Im Juni 2023 migrierte der Betreiber von SwissIX, dem grössten Internetknoten in der Schweiz, insgesamt 220 angeschlossene Netze auf die DE-CIX Apollon-Plattform. Neben dem erfolgreichen technischen Upgrade im laufenden Betrieb übernahm der Internetknotenbetreiber DE-CIX den technischen Betrieb inklusive Wartung, Instandhaltung und Weiterentwicklung. Diese Zusammenarbeit kommt vor allem dem nicht gewinnorientierten und neutralen Peering-Netzwerk des SwissIX zugute, das auf insgesamt sieben verschiedene Rechenzentren in der Schweiz verteilt ist. Denn der digitale Fortschritt wird unter anderem durch geringe Latenzzeiten bestimmt, die als neue digitale Währung für die Anwendungen der Zukunft entscheidend sein werden.
So funktioniert ein Internet Exchange (IX)
An einem Internet Exchange (IX) oder Internet Exchange Point (IXP) tauschen Internet Service Provider (ISPs), Content Delivery Networks (CDNs) und andere Netzwerkanbieter Daten miteinander aus. Die Anbindung an die physische Infrastruktur ermöglicht jedem Netzwerk, sich mit anderen Netzwerken zu verbinden und Daten auszutauschen (auch Peering genannt). Netzbetreiber sparen Geld, da sie nicht für den Transit ihres gesamten Traffics zahlen müssen. Ein direkter Access zur Infrastruktur und zu den Netzwerken, mit denen sie peeren möchten, verringert ausserdem die Latenz, da der Traffic kürzere Wege zurücklegen muss. Letztendlich erhöht ein Internet Exchange die Ausfallsicherheit des Internets, indem redundante Routen für den Datenverkehr bereitgestellt werden. So können überlastete Routen vermieden und umgangen werden.
Internetknoten – wo Netzwerke zusammenkommen
Das öffentliche Internet ist ein Netzwerk von rund 65’000 Netzen, über das Milliarden von Geräten Daten versenden und empfangen. Eine Website-Anfrage, die von Bern aus nach Berlin, New York oder Singapur geschickt wird, muss über eine Vielzahl von Netzwerken zu ihrem Ziel und zurückgeleitet werden. Dabei hat jeder dieser Zwischenstopps die Datenhoheit in seinem Bereich und entscheidet auf Grundlage von Informationen, die den benachbarten Netzwerken entstammen, wie ein Schweizer Datenpaket weitergeschickt wird. Weil es kein zentralisiertes Steuerungsorgan für den Datenverkehr im Netz gibt, ist die Route, welche die Daten nehmen, nahezu unvorhersehbar. Für den Nutzer äussert sich diese Datenreise in einer entsprechend langen Wartezeit, beispielsweise beim Aufbau einer Website.
Eine besonders effiziente Möglichkeit, um diese Fallstricke zu umgehen, ist das Peering an einem Internet Exchange (IX) wie dem SwissIX. Mit der direkten Verbindung zu anderen Netzen, die über einen Zugriff auf den Internetknoten sichergestellt wird, können Daten auf einer kostenneutralen Grundlage ausgetauscht werden. Am DE-CIX in Frankfurt treffen beispielsweise mehr als 1100 Netze aufeinander, um vor Ort Daten auszutauschen. So sparen die angeschlossenen Teilnehmer Kosten und Verwaltungsaufwand ein, die bei dem alternativen IP-Transit aufkommen würden. Werden darüber hinaus gleich mehrere solcher Transferpunkte eingerichtet und somit Redundanz gewährleistet, kann der Datenfluss ohne Beeinträchtigung – auch im Falle einer Störung – aufrechterhalten werden. Dank der verteilten Infrastruktur auf sieben Rechenzentren in der Schweiz können Netzbetreiber, ISPs und Unternehmen auch auf diesen Vorteil zurückgreifen.
Ein unmittelbar spürbarer Vorteil, der sich durch den Anschluss an einen IX ergibt, ist die aus kurzen Datenwegen resultierende Performance. Das eigene Netz mit dem SwissIX zu verbinden, ist für die bereits heute genutzten Anwendungen und insbesondere für die Anwendungen der Zukunft im Grunde alternativlos. Denn der Schlüsselbegriff für das digitale Zeitalter lautet Latenz: also die Zeit, die Daten zur Verarbeitung an ihr Ziel und wieder zurück benötigen.
Latenz ist essenziell
Digitale Applikationen sind in unserem beruflichen sowie privaten Alltag geschätzt und inzwischen unentbehrlich. Allseits bekannt: Ärgernisse wie Verzögerungen oder ein ruckelndes Bild bei Videokonferenzen über weite Distanzen. Essenziell für die unbeschwerte Nutzung digitaler Anwendungen sind geringe Reaktionszeiten, die wiederum von der Latenz abhängen. Latenz beschreibt dabei den Zeitraum, den ein Datenpaket von einem vernetzten Endgerät zu einem Server im Internet und zum Gerät zurück benötigt. Dementsprechend können die beschriebenen Störungen das Resultat von Latenzproblemen sein. Ein eingefrorenes Bild ist jedoch nicht nur ärgerlich für Nutzer, sondern kann Unternehmen bares Geld kosten. Schliesslich ist die Produktivität im Zusammenhang mit Konferenz- und Videogesprächen und anderen Home-Office-Diensten von einer leistungsstarken Verbindung abhängig.
