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CIO-Interview: «Wir sind ambitionierter Follower»
Quelle: Stadt Winterthur

CIO-Interview: «Wir sind ambitionierter Follower»

Nach über 25 Jahren ICT-Branche arbeitet Christian Manser seit Ende 2023 als CIO von Winterthur. Warum es in der Verwaltung nicht sinnvoll ist, Early Adopter zu sein, es dennoch viel zu bewegen gibt – und es Vorteile mit sich bringt, selbst nicht in Winterthur zu wohnen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/07

     

Swiss IT Magazine»: Herr Manser, nach 17 Jahren bei Abraxas beziehungsweise VRSG, was hat Sie dazu bewogen, ins Behördenumfeld zu wechseln?
Christian Manser:
Bei Abraxas und VRSG ist man als IT-Service-Provider natürlich ohnehin sehr nahe bei den Behörden. Von daher habe ich das gekannt und gewusst, was mich erwartet. Aber ich kann schon sagen: öffentliche Hand, das ist anders, das stimmt. Es läuft viel reglementierter und dadurch teilweise auch träger. Aber ich sehe gleichzeitig auch die Chancen, etwas zu bewegen und zu gestalten. Und meine Erfahrungen, die ich aus der Vergangenheit habe, die lassen sich sehr gut adaptieren. Der Druck, aber auch der Wille, im Hinblick auf die Digitalisierung etwas zu bewegen, ist derzeit in vielen Gemeinwesen gross. Bis vor der Covid-Krise hatten diesbezüglich viele eine abwartende Haltung. Dann hat man aber gemerkt, dass man mit einer gut durchdachten Digitalisierungsstrategie einiges zur Verwaltungseffizienz beitragen kann.

Es war also kein Kulturschock?
Nein, es war kein Kulturschock. Aber es ist teilweise schon ein anderes Schaffen. Es gibt beispielsweise viele Prozesse, die noch nicht elektronisch abgewickelt werden können. So erhält die Stadtverwaltung Winterthur wöchentlich immer noch rund 11‘000 Briefe in Papierform. Ich muss aber auch sagen: Wir haben bereits viel angestossen. Was die erwähnten Briefe angeht, genehmigte das Stadtparlament erst kürzlich ein Projekt zur Digitalisierung des Posteingangs, das durchgehend papierlose und medienbruchfreie Prozesse ermöglicht. Zudem tauschen wir aktuell die Finanzapplikationen aus, wir tauschen das HR-System aus, es gibt ein neues Geschäftsverwaltungsprogramm. Das sind recht grosse Projekte. Die Stadt Winterthur hat jährlich ein Budget von 1,9 Milliarden Franken und man hat gemerkt, dass es eine bessere technische Basis braucht. Und genau diese Kernsysteme erneuern wir aktuell, was es uns anschliessend erlaubt, Folgeaktionen forciert voranzutreiben, bei denen es um Automatisierung, Digitalisierung und vor allem Prozesseffizienz geht. Wir schaffen also die Basis, um im Folgenden sukzessive weitere Initiativen zu lancieren.


Ist das nicht eine Diskrepanz? Die ­Digitalisierungsstrategie 2023 der Stadt Winterthur macht Digital First bereits zum Leitsatz. Gleichzeitig muss aber überhaupt erst die technische ­Basis geschaffen werden.
Die Digitalisierungsstrategie ist in der Tat sehr progressiv. Vor allem, da Winterthur bisher eher vorsichtig vorgegangen ist – beispielsweise bezüglich Cloud-Dienstleistungen. Die Digitalisierungsstrategie ist breit abgestützt, auch politisch. Wir wissen, dass es ein weiter Weg ist. Aber es gilt, den ersten Schritt zu machen, die technologische Basis zu schaffen und die Kernsysteme bereitzustellen. Diese Basis gehört zur Strategie, um den eingeschlagenen Weg in den nächsten vier bis fünf Jahren konsequent zu beschreiten. Darüber hinaus hat eine Digitalisierungsstrategie stets viel mit Change-Management zu tun, und weniger mit rein technischen Fragen. Es geht darum, Menschen für neue Prozesse zu motivieren und sie zusammenzubringen. Gerade Verwaltungen sind generell stark in Silos ausgerichtet, ämterspezifisch und vertikal aufgestellt. Der erste Schritt muss also sein, dass man einen Querschnitt schafft, die Verwaltung harmonisiert und in den vielen Inseln Gemeinsamkeiten sucht. Einer der wichtigsten Hebel heisst daher Kooperation. Also innerhalb der Stadtverwaltung, aber auch über alle Staatsebenen der Schweiz hinweg, mit den Gemeinden und Städten, den Kantonen, bis hin zum Bund. Das muss allgemein noch besser werden. Aber man muss auch sagen, dass es hier in den letzten Jahren grosse Fortschritte gab.

