CIO-Interview: «Wir betreiben nur noch Netzwerk-­Kompo­nenten ­On-Premises»
Quelle: Vitra

CIO-Interview: «Wir betreiben nur noch Netzwerk-­Kompo­nenten ­On-Premises»

Christian Schneider treibt als CIO beim Möbelhersteller Vitra die Digitalisierung voran und spricht im Interview über steigende Anforderungen und die Vorteile, sein Rechenzentrum in die Cloud ausgelagert zu haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/03

     

"Swiss IT Magazine": Herr Schneider, beschäftigen Sie sich aktuell eigentlich mit Künstlicher Intelligenz? Sehen Sie bereits einen konkreten Nutzen der Technologie für Vitra, vor allem von Generativer KI?
Christian Schneider:
Ja, absolut. Wir haben letzten Sommer damit begonnen, verschiedene Fälle zu identifizieren, die wir uns konkret anschauen wollen. Wir haben eine Liste erstellt und dann ausgewählt, mit was wir unmittelbar starten können: Ob Bildbearbeitung oder das Engineering von Bauteilen, Textgenerierung im Marketing und natürlich Coding-Assistenten in der IT. Mittlerweile schauen wir uns auch Fälle an, bei denen es mehr Datenvorarbeit oder auch Entwicklung braucht. Bei denen man die Lösung nicht einfach «out of the box» nehmen kann, sondern sie anreichern oder verbinden muss.

Generative KI wird als grosser Game Changer gehandelt. Wie sehen Sie das?
Wir versuchen das in zwei Dimensionen zu betrachten: Welche Themen sind wirklich game changing und was sind eher Optimierungs-Cases. Auf der Game-changing-Seite haben wir weniger Punkte stehen. Was aber nicht bedeutet, dass der Impact im Endeffekt nicht deutlich grösser ist. Da sehen wir bei uns auch ein, zwei Themen, die künftig komplett verändern könnten, wie Menschen mit ihrer Umgebung umgehen oder wie sie Produkte auswählen oder planen. Aber das ist noch nichts, was sehr reif ist und das wir für die nächsten Monaten erwarten. Aber es gibt definitiv Bereiche, in denen wir beobachten, ob wir investieren müssen, um einen Vorsprung zu erhalten.


Können Sie konkrete Bereiche nennen?
Das ist zum einen die Möglichkeit, wie sich Kundinnen und Kunden Produkte in einer Umgebung vorstellen können, kombiniert beispielsweise mit einem Spatial-Computer. Man nutzt also zum Beispiel eine Apple Vision Pro, schaut sich einen Raum an, es kommt unser Service hinzu und man sieht, wie man den Raum im Vitra-Style gestalten oder wie man ihn optimieren kann. Hier kämen also KI-basiertes Rendering mit Objekt- und Stil­erkennung sowie Recommendation-Algorithmen zusammen, die vorschlagen, was aus unserem Katalog passt, und das direkt reinprojizieren. Zudem gibt es natürlich ganz viele Anwendungsfälle für unsere internen Prozesse. Aber das sind weniger Game-changing- als vielmehr Optimierungsaspekte.

