Kolumne: Eine Frechheit, wie laut der Amtsschimmel wiehert

Kolumnist Serge Frech über Verwaltungsschmerz und warum ein Pranger dennoch fehl am Platz ist.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/10

     

Ich sitze vor einem leeren Blatt Papier (also Word) und freue mich auf den Rundumschlag gegen die Bildungsverwaltung. Noch etwas mehr als zwei Monate bleibe ich im Amt als Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz. Nun kann ich mich mindestens rhetorisch für all die Verzögerungen unserer Projekte, Zurückweisungen unserer Innovationen und Knausrigkeiten rächen! Ganz nach dem Motto: Ist der freche Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!

Ich zücke mein Notizbuch. Ich war jahrelang in der Bundesverwaltung tätig. Seit 2014 stehe ich dieser und den kantonalen Bildungsverwaltungen als Verbandsfunktionär gegenüber. Das Notizbuch ist voll von Schildbürgereien, deren Opfer die Berufsbildungsverbände immer wieder sind. Ebenso lange tausche ich mich mit Leidensgenossinnen und -genossen anderer Organisationen der Arbeitswelt (OdA) aus. Auch deren Schreckensgeschichten habe ich notiert, um diese am heutigen Tag publik machen zu können!


Bevor ich aufzähle, welchen Verwaltungsschmerz die Berufsbildungsverbände immer wieder erleiden, ein paar Gedanken dazu.

Gemäss Wikipedia rührt der Begriff Amtsschimmel vom Wort «Simile» her. Dies war ein in der österreichischen Monarchie gebräuchlicher Musterentscheid. Das Wort kommt vom lateinischen «similis», was «ähnlich» bedeutet. Ein Similereiter war also ein Beamter, der immer nach dem gleichen Muster vorging.

Und genau da kollidieren Erwartung und Realität mit voller Härte. Ein Berufsbildungsverband wünscht sich eine individuelle Behandlung. Schliesslich vertritt er eine Branche oder, wie in der ICT, ein Berufsfeld. Also steuerzahlende Unternehmen, die dem Amtsschimmel die Stallungen finanzieren. Auch bei den kantonalen Bildungsverwaltungen erwarten die OdA eine Sonderbehandlung. Doch will der Amtsschimmel erst mit einer Vernehmlassung gefüttert und einem Zirkularbeschluss von 26 Kantonen gesattelt werden.
Dabei vergisst unsereins oft, dass die Berufsbildung ein Kompromiss sein muss. Wir sprechen von rund 245 Berufen in der Grundbildung mit jährlich rund 210’000 Lehrverhältnissen in 26 Kantonen. Diese müssen die Bedingungen für die Umsetzung wiederum mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und den wohl rund 200 OdA aushandeln. Dies für die drei Lernorte (Berufsfachschule, Zentrum für überbetriebliche Kurse und Ausbildungsbetrieb). Eine unmögliche Aufgabe, dies bis ins Detail individualisieren zu können.

Dann schlage ich halt in der höheren Berufsbildung zu. Hier bleiben die Kantone vorweg, denn die 470 eidgenössischen Abschlüsse der höheren Berufsbildung werden zwischen den OdA und dem SBFI ausgefochten. Mit fast 600 Millionen Franken subventioniert das SBFI die höhere Berufsbildung und die eidgenössischen Prüfungen. Eine Frechheit, dass das SBFI eine akribische Abrechnung verlangt und sich in die Entwicklungsprojekte einzumischen erlaubt…


Das liest sich jetzt alles wie ein Verteidigungsplädoyer für die Bildungsverwaltungen. Doch eigentlich wollte ich den Amtsschimmel an die Zügel nehmen. Ich gebe zu, es ist nicht so harsch, wie geplant. Die Wolle im Bauch ist zwar mit jeder Verzögerung und Absage von Projekten gewachsen. Doch angesichts der schieren Masse an Aus- und Weiterbildungen ist es verständlich, dass die Bildungsverwaltungen nicht zu jedem Sonderwunsch Ja und Amen sagen können.

Sind die Bildungsverwaltungen denn nun frei von Schuld und Sühne? Mitnichten! Ein Pranger wäre in dieser Kolumne aber fehl am Platz. Deshalb äussere ich in gewohnter Feedback-Manier folgenden Wunsch, in der Hoffnung, dieser findet seinen Weg ins Gestüt: Ich wünsche mir, dass die Bildungsbeamten mit einem Mindset der Ermöglichung wirken. Es gibt heute tausend Gründe, wieso ein Vorhaben einer OdA nicht machbar ist. Unsere Similereiter sollen jedoch nicht die Reiter der Verunmöglichung, sondern Ritter des Ermöglichens sein.

Serge Frech

Kolumnist Serge Frech ist seit 2018 Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen im Bildungsumfeld tätig, zuletzt für den Gebäudetechnikverband Suissetec, wo er das Departement Bildung leitete und Mitglied der Geschäftsleitung war. Davor war er stellvertretender Chef Ausbildung im militärischen Nachrichtendienst.


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