Kolumne: Rechenzentren sind wie kastrierte Tauchsieder
Quelle: zVg

Kolumne: Rechenzentren sind wie kastrierte Tauchsieder

Andy Fitze plädiert dafür, Wärmeerzeuger – sprich Rechenzentren – und Wärmebedarf zusammenzubringen und nennt das ­Energieveredelung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/04

     

Strom rein, Hitze raus. Lass uns mal einen Tauchsieder wie ein Rechenzentrum bauen. Natürlich würden wir zuerst mal eine unterbrechungsfreie Stromversorgung mit einer dicken Batterie, Dieselgeneratoren und dem nötigen Diesel für ein paar Stunden einrichten. Wer will schon mit einem Tauchsieder ohne Strom dastehen. Selbstverständlich wird alles doppelausgelegt, mit den besten Materialen und mit einem ausgeklügelten Brandsystem versehen. Dann werden wir eine Hochleistungslüftung installieren, damit das Ding auch im Sommer kühl bleibt. Schliesslich gibt es noch den Zaun, die dicke Panzertür und das Fingerabdruck-Zugangssystem und die Videoüberwachung. Selbstverständlich managt dies alles ein CTO – ein Chief Tauchsieder Officer. Der CFO bezahlt dann die völlig überteuerte Tauchsieder-Rechnung.

Komisch? Nein! Genau so funktioniert ein Rechenzentrum, wenn wir mal den Teil mit den Servern weglassen. Wärme wird mit der schlechtestmöglichen Kosteneffizienz erzeugt. Der Tauchsieder hat einen Wirkungsgrad von fast 100 Prozent. Ein Rechenzentrum, von der reinen Wärmeperspektive her gesehen, weit unter 50 Prozent.


Rechenzentren sind zum Rechnen da, wie Heizzentralen zum Wärmen da sind. Der Zimmermann baut sein Haus aus Holz, der Jäger serviert Fleisch, und der Arzt verschreibt Medizin. So ist es nun einmal. Wir sind gefangen in unserem Denken, in unseren Branchen, in unseren Berufen und in unseren Erfahrungen. Meistens führt das aber nicht zu einem absoluten Optimum, sondern nur zu einem vermeintlichen, das in Wirklichkeit einem Branchen­optimum entspricht.
Das Gleiche gilt für Rechenzentren und Heizzentralen. Heute werden neue Rechenzentren mit einem singulären ICT-Branchenoptimum gebaut. Mit anderen Worten: 350 Gigawattstunden Schaffhauser ICT-Kapazität werden verbaut, ohne an den Tauchsieder-Effekt zu denken. Zwar wird da ein hochskaliertes Rechenzentrum gebaut, aber es wird schlicht und ergreifend nicht aus Sicht des Wärmeerzeugers gedacht.

Lasst uns Wärmeerzeuger (Rechenzentren) und Wärmebedarf (Industriewärme und Heiz­wärme) miteinander neu denken und strukturell, systemisch zusammenbringen, und dabei Unnötiges konsequent weglassen, wie teure Wärmeverbundsysteme, USV, Dieselgeneratoren und die absolute physische Sicherheit.


Wenn dezentralisierte Server im globalen Mesh nur Zentimeter neben dem Wärmebedarf stehen und unsere Fondueproduktion, das geliebte Spa, Hotel, Spital, Gewächshaus, die Radiatoren heizen oder Holz, Wäsche und Getreide trocknen, dann haben wir es verstanden. Mesh bedeutet eben auch Resilienz in sich.

Ich nenne das Energieveredelung. Nicht nur einmal, sondern zweimal nutzen wir die elektrische Energie, und dies ohne grosse Nebenverbraucherverluste. Ach ja, für alle, die es noch nicht bemerkt haben: Wir müssten die Computer genau dann laufen lassen, wenn die Wärme benötigt wird. In einem grossen globalen Netz mit vielen Standorten gäbe es aber immer einen ausreichenden Wärmebedarf und auch eine ausreichende Serverauslastung.

Fazit: Wir brauchen immer mehr Rechenleistung, immer mehr Rechenleistung erzeugt immer mehr Wärme, immer mehr Wärme, die nicht genutzt wird, erzeugt immer mehr kastrierte Tauchsieder. Lasst uns die Wärme digitalisieren und an den Ort des Verbrauchers bringen.



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