Christian Schneider

Christian Schneider ist seit über neun Jahren für den Schweizer Möbelhersteller Vitra tätig, zuerst in der Funktion als Head Internal Projects, seit Mai 2018 dann als CIO. In die IT ist er als Quereinsteiger gelangt. Seine Schwerpunkte lagen vor allem im Prozess- und Business-­Management. Ein interner Wechsel ebnete ihm dann aber den Weg in das IT-Team.
Was sind denn aktuell grundsätzlich die wichtigsten Themen Ihrer Arbeit?
Schwerpunkte aus unserer Sicht sind hauptsächlich Customer Experience und Operational Efficiency. Customer Experience kommt vor allem daher, dass wir sehr viele verschiedene Kanäle und somit auch Prozesse haben. Das reicht vom eigenen Online-Geschäft und eigenen physischen Länden bis hin zu diversen Händler-Kanälen im indirekten Vertrieb. Wir sprechen intern von Omnichannel und das trifft bei uns auch wirklich zu. All diese Kanäle mit einer digitalen Landschaft zu bedienen und das in einer Qualität, die dem Segment unserer Möbel gerecht wird, ist ein grosser Bestandteil unserer Arbeit. Das andere trifft wohl auf die meisten Unternehmen zu: Wir wollen auf digitalem Wege die Produktivität steigern. Wir wollen Prozesse automatisieren, Hilfestellung leisten und so die Produktivität entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhöhen – von der Beschaffung über die Produktion, den Vertrieb, die Produktentwicklung, den Support bis hin zum Schlagwort Employee Experience. Also das Ziel, dass man auch den Mitarbeitenden ein motivierendes Arbeitsumfeld schaffen möchte. Das Dritte ist ein Bereich, mit dem wir uns beschäftigen, aber sicherlich noch nicht führend sind. Das ist der Bereich, den man gemeinhin als Digitale Transformation versteht. Im Sinne von einem Produkt, das wirklich digital wird. Hier stehen wir erst am Anfang. Unsere Produkte sind sehr analog und bewusst zeitlos. Wir geben teilweise 30 Jahre Garantie. Wir arbeiten nun daran, den Lebenszyklus unserer Produkte noch weiter zu verlängern, wobei auch ein digitaler Zwilling unserer Produkte immer wichtiger wird. Wir haben bereits gewisse Ansätze in diese Richtung in Form einer Registrierungs- und einer Circularity-Plattform. Grundsätzlich ist Nachhaltigkeit bei uns ein grosses, strategisches Thema. Hier wird unternehmensweit sehr viel gemacht wie zum Beispiel der Einsatz neuer, umweltfreudlicher Materialien – und natürlich möchten wir als IT unterstützen, wo möglich.

Würden Sie Vitra denn als Early Adop­ter bezeichnen?
Nein, ich glaube, das sind wir nicht. In den meisten Bereichen sind wir Fast Follower. Aber es gibt sicherlich Bereiche, vor allem nahe an unseren Kernkompetenzen, da sagen wir, dass wir uns differenzieren möchten. Beispielsweise, wenn es um die digitale Darstellung unserer Produkte geht. Dann sind wir durchaus auch mal Pioniere. In der Finanzkonsolidierung müssen wir hingegen nicht unbedingt die ersten sein, die ein neues Modell ausprobieren (lacht).


Was hat Sie eigentlich in die IT geführt? Sie haben keinen klassischen IT-Werdegang hinter sich, kommen eher aus dem Business- beziehungsweise Prozess-Umfeld.
Ja, ich bin Quereinsteiger, es war kein klassischer Werdegang. Nichtsdestotrotz ist es so, dass ich mich schon immer mit dem Thema IT beschäftigt habe. Schon in meinem Studium habe ich nebenher gejobbt, als Assistent an der ETH, und da habe ich Lerninhalte entwickelt und programmiert. Und auch bei meinen weiteren beruflichen Stationen habe ich mich stets mit der Einführung neuer Prozesse oder Lösungen beschäftigt, damals unter anderem noch Lotus Notes oder HR- oder ERP-Lösungen. Und das immer sehr stark Hand in Hand mit der IT. Bei Vitra hatte ich zum Start ebenfalls die Verantwortung für strategische Projekte. Und dann kam es vor sechs Jahren durch einen internen Wechsel dazu, dass ich ins IT-Team gehen konnte. Und das habe ich nie bereut.

Und woher kommt Ihr IT-Know-how? Oder konzentrieren Sie sich in Ihrer Arbeit auch heute eher auf die Prozess- und Business-Aspekte und das Team kümmert sich um die technischen Aufgaben?
Wir haben auf jeden Fall ein starkes Team, viel Know-how in den einzelnen Bereichen und ganz sicher ist es so, dass ich keinen neuen Server aufsetzen kann, keine neue Firewall-Rule erstellen, etwas am ABAP-Code debuggen oder einen neuen Prozess customizen kann. Aber klar, mit der Zeit eignet man sich ein Verständnis an – in Gesprächen, in Meetings, durch Lesen und Nachvollziehen. Das Wichtigste ist der Dialog und die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Mein Geschäftsverständnis und das Prozessverständnis helfen bei der Übersetzung von Anforderungen in Richtung IT und innerhalb der IT. Als IT-Abteilung eines mittelständischen Unternehmens machen wir alles von der Bereitstellung von Handys und Laptops über WLAN, Infrastruktur und Cybersecurity bis hin zum Online-Shop. Das kann man nicht alles als Einzelperson abdecken. Das klappt nur in Teamarbeit. Und ich zähle mich dazu.

