Interview: «Rechenzentren im KMU-Umfeld sind oft ­ineffizienter»
Quelle: HSLU

Interview: «Rechenzentren im KMU-Umfeld sind oft ­ineffizienter»

Professionelle Datacenter-Betreiber sind KMU bei Effizienz und Nachhaltigkeit oft weit voraus, wie Professor Adrian Altenburger von der Hochschule Luzern (HSLU) erklärt. Kleine Rechenzentren haben aber weiterhin eine Berechtigung – und Optimierungspotenzial.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/10

     

"Swiss IT Magazine": Herr Professor Altenburger, wie schätzen Sie grundsätzlich das heutige Bewusstsein von Schweizer Unternehmen für den oftmals hohen Energiebedarf ihrer IT-Infrastruktur ein? Hat sich in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund des öffentlichen Diskurses rund um Nachhaltigkeit eine positive Entwicklung eingestellt?
Adrian Altenburger:
Das Bewusstsein der Unternehmen bezüglich Energieverbrauch beziehungsweise Energiekosten ist mit den seit Herbst 2022 markant gestiegenen Gas- und Strompreisen generell deutlich höher als in den Vorjahren. Im Bezug auf die IT-Infrastruktur wurde in der Schweiz bereits in den Jahren 2010 bis 2015 ein erstes Förderprogramm zur Energieeffizienz in Rechenzentren erfolgreich umgesetzt und fortgeführt. Mit der im Frühjahr 2021 publizierten umfassenden Studie zur Energieeffizienz in bestehenden Rechenzentren und dem ausgewiesenen wirtschaftlichen Effizienzpotenzial von 46 Prozent wurde das Bewusstsein noch untermauert. Mit einer weiteren Studie zum Potenzial der Abwärmenutzung aus Rechenzentren, welche im Sommer 2023 publiziert wurde, ist nebst der energetischen Effizienz im Rechenzentrum der Betrachtungsperimeter auch auf benachbarte Nutzungen erweitert worden.

Das Optimierungspotenzial ist ohne Frage da, lange Zeit wurden IT-Beschaffung und -Betrieb aber von der Kostenfrage bestimmt. Spielen Energieeffizienz und nachhaltige Konzepte heutzutage neben dem Preis bereits eine tragende Rolle in den IT-Investitionsstrategien der Unternehmen?
Grundsätzlich ja. Aber es bestehen immer noch grosse Unterschiede. Während kleinere Rechenzentren in KMU diesem ­Aspekt meist immer noch wenig Beachtung schenken, hat dies bei grossen Corporate-Rechenzentren, aber auch bei Colocation-­Rechenzentren seit ein paar Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Dazu tragen auch sichtbare Differenzierungsmöglichkeiten am Markt bei, wie zum Beispiel eine Zertifizierung mit dem 2020 am WEF in Davos lancierten Label der Swiss Datacenter Efficiency Association (SDEA).


Würden Sie Unternehmen vor diesem Hintergrund aus Effizienzperspektive also grundsätzlich zu einer Auslagerung ihrer IT-Infrastruktur an externe Dienstleister raten – ob nun an Colocation-Anbieter oder Private- und Public-­Cloud-Betreiber?
Auch diese Frage würde ich mit Ja beantworten. Dies hat auch die erwähnte Studie zu den Effizienzpotenzialen bestehender Rechenzentren in der Schweiz bestätigt. Insbesondere kleinere Rechenzentren im KMU-Umfeld oder ältere Corporate-Rechenzentren sind oft ineffizienter als diejenigen der Coloca­tion-Anbieter. Letztere sind am freien Markt und können mit einer höheren Energieeffizienz insbesondere auch bei höheren Strompreisen entweder die Marge erhöhen oder dem Kunden ein sowohl ökonomisch als auch ökologisch attraktiveres Angebot unterbreiten. Dieser Wettbewerb spielt in den KMU- oder Corporate-Rechenzentren kaum eine Rolle.