Welche zum Beispiel?
Eine wichtige Grundlage, die uns lange gefehlt hat, ist die amtlich beglaubigte digitale Identität der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz.
Christian Manser
Christian Manser hat Ende 2023 den Posten als CIO der Stadt Winterthur übernommen und ist aus der IT-Branche in die Verwaltung gewechselt. Manser war zuvor 17 Jahre lang für den IT-Dienstleister Abraxas beziehungsweise das Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen (VRSG) tätig, das seit 2018 ebenfalls unter der Marke Abraxas firmiert. Zuletzt zeichnete er für den Bereich Infrastructure & Outsourcing mit rund 300 Mitarbeitenden verantwortlich. Nun ist er in neuer Rolle übergreifend für die IT-Infrastruktur sämtlicher Ämter und Betriebe der Stadt Winterthur zuständig.
Das heisst, mit der E-ID wird alles besser, einfacher und digitaler?
Dieser Meinung bin ich absolut. Bisher hat jeder Kanton, jedes Departement oder der Bund sich darauf verlassen, dass der Privatmarkt das Problem schon lösen wird. Aber es wurde nie ganzheitlich gelöst. Mit der amtlich beglaubigten Identität kommt hingegen eine zentrale Lösung und wir sind damit einen entscheidenden Schritt weiter.

Sie sind also guter Dinge, dass alles klappen wird? Immerhin war es bisher ein hürdenreicher Weg zur E-ID.
Das stimmt, es war ein hürdenreicher Weg. Aber ich muss sagen, dass der Bund das Zepter jetzt in die Hand genommen hat und das Bundesamt für Informationstechnologie in sehr kurzer Zeit sehr viel wettmachen konnte. Über die letzten zehn Jahre ist die Erkenntnis gereift, dass die digitale Identität Behördenaufgabe ist. Jetzt herrscht Klarheit.


Sie haben bereits angesprochen, dass sich auch die Kommunikation im Bund, über die Kantone hinweg und mit anderen Städten grundsätzlich verbessert hat. Woran liegt das?
Es gab natürlich schon früher verschiedene Gremien zum Austausch zwischen den Städten und Gemeinden. Aber eben auch ein gewisses Mitbewerber- oder Konkurrenzdenken. In der Zwischenzeit hat man gemerkt, dass es schlicht nicht sinnvoll ist, wenn jedes Amt und jede Behörde eine eigene Lösung sucht. Damit behindert man sich letztlich selbst. Es geht eben nur mit Kooperation. Und das Zusammenspiel Bund, Kantone, Gemeinde, das hat sich wie gesagt massiv verbessert. Davon bin ich überzeugt.

Arbeiten Sie denn ganz konkret mit den CIOs anderer Städte zusammen?
Auch das funktioniert mittlerweile sehr gut. Wir sind hervorragend vernetzt, die Gremien sind gut aufeinander abgestimmt. Es gibt beispielsweise das City CIO Network. Zu diesem gehören die CIOs der acht grössten Deutschschweizer Städte. Hier haben wir untereinander einen offenen, sehr professionellen Austausch. Wir lernen voneinander und verknüpfen gemeinsame Interessen.

