Hybride Teams führen ist wie Flöhe hüten

Beim Führen hybrider Teams kämpfen die Führungskräfte auf der operativen Ebene von Unternehmen oft noch mit vielen Schwierigkeiten. Diese werden vom Top-Management häufig unterschätzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/07

     

Hybride Teams führen ist wie Flöhe hüten» – dies sagte vor einiger Zeit eine erfahrene Führungskraft in Anspielung auf den Managementliteratur-Klassiker von Warren Bennis «Menschen führen ist wie Flohe hüten». Denn der Abteilungsleiter sieht sich im Arbeitsalltag mit den unterschiedlichsten Wünschen seiner Mitarbeiter konfrontiert, wo und wann sie arbeiten möchten. Manche wollen am liebsten nur noch im Home Office arbeiten, andere wiederum Fulltime im Betrieb. Und manche wollen an zwei festen Wochentagen zuhause arbeiten, während andere dies situativ entscheiden möchten.

Wünsche der Mitarbeiter sind sehr verschieden

Auf die divergierenden Wünsche ihrer Mitarbeiter sowohl aus deren Sicht als auch Unternehmenssicht angemessen zu reagieren, fällt vielen Führungskräften schwer – auch weil es in den Betrieben oft noch keine klaren, schriftlich fixierten Richtlinien für die künftige Organisation der (Zusammen-)Arbeit gibt. Also müssen die Führungskräfte die Modalitäten mit ihren Mitarbeitern selbst aushandeln.

In diesem Diskurs wird oft die Forderung laut: «Jeder Mitarbeiter sollte selbst entscheiden können, wo er wann arbeitet.» Dies ist in den meisten Unternehmen aber nur bedingt möglich, denn heute werden deren Kernleistungen meist in oft bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht. Daraus ergeben sich auch Notwendigkeiten für die Zusammenarbeit, die nicht selten eine Präsenz erfordern. Also gilt es, die Präsenzzeiten zu koordinieren.


Dies ist im Betriebsalltag aufgrund der divergierenden Mitarbeiterwünsche oft schwierig. Nicht selten vernimmt man denn auch von Führungskräften Klagen wie: «Zuweilen komme ich mir vor wie der Pflegedienstleiter eines Krankenhauses, der geradezu darum betteln muss, dass seine Mitarbeiter kommen, damit der Betrieb läuft.»

Herausforderung: Die vielen Interessen koordinieren

Dies gilt speziell dann, wenn kurzfristig, anders als geplant, die Präsenz eines Mitarbeiters im Betrieb erforderlich ist. Dann kämpfen die Führungskräfte oft mit massiven Widerständen, weil ihr Anliegen mit den Plänen des Mitarbeiters kollidiert – zum Beispiel, weil er oder sie zuhause noch Kinder betreuen muss. Oder am Vormittag noch einen Arzttermin hat, oder am Nachmittag zu einem Geburtstag eingeladen ist.

Entsprechend wichtig sind beim hybriden Arbeiten Rahmenrichtlinien, die regeln,
unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang ein Arbeiten im Home Office möglich ist und wie in Konfliktsituationen zu verfahren ist.


Diese Richtlinien sollten zwar einen möglichst grossen individuellen Gestaltungsspielraum gewähren, jedoch zugleich einen Rahmen vorgeben, inwieweit zum Beispiel in der Einarbeitungszeit ein Arbeiten im Home Office möglich ist.

Existiert ein solcher Rahmen nicht, erwächst hieraus ein grosses Konflikt­potenzial in der Beziehung Führungskraft- Mitarbeiter. Denn angenommen eine Führungskraft sagt zu den Wünschen eines Mitarbeiters, im Home Office zu arbeiten, aufgrund einer betrieblichen Notwendigkeit «Nein», dann kann dieser Interessenkonflikt oft nicht einvernehmlich gelöst werden. Und das «Nein» der Führungskraft? Dieses wird von dem Mitarbeiter nicht selten als Ausdruck eines autoritären Verhaltens seitens der Führungskraft interpretiert. Zuweilen wird sogar der Vorwurf von Mobbing laut.

Top-Teams unterschätzen die Probleme im Alltag

Dass ein solcher Orientierungsrahmen in zahlreichen Unternehmen noch fehlt, liegt auch daran, dass viele obere Führungskräfte unterschätzen, wie viele Probleme und Risiken mit dem Arbeiten in hybriden Teams verbunden sind. Die Ursache hierfür: Für die meisten Top-Manager in Grossunternehmen mit Standorten im In- und Ausland ist das Arbeiten in hybriden und virtuellen Teams geübte Praxis. Ihre Treffen beziehungsweise Meetings mit Kollegen fanden auch schon in der Vergangenheit weitgehend virtuell statt und dabei sammelten sie die Erfahrung: Diese Form der Zusammenarbeit funktioniert. Also gehen nicht wenige unbewusst davon aus: Dies funktioniert auch problemlos auf den uns nachgeordneten Ebenen. Dabei sind die Arbeits­inhalte und Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit dort ganz andere.

Wenn sich das Top-Team eines Unternehmens virtuell trifft und dabei ein Mitglied in Basel, ein anderes in Genf und weitere in New York und Shanghai sitzen, dann geht es in der Regel primär darum, sich im Kollegenkreis über die strategische Marschrichtung zu verständigen und gewisse Grundsatzentscheidungen zu treffen. Deren Umsetzung, die eine engere Zusammenarbeit erfordert, findet aber auf den nachgeordneten Ebenen statt. Das Top-Team nimmt in der Organisation also primär eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion wahr; es ist aber nicht in den eigentlichen Leistungserbringungsprozess involviert. Deshalb ist auf der Top-Ebene vieles möglich, was auf der operativen Ebene nur schwer möglich ist.


