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Wie gelingen Web-Projekte?

Jürg Stuker erläutert die Techniken und Strategien für die erfolgreiche Umsetzung von Web-Projekten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2021/01

     

Die Versuchung ist gross, Methoden oder Techniken als zentrale Erfolgsfaktoren für Projekte zu preisen. Sie vermitteln Sicherheit, da vermeintlich klar ist, was zu tun ist. Doch gelingt damit Ihr Web-Projekt? Und was bedeutet gelingen genau? Zielpublikum der folgenden Zeilen sind Projektauftraggeber respektive die Menschen, die in der Gründungsgeschichte des agilen Scrum-Ansatzes auch als Hühner bezeichnet wurden.


Die Strukturierung des Beitrags erfolgt, unabhängig von der konkreten Vorgehensmethodik, in den grundlegenden Schritten eines jedes Planungszyklus von Zielbild, Konzeption, Umsetzung, Roll­out und Betrieb.

Zwei Antworten vorab

- Wann ist ein Web-Projekt erfolgreich?
Erfolgreich ist das Web-Projekt nicht, wenn es die definierten Anforderungen pünktlich und in guter Qualität abliefert. Die Aussage mag erstaunen, doch vergleiche ich das abgeschlossene Web-Projekt gerne mit dem Kauf eines sehr teuren Werkzeugs zur Herstellung einer Uhr. Der Uhrmacher ist bereit, damit seine erste Uhr herzustellen. Er hat aber alleine mit dem Kauf noch keine Uhr produziert. So verhält es sich auch beim Web-Projekt. Ist das Projekt abgeschlossen, beginnt erst dessen Nutzung. Ein Web-Projekt ist also erst erfolgreich, wenn es die zuvor definierten geschäftlichen Ziele erreicht. Freuen Sie sich also nicht zu früh und nehmen Sie sich vor allem auch Zeit, Ziele zu definieren, die den Fortschritt messen. Um es in den Worten des US-amerikanischen Autors Alfred A. Montapert zu formulieren: «Do not confuse Motion and Progress. A rocking Horse keeps moving but does not make any Progress», zu Deutsch etwa: «Verwechseln Sie nicht Bewegung und Fortschritt. Ein Schaukelpferd bewegt sich immer weiter, macht aber keinen Fortschritt.»

Zu häufig wird der Zieldefinition aber ausgewichen, da diese Schwächen des Status Quo zeigt, dieselben Personen aber die Verantwortung für das aktuelle Projekt tragen. Und nein: «Wir müssen das Framework XYZ auswechseln, um in der Zukunft flexibler zu sein» ist kein taugliches Ziel.


Methodische Hilfestellung zur Zieldefinition bietet ein Werttreiberbaum, an dessen Blättern die Ziele hängen, die wiederum den SMART-Anforderungen (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert) genügen. Wurzel des Baums sind typischerweise Umsatzsteigerung und die Steigerung der Effizienz. Und ja, eine geschickte Zieldefinition kann eine schwierige Aufgabe sein, aber ohne die Benennung des zu erklimmenden Berggipfels startet die Expedition nicht. Fordern Sie die Ziele ein!

- Führung im Rahmen eines Umsetzungprojekts
Die Verantwortung für eine Projektumsetzung ist eine Führungsaufgabe vergleichbar mit der Führung von Mitarbeitern. Wie erledigen Sie diese? Nicht mit starren Regeln, Anforderungen, Meilensteinen und Prognosen, aber mit innerer Haltung, Zielen, Delegation und guter Kommunikation. Genauso funktionieren erfolgreiche Web-Projekte, doch dazu später mehr.

Zielbild

Grundlage für ein Web-Projekt ist dessen Kontext und, wie bereits erwähnt, die Einigung auf messbare Ziele, die tatsächlich auf ihre Unternehmensstrategie einzahlen. Nun gilt es, den gewählten Weg zum Ziel festzulegen und das Projekt in einen normierenden und motivierenden Zusammenhang zu bringen. Oder wie es Neudeutsch heisst: Wir brauchen das Why und das How.

