Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) fristeten noch vor wenigen Jahren ein Nischen-Dasein, entweder als Snapchat-Filter oder als lustiger Marketing-Gag von PR-Abteilungen. Doch diese Zeiten sind vorbei und AR wie auch VR haben ihren Weg in den Mainstream gefunden. Spätestens nachdem Mark Zuckerberg sein Metaverse vorgestellt hat, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die Vermischung von Realität und virtueller Welt keine Science Fiction mehr ist. Die Technologie liefert aber weitaus mehr Möglichkeiten als Hundeohren im Snapchat-Filter oder lustige Hintergründe fürs virtuelle Meeting. Für Unternehmen bietet sie vielerlei Vorteile, entweder zur Optimierung interner Prozesse oder für die Kommunikation mit der Kundschaft. Dabei unterscheidet sich VR zwar von AR, doch beides fliesst ineinander. Mit Augmented Reality wird die Realität mit virtuellen Inhalten ergänzt, dafür genügt meist schon ein Smartphone mit Kamerafunktion. Bei Virtual Reality taucht der User in die digitale Welt ein, nimmt also von der realen Umwelt visuell nichts mehr wahr. VR benötigt daher auch komplexeres Equipment. Beide Varianten jedoch haben das Ziel, spezifische Inhalte möglichst immersiv zu visualisieren.
Darf’s noch etwas Realität sein?
Immer öfter erkennen Unternehmen den Wert dieser Möglichkeiten für ihre eigenen Problemstellungen und packen die Gelegenheit beim Schopf, ihre Prozesse oder das Kauferlebnis ihrer Kundschaft zu optimieren. Dazu eignet sich beispielsweise AR-Technologie hervorragend. Shop-Artikel können mit Hilfe der eigenen Handykamera bequem im Raum (oder bei Kleidungsstücken und Brillen auf dem Körper) platziert werden. So erhalten die Käufer sofort einen Eindruck von Grösse, Dimension oder Look des Produkts. Doch mit AR-Shops ist das Potenzial der Technologie längst nicht ausgeschöpft. Auch Daten lassen sich mit Hilfe von AR im Raum darstellen. Selbst ganze Gebäude können so visualisiert werden, wo in Realität vielleicht erst die Baugrube ausgehoben worden ist. Auch für Navigationen ist AR perfekt geeignet, wie das Beispiel am Flughafen Zürich zeigt. Zürich hat den weltweit ersten Flughafen, bei dem Google Maps mit Live View verfügbar ist. Dazu muss der User nur die Kamerafunktion aktivieren und erhält so vor Ort direkt im Kamerabild Navigationsanweisungen. So wird es deutlich einfacher, auch innerhalb von komplexen Gebäuden wie Flughäfen schnell sein Ziel zu finden.
Bei Virtual Reality hingegen liegt der Nutzen in der Visualisierung von komplett virtuellen Inhalten, weshalb sich die Technologie beispielsweise hervorragend für virtuelle Begehungen von Gebäuden oder Wohnungen eignet, wie es diverse Immobilienportale der Schweiz auf ihren Plattformen bereits anbieten. Auch Architekten nutzen vermehrt Virtual Reality, um ihre Projekte zu visualisieren und zu präsentieren. Schulungen und Trainings können in einer Simulation realitätsnaher durchgeführt werden, was ganz neue Möglichkeiten eröffnet. So führen Blaulichtorganisationen Teile ihre Ausbildungen mittlerweile in VR-Simulationen durch.
Was braucht’s dafür?
Je nachdem, ob sich ein Unternehmen für eine VR- oder eine AR-Anwendung entscheidet, sind die Anforderungen an die Hardware unterschiedlich. Während gewisse AR-Funktionen nur ein Smartphone und die entsprechende Kamerafunktion benötigen, müssen für Virtual-Reality-Umsetzungen entsprechende Brillen angeschafft werden. Sowohl bei Gamern wie auch bei Business Use Cases gehört derzeit die Oculus Quest zu den bekannteren VR Headsets. Neben der Oculus Quest existieren diverse weitere markttaugliche VR Headsets, die jedoch einen leistungsstarken PC oder eine entsprechende Spielekonsole voraussetzen. Demnächst lanciert auch Apple eine eigene VR-Brille und weitere grosse Anbieter werden mit Sicherheit folgen, was den Markt wieder neu durchmischen wird. Für AR-Funktionen gibt es ebenfalls zusätzliche Hardware. AR-Brillen wie beispielsweise Microsofts Hololens oder Magic Leap gehören da zur möglichen Ausstattung. Die Technologie hat aber ihren Preis. Für die Hololens bewegen sich die Preise derzeit um die 3000 bis 6000 Franken. Die weitaus günstigeren sogenannten Smart Glasses sind technologisch leider noch kaum ausgereift genug, um vollwertige Headsets zu ersetzen. Grundsätzlich handelt es sich bei den bisherigen Modellen um sogenannte Head Up Displays – im Prinzip also Bildschirme, die direkt vor dem Gesicht sitzen. Amazon nutzt diese Brillen beispielsweise, um den Mitarbeitenden im Lager die Bestelllisten anzuzeigen, während sie gleichzeitig die Hände frei haben, um die entsprechenden Versandpakete zu füllen. Noch können diese Brillen jedoch keine Informationen im realen Raum darstellen. Für Augmented-Reality-Anwendungen sind aktuell also die mit Abstand am häufigsten eingesetzten Geräte diejenigen, die wir alle tagtäglich mit uns rumtragen: unsere Smartphones (und Tablets).
