Herr Schnidrig, aus vorherigen Gesprächen mit Ihnen wissen wir, dass Ihnen die Aus- und Weiterbildung in der ICT-Branche persönlich am Herzen liegen. Wie ist das denn bei Ihnen selbst – wie ist Ihre Karriere verlaufen, wie sind Sie in die IT geraten? Angefangen hat das, als ich 11 Jahre alt war. Unsere Nachbarn, die ein paar Jahre älter waren als ich, hatten einen Commodore 64. Ich habe das Ding gesehen und wusste: Ich brauch das auch. Meine Eltern waren hingegen weniger euphorisch (lacht). Dann habe ich angefangen, mit dem Velo und dem Anhänger die Züriwoche auszutragen, habe gespart und schliesslich meinen ersten C64 gekauft.
Da haben Sie aber ein paar Zeitungen ausgetragen. Ich konnte mir einen gebrauchten für 400 oder 500 Franken kaufen, daher gings erstaunlich schnell. Unser alter Fernseher und der C64 waren fortan mein Setup. Von da an war für mich klar: Ich will mit Computern arbeiten. Ich war also einer der Glücklichen, die schon sehr jung wussten, was sie mal machen wollen.
Und wie haben Sie den Einstieg in die IT dann offiziell gemacht? Es gab damals noch keine Informatiker-Lehren, daher habe ich etwas technisch verwandtes, in meinem Fall Elektrotechnik, gelernt. Da ich die Lehre bei Siemens gemacht habe, hatte ich dann auch mit SPS-Steuerungen (Anm. d. Red.: speicherprogrammierbare Steuerung) zu tun. Das war meine Welt. Da Siemens seine Lehrlinge nach dem Abschluss mindestens für ein Jahr behalten hat, habe ich mich für den internen PC-Support beworben und dort direkt nach der Lehre angefangen. Im Anschluss habe ich dann die Technikerschule für Informatiker gemacht.
Ein sehr klassischer Schweizer Bildungsweg – Lehre, Berufserfahrung, Weiterbildung.Genau. Und später habe ich dann noch ein Nachdiplomstudium absolviert.
Christoph Schnidrig, Head of Technology bei
AWS Schweiz: "Wir haben uns aktiv dafür eingesetzt, dass das Thema Cloud in den Lehrplan der Berufslehre kommt."
In Ihrer Rolle als Head of Technology bei AWS Schweiz unterstützen Sie verschiedene Bildungsinitiativen in der Schweizer ICT-Branche. Lassen Sie uns das auffächern. Welche Massnahmen für die ICT-Bildung gibt es vonseiten AWS in der Schweiz? Vorneweg: Wir sind sehr breit aufgestellt. Viele dieser Programme machen wir global, weitere bringen wir gezielt in die Länder, in denen wir Data Centers bauen. Für die Schweiz müssen diese aber teilweise angepasst werden, denn für viele unserer US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen ist unser Schweizer Bildungssystem neu. Das Ergebnis davon: Seit dem Sommer bilden wir gemeinsam mit Siemens in unseren Schweizer Rechenzentren Lehrlinge zu ICT-Fachleuten aus. Wir sind da sehr stolz drauf und wollen das nun weiter ausbauen.
Was sind die weiteren Massnahmen? In die Schweiz geholt haben wir etwa das Programm AWS Re/Start. Dieses soll Cloud-fremden Menschen einen Kickstart geben und richtet sich auch klar an Wieder- und Quereinsteinsteiger. Ebenfalls aus der globalen Organisation kommt Amazon Academy, wo wir Bildungsinstituten Unterlagen und Zugriff auf die Plattform zur Verfügung stellen.
Das richtet sich an Hochschulen? Anfangs ja, mittlerweile sind auch Berufs- und Technikerschulen dabei. Stand heute sind das 50 Bildungseinrichtungen mit teils mehreren Schulen. Wenn eine Organisation beim Programm registriert ist, können Dozenten entsprechende Module aufsetzen und es werden gleich auch die benötigten Accounts für die Studierenden provisioniert. Seit 2021 sind schon 7000 Lernende und Studierende durch einen solchen Kurs gegangen – Tendenz steigend. Stand heute sind alleine in diesem Jahr schon 200 Lehrer und 3800 Studierende im Programm. Wir haben uns dafür übrigens in der Schweiz mit ICT-Berufsbildung zusammengetan, damit wir das Programm lokal breit ausrollen konnten und haben uns aktiv dafür eingesetzt, dass das Thema Cloud in den Lehrplan der Berufslehre kommt. Nun sind bei den Applikations- und Plattformentwicklern entsprechende praxisrelevante Cloud-Module vorhanden, die wir mitentwickelt haben.
Die Lernenden lernen in der Ausbildung also in der AWS-Cloud mit AWS-Technologie? Der Lehrplan ist technologie-agnostisch gehalten, hat also keinen AWS-Anstrich. Es geht um Cloud-Services-Grundlagen, unabhängig vom Hersteller. Wir haben hierfür zwei Module gebaut, so wie wir diese für richtig halten, und haben diese im Anschluss open sourced. Die Lehrmittel kann sich also jeder herunterladen, nach Belieben anpassen und damit unterrichten. Das beinhaltet schriftliche Theorie, Videos und konkrete Labs mit Hands-on-Beispielen, die man auf Github findet. Wir haben bei
AWS in der Schweiz noch weitere Leute wie mich, die einen klassischen Schweizer Bildungsweg absolviert und mit viel Herzblut am Programm gearbeitet haben. Wir wollen für die hiesige IT-Bildung unseren Beitrag leisten – sowohl mit solchen Programmen als eben auch mit eigenen Lehrlingen.
