Das ganze Leben die gleiche Stelle, beim gleichen Arbeitgeber? Diese Zeiten sind vorbei. Und die Statistiken sprechen eine klare Sprache: Die Wahrscheinlichkeit, das ganze Leben lang am genau gleichen Ort zu arbeiten, ist äusserst klein. Die Karriereleiter wird nicht mehr nur innerhalb des gleichen Unternehmens erklommen, sondern über verschiedene Wege. Stellensuchende auf dem Arbeitsmarkt weisen heute eine Ausbildung und drei oder vier bisherige Arbeitgeber aus. Diese Vielfalt macht indes die Suche nach geeigneten Fachkräften kompliziert für die Arbeitgeber. Sie müssen unter den zahlreichen Lebensentwürfen und -läufen wählen. Aber wie?
Die HR-Branche kennt bis heute kein einheitliches System zur Überprüfung der Fähigkeiten und Kompetenzen, die Bewerber bei ihren vorherigen Stellen angeeignet haben. Es braucht Zeit und erhebliche Ressourcen, um die Profile der Kandidaten tiefgreifend zu prüfen. Dazu kommt das Risiko, dass Lebensläufe und Arbeitszeugnisse beschönigt oder gar gefälscht werden können. Der Austausch von Dokumenten zwischen Bewerbern und Arbeitgebern ist heute standardisiert in einer Weise, die es den Arbeitgebern schwermacht, mögliche Manipulationen aufzudecken. Entweder sie überprüfen die Echtheit der Dokumente, indem sie nach Einwilligung des Stellensuchenden direkt mit den früheren Arbeitgebern Kontakt aufnehmen. Oder sie holen sich Dritte zur Hilfe. Oft werden die Referenzen aber nicht überprüft, weil der Prozess teuer und eine Rückmeldung von früheren Arbeitgebern nicht garantiert ist und die Qualität des Feedbacks unterschiedlich ausfallen kann.
Bisherige Programme sind leicht zu verwirren
Personalvermittlungen nutzen zunehmend künstliche Intelligenz (KI), um eine erste Vorauswahl von Bewerbenden zu machen. Häufig werden diese Tools mit Daten gespiesen und trainiert, die von früheren oder ähnlichen Bewerbenden gesammelt wurden. Im vergangenen Jahr gaben bei einer Linkedin-Umfrage gut zwei von drei der befragten Personalmanager und Recruiter an, KI einzusetzen bei wiederholenden Elementen im Rekrutierungsprozess (etwa beim Überprüfen von Lebensläufen und Bewerbungen oder der Identifizierung von Top-Kandidaten). Dabei würden sie auch entsprechend Zeit sparen, sagten die HR-Spezialisten. Aber auch dieser Prozess birgt Risiken. Der Vorentscheid für oder gegen einen Bewerber basiert stark auf dessen bisherigen Fähigkeiten und weniger auf den Erwartungen im Hinblick auf dessen neue Stelle. Je nach vorhandener Datenlage werden automatisch und unbewusst spezifische Rollenprofile bevorzugt – und andere nicht. Hier setzen das Unternehmen Skills Finder und die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) an. In einem gemeinsamen Projekt geht es darum, die geforderten Fähigkeiten (Skills) aus den Lebensläufen der Kandidaten zu ziehen und sie mithilfe von KI-Algorithmen zu prüfen. Dies soll es den Unternehmen ermöglichen, ihre Fachkräfte auf der Basis von geprüften Daten zu suchen. Das Einholen von Referenzen bei früheren Arbeitgebern würde so entfallen.
Lebensläufe sind zusammengestellte und kompilierte Datensätze. Deren Vielfalt stellt eine Herausforderung dar für die automatisierte Extraktion von Fähigkeiten und Fachwissen. Die Lebenslauf-Parsing-Automatik extrahiert Details aus Lebensläufen und speichert sie in Datenfeldern. So sollen lose Lebenslaufdaten in ein strukturiertes Format konvertiert werden. Die meisten bisherigen Parser für Lebensläufe sind regelbasiert. Das Problem dabei: Die in Lebensläufen verwendete Sprache kann stark variieren und die Computerprogramme haben Mühe, die Mehrdeutigkeiten zu erkennen. Zum Beispiel kann der Name einer Fähigkeit mit dem Namen einer Person verwechselt werden und umgekehrt. Ein Lebenslauf, in dem «Apache Cassandra» (ein Datenbankverwaltungssystem) steht, würde ausreichen, um einen regelbasierten Parser zu verwirren. Die Folge: Die gängige Parsing-Automatik kann Lebensläufe nicht akkurat strukturieren. Rekruiter und HR-Spezialisten können ihr schlichtweg nicht trauen.
Die neueste Generation von Lebenslauf-Parsern nutzt bereits die KI-Technologie, etwa die Named Entity Recognition (NER). Diese Programme sind auch in der Lage, Wörter und gar ganze Sätze in Lebensläufen in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen. Zum Beispiel: «Ich schätze es, in enger Zusammenarbeit mit meinen Kollegen zu arbeiten». Und: «Eine meiner Stärken ist die Fähigkeit, gut im Team zu arbeiten». Beide Sätze repräsentieren die Fähigkeit, im Team zu arbeiten; auch wenn sie mit völlig unterschiedlichen Worten ausgedrückt sind. NER ist in der Lage, beide Beispiele als «Team-Fähigkeit» zu klassifizieren und als Fähigkeit zu extrahieren.
