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Coaching statt Firmenwagen?

Aufgrund des akuten Fach- und Führungskräftemangels überdenken zurzeit viele Unternehmen ihre Personalpolitik grundsätzlich. Doch nicht nur dies. Auch das Managementdenken wandelt sich – und zwar sowohl bei Profit-, als auch Non-Profit-Organisationen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/11

     

In der Privatwirtschaft hielten in den zurückliegenden Jahren im HR-Bereich viele Verfahren Einzug, die ursprünglich im Non-Profit-Bereich Zuhause waren. Hierzu zählt die sogenannte Supervision. Sie hat sich im sozialpädagogischen und -therapeutischen Bereich schon lange als die Methode etabliert, mit der die dort Arbeitenden ihr berufliches Handeln reflektieren und die Qualität ihrer Arbeit sichern.

Ziel: die Qualität der Arbeit sichern

Wie gross die Bedeutung der Supervision im Non-Profit-Bereich als Qualitätssicherungsinstrument ist, zeigt sich darin, dass in Stellenanzeigen für Sozialpädagogen, Familientherapeuten und so weiter oft explizit von den Bewerbern die «Bereitschaft zur Supervision» gefordert wird. Doch nicht nur dies. Teilweise versuchen soziale Einrichtungen mit dem Hinweis, dass sie dem künftigen Stelleninhaber die Möglichkeit zur Supervision bieten, sich sogar als attraktive Arbeitgeber zu profilieren.

Manche in der Privatwirtschaft tätige Manager mag dies befremden. In naher Zukunft könnte aber auch in den Stellenanzeigen von Wirtschaftsunternehmen statt dem Hinweis auf den «repräsentativen Firmenwagen» stehen: «Wir bieten Ihnen die Möglichkeit zur Supervision». Denn faktisch zählt die Supervision schon heute zu ihrem gängigen Personalführungs- und -entwicklungsrepertoire. Der einzige Unterschied: In ihnen werden die Supervisionen meist Coaching genannt.


Seine Ursache hat der Boom, den aktuell speziell das Team-Coaching in der Privatwirtschaft erlebt, unter anderem in einem veränderten Management-Denken. Lange Zeit setzten die Top-Entscheider in ihr die ihnen anvertrauten Unternehmen weitgehend mit ihren Organigrammen beziehungsweise den hierarchischen Strukturen, die diese widerspiegeln, gleich. Übersehen wurde dabei, dass sich die Energie von Unternehmen primär aus den Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen speist, die die Mitarbeitenden miteinander und das System Unternehmen mit seiner Aussenwelt verbinden.

Management- und Führungs­verständnis wandeln sich

Dies wurde inzwischen den meisten Unternehmensführern bewusst. Deshalb forcierten sie die Team- und Projektarbeit. Dadurch veränderte sich auch die Funktion der Führungskräfte. Es entwickelte sich zu einer ihrer Kernaufgaben, die Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden, zwischen ihren Mitarbeitenden und zu den anderen Unternehmensbereichen so zu gestalten, dass eine möglichst effektive Zusammenarbeit entsteht. Das fällt manchen Führungskräften noch schwer.
Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte haben noch nicht verinnerlicht, dass die meisten Unternehmen heute, auch aufgrund der zunehmenden digitalen Vernetzung, hochkomplexe soziale Beziehungssysteme sind, in denen fast alles miteinander verwoben ist und sich beeinflusst. In einem solchen Umfeld müssen die Führungskräfte auch neue Antworten auf die Fragen finden:


- Wie ist meine Funktion in der Organisation?
- Aus welchen Quellen speist sich meine Wirksamkeit?
- Wie sollte ich die (Zusammen-)Arbeits- und Kommunikationsprozesse gestalten?
- Wie stelle ich sicher, dass mein Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet? Und:
- Worüber bestimmt sich der Wert meiner Arbeit?
Was ist Supervision?
Supervision ist eine Methode der Beratung. Sie hilft, die Qualität beruflicher Arbeit zu sichern und zu verbessern. Während der Supervisionssitzungen reflektieren die Teilnehmenden (Supervisanden) ihr berufliches Handeln meist anhand aktueller Themen und Problemen ihres Arbeitsalltags. Die Grundzüge der Supervision wurden im 19. Jahrhundert in den USA im Rahmen der Sozialarbeit entwickelt, weshalb sie im deutschsprachigen Raum ab den 70er Jahren auch zunächst primär im Non-Profit-Bereich zum Einsatz kam. Seitdem werden hier auch Ausbildungen zum Supervisor angeboten. Supervision findet in regelmässigen Sitzungen meist über einen vereinbarten Zeitraum statt (zum Beispiel: ein halbes Jahr alle vier Wochen zwei Stunden). Die Sitzungen werden vom Supervisor «geleitet». Dieser sollte nicht Teil des Systems sein, dem die Supervisanden angehören, damit er die Neutralität wahren und die Vertraulichkeit garantieren kann. Angeboten werden folgende Formen der Supervision:

- Einzelsupervision: In ihr reflektiert der Supervisand im Kontakt mit dem Supervisor seine aktuellen beruflichen Themen und Probleme. Daraus resultiert ein besseres Verstehen, das wiederum neue Handlungsmöglichkeiten und -perspektiven für den Arbeitsalltag eröffnet.
- Gruppensupervision: In ihr reflektieren Personen, die in verschiedenen Organisationen oder Einheiten einer Organisation tätig sind, aber dort verwandte Tätigkeiten ausüben, Themen aus ihrem Berufsalltag und nutzen hierfür die Kompetenz ihrer anwesenden Kollegen.
- Teamsupervision: Bei ihr stammen die Teilnehmenden meist aus einer Organisation und arbeiten mehr oder minder eng zusammen. Gemeinsam reflektieren sie bei ihren Treffen Themen wie Führung, Kooperation, Kommunikation und Qualität der Arbeit.