- Das Why
Ganz zu Beginn kommen die Menschen ins Spiel, welche das Web-Projekt erfolgreich machen werden und damit verbunden Ihre Führungsaufgabe als Projektauftraggeber. Je motivierender die Formulierung der Aufgabe ist, desto einfacher ist es, alle zu Höchstleistungen zu bringen.


Heike Bruch von der Universität St.Gallen hat im Rahmen ihrer Arbeiten zu organisationaler Energie zwei gut verständliche Bilder entwickelt: «Winning the Princess» oder «Slaying the Dragon» (das Herz der Prinzessin gewinnen respektive den Drachen besiegen). Gelingt es Ihnen, ein solches Bild zu schaffen, verstärken Sie damit Eigeninitiative und legen dank einem übergeordneten Ziel zusätzliche Energiepotenziale frei. Sinnstiftung ist eine der wichtigsten Aufgaben für Sie als Führungsperson.

- Das How
Um bei der Analogie des Berggipfels zu bleiben: Aus der Zieldefinition wissen Sie, wohin die Expedition führen soll, also müssen Sie sich noch für eine Route entscheiden. Nur so ist es möglich, das richtige Material und die dafür am besten geeigneten Leute festzulegen. Oder in anderen Worten: Legen Sie fest, worauf Sie den Fokus setzen, damit man am Markt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Lösungen und Lösungsvarianten hat. «Mee too» ist selten ein gutes Argument, um erfolgreich zu sein. Eine sorgfältig durchgeführte SWOT-­Analyse (siehe Grafik) ist immer gut investierte Zeit. Es gilt zu verstehen, was an eigenen Stärken und Marktchancen genutzt werden soll und welche Schwächen und Gefahren wie abzufedern sind. Selbstredend ist, dass diese Festlegung eng mit den definierten Zielen verknüpft ist. Die Erstellung respektive die Abstimmung damit hat iterativ zu erfolgen.

Konzeption

Ziel der Konzeption ist es, das zu erstellende Ergebnis so zu spezifizieren, dass es in der Umsetzung möglichst effizient hergestellt werden kann. Die Aussage ist vordergründig korrekt, doch je innovativer das zu erstellende Produkt ist, desto weniger weiss man zu einem frühen Zeitpunkt, was genau umsetzt werden soll. Die Konzeption muss als Dialog zwischen den Ideen des Projektteams und der Reaktion möglicher User gestaltet sein.

- Verstehen
Sie erstellen ein Produkt für Nutzer. Also gilt es, deren Bedürfnisse, Vorlieben und Herausforderungen zu verstehen. Dies geschieht über Fachwissen, welches in der Organisation vorhanden ist, vor allem aber über Nutzerforschung. Der Ansatz des User Centered Designs stellt mit dem Value Proposition Canvas (siehe Grafik) und der User Journey Map zwei mögliche Techniken dafür zur Verfügung. Ihre Rolle als Auftraggeber ist es, das Verständnis über Nutzer einzufordern und sicherzustellen, dass diese auf Fakten basieren und dem Projektteam verständlich sind.


- Ideenentwicklung
Jetzt erstellt das Team erste Skizzen der Umsetzungsideen in Form einfacher Prototypen. Der Begriff der Idee ist wichtig, da jeder Vorschlag zu diesem Zeitpunkt noch selbstlos sein muss. Erste Tests entscheiden, ob diese tatsächlich so umgesetzt werden sollen. Der Vorschlag wird aufgrund der Testergebnisse so lange iteriert, bis erneute Tests belegen, dass tatsächliche Kundenbedürfnisse adressiert werden. Erst die validierten Ideen sind dann Grundlage für die Umsetzung. Ein möglicher Ansatz, diese Grundlage zu schaffen, ist der von Google Ventures entwickelte Prozess des Design Sprints (siehe Grafik). Dieser deckt die Phasen der Ideenentwicklung sehr gut ab.