Professor Adrian Altenburger
Adrian Altenburger hat seit 2015 die Instituts- und Studiengangsleitung Gebäudetechnik und Energie an der Hochschule Luzern (HSLU) inne. Zudem ist er unter anderem als Vorstand und Präsident der Schweizerischen Normenvereinigung, als Vorstand des Energie Cluster sowie nebenberuflich im Verwaltungsrat mehrerer Unternehmen tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit den Themen Energieeffizienz und Emissionen und hat federführend als Mitverfasser an einer BFE-Studie zum Strom­verbrauch und Energiepotenzial von Rechenzentren in der Schweiz mitgewirkt.
Hätten vor allem KMU überhaupt die technischen Möglichkeiten oder auch Ressourcen, um bei ihren Inhouse-Rechenzentren ein vergleichbares Effizienzniveau zu erzielen wie professionelle Datacenter-Betreiber?
Technisch hätten sie weitgehend dieselben Möglichkeiten. Aber die Awareness ist offensichtlich weniger gross, da das Thema im Gegensatz zu den professionellen Anbietern nicht zum Kern­geschäft gehört und somit auch in der ökonomischen Betrachtung oft zweitrangig ist. Aber es gibt durchaus auch KMU, welche in diesem Bereich ambitioniert sind und sich ­im Rahmen ihrer unternehmerischen Nachhaltigkeitsziele auch um die Energieeffizienz in den eigenen Rechenzentren kümmern.

Noch ein Blick in Richtung Cloud: Viele Cloud-Anbieter werben explizit mit den Argumenten Nachhaltigkeit und Effizienz für ihre Dienste. Ist das reine Marketing-Strategie oder ist die Cloud aus objektiver Sicht grundsätzlich das nachhaltigste und effizienteste Betriebsmodell?
Tendenziell ja, aber nicht per se. Auch bei Cloud-Anbietern hängt die betriebliche Effizienz und somit auch die Nachhaltigkeit von verschiedenen Faktoren ab, welche zum Teil standortabhängig sind.


Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn sie für ein Rechenzentrum eine natürliche Wärmesenke wie beispielsweise Seewasser nutzen können, welches ganzjährig und ohne mechanische Kälteerzeugung die Wärme mittels freier Kühlung abführt und gleichzeitig die betrieblichen Parameter einhält und zusätzlich die anfallende Niedertemperaturabwärme in der Nachbarschaft nutzbar machen können, ist die Effizienz allein aufgrund des Standorts deutlich besser. Letzteres wird mit dem PUE (Power Usage Effectiveness) leider nicht abgedeckt, weshalb das bereits genannte SDEA-Label dies, aber auch die eigentliche IT-Effizienz, integriert abbildet und auch die damit reduzierten CO2-Emissionen ausweist.

PUE und SDEA-Label sind gute Stichwörter: Können und sollten sich Unternehmen bei der Auslagerung an externe Betreiber an entsprechenden Zertifizierungen orien­tierten? Sind das Label der Swiss Data Center Efficiency Association und der PUE-Wert aussagekräftige Anhaltspunkte für einen effizienten, nachhaltigen Rechenzentrumsbetrieb?
Der PUE-Wert greift per Definition leider wie erwähnt etwas zu kurz. Er ist aber trotzdem eine wichtige Kenngrösse. Das SDEA-Label geht hier deutlich weiter und bildet nebst der energetischen Effizienz der Infrastruktur auch diejenige des IT-Equipments ab und rechnet weitergehende Massnahmen wie die Eigenstromerzeugung mittels Photovoltaik oder auch die Abwärmenutzung zur Substitution fossiler Heizungen in der Nachbarschaft an. Nebst der Energieeffizienz wird auch der CO2-Fussabdruck in Kilogramm CO2/kWh ausgewiesen. Wichtig scheint mir beim Entscheid zur Auslagerung an einen externen Betreiber auch zu sein, ob die betrieblichen Parameter der meist auf Planungsgrössen referenzierten Energieeffizienz entsprechen. Einer der wichtigsten Parameter ist dabei die Temperatur im Serverraum. Die Zulufttemperatur am Eintritt zum IT-Equipment – dem Kaltgang – sollte nicht unter 27 Grad Celsius liegen. Dies entspricht dem international von der IT-Industrie seit 2004 anerkannten ASHRAE-Standard 90.4, welcher sogar 32 Grad Celsius zulässt und somit im Schweizer Mittelland ganzjährig und auch ohne Seewasser eine freie adiabatische Kühlung über hybride Rückkühler mittels Aussenluft zulässt.