Etwa seit Beginn dieses Jahrhunderts finden Supervisionen auch zunehmend im Profit-Bereich statt, jedoch meist unter der Bezeichnung Coaching. Dabei wird – wie bei der Supervision – zwischen Einzel-, Gruppen- und Teamcoaching unterschieden.

Auch das Menschenbild verändert sich

Vielen Führungskräften in der Privatwirtschaft fällt das Finden passender Antworten auf obige Fragen schwer. Das liegt auch daran, dass sie häufig ein anderes Menschenbild haben als die Personen, die im Sozialbereich arbeiten. Für Pädagogen, Therapeuten und so weiter, ist es selbstverständlich, dass sich im Denken und Handeln eines Menschen dessen Geschichte und soziales Umfeld widerspiegeln. Nicht wenigen Führungskräften in der Privatwirtschaft fehlt ein solches Menschenbild. Deshalb sind sie irritiert, wenn Personen auf dieselben Reize beziehungsweise dasselbe Verhalten von ihnen unterschiedlich reagieren.


Auch ihr eigenes Denken und Handeln begreifen sie oft nicht als das Resultat ihrer Geschichte und des sozialen Kontextes, in den sie eingebettet sind. Deshalb fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten zu reflektieren. Ohne eine selbstkritische Reflexion nehmen sie aber auch ihre blinden Flecken nicht wahr, die dazu führen, dass sie auf gewisse Herausforderungen stets nach demselben Muster reagieren – selbst wenn sich die Rahmenbedingungen fundamental gewandelt haben.

Coaching wird als Ent­wicklungs­instrument gesehen

Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb offerieren sie ihren Führungskräften häufiger die Möglichkeit, in einem Coaching alleine oder im Team ihr Verhalten zu reflektieren und nach zielorientierteren Lösungen zu suchen. Dieses Angebot wird von den Führungskräften zunehmend genutzt – auch weil speziell die Jüngeren das Coaching nicht mehr als ein Instrument zum Beheben persönlicher Defizite, sondern als ein Förder- und Entwicklungsinstrument verstehen. Dieser Gesinnungswandel dokumentiert sich auch darin, dass Führungskräfte immer häufiger, speziell wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, ihren Arbeitgeber eigeninitiativ um die Unterstützung durch einen Coach bitten. Und sagt dieser hierzu nein, dann zahlen sie das Coaching zuweilen sogar aus eigener Tasche.


Das ist gehäuft dann der Fall, wenn Führungskräfte spüren, dass sie physisch oder psychisch an ihre Belastungsgrenzen stossen – also ihnen beispielsweise ein Burnout droht. Denn dass Führungskräfte sozusagen öffentlich artikulieren, dass sie sich teilweise überfordert fühlen, ist in vielen Unternehmen aufgrund von deren Führungskultur leider immer noch ein Tabu.

Den Mitarbeitenden mehr als ein gutes Gehalt bieten

Doch dieses Tabu scheint sich allmählich aufzulösen – auch dank solcher Ereignisse wie der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges und ihrer Folgen. Denn aufgrund von ihnen war die Belastung vieler Führungskräfte in den zurückliegenden Jahren so hoch, dass ihre Arbeitgeber erkannten: Wir müssen unseren Führungskräften auch eine Unterstützung im Bereich Selbstführung und -management bieten, wozu auch die Gesundheitsvorsorge zählt. Ansonsten ist die Gefahr gross, dass sie mittelfristig im Ex­tremfall einen Kollaps oder ein Burnout erleiden oder sich nach einer Jobalternative umschauen, weil sie ihre Arbeitssituation zunehmend als ihr Wohlbefinden schmälernd empfinden.


Dies zu verhindern ist in einer Situation, in der sozusagen branchen- und funktionsübergreifend ein immer grösserer Fach- und Führungskräftemangel besteht, extrem wichtig. In ihr müssen die Unternehmen – und zwar unabhängig davon, ob sie Profit- oder Non-Profit-Organisationen sind – deutlich mehr als früher tun, um das benötigte Fach- und Führungspersonal zu finden und an sich zu binden.

Die Personalpolitik grundsätzlich überdenken

Deshalb wirbt schon heute eine wachsende Zahl von ihnen für sich als Arbeitgeber auch damit, dass sie ihren Mitarbeitenden Coachings für ihre fachliche und persönliche Entwicklung sowie medizinische Gesundheits-Check-ups und gesundheitsfördernde Massnahmen zum Bewahren ihrer Leistungskraft offerieren.

Dies wird auf Dauer jedoch nicht genügen. Vielmehr müssen die Unternehmen ihre Personalpolitik – angefangen bei der Personalsuche und -führung bis hin Personalentwicklung und -vergütung grundsätzlich überdenken und nicht selten neu justieren, damit sie auch künftig attraktive Arbeitgeber sind, die nicht nur die benötigten Mitarbeitenden finden, sondern diese auch emotional an ihre Organisation binden.

Die Autorin

Sabine Machwürth ist geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D), die Unternehmen unter anderem beim Entwickeln, Implementieren sowie Realisieren massgeschneiderter (digitaler und hybrider) Gesundheitsförderprogramme unterstützt.


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