Bis hin zur gemeinsamen Beschaffung?
Hier arbeiten wir wiederum mit eOperations Schweiz, der Nachfolgeorganisation der SIK. Denn es macht wenig Sinn, wenn wir Städte selbst beschaffen, wo es eigentlich Commodities gibt – also etablierte IT-Lösungen, welche eOperations Schweiz zentral beschafft. Für uns geht es also darum, vorab gewisse Interessen zu koordinieren oder die Vorarbeit für eOperations Schweiz zu leisten, um die Anforderungen der Gemeinden einzubringen. Dazu tun wir uns punktuell zusammen.
Wie bewerten Sie rückblickend eigentlich Ihren Start im vergangenen Jahr? Was haben Sie vorgefunden, was haben Sie in den letzten Monaten bewegt?
Allem voran muss ich sagen: Winterthur ist eine sehr offene, junge Stadt mit einer hohen Grunddynamik. Es lebt, es hat Kultur. Das war ein rundum positiver Eindruck zum Start. Was die Stadtverwaltung angeht, ist zudem der Austausch zwischen den Mitarbeitenden enorm offen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin mit offenen Armen aufgenommen worden, habe schnell ein Netzwerk aufbauen, Kontakte pflegen können. Das hat super funktioniert. Und auch die IT-Crew macht einen sehr engagierten Job, sie sind mit Herzblut dabei. Auch aufgrund vieler langjähriger Mitarbeitender, die ihr Handwerk im Griff haben. Die Basis-IT ist robust und zuverlässig, da kann man nichts sagen.


Und Angriffspunkte?
Wie erwähnt, war man bisher zurückhaltend gegenüber gewissen Themen wie beispielsweise der Cloud. Man hat sie eher als behindernd oder als Gefahr angesehen. Aber ich denke, dass gerade die Cloud eine riesige Chance ist, die wir nutzen müssen. Das soll natürlich nicht heissen, dass wir den gesamten Workload von null auf hundert in die Cloud bringen. Es gibt kritische Datenschutzthemen oder Bereiche mit sensitiven Daten wie beispielsweise Steuerdaten, das Sozialwesen oder Einwohnerdaten, bei denen die Cloud nicht geeignet ist. Aber es gibt eben auch andere Themen wie Security, moderne Kollaborationslösungen und allgemein Microsoft 365, bei denen wir den nächsten Schritt prüfen wollen. Und natürlich haben wir auch in der Verwaltung immer mehr junge Mitarbeitende, die teils ganz andere Erfahrungen und Arbeitsweisen mitbringen. Es funktioniert zwar auch heute alles, jeder kann gut arbeiten. Aber der nächste konsequente Schritt müssen die Kollaboration und offene Systeme über einzelne Ämter hinweg sein. Hier sind wir wieder bei der Digitalisierungsstrategie und prüfen, mit Basis-Cloud-Services die entsprechende Grundlage zu schaffen.
Sprechen wir dann von Public Cloud Services, lokalen Cloud-Anbietern oder doch einer eigenen Private Cloud?
Unser Rechenzentrum ist natürlich auch eine Cloud. Hier laufen alle kritischen Systeme. Darüber hinaus gibt es verschiedene Ansätze. Es gibt fix und fertige SaaS-Branchenlösungen, die in der Schweiz erbracht werden. Das wird schon heute praktiziert, auch in der Stadt Winterthur. Und dann gibt es noch die Cloud von Hyperscalern. Werden hier Leistungen bezogen, wird man sicherlich nicht mit dem ganzen Kernsystem und kompletten Workloads nach aussen gehen, sondern nur punktuell. Zu erwähnen ist zudem die klassische Bürokommunikation, beispielsweise mit Teams von M365. Das wird in diversen Städten und Gemeinden schon genutzt und auch wir planen, auf diesen Zug aufzuspringen. Wir befinden uns mit unserer aktuellen Lösung am Ende des Lifecycles und es macht Sinn, die bestehenden Möglichkeiten konsequent zu nutzen. Denn die Technologie hat sich in anderen Branchen bestens bewährt, es gibt mittlerweile sehr gute Best Practices auch zum Thema Datenschutz, aus denen man gelernt hat.

Es gibt also keine Bedenken mehr?
Natürlich gibt es bei jeder neuen Technologie gewisse Grundbedenken. Als Stadtverwaltung verantworten wir teilweise hochsensible Daten. Da muss Datenschutz immer das grosse Thema sein. Wir müssen uns also der Risiken bewusst sein, dürfen uns aber auch nicht verrückt machen. So heisst es beispielsweise auch bei M365 nicht, dass automatisch alle Daten in die Cloud wandern. Ich muss aber auch sagen, dass wir nicht der Early Adopter sind. Wir sind ambitionierter Follower. Das heisst, dass wir von anderen lernen, bis sich eine Technologie etabliert hat. Das ist sicherlich auch ein Vorteil der öffentlichen Hand und der Verwaltung: Man kann sehr viel von anderen profitieren und muss etwaige Fehler nicht selber machen.