Wie steht es beim Thema Entscheidungsgrundlage für einen externen Anbieter denn grundsätzlich um das Thema Regionalität? Kann und sollte die Wahl nicht nur aufgrund datenschutzrechtlicher, sondern auch aufgrund energie- und effizienzrelevanter Aspekte auf einen lokalen Schweizer Betreiber fallen?
Im internationalen Kontext sind die Schweizer Betreiber sicherlich konkurrenzfähig und haben sich in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Kampagnen oder der erwähnten Förderprogramme des Bundesamtes für Energie im Bereich der Energieeffizienz verbessert. Nebst der energetischen Effizienz ist auch die Versorgungssicherheit sowie die sowohl starkstromseitig als auch für die Kommunikation notwendige und qualitativ hochstehende Infrastruktur ein lokaler Vorteil.

Dennoch wird sich sicherlich nicht jedes Unternehmen in kommender Zeit für die Auslagerung entscheiden. Wer also stattdessen den eigenen Serverraum oder das eigene Rechenzentrum betreiben will und gleichzeitig optimieren möchte: Wo besteht für Unternehmen das grösste Potenzial, ihre Infrastruktur effizienter zu betreiben?
Das grösste Potenzial liegt bei den thermodynamisch bedingten Betriebsparametern. Gelingt es, die Zulufttemperatur auf zwischen 27 und 32 Grad Celsius zu erhöhen und somit die internationale Vorgabe einzuhalten, ist nicht nur die infrastrukturelle Effizienz deutlich höher – wir haben an der HSLU seit einigen Jahren einen entsprechenden eigenen Serverraum mit einem gemessenen PUE von 1.08 – sondern auch teure Kältemaschinen unnötig.


Wie steht es wiederum um innovative Konzepte beispielsweise für die Abwärmenutzung? International gibt es hier bereits zahlreiche spannende Beispiele. Aber spielen diese in der mittelständischen Praxis bereits eine Rolle – oder sind die Kosten beziehungsweise die administrativen Hürden schlicht zu hoch für eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung?
In kleineren Rechenzentren oder Serverräumen, welche meist nicht auf der grünen Wiese stehen, sondern in einem Gebäudekomplex integriert sind, kann die Abwärme bei neueren Bauten direkt und bei älteren Bauten indirekt über eine sequenzielle Wärmepumpe zu Heizzwecken oder auch zur Brauchwarmwasseraufbereitung genutzt werden. Solche Lösungen sind nicht kostenintensiver, sondern sowohl in der Investition als auch im Betrieb oft kostengünstiger. Ein Beispiel mit einer solchen Win-Win-Situation durfte ich vor rund 15 Jahren noch als planender Ingenieur für ein mittelständisches Unternehmen im Gesundheitswesen realisieren.