Wie gross ist denn der Anteil des Tagesgeschäftes, also Handys, Laptops und WLAN, und wie stark können Sie im Gegenzug Digitalisierungs- und Innovationsthemen vorantreiben?
Das ist eine spannende Frage. Es gibt natürlich immer den Wunsch, möglichst viel Innovation, viel Veränderung und Verbesserung leisten zu können. In der Realität ist es gemischt. Und das ist auch nicht in jedem Team gleich. Es gibt Personen, die sind komplett DevOps und machen beides parallel, in anderen Bereichen ist es eher unterteilt. Da sind einige Funktionen stärker Ops und andere sind stärker in der Entwicklung. Insgesamt versuchen wir vor allem in den applikationsorientierten Bereichen auf einen Split, also auf fifty-fifty zu gehen. Aber wie gesagt, das ist sehr stark durchmischt. Wir versuchen so viel wie möglich in Richtung Digitalisierung zu investieren. Eine Herausforderung ist sicherlich, dass jedes Jahr neue Themen hinzukommen und mit jedem System, das neu eingeführt wird, erhöht sich auch die Last des operativen Geschäfts.


Ist also über die vergangenen Jahre die Last auf Ihrem Team gestiegen?
Ja, das ist ganz sicher so. Die Digitalisierung schreitet voran und wenn man das vergleicht mit vor fünf oder vor zehn Jahren, dann sehen wir diverse Prozesse, die früher komplett analog waren. Bei denen man gar nicht an IT gedacht hat oder wo es vielleicht eine kleine Insellösung gegeben hat. Heute gibt es da eine Lösung, die ist integriert, die hat Schnittstellen, da gibt es Veränderung. Es gibt mehr, in das wir involviert sind, worum wir uns kümmern müssen. Gleichzeitig versuchen wir zu optimieren, wir haben beispielsweise viele Cloud-Systeme, die wir nicht mehr selbst gehostet haben. Es fallen also auch Sachen weg. Wir haben zudem in unserem IT-Service-Management sehr viel automatisiert. Fast 50 Prozent unserer Requested Items werden vollautomatisch bearbeitet, ohne einen single Touch von uns. Das entlastet. Das sind Tausende von Tickets, die wegfallen. Aber natürlich kommen gleichzeitlich auch neue Sachen hinzu. Schon allein mit Blick auf die Personen, die mit der IT in Kontakt stehen. Da war früher einfach ein ganzer Teil der Belegschaft aussen vor. Das ist heute nicht mehr so.

Es heisst ja heutzutage, dass sich die IT vom rein Technischen weg entwickeln muss, hin zum Business Enabler im Unternehmen. Sehen Sie sich und Ihr Team schon in dieser Rolle angekommen beziehungsweise befinden Sie sich in dieser Entwicklung?
Ja, die Entwicklung gibt es definitiv. Ist sie schon abschlossen? Nein. Ich sehe es auch so, dass es die Hauptaufgabe ist, Digitalisierung nicht nur in der IT, sondern im ganzen Unternehmen aktiv voranzutreiben. Und die Grenzen verschwimmen immer mehr. Wir arbeiten teils mit gemischten Teams, die viel mehr ein digitales Thema vertreten als eine bestimmte organisatorische Abteilung. Da sind wir auf jeden Fall schon unterwegs, auch wenn wir das noch nicht abgeschlossen haben. Dazu gehört auch ein verändertes Führungsverständnis – sowohl für mich als auch für andere Führungskräfte. Es geht weniger um das Kontrollieren bestimmter technischer Aspekte als vielmehr um das Orchestrieren. Die Kompetenzen, Ressourcen und Befugnisse sind stärker verteilt und gemischt. Die Zusammen­arbeit mit anderen CXOs, die wiederum Verantwortung übernehmen für bestimmte digitale Bereiche, gewinnt weiter an Bedeutung. Sicher, die technologische Foundation, die wird noch lange im direkten Verantwortungsbereich von mir beziehungsweise von CIOs bleiben. Aber darüber hinaus ist die digitale Verantwortung viel stärker verteiltet.