Würde es im Behördenumfeld also schlicht keinen Sinn ergeben, als Early Adopter zu agieren?
Definitiv. Denn schlussendlich ist die wichtigste Frage, was genau mit den Steuergeldern passiert. Man macht nichts aus Selbstzweck oder weil man das gerade cool findet. Es geht darum, die Verwaltung effizienter zu gestalten, schneller zu werden, die Servicelandschaft für die Bevölkerung und Wirtschaft auszubauen. Das bedeutet aber auch, dass wir nicht die Vordersten sein müssen, um keine Risiken mit Investitionen einzugehen. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass sich nicht jede neue Technologie am Markt letztlich durchsetzt. Wir sind daher gut beraten, den Markt zu beobachten und sobald etwas reif ist und die Investitionsrisiken überschaubar sind, dann können wir es nutzen.
Würden Sie das Kritikern entgegnen, die sagen, dass das Behördenumfeld im digitalen Bereich zu zögerlich ist?
Ja, safety first. Wir können als eine der grössten Städte der Schweiz nicht einfach vorpreschen. Die Systeme sind über die föderalen Ebenen hinweg hochgradig miteinander vernetzt. Jeder Einzelweg kann daher gefährlich sein. Und man kann zudem grundsätzlich sehr viel vom Bund adaptieren. Aus gesetzgeberischer Sicht oder auch datenschutztechnisch. Der Bund hat hier ohnehin eine gewisse Schirmherrschaft inne.

Wie eng arbeiten Sie denn mit dem Bund zusammen?
Wir stehen im Austausch, sind in den entsprechenden Gremien vertreten und sehr gut informiert, was auf Bundesebene passiert. Die Kommunikationswege sind gut eingespielt. Das hat sich massiv verbessert in den letzten Jahren. Das hängt sicherlich auch mit der Erkenntnis zusammen, dass sich sämtliche wichtigen Daten auf kommunaler Ebene befinden. Datenlieferanten sind primär die Städte und Gemeinden. Und je reibungsloser das Zusammenspiel über alle Stufen also funktioniert, umso besser.


Sie arbeiten offensichtlich in einem komplexen Umfeld mit zahlreichen Stakeholdern – vom Bund bis hin zu den Einwohnern von Winterthur.
Das stimmt, aber genau das macht es ja auch so wahnsinnig spannend. Als CIO der Stadt Winterthur werde ich sicher nicht revolutionäre Projekte mit den neuesten Technologien und grosser Strahlkraft umsetzen können. Allein das Budget von 25 Millionen lässt keine Heldentaten zu. Gleichzeitig ist die Themenvielfalt aber immens. Da sprechen wir vom IT-Betrieb für die Kehrichtverwertungsanlage, Alters- und Pflegeheime, die Stadtpolizei über das Tiefbauamt bis hin zu Krematorien: Man hat eine enorm breite Kundschaft – alleine schon innerhalb der Verwaltung. Bevölkerung und Wirtschaft mit ihren individuellen Bedürfnissen kommen noch hinzu. Das ist das Spannende, die Vielschichtigkeit, das Interdisziplinäre. Das ist nicht nur IT wie in einem klassischen Betrieb. Es ist nicht nur Technologie allein, sondern es hat sehr viel damit zu tun, all diese Bedürfnisgruppen zusammenzubringen.

Es gehört also zu Ihren Aufgaben, bereichsübergreifend Silos aufzubrechen?
Absolut. Aber die erwähnen Silos, das ist natürlich nicht eine spezifische Eigenheit der Stadt Winterthur. Es geht um Gewohnheiten, die es in jeder Verwaltung gibt – ob im Einwohneramt, im Steueramt oder im Bauamt. Man ist es verständlicherweise gewöhnt, in der eigenen Fachdomäne zu denken. Und dann kommen IT-Themen und die Digitalisierung, und es geht plötzlich darum, Vernetzung reinzubringen. Nur so können wir Digitalisierung in der ganzen Organisation ermöglichen und gemeinsam neue Wege beschreiten. Das braucht Maturität, das braucht offenes Denken und die Fähigkeit, über die einzelnen Bereiche, die einzelnen Projekte hinauszublicken.
Unterscheidet sich Ihre jetzige Arbeit eigentlich stark von Ihrer Arbeit der vergangenen 17 Jahre?
Eigentlich nicht. Jetzt sind es vor allem interne Kunden, vorher waren es externe Kunden. So kann man sich aber ganz auf diese konzentrieren und den Fokus halten. Das Arbeitsumfeld ist regional und gut überschaubar: Wir arbeiten für die Stadt Winterthur in der Stadt Winterthur.

