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CIO-Interview: «Wir haben unseren eigenen Textroboter»
Quelle: Keystone-SDA

CIO-Interview: «Wir haben unseren eigenen Textroboter»

Er war dabei, als der «Tages-Anzeiger» seine ersten Schritte ins Web machte. Heute befasst sich Roger Eichmann als Head of IT and Projects bei Keystone-SDA neben dem Daily Business unter anderem intensiv mit dem Thema Automatisierung, in- und ausserhalb der IT.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/05

     

«Swiss IT Magazine»: Herr Eichmann, Sie sind bereits seit 1996 in der Schweizer Medienlandschaft tätig. Wie war das damals, vor fast 30 Jahren, in der Informatik des «Tages-Anzeiger»?
Roger Eichmann:
Das war eine sehr spannende Zeit. Ich stiess damals als Informatiker Interaktive Medien zum Unternehmen und war rund sechs Jahre Teil der Abteilung Internet Services. In diesem Team bauten wir zusammen mit einer Online-Redaktion die ersten Internet­aktivitäten des «Tagis» auf. Ich erinnere mich noch gut an viele Nachtschichten, in denen wir die Inhalte aus der Zeitung ins Web portierten und das eine oder andere Problem zu lösen hatten. In dieser Zeit habe ich auch meine Passion für das Medienumfeld entdeckt, dem ich bis heute treu geblieben bin. Ich finde es total spannend für ein Unternehmen wie Keystone-­SDA zu arbeiten und bin überzeugt, dass wir für die Schweiz einen ganz wichtigen Beitrag in Sachen Meinungsbildung und Demokratie leisten.

Momentan ist künstliche Intelligenz (KI) das grosse Thema, auch in der Medienlandschaft. Inwiefern nutzt Keystone-SDA Technologien und Lösungen wie ChatGPT oder Dall-E?
Mit dem Content Development haben wir eine neue Abteilung, die aus vier Redaktoren und Redaktorinnen mit hoher technischer Affinität besteht und sich mit solchen sowie weiteren zukunftsweisenden Themen auseinandersetzt. Natürlich sind bereits erste Versuche mit ChatGPT unternommen worden und wir haben geprüft, wie damit Meldungen generiert werden können. Das Thema Automatisierung ist bei uns in diesem Zusammenhang aber nicht neu.


Was für Projekte zur automatisierten Erstellung von Inhalten laufen denn schon?
Wir haben bereits vor einigen Jahren einen eigenen Textroboter namens Lena ins Leben gerufen. Dieser kann aus Daten des Bundesamtes für Statistik, beispielsweise den aktuellen Abstimmungsresultaten, innerhalb von kürzester Zeit automatisch über 6000 standardisierte Texte generieren. Inzwischen ermöglicht uns Lena auch historische Vergleiche mit früheren Abstimmungen zu ähnlichen Themen wie zum Beispiel bei der Kampfflugzeugbeschaffung. Weitere Anwendungen haben wir in Bereichen wie der Versorgungslage, Stichwort Energiemangel, bei den Lottozahlen sowie in der Sportberichterstattung umgesetzt. Zudem werden wir mit Lena auch für die Wahlen im Herbst Daten automatisiert aufbereiten und visuell darstellen. Weiterentwickelt wird Lena inzwischen zusammen mit unserer Tochterfirma AWP. Dort gab es im Rahmen der Finanzberichterstattung beareits ähnliche Bestrebungen. Wirtschaftsdaten sind gut strukturiert und eignen sich deshalb ebenfalls sehr gut, um automatisierte Meldungen zu generieren.

Es ist also Einiges auf dem Weg in diesem Bereich.
Definitiv. Wir wissen alle, dass es den Medien insgesamt nicht sehr gut geht und wir unter einem ständigen Kostendruck stehen. Natürlich versucht man deshalb, die Automatisierung so weit wie möglich zu fördern und auszubauen. Ein weiterer Anwendungsbereich sind übrigens einfache Übersetzungen, wofür wir DeepL in unsere Text- und Bild-Produktionssysteme integriert haben.