Wird bei Vitra das Thema Digitalisierung denn auch von ganz oben getrieben, sprich auf Ebene der Geschäftsführung?
Ja, definitiv. Wir haben eine sehr digitalaffine Geschäftsführung, die das Thema unterstützt und die sich dessen bewusst ist und da auch mithilft.


In welchen Aspekten unterscheidet sich Ihre Arbeit bei einem Möbelunternehmen wie Vitra von der CIO-Tätigkeit in anderen Branchen? Sehen Sie hier Unterschiede?
Es gibt schon einige Spezifika, vor allem bei der Konfigurierbarkeit unserer Produkte. Ein Grossteil unserer Produkte ist konfigurierbar und wird auf Kundenbestellung hin gefertigt. Man vermutet es kaum, aber so ein Bürodrehstuhl kann gut und gerne mal in drei Millionen unterschiedlichen Varianten daherkommen. Bei anderen Produkten gibt es sogar unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Hinzu kommen Spezialanfertigungen für Kunden. Alle Schritte – vom Engineering bis zur Produktion – müssen damit umgehen können. Diese Komplexität abzubilden, ist ein Schwerpunkt und eine Spezialität in unserer Branche. Diese Herausforderung besteht nicht nur bei Vitra, sondern in der Möbelbranche allgemein. Der deutsche Industrieverband Büro und Arbeitswelt hatte in den 90er Jahren daher begonnen, zusammen mit anderen Partnern einen Datenstandard zu entwickeln, die Office Furniture Modeling Language. Diesen nutzen wir. Wir arbeiten aber auch aktiv in den Gremien des Verbundes mit, um diesen Standard weiterzuentwickeln. Und wir sind hier teils führend in der Anwendung von Neuerungen.
Ist es denn grundsätzlich schwieriger, in einer analog geprägten Branche Digitalisierung umzusetzen als beispielsweise im Tech-Umfeld?
Das kann ich nur schwer persönlich vergleichen, da ich selbst noch nie in einem reinen Tech-Unternehmen gearbeitet habe. Aber es hat sicher Vor- und Nachteile. Wir sind kein Tech-Unternehmen, sondern ein digitalaffines produzierendes Unternehmen. Das eröffnet einem viele Möglichkeiten, die Spielwiese der Digitalisierung ist sehr breit. Man kann an sehr vielen Orten ansetzen. Teilweise muss man aber aufpassen, dass man nicht einen Ansatz, der aus der Tech-Welt kommt und dort sehr gut funktioniert, einfach eins zu eins überstülpt. Beispielsweise agile Arbeitsmethoden. Das kommt sehr stark aus der Softwareentwicklung. Aber wenn man sich überlegt, die man ein Möbel entwickelt, dann gibt es physikalische Realitäten, die sich schlicht unterscheiden. Das heisst nicht, dass es gar nicht anwendbar ist. Aber man kann sicher nicht das Playbook von Google oder Amazon einfach übernehmen. Aber das ist auch okay. Es gibt ja genügend Beispiele und Inspirationen aus einem ähnlichen Kontext wie dem unseren. Es gibt aber auch Beschränkungen, physische Beschränkungen. Sicher ist es so, dass wir im Vergleich zu einem Tech-Unternehmen oder zu reinen Dienstleistungsunternehmen nicht komplett digitalisiert sind. Ich denke da an die bekannte Theorie von den Bit Companies und den Atom Companies von Nicholas Negroponte. Die Digitalisierung bei den Bit Companies schreitet tendenziell schneller voran. Das heisst aber nicht, dass die Atom Companies nicht digitalisiert werden. Aber es ist eine hybride Technologisierung. Das Unternehmen wird digital, aber gleichzeitig bleibt ein Atom-Bestandteil bestehen. Wir designen, fertigen und verkaufen immer noch Stühle, aber der Weg, wie wir das tun, der ändert sich.