Auch die Technologie hinter den Smart Glasses (im Bild das Modell Vuzix Blade) macht grosse Fortschritte. (Quelle: Bitforge)
Pfannenfertige Lösungen
Doch wo anfangen, wenn die Idee für ein AR- oder VR-Projekt erst einmal da ist? Mehrere Anwendungsfälle haben sich bereits etabliert und bieten Unternehmen einen echten Mehrwert. Insbesondere im Bereich AR ist die Entwicklung hin zu webbasierten No-Code-Plattformen ein Schritt, der kleineren und mittleren Unternehmen einfachen Zugang verschafft. Die meisten Betriebssysteme, Browser, Frameworks und Engines bieten bereits eine Unterstützung für AR- und VR-Funktionen. Um beispielsweise Inhalte ohne Programmierung darzustellen, bieten iOS und Android mit Scene Viewer respektive Quick Look eine einfache Möglichkeit, um 3D-Modelle mittels AR in der echten Welt zu platzieren. Die Modelle können auch animiert und mit einer Tonspur unterlegt werden. Das kann zum Beispiel für Produktpräsentationen nützlich sein, denn es ist sogar möglich, aus der AR-Ansicht direkt auf eine Shop-Seite zu verlinken. Apple bietet mit dem Reality Composer zudem eine Möglichkeit, interaktive Szenen für Quick Look zu erstellen.
Das Snapchat Lens Studio, das Facebook Spark AR Studio sowie Adobe Aero ermöglichen das Erstellen von Gesichtsfiltern und anderen AR-Effekten ohne Programmierkenntnisse – für die Wiedergabe wird dazu jedoch die jeweilige App benötigt.
Ein Standard, um VR- und AR-Anwendungen im Web für diverse Geräte zu entwickeln, ist WebXR. Der zwar noch nicht ganz finalisierte Standard wird bereits von Edge, Chrome und dem Samsung Internet Browser unter Android und Windows unterstützt und auch Apple hat eine zukünftige Unterstützung offiziell angekündigt. WebXR bietet einige häufig genutzte Grundfunktionen wie Hand Tracking oder die Platzierung von AR-Objekten auf Flächen, so dass viele Anwendungen, die vor kurzem noch eine App vorausgesetzt haben, nun auch im Web möglich werden. Allerdings bietet WebXR selbst keine 3D-Visualisierung – hierfür wird WebGL verwendet. Bibliotheken und Engines wie three.js, Babylon.js oder Playcanvas erlauben jedoch die Erstellung von interaktiven WebGL-Inhalten, ohne dass man sich um jedes Detail selber kümmern muss.
Mit 8th Wall existiert eine kommerzielle Lösung für Augmented-Reality-Anwendungen im Web, die auch iOS unterstützt und zum Beispiel die Platzierung von Objekten im Raum ermöglicht – hier lohnt sich allerdings ein genauer Blick auf die Kosten für die Lizenzierung für kommerzielle Projekte. Wer nur Location Based Augmented Reality oder Image Tracking und keine Platzierung von Objekten im Raum benötigt, kann mit ar.js oder MindAR Web Anwendungen für iOS und Android entwickeln.
Native App bietet mehr
Trotz der zahlreichen bereits fertigen Lösungen kommt man nicht um eine native App herum, wenn man die Möglichkeiten von Virtual und Augmented Reality komplett ausschöpfen möchte – und diese Möglichkeiten sind beinahe grenzenlos. Bei der Umsetzung einer nativen App bietet sich die Nutzung von Engines an.
Mit Unity3D und Unreal Engine unterstützen die beiden gängigsten Pakete die Entwicklung von VR- und AR-Inhalten und erlauben eine Bereitstellung als native App auf diversen Plattformen. Diese Engines geniessen auch eine breite Unterstützung der Hardware- und Plattformhersteller. Apple bietet mit Realitykit ebenfalls eine Möglichkeit, um AR-Szenen in nativen Apps zu erstellen. Daneben gibt es offene Bibliotheken wie Sceneform-Android oder die Open-Source-Spiel-Engine Godot mit partieller Unterstützung für Virtual und Augmented Reality. Der Vollständigkeit halber soll hier auch OpenXR erwähnt werden, welches den VR- und AR-Support unter Windows und Linux bereitstellt.