Wie steht es um die Automatisierung in der IT selbst?
In unserem kleinen Team, das aus drei Service-Desk-Mitarbeitenden, drei System Engineers und zwei Entwicklern besteht, geht es nicht ohne. Standardisierung, und Automatisierung beginnt bei uns beim Ausrollen von Servern, betrifft aber insbesondere auch das Management und die Wahl unserer Clients sowie der gesamten Arbeitsplatz-Hardware.


Können Sie das noch etwas ausführen? Mit welcher Hardware arbeiten Ihre Mitarbeitenden? Vermutlich nicht nur mit Windows-Geräten ...
Wir betreuen rund 250 Windows-Clients. Dabei handelt es sich nun schon seit einigen Jahren um standardisierte Geräte, also ein einheitliches Notebook für die ganze Firma. So konnten wir beispielsweise den Austausch oder die Bereitstellung von Software deutlich vereinfachen. Auch unsere Arbeitsplätze sehen alle identisch aus, was ein Shared-Desk-Modell ermöglicht. Daneben kümmern wir uns noch um rund 50 Macs, die vor allem im visuellen Bereich zum Einsatz kommen, also bei VJs oder Fotografen.

Standortunabhängiges und flexibles Arbeiten, ein Thema das andere Firmen in den letzten Monaten stark beschäftigte, war für Sie also nichts Neues. Welche Herausforderungen gab es während Corona dennoch?
Da wir keine physischen Produkte herstellen, waren wir tatsächlich schon immer sehr digital unterwegs. Arbeiten von extern oder unterwegs war immer ein Thema und ist beispielsweise in der Sportberichterstattung ein Muss. Wir hatten jedoch auch Glück, dass wir erst kurz vor Ausbruch der Coronapandemie eine neue VPN-Lösung mit Zweifaktor-Authentifizierung eingeführt haben und so in Sachen IT-Sicherheit à jour waren. In anderen Worten: Das Arbeiten aus dem Home Office war kein Problem. Auch, da die Mitarbeitenden bei Bedarf Infrastruktur, sprich Monitore und Docking­stations, mit nach Hause nehmen konnten. Die grössten Herausforderungen stellten sich unserem Service Desk, wo doch ein paar neue Fragen auftauchten.

Inwieweit nutzen Sie Microsoft Teams oder auch eine andere Collaboration-­Lösung?
Wir sind jetzt gerade dabei, Microsoft 365 flächendeckend einzuführen. Dabei geht es in erster Linie um Microsoft Teams als neue Videokonferenzlösung. Teams ist sehr praktisch und bedienerfreundlich. Zudem ist die Lizenzierung deutlich einfacher als bei unserer bisherigen Software. Wir werden in Teams auch entsprechende Arbeitsbereiche aufbauen und Richtlinien festlegen, wie man das Programm nutzen soll. Einsatzmöglichkeiten sehen wir vor allem in der Zusammenarbeit mit externen Partnern sowie in Projekten. Da drei Viertel unserer Mitarbeitenden sehr fokussiert in ihren Redaktionssystemen arbeiten, ist der Stellenwert der Microsoft-Lösungen ansonsten eher gering.

Könnte Teams dereinst auch als Telefonielösung genutzt werden?
Das ist sicher eine Überlegung wert. Wir nutzen bereits eine VoIP-Anlage, die uns hinsichtlich der Sprachqualität auf Mobiltelefonen jedoch nicht überzeugt. Die Frage ist lediglich, ob wir uns damit nicht zu stark in Abhängigkeiten begeben würden. Was ist, wenn Teams wie vor ein paar Monaten länger ausfällt? Ich kann dann auch nicht mehr telefonieren. Bisher fehlen uns zudem noch gewisse Funktionalitäten, zum Beispiel im Call-Center-Bereich. Allerdings schreitet die Entwicklung hier rasant voran.