Was waren denn in den rund sechs Jahren als CIO die wichtigsten, spannendsten oder auch herausforderndsten Projekte?
Ein Thema ist natürlich das agile Arbeiten. Das wird sehr stark von mir als CIO getrieben. Das ist sicher auch in anderen Bereichen ein Thema. Aber gerade bei den digitalen Tools sind wir als IT federführend. Zudem haben wir unser gesamtes Rechenzentrum ausgelagert. Das war organisatorisch für uns eine grosse Veränderung: Weg von «alles selbst machen, alles selbst kontrollieren», hin zu einem ganzen Rechenzentrum aus der Private Cloud von einem Provider.


Handelt es sich um einen Schweizer Provider? Und fiel die Entscheidung ganz bewusst für die Private statt die Public Cloud?
Genau, das ist ein Schweizer Anbieter. Das war 2017/2018 für uns ein wichtiges Argument. Und die Private Cloud deshalb, da es damals einfach keine Option war, komplett in die Public Cloud zu gehen. Teilweise gilt das noch heute, teils hat sich die Situation verändert. Vorteile der Cloud-Lösung waren für uns Punkte wie Flexibilität, Skalierbarkeit und Handling von Themen wie Sicherheit, Redundanz oder Disaster Recovery. Da hat man bei Providern im Vergleich zu einer internen Lösung sicherlich Skaleneffekte. Inzwischen verfolgen wir einen Multi-Cloud-Ansatz, weil es immer mehr SaaS-Lösungen gibt, die rund um diese Private Cloud schweben. Wir gehen aktuell mit vielen Workloads in Richtung Azure und AWS.

Das heisst wiederum, Sie betreiben überhaupt keine Infrastruktur mehr On-Premises.
Nein, wir betreiben wirklich nur noch Netzwerk-Komponenten On-Premises. Wir haben auch unsere Kühlsysteme zurückgebaut, um Strom zu sparen, und das signifikant. Das passt gut zu unseren Nachhaltigkeitszielen. Wir haben keine eigenen Server mehr. Ein altes E-Mail-­Archivierungssystem, das jetzt in die Cloud migriert wird, das ist das letzte, was wir jetzt abhängen werden.

Eine Entscheidung, vor der viele Unternehmen stehen. Sind Sie rückblickend zufrieden mit diesem Schritt?
Aus meiner Sicht würde ich sagen: ja. Es gibt sicherlich Punkte, die könnten noch besser laufen. In der Praxis gibt es immer gewisse Themen, bei denen man sagt, das hätte man schneller oder das hätte man unbürokratischer lösen können. Also will ich nicht naiv sagen, dass alles nur besser wäre. Aber insgesamt glaube ich, es war der richtige Schritt. Wir haben die Skalierbarkeit, die Flexibilität, die wichtig ist, und wir haben uns auch befreit von gewissen Arbeiten, bei denen wir sagen, dass wir als IT kein Differenzierungsmerkmal leisten können für Vitra. Unserer Produktion oder unserem Vertrieb ist es am Ende egal, ob das System auf Datenbank X oder Y läuft oder in Rechenzentrum 1 oder 2. Aber wir mussten uns zuvor damit beschäftigen und für uns war das Zeit und Energie. Klar, wir bezahlen jetzt natürlich dafür. Es ist nicht so, dass man das umsonst bekommt. Aber ein Teil des Aufwandes fällt weg, und von daher bereue ich diesen Schritt nicht. Und mit all den Entwicklungen in Richtung SaaS ist es für Unternehmen zudem nur eine Frage der Zeit, bis eine Cloud-Umgebung der Standard ist.

