Als Unternehmen einen Turnaround vollziehen

Ein Unternehmen befindet sich in einer existenziellen Krise. Dann erfordert das Überleben meist einen Turnaround, der die Weichen in der Organisation neu stellt. Hierbei handelt es sich um einen Change-Prozess unter erschwerten Bedingungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/12

     

Zuweilen geraten Unternehmen in eine Situation, in der ihre Existenz bedroht ist. Dann müssen sie einen Turnaround vollziehen. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, in dem – wie der englische Begriff «turn around» bereits andeutet – die Vorzeichen, unter denen die Entwicklung des Unternehmens steht, umgedreht werden. Sie werden weg vom Negativen ins Positive gewendet, so dass die Existenz des Unternehmens wieder gesichert ist und dieses wieder voller Zuversicht in die Zukunft blickt, weil es sich erkenn- und messbar wieder in der Erfolgsspur befindet. Das heisst unter anderem, die Liquidität des Unternehmens ist gesichert, seine Wettbewerbsfähigkeit ist wieder hergestellt und es arbeitet rentabel.

Existenzielle Krisen sind das Resultat eines Prozesses

Die Gründe, warum Unternehmen in existenzgefährdende Krisensituationen geraten, sind unterschiedlich. Meist dauert es jedoch einige Zeit, bis im Top-Management allmählich die Erkenntnis reift: Wir müssen einen Turnaround vollziehen. In der Regel ist der Anlass hierfür ein akutes betriebliches Problem wie
- der Umsatz sinkt beispielsweise aufgrund eines veränderten Marktumfelds (Absatz- und Umsatzkrise),

- die (Fix-)Kosten sind zu hoch, beispielsweise aufgrund einer geringen Prozesseffizienz (Kostenkrise),


- die Finanzierung des laufenden Geschäfts ist bedroht, beispielsweise aufgrund einer steigenden Verschuldung (Finanz- und Liquiditätskrise) oder
- das Management ist nicht entscheidungs- und handlungsfähig, zum Beispiel, weil es uneins ist (Managementkrise).

Werden diese Problemfelder rechtzeitig erkannt und die erforderlichen Gegenmassnahmen ergriffen, dann muss zum Beispiel aus der Managementkrise oder Absatzkrise eines Unternehmens keine Existenzkrise werden, die letztlich eine Sanierung des Unternehmens erfordert.

Aus Managementkrisen erwachsen oft Existenzkrisen

Analysiert man die Ursachen, warum Unternehmen in einer Existenzkrise stecken, dann zeigt sich oft folgender Verlauf: Aus einer Managementkrise erwuchs eine strategische Krise. Diese führte zu einer Absatz- und Umsatzkrise, die wiederum zu einer Ertrags- und Liquiditätskrise führte, die ihrerseits die Existenzkrise auslöste.

Exemplarisch liess sich dieser Verlauf in den vergangenen Jahren bei vielen Automobilindustrie-Zulieferern beobachten, die in jüngster Zeit einen Personalabbau oder gar eine Insolvenz verkündet haben. Sie machten sich in der Vergangenheit meist in einem zu hohen Masse abhängig von zwei, drei Schlüsselkunden und bestimmten technischen Problemlösungen. Und diese strategische Krise führte – auch im Gefolge der Dieselaffäre und Klimadebatte – zu einer Absatz-, Ertrags- und Liquiditätskrise, die vereinzelt zu einer Existenzkrise wurde. Deshalb sollte in jedem Unternehmen ein Alarmsystem existieren, das Problemfelder in der Organisation so frühzeitig signalisiert, dass Existenzkrisen vermieden werden können.


Befindet sich ein Unternehmen in einer Existenzkrise, dann ist in der Regel auch seine Liquidität bedroht. Also gilt es, diese zunächst wieder herzustellen, damit das Unternehmen zahlungsfähig bleibt. Das Problem hierbei ist jedoch: Befindet sich ein Unternehmen – beispielsweise, weil sein Geschäftsmodell überholt ist – in einer Existenzkrise, sind auch die potenziellen Geldgeber wie Banken und Investoren nur noch bedingt bereit, dem betroffenen Unternehmen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, denn sie wissen: Die angestrebte Sanierung erfordert Zeit und sie wird den grössten Teil der Finanzmittel verschlingen. Ähnlich verhält es sich bei vielen Lieferanten. Sie sind oft nur noch gegen Vorkasse zu einer Zusammenarbeit bereit, sofern ihnen kein in ihren Augen überzeugendes Konzept vorliegt, wie das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zurückfindet.

Die Problemwurzeln ermitteln und analysieren

Deshalb ist der erste Sanierungsschritt eine fundierte Analyse, warum das Unternehmen in der Krise steckt. Das heisst, sich Fragen stellen wie: Warum werden die Produkte und Problemlösungen des Unternehmens nicht mehr nachgefragt? Zum Beispiel, weil sie zu teuer sind? Oder weil sie technisch veraltet sind? Oder weil der Service nicht stimmt? Oder weil…?