Herr Professor Altenberger, abschliessend noch aus der Praxis in die Prognose. Wie ist Ihre Bewertung und Erwartung: Sollte der Betrieb der IT-Infrastruktur von Unternehmen vor allem aus Effizienzgründen künftig zusehends zentralisiert werden? Ist das Inhouse-Rechenzentrum langfristig zumindest für einen Grossteil der Unternehmen ein Auslaufmodell?
Eine verstärkte Zentralisierung zum Betrieb der IT-Infrastruktur zeichnet sich aus verschiedenen Gründen seit vielen Jahren bereits ab. Der absehbar weiterhin und verstärkt zunehmende Bedarf an IT-Dienstleistungen – Stichwort KI – und der Wettbewerb in diesem Kerngeschäft gepaart mit den politischen und gesellschaftlichen Ansprüchen an die Nachhaltigkeit leistet dieser Entwicklung weiteren Vorschub. Kleinere dezentrale Corporate-Rechenzentren haben aber durchaus auch weiterhin ihre Berechtigung. Für die Abwärmenutzung sind sie, weil in unmittelbarer Nähe zu möglichen Verbrauchern, sogar prädestiniert beziehungsweise die grossen Rechenzentren bezüglich Standortwahl stärker gefordert.
Das Einsparpotenzial ist gross – der Energieverbrauch ebenfalls
Vor rund zwei Jahren hat Adrian Altenburger gemeinsam mit zwei Mitautoren im Auftrag des Bundesamts für Energie die gross angelegte Studie «Rechenzentren in der Schweiz – Stromverbrauch und Effizienzpotenzial» verfasst. Das Ergebnis: Der Stromverbrauch der Schweizer Rechenzentren und Serverräume lag zu diesem Zeitpunkt bei 2,1 Milliarden Kilowattstunden beziehungsweise 2,1 Terawattstunden (TWh). Das entspricht 3,6 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Schweiz. Bei der letzten Messung im Jahr 2013 belief sich dieser Wert noch auf 1,7 TWh und somit auf 2,8 Prozent des Gesamtstromverbrauchs.
Durch Effizienzmassnahmen liesse sich der Energiebedarf jedoch um rund 46 Prozent – oder eine Milliarde Kilowattstunden – senken. Allerdings kann der künftige Anstieg auf diesem Weg allenfalls eingedämmt werden. Denn aktuelle Schätzungen gehen laut der im Sommer 2023 veröffentlichten BFE-Studie «Abwärmenutzung von Rechenzentren» trotz möglicher Einsparungen von einer Steigerung des Stromverbrauchs auf zwischen 2,7 und 3,5 TWh bis 2026 aus. Gar 4 TWh sind laut Prognosen möglich. Hintergrund ist der ständig steigende Rechen- und Speicherbedarf im Zuge der Digitalisierung und durch technologische Entwicklungen wie die Cloud, Big Data, das Internet of Things sowie nicht zuletzt künstliche Intelligenz.
Mehr denn je sollten kleine und grosse Betreiber den Themen Effizienz und Nachhaltigkeit also ihre Aufmerksamkeit schenken und entsprechende Massnahmen anstossen, beispielsweise in Form innovativer Abwärmekonzepte. So liefert beispielsweise ein Rechenzentrum des Colocation-Anbieters Interxion 50 bis 70 Prozent des Wärmebedarfs des Spitals Florisdorf in Wien. Eine vergleichbare Strategie verfolgt das Rechenzentrum Stollen Luzern von EWL. Dieses nutzt Abwärme zum Heizen von Gebäuden sowie zur Warmwasserproduktion. Kühlenergie erhält es direkt über das Wasser aus dem Vierwaldstättersee. Betreiber Windcloud hat auf das Dach seiner Serverräume im deutschen Enge-Sande wiederum ein Gewächshaus gebaut, das eine Algenfarm beherbergt. Der Strom kommt zudem nahezu zu 100 Prozent aus Windenergie.
Eingespart werden kann laut der BFE-Studie «Rechenzentren in der Schweiz – Stromverbrauch und Effizienzpotenzial» einerseits auf der Infrastrukturseite. Beispielsweise durch das Anheben der Systemraumtemperaturen, die Nutzung von Free Cooling, die Trennung der Kalt- und Warmgänge oder durch die Einhausung der Serverracks. Potenzial besteht aber auch auf der IT-Seite, beispielsweise in Form energieeffizienterer Speicher, durch höhere Auslastungen, durch mehr Virtualisierung oder durch den Einsatz von effizienteren IT-Komponenten.


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