Sind Sie denn für den Posten nach Winterthur gezogen?
Nein, ich wohne immer noch am Bodensee. Ich bin das aber auch gewohnt. Immerhin habe ich die vergangenen Jahre viel Zeit mit dem Laptop und dem Headset im Zug verbracht. Und wir sind am Hauptsitz der Winterthurer Stadtverwaltung sehr nahe am Hauptbahnhof, das ist also perfekt gelegen.


Ist es aber nicht schwierig, dennoch den Finger am Puls der Stadt zu behalten?
Ich sehe das zum Teil sogar als Vorteil. Ich bin politisch und auch sonst nicht verbandelt mit der Stadt. Ich kann meine Aussenansicht einbringen. Es gibt keinerlei Abhängigkeiten und ich kann relativ unbedarft an die Themen herangehen. Aber mir ist auch wichtig, meine Kontakte auszubauen, um die Ansprüche besser zu verstehen, mich auszutauschen und so Projekte gemeinsam voranzubringen.

Welche Rolle spielt hier die bereits erwähnte Digitalisierungsstrategie?
Ich bin sehr froh, dass die Digitalisierungsstrategie eben nicht ausschliesslich durch die IT-Abteilung entwickelt wurde, sondern sich breit in der Stadtverwaltung abstützt und verschiedenste Stakeholder mit einbindet.

Warum das?
Da geht es unter anderem ganz klassisch um das Not-Invented-Here-Syndrom. Also eine abwehrende Haltung gegenüber Ideen und Innovationen, die aus einer anderen Organisation oder Abteilung kommen. Bei diesem Effekt ist daher nicht unbedingt entscheidend, was in einem Strategiepapier steht. Sondern spannend ist der ganze Prozess vorab, bis das Papier überhaupt steht. Es geht darum, dass jeder seinen Input einbringt, im Positiven wie im Negativen. So kann man Betroffene zu Beteiligten machen, die sich letztlich ganz mit dem Entstehungsprozess identifizieren.
Ist auch der Austausch mit dem neu ­gegründeten Digitalgremium bereits angelaufen?
Ja, der läuft. Das neu geschaffene strategische Digitalisierungsboard mit Vertreterinnen und Vertretern aller Departemente hat sich konstituiert. Wir befinden uns nun im Findungsprozess, jeder muss seine Rolle finden, Abläufe müssen definiert, Governance-Themen geklärt werden. Aber hier ist genau der Punkt: Indem wir das tun, lernen wir, über Departemente und Ämter hinweg zusammenzuarbeiten und gemeinsame Projekte zu lancieren.

Aber macht genau das den Prozess nicht wieder langsamer?
Ja, auf den ersten Blick macht es den Prozess langsamer. Aber es gibt den treffenden Spruch in der IT: Sage mir, wie ein Projekt beginnt und ich sage dir, wie es endet. Es lohnt sich am Anfang einfach, etwas breiter, in mehreren Dimensionen zu denken und mehr zu investieren. Dann läuft es in der Umsetzung auch ruhiger und runder. Denn hinterher zu korrigieren, ist immer sehr viel anspruchsvoller und teurer. Das habe ich auch aus meiner Arbeit in der IT gelernt.


Profitieren Sie eigentlich von Ihren Verbindungen in die IT-Branche?
Ja, auf jeden Fall. Es hilft, wenn man eine Branche kennt und weiss, wer gegebenenfalls unterstützen kann. Daher ist auch der Austausch sehr wichtig, beispielsweise auch, wenn man neue Themen anpackt, bei denen man nicht auf eigene Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Natürlich müssen dabei immer die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens berücksichtigt werden. Es darf keine Vorbefassung geben, das muss entsprechend deklariert werden, um keine juristische Angriffsfläche zu schaffen. Aber davon abgesehen ist es enorm hilfreich, dass ich die meisten Applikationen und Fachthemen einfach schon aus meiner Vergangenheit kenne.