Zentraler Bestandteil: 3D-Modelle
Neben den rein technischen Aspekten sind die User Experience und Usability sowie optimierte 3D-Inhalte zentral für eine gute VR- oder AR-Anwendung. Im Bereich Usability gibt es diverse Guides für Best Practices. Aber Achtung: Gerade in diesem Bereich finden laufend Veränderungen statt. Sowohl Geräte als auch die Möglichkeiten entwickeln sich ständig weiter und es lohnt sich hier, immer up to date zu bleiben.
Der aktuell grösste Flaschenhals ist die Erstellung von 3D-Modellen zur Platzierung als Augmented-Reality-Objekte via Smartphone oder Tablet, beispielsweise für den Einsatz im E-Commerce. Noch existieren keine vollständig automatisierten und dadurch kosteneffizienten Verfahren zur Produktion von sogenannten Digital Twins, was einer flächendeckenden Verbreitung noch etwas im Weg steht. Für die Erstellung von auf Augmented und Virtual Reality optimierten 3D-Modellen bieten sich unterschiedliche Ansätze an: Scanning, Photogrammetrie und die Nutzung von vorhandenen CAD-Daten, um nur einige Beispiele zu nennen. Trotz all dieser Methoden kommt man jedoch nicht um manuelle Arbeitsschritte herum, und so kann es durchaus einfacher sein, ein 3D-Modell von Grund auf neu zu erstellen. Das Open-Source-Grafikprogramm Blender bietet sich aufgrund der Vielzahl an unterstützten Formaten an – wer es einfacher mag oder mit Platzhaltern arbeiten möchte, kann mit Autodesk Tinkercad einfache 3D-Modelle erstellen. Zudem gibt es einige spezifische Branchenlösungen wie zum Beispiel Matterport für virtuelle Immobilienbesichtigungen oder CAD/BIM Tools, welche explizit die Nutzung von VR-Brillen unterstützen.
Im Dschungel all dieser Tools, Möglichkeiten und Methoden kann es sich also lohnen, einen Spezialisten ins Boot zu holen. In der Schweiz gibt es mehrere Agenturen, die sich explizit auf das Thema Augmented und Virtual Reality spezialisiert haben und nicht nur technisch, sondern auch in Bezug auf Usability und Marketing unterstützend unter die Arme greifen können. Idealerweise entsteht so in einer engen Zusammenarbeit am Ende nicht nur ein Marketing-Gag, sondern ein handfestes und für den Endbenutzer sinnvolles technologisches Hilfsmittel.
Die Zukunft wandert in den virtuellen Raum
Im Sommer 2021 veröffentlichte die Universität Luzern ihre Schweizer Augmented-Reality-Studie, und die Resultate waren klar: Augmented und Virtual Reality sind im Auftrieb! Bereits die Hälfte der Schweizer Bevölkerung hat schon AR-Funktionen genutzt und der Haupttrend liegt ganz klar im E-Commerce respektive in der virtuellen Produktplatzierung. Immer mehr Unternehmen machen sich diese Entwicklung zunutze und steigen auf den Zug auf. Da auch zahlreiche Tech-Firmen und Start-ups mit Hochdruck an neuen Technologien forschen und arbeiten, wird sich dieser Trend in noch unbekannte Sphären entwickeln. Die Hardware wird mit zunehmender Anzahl Anbieter und besserer Technik günstiger werden und so demnächst jedem zur Verfügung stehen. Es ist durchaus denkbar, dass in den nächsten Jahren Smart Glasses unsere Smartphones ersetzen werden! Auch wenn vielleicht im Unternehmen noch kein dringender Bedarf vorhanden ist, lohnt es sich, die Entwicklungen in diesem Bereich nicht aus den Augen zu verlieren und womöglich zu spät einzusteigen. Man darf also gespannt sein, was in naher Zukunft alles möglich sein wird – und wie sich AR und VR in unserem Alltag weiter etablieren.
Der Autor
Reto Senn gründete 2004
Bitforge, eine Agentur für App-Entwicklung und Augmented Reality Software. Er ist als Head of AR Products & Partner in der Firma tätig. Als Spezialist im Bereich Augmented und Virtual Reality unterrichtet er zudem als Dozent an der Ostschweizer Fachhochschule (OST), an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), der SAWI: Academy for Marketing & Communications sowie der Digicomp Academy.
Reto Senn, Gründer Bitforge. (Quelle: Bitforge)