Hierauf aufbauend gilt es dann beispielsweise zu ermitteln, warum die Produkte zu teuer sind. Zum Beispiel, weil die Beschaffungskosten des Unternehmens zu hoch sind? Oder weil seine Produktionsprozesse ineffizient sind? Oder weil die Kosten-Nutzen-Relation der Problemlösung aus Kundensicht zu niedrig ist? Oder weil…?


Erst durch dieses konsequente Nach- und Weiterfragen gelangt man zu den eigentlichen Problemursachen. Doch dies allein genügt nicht, um nachhaltige Problemlösungen zu entwerfen. Wichtig ist auch, sich zu fragen: Warum wurde das Problem nicht früher erkannt und gelöst? Zum Beispiel, weil ein Alarmsystem fehlt? Oder weil dem Unternehmen hierfür die nötige Kompetenz fehlt? Oder weil…?

Eine fundierte Analyse der Krisenursachen gelingt Unternehmen in der Regel nur mit externer Unterstützung, denn: Das nachfragende Bohren in der Ist-Situation und Historie des Unternehmens, um die Problemwurzeln zu ermitteln, ist ein schmerzhafter Prozess, bei dem auch Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit ans Licht gezerrt werden – auch Fehler und Versäumnisse des Managements. Deshalb sind mit der Sanierung eines Unternehmens meist auch personelle Wechsel auf der Managementebene verbunden, da dem vorhandenen Management oft die nötige Kompetenz fehlt, um – zumindest aus Sicht der Investoren – das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zur führen.

Ein Sanierungskonzept und -gutachten erstellen

Liegen die Analyseergebnisse vor, kann ein Sanierungskonzept erstellt werden, in dem die Massnahmen, mit denen das Unternehmen seine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen möchte, definiert, quantifiziert, budgetiert und terminiert werden.
Das Sanierungskonzept dient als Grundlage für das Sanierungsgutachten. Mit ihm sollen unter anderem die (potenziellen) Investoren und Kapitalgeber des Unternehmens von dessen Sanierungsfähigkeit überzeugt werden. In dieses Gutachten fliessen zahlreiche in- und externe Faktoren ein, wie zum Beispiel
- die Attraktivität des Marktes des Unternehmens,
- dessen angestrebtes künftiges Geschäftsmodell und
- die künftigen Geschäftsrisiken.


Im Sanierungsgutachten wird auch geprüft, inwieweit das Sanierungskonzept tatsächlich geeignet ist, um das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu führen. Beurteilt werden unter anderem die Schlüssigkeit und Finanzierbarkeit der beabsichtigten Massnahmen sowie deren Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Zudem werden Alternativrechnungen durchgeführt, die unter anderem die Planungsunsicherheiten berücksichtigen. Ausserdem werden in dem Gutachten die kritischen Prämissen dargestellt, auf denen die Planungen beruhen (z.B. Markt-/Konjunkturentwicklung, Entwicklung der Rohstoffpreise, Fortbestand der Verträge mit Grosskunden).

Den Meilenstein Turnaround erreichen

Aufgrund des Sanierungsgutachtens treffen die Kapitalgeber ihre Entscheidung, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen sie dem Unternehmen die für die Sanierung nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Danach kann bei einem positiven Bescheid die eigentliche Sanierung beginnen, deren erstes Teilziel das Erreichen des Turnarounds ist.

Stellt das Management eines Unternehmens fest, dass der Turnaround geschafft ist, bedeutet dies: Das ehemals «kranke», in seiner Existenz bedrohte, Unternehmen befindet sich wieder in der Erfolgsspur; seine Existenz ist nicht mehr akut bedroht. Der Turnaround ist somit ein zentraler Meilenstein in dem Change-Prozess, der auf die Sanierung des Unternehmens und die Wiederherstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit abzielt.

Turnaround erfordert schmerzhaften Change-Prozess

Um diesen Meilenstein zu erreichen, ist meist ein Bündel von Massnahmen nötig, die zum Beispiel auf eine Senkung der Fixkosten, eine Steigerung der Produktivität und Qualität, eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und ein Sicherstellen der Liquidität abzielen.

Diese Massnahmen sind zumindest für Teile der Belegschaft meist sehr schmerzhaft, denn mit ihnen geht neben einer Umstrukturierung häufig ein Personalabbau einher. Zudem erfordert das Erreichen des Ziels der Massnahmen meist ein radikales Umdenken sowie Aufgeben liebgewonnener, nicht selten identitätsstiftender Routinen und Verhaltensmuster. Entsprechend schwer ist der auf einen Turnaround abzielende Change-Prozess zu managen – unter anderem, weil er meist auf Widerstände stösst.

Wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken

Gemessen wird das Erreichen des Turn-arounds meist mittels vorab definierter Kennzahlen – wie zum Beispiel Cashflow, Umsatz, Rendite, Durchlaufzeiten. Werden diese erreicht, bedeutet dies aus Change-Management-Warte: Das Unternehmen kann wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken, sofern es den eingeschlagenen Kurs beibehält.

Der Autor

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.


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