Die bisher verfügbaren Systeme bieten jedoch keine Validierung von Fähigkeiten und Fachwissen. In der HR-Branche wird KI hauptsächlich für die Empfehlung geeigneter Stellen, das Job-Matching oder das Ranking von Stellensuchenden für eine Stelle verwendet.
Der Ansatz, den Skills Finder und die FFHS verfolgen, basiert deshalb nicht auf dem klassischen Matching, sondern auf der Extraktion von Fähigkeiten und deren Validierung. Hierfür wurde ein Flaggensystem entwickelt. Dieses vergleicht für jedes Profil die aus den Lebensläufen extrahierten Fähigkeiten mit denen, die aus anderen mitgereichten Dokumenten (Referenzen, Diplome, Zertifikate) extrahiert wurden. Dann werden die Übereinstimmungen eruiert und bewertet. Wenn diese über einen vordefinierten Schwellenwert liegen, wird die Fähigkeit als grün gekennzeichnet (automatische Validierung). Die Fähigkeit wird als mit orange gekennzeichnet, wenn die Ähnlichkeit unter dem vorgegebenen Schwellenwert liegt. Dann wird der Bewerber aufgefordert, die Fähigkeit mit zusätzlichem Freitext besser zu beschreiben. Wenn es kaum Übereinstimmungen gibt, muss die kandidierende Person zusätzliche Informationen durch das Hochladen von Dokumenten bereitstellen, um die Fähigkeit als geprüft anzuzeigen.
Dieses Flaggen- und Kennzeichnungssystem ist neu. Die Lösung soll es den Stellensuchenden ermöglichen, ein Profil zu erstellen, das nicht nur alle Fähigkeiten und Kompetenzen hervorhebt, sondern diese auch noch validiert und entsprechend anzeigt. Aber auch die Arbeitgeber profitieren. Sie erhalten einen schnellen und profunden Überblick über die Profile der Bewerbenden.
Lebensläufe werden schöngemacht
Weiter soll es dank Blockchain-Technologie möglich sein, die Daten sicherer zu machen. Die gesammelten Zeugnisse und beruflichen Angaben werden verschlüsselt, so dass es künftig nicht mehr möglich sein wird, die Dokumente aufzupeppen oder zu fälschen.
Im August 2018 befragte der US-Lebenslauf-Schreibdienst Topresume 629 Fachleute aus dem HR-Bereich nach dem Schweregrad von Lügen in Lebensläufen. Die meisten Vergehen betreffen folgende Bereiche: Akademischer Abschluss (89 Prozent), Strafregister (88 Prozent), Zertifizierungen und Lizenzen (85 Prozent), Berufserfahrung (84 Prozent), Technische Fähigkeiten und Fertigkeiten (75 Prozent). Darüber hinaus ergab die Umfrage, dass 78 Prozent der Befragten erkannten, dass Bewerbende in ihren Lebensläufen lügen. 48 Prozent sagten, dass Lügen einen Arbeitnehmenden den Job kosten würden. 66 Prozent gaben an, dass sie immer Hintergrundüberprüfungen durchführen und 57 Prozent der Befragten kennen wenigstens eine Person, die ihren Lebenslauf schon mal gefälscht hat.
Die Schummelei auf der Jobsuche verschwendet teure Recruiting-Ressourcen, verwehrt qualifizierten Bewerbenden Jobchancen und kann ein Unternehmen einem potenziellen Mitarbeiterbetrug und einem späteren Markenschaden aussetzen. Der kompetitive Arbeitsmarkt ist sicherlich einer der Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bewerbende versuchen möglicherweise, ihre Lebensläufe zu verschönern, um die Konkurrenz für begehrte Positionen zu übertreffen. Sie wissen, worauf Personalverantwortliche in ihren Lebensläufen achten und können davon ausgehen, dass Personalverantwortliche bei der Flut von Bewerbungen nicht jedem Detail nachgehen können.
Arbeitgeber, die Blockchain-Lösungen nutzen, eliminieren das Risiko von betrügerischen Bewerbungen und können in Echtzeit die Ausbildung, Fähigkeiten und Leistungen potenzieller Mitarbeitenden überprüfen und bewerten, damit diese den an besten geeigneten Aufgaben zugewiesen werden können. Im Gegenzug erhalten die Bewerbenden eine umfassende, vertrauenswürdige Blockchain-basierte Aufzeichnung ihrer Erfahrungen, Fähigkeiten, Ausbildung und Leistung am Arbeitsplatz. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Sicherheit von Daten von Mitarbeitenden: Arbeitgebende haben Zugang zu grossen Mengen an privaten Informationen über Mitarbeitende. Auf einer Blockchain können Datensätze verschlüsselt und unveränderlich aufgezeichnet werden und bei Bedarf und mit der Bewilligung des Datenbesitzers geteilt werden.
Die Autorinnen
Beatrice Paoli (links) ist Institutsleiterin und führt anwendungsorientierte Forschung am Laboratory for Web Science (LWS) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) durch. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Data Science mit Fokus auf Deep Learning und Machine Learning.
Priska Burkard (rechts) ist Gründerin von Skills Finder und Mitgründerin von Techface. mit Sitz in Zürich. Davor war sie im Projekt- und Produkt Management in der Finanzindustrie tätig und verantwortlich für die Umsetzung von Businessanforderungen in IT-Projekten. Ihr Wissen und ihre Erfahrung nutzt sie heute, um innovative Lösungen im Bereich Recruiting von Projektmitarbeitern und der Unterstützung der Diversität in Tech Teams anzubieten.