Haben Sie sich schon mal gefragt, ob der Speicher Ihres Gehirns dereinst am Anschlag sein könnte? Das Thema beschäftigt mich seit geraumer Zeit. Die Menge an News und Eindrücken sowie unsere Lebenserwartung steigen unentwegt. Angesichts dessen scheint mir der Gedanke legitim.
Brechen wir die Frage herunter: Wie viel kann unser Gehirn maximal speichern? Welche Datenmenge saugt es täglich auf? Und welchen Anteil löscht unser Prozessor im Verlauf der Zeit als irrelevant wieder?
Um es vorwegzunehmen: Kein Experte dieser Welt ist in der Lage, diese Fragen überzeugend zu beantworten. Am Beispiel der Speicherkapazität: Innerhalb weniger Dekaden haben sich die Einschätzungen von rund 100 Megabytes über 1 Terabyte zu den 1 bis 2 Petabytes entwickelt, die Neurowissenschaftler heute anbieten. Mit einem Faktor von sage und schreibe 10 Millionen kommt dies einer Explosion gleich.
Sicher ist: Unsere «Harddisk» ist beinahe unfassbar aufnahmefähig. Dies trifft auch dann noch zu, wenn die aktuellen Schätzungen um einen Faktor 10 zu hoch liegen sollten. Zur Illustration: Ein Petabyte, das sind 1015 Bytes, fasst 200’000 zweistündige hochauflösende Filme oder ein Mehrfaches der gesamten Spotify-Songbibliothek mit ihren mittlerweile 80 Millionen Titeln. Es sind gigantische, geradezu irrwitzige Kapazitäten, die uns mit den 1500 Gramm Nervenzellen und Synapsen da oben offenbar zur Verfügung stehen.
Doch reicht dies für ein ganzes Leben – für 80 oder 100 Jahre? Nun, legt man die Berechnungen von Marius Angeschrien in seinem witzigen Youtube-Video zugrunde, würde unser Speicher mehr als 200 Jahre durchhalten. Doch auch hier: In Anbetracht seiner zahlreichen Annahmen ist dies mehr Spekulation denn Evidenz. Unsicher ist nämlich nicht nur die Speicherkapazität, sondern auch, mit welcher Auflösung wir optische Eindrücke aufnehmen. Oder was von den gerade aufgesaugten Informationen nur temporär im Kurzzeitspeicher landet. Und wie gut unser Hirn darin ist, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wie gross der Eisberganteil unter der Oberfläche ist, jener Teil also, den wir nicht bewusst abrufen können. Und so weiter und so fort. Aufgrund dieser Faktoren den noch verfügbaren Speicherrest eines, sagen wir, 50-Jährigen zu berechnen, mutet deshalb einigermassen abenteuerlich an.
Wie auch immer: Es stellt sich die Frage, ob wir unserem Byte-Lager da oben nicht etwas mehr Ruhe gönnen sollten, statt uns jedem neuen Reiz hinzugeben. Der heutige Informationsüberfluss macht unserem Speicher die Aufgabe bestimmt nicht leicht. Wie wäre es etwa mit einer gelegentlichen Netflix- oder Kinopause? Und klar, auch der gesunde Rentner kann – und soll – noch eine Menge Neues in sich aufnehmen. Doch vielleicht ist das Vorhaben, auch noch Chinesisch zu lernen, einer Reflexion wert. Möglicherweise würden wir mit etwas mehr Zurückhaltung der Vergesslichkeit im Alter, die so viele von uns beschäftigt, ein Schnippchen schlagen können.
Wer solche Überlegungen für fragwürdig hält: IT-Systeme dimensionieren und optimieren wir mit Akribie. Da sollte auch der Gedanke an unsere eigenen Kapazitäten und deren Schonung gestattet sein. Fazit: Etwas mehr Ruhe und Gelassenheit – die Empfehlung jedes Lebensberaters – kann auch in dem Kontext zumindest nicht schaden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen etwas weniger Hektik und Aktivismus!
Heinz Scheuring
Heinz Scheuring ist Inhaber der Scheuring AG in Möhlin. Das Unternehmen bietet Consulting und selbstentwickelte Software für Ressourcenplanung und Projekt(portfolio)-Management an. Er ist Autor des Fachbuches «Radikale Business Software, nichts als dem Nutzen verpflichtet».
heinz.scheuring@scheuring.ch