Es ist eine wahre Frechheit, dass die Berufsbildung in einer betuchten Branche wie der ICT chronisch unterfinanziert ist.
Die ICT-Branche gehört zu den umsatzstärksten Sektoren der Schweiz. Sie verzeichnet jedoch einen Fachkräftemangel, der gemäss Digitalswitzerland bis zum Jahr 2030 einen Wertschöpfungsverlust von bis zu 31,1 Milliarden Franken verursachen könnte. Denn der ICT-Fachkräftemangel führt zu einer verzögerten Digitalisierung und damit zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Ländern. Um den Fachkräftebedarf nachhaltig zu decken, spielt die Berufsbildung die zentrale Rolle. Sie liefert fast 80 Prozent aller ICT-Fachkräfte. Die logische Schlussfolgerung daraus wäre also: Die Wirtschaft investiert in die Berufsbildung, sät Lehrstellen, erntet Fachkräfte. Die Realität sieht leider anders aus.
ICT-Berufsbildung Schweiz ist als nationale Organisation der Arbeitswelt (OdA) der zuständige Verband für die eidgenössischen Berufsabschlüsse in der Informatik und Mediamatik. In der Grundbildung sind dies fünf Berufslehren und in der höheren Berufsbildung fünf Fachausweise und zwei eidgenössische Diplome. Zu 80 Prozent finanziert sich der Verband durch Projekte und Dienstleistungen selbst. Der Rest kommt aus Beiträgen von angeschlossenen Partnerverbänden, in denen die von den Leistungen profitierenden Unternehmen organisiert sind. Der Staat bietet Unterstützung in Form von Subventionen und fordert zu Recht von der Wirtschaft, die Verantwortung der weiteren Finanzierung sicherzustellen. Fakt ist, dass diese Einnahmen knapp ausreichen, um die Aufgaben der OdA minimal zu erfüllen. Reicht es auch, um den zunehmenden Fachkräftebedarf zu decken? Nein, tut es nicht.
Kaum eine OdA dieser Grössenordnung kennt diese Herausforderung. Mit einer langen Tradition, die auf das Zunftwesen zurückgeht, haben andere Branchen- oder Berufsverbände die Berufsbildung als eine zentrale Massnahme zur Entwicklung von Fachkräften erkannt und sie als festen Bestandteil in ihrem Gefüge etabliert. Die ICT ist hingegen eine junge Branche, die in einem Verbandsdschungel aufgegangen ist. Für jeden Anwendungsfall gibt es einen eigenen Verein. Dazu kommt, dass nur ein Drittel der Fachkräfte in der ICT-Kernbrache arbeitet. Der Rest ist in anderen Branchen tätig, etwa in Finanzdienstleistungen, der Unternehmensberatung, Bildung oder eben in der öffentlichen Verwaltung. Auch diese sind in eigenen Branchenverbänden organisiert.
Lösungen gibt es sehr wohl. Um die Berufsbildung nachhaltig zu finanzieren, wäre beispielsweise eine konsolidierte Verbandslandschaft wichtig, in welcher der Berufsbildung der nötige Stellenwert eingeräumt wird. Auch ein Berufsbildungsfonds, wie ihn andere Branchen haben, könnte das Finanzierungsproblem lindern. Ein solcher verpflichtet alle Unternehmen einer Branche, Beiträge zur Finanzierung der Berufsbildung zu leisten. Doch auch hier stellt sich die Querschnittsfunktion des ICT-Berufsfelds als Schwierigkeit heraus: Nur die Kernbrache würde zahlen, während die Unternehmen anderer Branchen als Trittbrettfahrer profitieren würden.
So einfach ist es also leider nicht, eine nachhaltige Finanzierung der ICT-Berufsbildung sicherzustellen. Doch eine Lösung ist dringend notwendig. Eine funktionierende Berufsbildung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern benötigt gezielte Unterstützung – in Form von Lehrstellen, finanziellen Mitteln und politischem Engagement. Oder wie es John F. Kennedy einst auf den Punkt brachte: «Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.»
Zum Schluss deshalb ein grosses Dankeschön an all diejenigen, die bereits in die ICT-Berufsbildung investieren!
Serge Frech
Kolumnist Serge Frech ist seit 2018 Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen im Bildungsumfeld tätig, zuletzt für den Gebäudetechnikverband Suissetec, wo er das Departement Bildung leitete und Mitglied der Geschäftsleitung war. Davor war er stellvertretender Chef Ausbildung im militärischen Nachrichtendienst.