Wie viele bilden Sie denn aus? Diesen Sommer starten drei ICT-Fachmänner und -frauen. Die Idee ist, dass wir nun Jahr für Jahr weitere dazunehmen.
Gibt es einen Horizont, wie viele es dereinst werden sollen? Konkrete Ziele gibt es noch nicht. Das wird nun weiter aufgebaut, intern mussten etwa einige Leute die nötigen Lehrmeisterkurse absolvieren. Die Zukunft des Programms ist dann sicher auch vom Erfolg abhängig. Wir würden das aber gerne ausweiten und künftig auch eine Lehre für Applikationsentwickler anbieten können.
Christoph Schnidrig, Head of Technology bei
AWS Schweiz: "Man muss einem VP erklären, warum man in ein Programm für eine Handvoll Lehrlinge investieren soll."
Die Bedarfsanalyse des von Ihnen bereits angesprochenen Branchenverbands ICT-Berufsbildung Schweiz fordert ja eine Lehrstellenquote von mehr als 8 Prozent bis 2030. Wie viele es bei AWS Schweiz mit den dreien heute? Wir veröffentlichen als Unternehmen keine Zahlen zu unseren Beschäftigen in der Schweiz. In den nächsten Jahren wollen wir die Lehrstellenquote aber weiter erhöhen.
AWS gibt’s hierzulande schon seit 2016, die Rechenzentren seit 2022. Ist der Grund, dass man erst jetzt startet, im stückweisen Aufbau des Programms zu verorten oder hat das andere Gründe? Wie vorhin schon angemerkt, muss ein internationaler Betrieb auch auf die Situation in der Schweiz vorbereitet werden.
Ganz besonders bei Unternehmen, die nicht aus Europa kommen, fehlt ja bekannterweise oft das Bewusstsein fürs Schweizer Berufsbildungssystem, wie Sie ja vorhin schon angemerkt haben. Sie mussten also intern lobbyieren, um die Lehrlinge in den Data Centers ausbilden zu können? Ja, aber wir haben das sehr "amazonian" gemacht, wie bei jedem neuen Projekt. Jeff Bezos wird ja gerne zitiert mit "keine Powerpoints und dafür Dokumente in Meetings" und das funktioniert in meinen Augen sehr gut. Auch diese Geschichte hat mit einem Paper angefangen, das ich mit ein paar Kollegen erstellt habe. Darin erklärten wir, wie das Schweizer Bildungssystem funktioniert, warum wir das machen wollen und wie viele Ressourcen benötigt werden. Das ist ein typischer Prozess für neue Projekte, der uns aus meiner Sicht auszeichnet und mit dem wir gute Ideen viel schneller skalieren können.
Und dann wurde das direkt angenommen? Im zweiten Anlauf hat's geklappt. Aber das war schon herausfordernd – man muss da einem VP in einem Meeting erklären, warum man in ein Programm für eine Handvoll Lehrlinge investieren soll, während global mehr als 31 Millionen Leute unser E-Learning-Programm genutzt haben (lacht). Aber da geht es eben nicht um eine halbe Stunde Video-Tutorial, sondern um drei bis vier Jahre Ausbildung.
…mit dem Vorteil, dass Lehrlinge auch oft bleiben, wenn das attraktiv ist. Absolut, ja. Ausserdem bilden wir bei unseren Kunden natürlich auch viele Leute weiter. Teils sind wir da sogar mit Kursen im Onboarding-Prozess vertreten. Ausserdem schulen wir auch viele weitere Bestandsmitarbeiter bei unseren Kunden. Und das geht natürlich weit über die erwähnten halbstündigen Videos hinaus. Ausserdem bieten wir Starthilfe für Start-ups mit gratis Credits und fachlicher Unterstützung.
Massnahmen wie diese beiden verändern aber letztlich nichts an der Fachkräftesituation. Da geht es ehrlicherweise um Kundenbindung, Business Development und Sales.
Fair enough. Anzumerken ist aber, dass Kunden, die eng in dieser Art mit uns arbeiten, den positiven Nebeneffekt spüren, dass sie als Arbeitgeber durch den Einsatz von
AWS am Arbeitsmarkt attraktiver werden.
Wohin geht’s bei AWS in Sachen IT-Bildung mit Blick nach vorne? Eine wichtige Sache für uns ist aktuell die AI Ready-Initiative, die wir weltweit an den Start gehen und im Rahmen derer wir bis 2025 2 Millionen Menschen in Sachen KI schulen wollen. Da gibt es eine Reihe von kostenlosen Kursen für alle, die unter anderem in Zusammenarbeit mit der Nonprofit Code.org entstanden sind und in denen teils auch Basiswissen angeboten wird.
Lassen Sie uns zum Schluss nochmal einen Schritt zurück machen. Wir haben einen massiven Fachkräftemangel in der Schweizer IT, der so schnell nicht weichen wird. Wie lässt sich das in Ihren Augen am besten lösen? Haben Sie Vorstellungen, Ideen oder Wünsche, wie wir das angehen können oder sehen Sie gar Lücken in unseren Bemühungen?Ich spreche hier ausdrücklich als Christoph Schnidrig. Was mir auffällt ist, dass wir in der Schweiz manchmal noch experimentierfreudiger sein können. Mein Wunsch wäre es, dass wir wissbegieriger gegenüber neuen Technologien sind und diese mutig testen, um als innovatives Land auch in Zukunft ganz vorne mitzuspielen.
(win)