Sehen Sie die Beschaffungsvorgaben als bremsenden Faktor?
Die Frage, wie nutzstiftend das öffentliche Beschaffungswesen ist, ist eine politische und muss an anderer Stelle diskutiert werden. Persönlich sehe ich das Konstrukt durchaus auch kritisch. Ziel der Beschaffungsvorgaben ist es, günstiger und transparenter zu werden. Aber ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass die Realität nicht immer diesem Anspruch gerecht wird. Natürlich muss die Beschaffung transparent sein und alle Anbieter müssen gleich lange Spiesse haben. Aber teilweise wird für eine Submission ein solcher Aufwand generiert, dass man froh sein muss, wenn man Anbieter findet, die diesen überhaupt auf sich nehmen. Das ist zum Teil nicht mehr wirtschaftlich. Auch verwaltungsintern dauert ein Submissionsprozess schnell ein dreiviertel Jahr bis ein Jahr. Das ist nicht förderlich für eine dynamische Verwaltung. Und da man jede Lösung und Dienstleistung regelmässig neu ausschreiben muss, ist die Attraktivität für einen Anbieter abermals geringer. Es gibt zu wenig Sicherheit. Dabei böte Kontinuität – und damit die Möglichkeit, ein System sukzessive zu optimieren und weiterzuentwickeln – gerade in der IT grosses Sparpotenzial. Eine schlanke und betriebswirtschaftlich effizient betriebene IT hat sehr viel mit Kontinuität, Langlebigkeit und Verlässlichkeit zu tun. Und das steht teils konträr zum Beschaffungswesen.

Ein Spannungsfeld aus Politik, technischen Treibern und internen Anforderungen: Sind Sie rückblickend zufrieden mit Ihrem Wechsel?
Ja, definitiv. Wie erwähnt, habe ich ein engagiertes Team und einen sehr guten Austausch mit meinen Mitarbeitenden. Ich habe in den letzten Monaten die verschiedenen Departemente und Ämter kennengelernt und bin immer mit offenen Armen empfangen worden. Sicher, Wünsche und Ansprüche gibt es vielerlei. Gleichzeitig erfahre ich in der gesamten Verwaltung einen offenen, zielorientierten und kollegialen Austausch. Und das sage ich jetzt nicht einfach nur so. Darin sehe ich einen der grossen Hebel der Stadt Winterthur. Wir haben eine gute Arbeitskultur und das ist eine entscheidende Grundvoraussetzung für Change-Vorhaben und die Digitalisierung im Allgemeinen. Und davon abgesehen, macht es einfach Spass in Winterthur. Winterthur ist eine wachsende, lebhafte Stadt. Da geht in den kommenden Jahren sicher noch die Post ab. (sta)
Digitalisierungsstrategie der Stadt Winterthur
Mit der im Juli 2023 verabschiedeten Digitalisierungsstrategie will Winterthur der digitalen Entwicklung der Stadt eine einheitliche Richtung geben und diese mit neuen Entwicklungsimpulsen ergänzen, laufende und in Planung stehende Vorhaben koordinieren sowie die gesamtstädtische Sicht bei der Entwicklung digitaler Angebote verstärken. Zentrales Element sind dabei sechs Handlungsfelder: ein digitales Leistungsangebot («Digital First»), effiziente Prozesse, kulturelle sowie strukturelle Anpassungen für eine gesamtheitliche digitale Transformation, die Befähigung der Mitarbeitenden sowie ein modernes Arbeitsumfeld, ein nutzenbringendes, transparentes Datenmanagement und nicht zuletzt das Mitwirken verschiedenster Anspruchsgruppen der Stadt. Auf dieser Basis will die Stadt wiederum ein Portfolio an künftigen Digitalisierungsvorhaben mit hoher Relevanz definieren. Die aktuelle Digitalisierungsstrategie gilt für den Zeitraum 2023 bis 2026, nach Bedarf wird sie alle vier Jahre angepasst.


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