Wie sieht es im Backend aus? Betreiben Sie noch eigene Rechenzentren oder haben Sie diese ausgelagert? Allenfalls in die (Public) Cloud?
Wir beziehen unsere IT-Infrastruktur seit mittlerweile über zehn Jahren als Service, aus einer Private Cloud, wenn man so will. Physisch befinden sich unserer Server und Storage-Systeme aktuell in einem Rechenzentrum in Glattbrugg und werden von der Österreichischen Presseagentur (APA) für uns betrieben. Die APA ist nicht nur unser langjähriger Technologielieferant, sondern seit der Fusion von Keystone und SDA auch unser grösster Aktionär. Weitere Systeme wie unser CRM, den Backup-Storage und natürlich Microsoft 365 beziehen wir derweil aus der Public Cloud. Pläne, irgendwann die gesamte IT-Infrastruktur in die Public Cloud zu transferieren, gibt es momentan nicht.


Wie funktioniert die Technologiepartnerschaft mit der APA?
Sehr gut. Wir können insbesondere auch im Bereich Innovation, also beispielsweise in der bereits angesprochenen Automatisierung, viel voneinander profitieren. Die APA treibt unter anderem die Bild- oder Spracherkennung stark voran. Zudem profitieren wir auch von der gros­sen Erfahrung des rund 150-köpfigen IT-Teams, das ebenfalls die Informatik des ORF betreibt und verschiedene andere, namhafte Kunden betreut. Weiter haben wir vor rund drei Jahren mangels Ressourcen auch den Pikettdienst an die APA ausgelagert.

Sie sprechen die Ressourcenknappheit an. Das heisst, der IT-Fachkräftemangel geht auch an Keystone-SDA nicht spurlos vorbei?
Es ist ein massives Problem: Wir suchen nun schon seit etwa einem Jahr einen Java-­Entwickler und konnten die Stelle bislang nicht besetzen. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns verglichen mit unseren Nachbarn hier im Berner Wankdorf, der Post oder der SBB, in einer Nische bewegen. Spannend ist dafür unser sehr breites Aufgabenfeld und, dass man sich in vielen Bereichen, auch neuen und attraktiven Themen, einbringen kann. Interessierte Software-Entwickler dürfen sich gerne bei mir melden (lacht).


Inwiefern beschäftigt Sie das Thema Cybersicherheit? Sie dürften als Nachrichtenagentur ein interessantes Ziel sein. Zuletzt gab es ja auch Angriffe auf prominente Schweizer Zeitungen.
Das ist definitiv ein wichtiges und sehr aktuelles Thema. Wir hatten erst Ende letztes Jahr ein Assessment, im Rahmen dessen unsere Systeme auf Herz und Nieren geprüft wurden. Dabei sind einige Punkte aufgetaucht, die wir in der Zwischenzeit verbessern konnten. So haben wir beispielsweise Admin-Berechtigungen eingeschränkt und diverse veraltete Systeme aktualisiert oder ausser Betrieb genommen. Gleichzeitig wurde in unserer Bilddatenbank eine gröbere Sicherheitslücke entdeckt, durch die Ethical Hacker in unsere Systeme gelangen konnten. Das war zum einen hoch spannend, zum anderen galt es natürlich, diese Schwachstelle umgehend zu beheben und weitere mögliche Massnahmen ins Auge zu fassen.

Was sind das für weitere Massnahmen, die Sie im Bereich Cyberecurity aktuell prüfen?
Wir prüfen zum Beispiel den Einsatz einer Web Application Firewall (WAF). Zudem überarbeiten wir unser Business Continuity Management (BCM)-Konzept und optimieren, falls nötig, entsprechende Prozesse. Möglich ist ferner auch die Einführung eines Security Operation Centers (SOC). Das wäre zwar ein grosser Kostenfaktor, dürfte aufgrund der aktuellen Entwicklungen aber unumgänglich sein. In den vergangenen zwei Jahren gab es mindestens bei fünf internationalen Agenturen massive Cyberangriffe, auch bei der APA. Wir blieben bisher verschont, doch das Risiko, wie auch das Bewusstsein für entsprechende Themen, steigt.