Latenz ist wichtig für schnelle Transaktionen beim Online-Shopping, für eine gute User Experience bei Cloud-Anwendungen oder für ein flüssiges Spielerlebnis bei Online-Games. In Zukunftsszenarien wird die Zuverlässigkeit geringer Latenzzeiten sogar sicherheitskritisch: Autonomes Fahren ist von leistungsstarken Verbindungen mit äusserst geringer Latenz abhängig. Sie ist nicht nur ein Qualitätsmerkmal und Garant für Produktivität, sondern könnte in Zukunft sogar Auswirkungen auf die Gesundheit haben, etwa bei Echtzeitreaktionen, die für kritische E-Health-Anwendungen benötigt werden. Auch Industrieanwendungen wie Remote-Robotik, KI-gestützte Forschung und Entwicklung wären ohne die Leistung, Sicherheit und Resilienz, die mit einer möglichst geringen Latenz einhergehen, nicht denkbar.
Je nach Anwendung sind unterschiedliche Latenzzeiten – und damit unterschiedliche Distanzen zum nächsten Rechenzentrum – zulässig. (Quelle: DE-CIX)
Nichts ist schneller als das Licht
Auf der Datenautobahn gibt es ein Tempolimit. Dabei handelt es sich um eine fundamentale Naturkonstante, die Lichtgeschwindigkeit. Nichts im Universum kann sich schneller bewegen, auch keine Informationen. Auch wenn 300’000 km pro Sekunde unvorstellbar schnell sind, ist es doch ein endlicher Wert. Eine sogenannte Echtzeitübertragung beinhaltet daher immer eine gewisse Verzögerung, woraus sich die beschriebenen Latenzprobleme bei modernen Anwendungen ergeben.
Inhalte und Anwendungen müssen so nah wie möglich bei den Nutzern gehostet werden, damit sich trotz Datenübertragung bei Lichtgeschwindigkeit akzeptable Latenzzeiten ergeben. Heutzutage genügt nur noch in wenigen Anwendungsfällen eine Latenz von 65 Millisekunden, um die User Experience akzeptabel zu gestalten. Für Schweizer Endnutzer entspricht das einer Entfernung von 5500 Kilometern zum Rechenzentrum, das diesen Content lokal gespeichert hat. Anwendungen wie interaktive Online-Spiele und Live-Streaming in HD/4K sollten in weniger als 1200 Kilometer vom Nutzer entfernten Rechenzentren gehostet werden – also im europäischen Umland. 1200 Kilometer entsprechen ungefähr der Distanz von Zürich nach Madrid und würden eine Latenzzeit von 15 Millisekunden ergeben. In Zukunft werden kritische Anwendungen noch geringere Latenzen erfordern, die dann im einstelligen Millisekundenbereich liegen werden. Für moderne Anwendungsfälle, wie etwa in einer Zürcher Smart Factory, muss die Latenzzeit deutlich niedriger sein. Nur so können in Smart Factories eingesetzte IoT-Geräte mit Cloud-Diensten kommunizieren, die Daten aggregieren oder Prozesse analysieren. Um autonomes Fahren umzusetzen, ist eine Distanz zum lokal nächstgelegenen Rechenzentrum von unter 80 Kilometern erforderlich. Bedingt durch die physikalischen Limits lautet der einzige Weg, um die Latenzanforderungen zu bewältigen: mehr verteilte Rechenzentren und Internetknoten in die Fläche bringen. Daten müssen nur dann keine grossen Umwege nehmen, wenn Netzwerke sich an Internet Exchanges verbinden. Peering ist die zuverlässigste, sicherste sowie latenzärmste Option, da die Verbindung so direkt wie möglich eingerichtet wird.
Kurze Strecken, kurze Reaktionszeiten
Die Verbindung mit einem Internetknoten, wie dem SwissIX in der Schweiz, resultiert in kurzen Datenwegen. Daten, die auf diese Weise nur kurze Strecken zurücklegen, sorgen für kurze Reaktionszeiten. Diese niedrige Latenz legt die Weichen für die digitale Zukunft. Insbesondere zeitkritische Anwendungsfälle aus den Bereichen E-Health und autonomes Fahren bauen auf den infrastrukturellen Grundlagen auf, die von Internetknoten bereitgestellt werden. Die Wirtschaft profitiert aber schon heute von kurzen Latenzzeiten. Ein Internet Exchange vor Ort kann die Latenzzeiten zwischen angeschlossenen Unternehmen verringern und, wenn er Teil eines grösseren Ökosystems von Internetknoten ist, darüber hinaus die Performance und die Ausfallsicherheit von Anwendungen wie Cloud Computing, VoIP-Verbindungen, Videokonferenzen und diversen Online-Tools verbessern. Eine mangelnde Performance von Applikationen wird in der zunehmend digitalisierten Welt zu einem Kunden- und Umsatzverlust führen. Somit sind Internet Exchanges und die dadurch bereitgestellten Möglichkeiten von Interconnection und Peering Schlüsselfaktoren für das zukünftige Wirtschaftswachstum in der Schweiz und darüber hinaus.
Der Autor
Thomas King ist seit 2018 Chief Technology Officer (CTO) bei DE-CIX und seit 2022 Vorstandsmitglied der DE-CIX Group. Zuvor war King seit 2016 Chief Innovation Officer (CIO) bei DE-CIX. Zu Thomas Kings Kernprojekten gehören die technologische Weiterentwicklung des Unternehmens sowie die Automatisierung der IX-Plattform. Hierzu zählen beispielsweise die Implementierung von Patch-Robotern am Internetknoten sowie die Entwicklung und Einführung der IX-API und des DE-CIX Self-Service Kundenportals. Thomas King ist darüber hinaus für die technische Umsetzung der internationalen Expansion von DE-CIX in Nordamerika, Europa, dem Nahen Osten, Indien, Südostasien und zuletzt Afrika verantwortlich.
Thomas King ist Chief Technology Officer (CTO) bei DE-CIX. (Quelle: DE-CIX)