Frechs Frechheiten: Die Fehlerkultur im Bildungs­system ist eine Frechheit!

Kolumnist Serge Frech ruft dazu auf, den Mut zum Scheitern zu haben, um so das Bildungssystem voranzubringen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/07

     

Die Fail Night von ICT-Berufsbildung Schweiz bot fünf Minuten nach Beginn ihren ersten Fail. Eine echte Fail Night eben. Sie ist immer ein Erfolg. Wenn keine Fehler passieren, sind alle beeindruckt. Wenn Fehler passieren, gehört es eben dazu. Das Schöne an dem Event ist, dass man entspannt sein kann. Und entsprechend ist auch der Spassfaktor höher. Die Fail Night von ICT-Berufsbildung Schweiz soll dazu dienen, eine Fehlerkultur im Berufsbildungssystem zu etablieren. Sie soll die Akteurinnen des Systems ermutigen, das Scheitern nicht zu verurteilen, sondern zu feiern.

Wie bitte? Herr und Frau Schweizer aka «Perfektionist/in» sollen das Scheitern feiern? Geht’s noch?


Ja! Wer scheitert, ist mutig. Mutig, etwas zu versuchen, ohne die Gewissheit zu haben, dass es funktioniert. Wer scheitert, hat gelernt, wieso etwas nicht funktioniert. Und so kann er oder sie es besser machen. So entsteht Fortschritt. Innovation kann nur gelingen, wenn man den Mut hat, etwas Neues zu versuchen. Etwas zu wagen. Ohne zu wissen, ob es das Bestehende besser macht.

Doch was hat das mit Bildung zu tun? Die Schweiz hat eines der besten Bildungssysteme der Welt. Wenn nicht sogar das Beste. Insbesondere das duale System ist in seinem Perfektionsgrad einmalig. Die Schweiz belegt Jahr für Jahr Spitzenplätze beim weltweiten Innovationsindex. Dies hat einen direkten Zusammenhang mit der Berufsbildung. Die niedrige Arbeitslosigkeit hat mit der Berufsbildung zu tun. Die Prosperität der Schweiz hat mit der Berufsbildung zu tun.

Also auf keinen Fall etwas ändern. Läuft! Und bloss keine Fehler machen, denn das System funktioniert. Oder: Never change a running system.

Die Welt, in der sich unser Berufsbildungssystem befindet, ändert sich jedoch ständig. Klimawandel, Sicherheitslage, Politik, Globalisierung, Digitalisierung, Zinsen, künstliche Intelligenz, Robotik, Social Media, Anspruchshaltungen an Arbeitgeber und Staat, und und und… Das einzig Stete ist der Wandel. Und eines Tages wird das beste System für die damalige Welt nicht mehr fit für die heutige oder morgige Welt sein. Dazu kommt, dass «die Anderen» neidisch auf unser duales System ­blicken. Sie kopieren das Funktionierende und verbessern es.
Wollen wir auch in Zukunft das beste Bildungs- oder Berufsbildungssystem haben? Ja? Dann müssen wir es stetig weiterentwickeln. Wir müssen Innovation, Evolution oder gar Revolution betreiben. Und das braucht Mut. Mut, Fehler zu machen, ­daraus zu lernen und es wieder versuchen. So lange, bis man keine Fehler mehr macht. Bis das System wieder fit ist. Und dann wieder von vorne beginnen.

Eine bedeutende Persönlichkeit des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat dem Autor einmal gesagt: «Das SBFI ist der Gralshüter des Bildungssystems» (Anmerkung des Autors: Ein Gral ist ein mittelalterliches, wunderbringendes Gefäss). In der Bildung sollten keine Grale gehütet werden. In der Bildung sollten Innovation gefördert, Fehler zugelassen und Risiko eingegangen werden. Nur so bringen wir das System weiter und machen es fit.


Die Fehlerkultur gehört in das Bildungssystem. Sie fördert den Mut, Risiken einzugehen, und die Unsicherheit als Herausforderung zu akzeptieren. So entsteht das Unternehmertum, das die Schweiz dermassen erfolgreich macht.

Doch wie wird eine Fehlerkultur gefördert? Durch Bewusstsein. Eine Organisation, ein System muss sich bewusst sein, dass nur stetiger Wandel konstant ist. Und um in diesem Wandel erfolgreich zu bleiben, muss man Neues wagen. Innovation betreiben und in Kauf nehmen, auf diesem Weg zu scheitern. Zu lernen.

Eine Fehlerkultur zu etablieren ist das Gegenteil von Sorglosigkeit. Denn es bedeutet, bestrebt zu sein, sich und das System zu verbessern. Seien wir mutig in der Bildung!

Serge Frech

Kolumnist Serge Frech ist seit 2018 Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen im Bildungsumfeld tätig, zuletzt für den Gebäudetechnikverband Suissetec, wo er das Departement Bildung leitete und Mitglied der Geschäftsleitung war. Davor war er stellvertretender Chef Ausbildung im militärischen Nachrichtendienst.


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