Welche grösseren Herausforderungen oder IT-Projekte stehen bei Ihnen in den nächsten Monaten sonst auf dem Programm?
Wir verfügen heute sowohl über ein grosses Bild- wie auch ein umfangreiches Textarchiv. Diese beiden bisher noch getrennten Systeme möchten wir gerne verschmelzen. Dazu entwickelt unser IT-Partner APA momentan eine neue News-Plattform, auf der man in Zukunft auch Inhalte wie News-Videos oder News-Bilder wird suchen, finden und beziehen können. Dieses Projekt wird uns bestimmt noch einen Moment beschäftigen.


Sie werden also auch einige Daten migrieren müssen. Von wie vielen Tera- oder gar Petabyte an Bildern und Texten sprechen wir?
Unser Textarchiv wird bereits von der APA in Wien betrieben, bei der Bild­datenbank handelt es sich um eine Java-­basierte Eigenentwicklung. Die Daten aus diesen beiden Systemen in ein neues zu überführen, wird definitiv eine grosse Herausforderung – sicher auch von der Menge her. Wir zählen in unserer Datenbank aktuell über 20 Millionen Bilder, was in etwa 80 Terabyte Speicherplatz entspricht. Pro Tag kommen etwa 20’000 neue Bilder hinzu. In unserem Textarchiv findet man momentan rund 13 Millionen Meldungen, die natürlich nicht allzu viel Speicherplatz belegen. Dazu kommen aber noch über 23’000 Videos mit einem Speicherdarf von derzeit etwa 6,5 Terabyte. Im visuellen Bereich stellen wir generell ein grosses Wachstum fest, nicht zuletzt da die Kameras immer hochauflösendere Daten liefern.

Gibt es daneben noch Platz für weitere IT-Projekte?
Selbstverständlich. Auf technischer Ebene steht uns in den nächsten Monaten ein Wechsel der Linux-Plattform bevor, was einige Ressourcen beanspruchen wird. Der Support unserer aktuellen Cent­OS-Umgebung läuft aus, weshalb wir auf Rocky Linux umsteigen werden. Weiter wird uns in den nächsten zwei Jahren auch eine Release-Wechsel unserer Finanzsoftware, eine Migration auf Business Central von Microsoft, beschäftigen. Und nicht zuletzt werden wir im nächsten Jahr unsere Windows-Clients erneuern und auf Windows 11 migrieren.

Roger Eichmann

Roger Eichmann (60) heuerte 2010 als Projektleiter bei der damaligen SDA-Informatik an. Diese war als IT-Dienstleister für den gesamten Schweizer Medienmarkt gedacht, wurde ein paar Jahre später von der Schweizerischen Depeschenagentur allerdings wieder integriert. Nach der Fusion der SDA mit der Bildagentur Keystone Anfang 2018 übernahm der in Zürich aufgewachsene und mittlerweile in Bern wohnhafte ausgebildete Informatiker den IT-Betrieb des neuen Unternehmens. Seit Sommer 2020 ist Eichmann Head of IT and Projects von Keystone-SDA.

Zum Unternehmen


Keystone-SDA verbreitet Informationen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Sport in Text, Bild, Video sowie Infografik – rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr sowie in allen Landessprachen. Die Nachrichtenagentur beschäftigt dazu an ihrem Hauptsitz in Bern sowie in zwölf Regionalbüros in der ganzen Schweiz knapp 200 Mitarbeitende sowie zahlreiche Freelancer. Zu den Kunden zählen nicht nur Schweizer Medienhäuser, sondern auch zahlreiche weitere inländische Unternehmen, Behörden, Organisationen und Kommunikationsagenturen sowie ausländische Medien und Nachrichtenagenturen.


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