch nicht angekommen zu sein.
Wir dürfen uns diesen Markt nicht länger entgehen lassen – wir haben als Schweiz jetzt die Chance, unsere IT/Tech-Industrie zu unterstützen und einen enormen Mehrwert zu schaffen. Bei der kommenden Tech-Welle könnten wir an vorderster Front mitreiten.
Lasst uns das gemeinsam anpacken!
Matthias Herrmann
Matthias Herrmann ist Investor, Unternehmer und Berater in den Bereichen Innovation, IT und Gesundheitswesen. Er leitet den Bereich Digital Health und den Digital-Health-Fonds bei der Firma Tenity und ist als Experte für die Bereiche Life Sciences und ICT für die Innosuisse tätig. Er ist ausserdem Verwaltungsrat der NGO Make Me Smile International und unterstützt mehrere Start-ups im Advisory Board.