Hinzu kommt: Auf die Top-Ebene von Unternehmen gelangen nur Personen, die ihre Excellence schon oft bewiesen haben – Personen also, die über die nötige Fachkompetenz für ihre Position und die erforderliche persönliche Reife, sich selbst zu steuern und ihre Arbeit effektiv zu organisieren, verfügen. Das ist auf den nachgeordneten Ebenen oft nicht der Fall.

Der Reifegrad der Mitarbeiter divergiert

Dort haben die Führungskräfte stets auch Mitarbeiter, die wenn nicht eingearbeitet, so doch an das Wahrnehmen komplexer Aufgaben erst noch herangeführt werden müssen, also einer individuellen Förderung bedürfen. Diese ist, wenn die Mitarbeiter weitgehend im Home Office arbeiten, in der Regel nur erschwert möglich. Zudem gibt es dort, ausser den Mitarbeitern, die sich selbst führen und organisieren können, auch solche, die das Eingebunden-sein in ein Team für ihre Motivation und Selbstorganisation brauchen. Das heisst nicht, dass sie schlechte Mitarbeiter sind, doch wenn sie im Home Office weitgehend alleine gelassen werden, können sie sich zu solchen entwickeln.

Erfahrene Führungskräfte wissen das. Deshalb haben sie ihre Mitarbeiter schon immer abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich geführt. Wenn die Mitarbeiter aber einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit im Home Office verbringen, fällt ihnen dies schwer. Zudem erhöht sich das Konfliktpotenzial.


Das fängt bei der Frage an, wem gestatte ich in welchem Umfang ein Arbeiten zuhause. Angenommen eine Führungskraft sagt zu einem Mitarbeiter, der weitgehend zuhause arbeiten möchte: «Ihr Kollege darf zwar drei Tage in der Woche im Home Office arbeiten, aber Sie sollten maximal einen Tag dort arbeiten, weil Sie sich schlechter selbst führen und motivieren können.» Dann kommt die Führungskraft schnell in Teufels Küche – egal wie sie diese Aussage sprachlich verpackt. Oder angenommen eine Führungskraft sagt zu einem Mitarbeiter: «Bei Ihnen würde ich es begrüssen, wenn Sie weitgehend im Büro arbeiten würden, weil Sie häufig Flüchtigkeitsfehler machen und wichtige Details vergessen.» Dann hat die Führungskraft schnell einen Dauerkonflikt – egal, mit wie vielen Beispielen aus dem Arbeitsalltag sie ihre Entscheidung begründet.

Es existiert noch keine Kultur des hybriden Arbeitens

Doch nicht nur deshalb stellt das Führen hybrider Teams im Betriebsalltag oft noch eine grosse Herausforderung dar. Hinzu kommt: Wenn viele Mitarbeiter weitgehend im Home Office arbeiten, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsverhalten neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen, die sie im Lauf der Jahre zum Beispiel beim Delegieren von Aufgaben und Feedback geben entwickelt haben, über Bord werfen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit.

Beim Entwickeln neuer, den veränderten Rahmenbedingungen angepassten Führungsroutinen benötigen die Führungskräfte zudem eine gezielte Unterstützung – und sei es nur in der Form von Foren, in denen sie über ihre positiven und negativen Erfahrungen beim Führen hybrider oder virtueller Teams austauschen. Wichtig ist es zudem, dass die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden (Zusammen-)Arbeit in ihrer Organisation zu verankern, die möglichen Folgewirkungen ihrer Entscheidungen bedenken.


Hierfür ein Beispiel. Angenommen die Mitarbeiter eines Unternehmens arbeiten zu 50 Prozent zuhause, beziehungsweise nicht im Betrieb. Dann stellt sich für die Unternehmensleitung nicht selten die logische Folgefrage: Können wir dann nicht auch die Zahl der Schreibtische und unsere Bürofläche um die Hälfte reduzieren?

Rein rational betrachtet lautet die Antwort gewiss «Ja». Doch eng damit verbunden ist die Frage: Wie wirkt es sich auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen aus, wenn sie keinen eigenen Schreibtisch im Betrieb mehr haben? Sinkt dann bei vielen ausser der Lust ins Büro zu kommen auch die Identifikation mit dem Unternehmen noch weiter? Und steigt somit auch ihre Wechselbereitschaft? Vermutlich ja, denn nicht alle Mitarbeiter wollen «digitale Nomaden» sein. Vielen ist der eigene Platz im Unternehmen extrem wichtig.

Individuelle, bedarfsorientierte Lösungen entwickeln

Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wie mit solchen Befunden umzugehen ist, gibt es – wie auf viele andere Fragen, die mit dem Thema virtuelle und hybride Zusammenarbeit verbunden sind – (noch) nicht; auch weil ausser den Mitarbeitern auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen und somit auch ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen die Lösungen stets individuell sein. Diese gilt es zu entwickeln – damit sich mit der Zeit in den Betrieben das gewünschte und benötigte «New Work» einstellen kann.

Die Autorin

Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden. Die Managementberaterin und Vortragsrednerin ist auf das Themenfeld New Leadership, New Learning und New Work spezialisiert.


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