Ist der Weg in die Cloud also eine gute Option, die steigende Komplexität in der IT zu reduzieren, vor allem als mittelständisches Unternehmen?
Definitiv, ja. Wobei man schon vorsichtig sein muss. Es ist ja nicht so, dass man dann nichts mehr tun muss. Wenn es schwierig wird, muss man nach wie vor mit dabei sein und helfen. Es braucht zudem den Anspruch, gewisse Dinge auch weiterhin zu verstehen, um die Weiterentwicklung mitgestalten zu können. Aber klar, gewisse Themen, die bleiben aussen vor. Und die Komplexität geht tatsächlich zurück. Ich glaube nicht, dass wir uns als mittelständisches Unternehmen damit beschäftigen müssen, welche Blades oder welches Kühlsystem Amazon in seinen Rechenzentren einsetzt. In unserem eigenen Rechenzentrum waren das durchaus Fragen, mit denen wir uns beschäftigen mussten.


Gab es noch weitere herausfordernde Projekte neben der Cloud-Migration?
Spannend war bei uns in den letzten ein bis zwei Jahren das Thema Datenmanagement. Die Produktdaten lagen bisher verteilt in verschiedenen Bereichen, teilweise sehr fragmentiert, teilweise schon in Teams zusammengezogen. Das haben wir jetzt unter dem Dach der IT in einem Produktdatenteam zentralisiert. Das ist ein spannender Aspekt, denn das Team macht keine IT, sondern es nutzt IT und es macht Daten. Entscheidend ist das auch in Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung und beispielsweise Themen wie den Digital Twin. Hier ist so eine Struktur organisatorisch von grosser Bedeutung. Spannend war auch die Einführung verschiedener Cloud-Plattformen, unter anderem im Customer-Bereich basierend auf Salesforce. Sales, Service, Field Service, Marketing – alle kundenseitigen Prozesse laufen jetzt auf einer Plattform mit einem geteilten Datenmodell zusammen, mit der Idee, dass wir eine möglichst gute Sicht auf den Kunden erhalten. Eine relativ ähnliche Überlegung gab es rund um die Mitarbeitenden, wo wir das auch auf Success-Factors-Ebene gemacht haben, um alle Prozesse von Hire bis Retire abzubilden. Und der dritte Bereich war ein Analytics Reporting mit Power BI auf einer Microsoft-Umgebung. Jetzt sind wir aktuell dabei, die ganzen Datentöpfe in Azure Synapse beziehungsweise Azure Fabric umzuziehen.

Gab es zudem ein besonders komplexes Projekt?
Ein Highlight aus Komplexitätssicht war unser S/4 Hana-Umzug. Wir hatten in 2021/22 nach Hin- und Herüberlegungen eine Migration von unserem ECC-SAP-System auf S/4 Hana in einem Bluefield-Ansatz umgesetzt. Wir haben probiert, so viele Daten wie möglich zurückzulassen. Und es ist uns tatsächlich gelungen, das Datenvolumen um mehr als 50 Prozent zu reduzieren und zu bereinigen. Wir haben gleichzeitig Sachen eingeführt wie Business Partner, einen einheitlichen Kontenplan, Serialnummern und wir haben 130 Schnittstellen umgestellt. Zudem stammt unser ursprüngliches SAP-System aus der Mitte der 90er Jahre, da wurden in über 25 Jahren so etwa zweieinhalb Millionen Zeilen Code dazu entwickelt. Und das galt es alles Hana-ready zu machen. Das war von der Komplexität her schon ausserordentlich für uns. Die Projektlaufzeit belief sich dann auf rund 16 Monate und im Sommer 2022 haben wir erfolgreich migriert.

Herr Schneider, wie würden Sie abschliessend in diesem Spannungsfeld Ihre Rolle als CIO beschreiben? ­Wo sehen Sie heute Ihre wichtigsten Aufgaben?
Die Unterstützung der Digitalisierung bei Vitra. Unsere Vision oder unser Leitsatz ist «Digitally Empowering Vitra». Das ist der Fokus.

Zum Unternehmen

1934 legte Willi Fehlbaum mit der Übernahme eines Ladenbaugeschäftes in der Nähe von Basel den Grundstein für das mittelständische Möbelunternehmen Vitra, das heute über verschiedenste Vertriebswege Privat- und Unternehmenskunden mit Möbeln im Premium-Segment ausstattet. Vitra zeichnet für zahlreiche weltweit bekannte Designs beziehungsweise die Herstellung der Entwürfe von namhaften Designerinnen und Designern verantwortlich, wie beispielsweise den Eames Lounge Chair (Bild).


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