- Dokumentation des Konzepts
Nachdem nun entschieden ist, was Sie umsetzen möchten, gilt es, die Entscheidungen in eine strukturierte Form zu bringen. Einerseits muss sich das Team unmissverständlich über den Inhalt der Aufgabe einigen. Und andererseits gilt es, die einzelnen Anforderungen in eine Rangfolge zur Umsetzung zu bringen. Zudem ist es Fakt, dass sich Anforderungen im Laufe des Projektes verändern. Sei es, weil sich der Markt in der Zwischenzeit verändert hat oder sei es, weil während der Erstellung neue Erkenntnisse gewonnen wurden. Der zentrale Satz dazu im agilen Manifest lautet: Welcome changing Requirements, even late in Development – die Anpassung von Anforderungen sollte also stets willkommen sein, selbst im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Logische Folge davon ist, nur so wenig wie möglich (und so viel wie nötig) zu dokumentieren.

Bewährt haben sich User Stories ergänzt um Wireframes, visuelles Design und Hinweise zum dynamischen Verhalten bei der Interaktion. Einen guten Einblick dazu bietet Atlassian in dem Artikel «Product requirements documents, downsized». Die Firma bietet mit den Produkten Confluence und Jira auch die am häufigsten eingesetzten Werkzeuge zur Dokumentation.

Umsetzung

Aktueller Standard für die Umsetzung von Web-Projekten ist der Scrum-Ansatz und damit die Aussage: «Working Software is the primary Measure of Progress.» Wichtig ist also, dass die Software über ihre gesamte Entwicklungszeit bereits grundlegend funktioniert und getestet werden kann. Andere Ansätze können aber selbstverständlich auch für Ihr Web-Projekt geeignet sein. Doch unabhängig vom gewählten methodischen Ansatz haben die folgenden Tipps bestand.

- Priorisierung der Arbeitsschritte
Zentral sind die Grösse des zu liefernden Inkrements des Umsetzungsschrittes, die Rangfolge der Umsetzung der User Stories und die genannte Tatsache, dass sich Anforderungen ändern werden.


Die einzelnen zu liefernden Artefakte müssen innert zwei oder drei Wochen abgearbeitet werden können und als Ergebnis funktionierende Software liefern, die präsentiert werden kann. Nur so lässt sich das Funktionieren des Teams erkennen und auch steuern. Zu grosse User Stories gehören aufgeteilt. Und alles, was keinen Kundennutzen liefert, sollte nur mit sehr guten Gründen priorisiert werden.
Die Reihenfolge der Umsetzung geschieht konsequent aus Nutzersicht, womit sichergestellt ist, dass das eingesetzte Geld auch optimal allokiert wird. Ist die Bewertung der Leistung nur schwierig möglich, so gilt es, so rasch wie möglich ein Produkt zu erstellen, welches als MVP (Minimal Viable Product) am Markt getestet werden kann. Nur der Markt respektive die Akzeptanz durch die Kunden entscheidet schlussendlich über den Erfolg.

Und, so schwierig es sein mag: Heissen Sie Planänderungen willkommen. Natürlich nur, wenn es dafür eine Evidenz beispielsweise als Ergebnis eines Tests gibt oder wenn der Kundennutzen damit nachweislich erhöht wird. Im agilen Manifest ist dies wie folgt formuliert: «Agile Processes harness Change for the Customer’s competitive Advantage» («Agile Prozesse nutzen den Wandel zum Wettbewerbsvorteil des Kunden»). Budget oder Zeitplan hin oder her: Wenn es nicht gut ist, so soll man es nicht tun und eine Rangfolge der Umsetzung muss sich immer wieder dem aktuellen Erkenntnisstand anpassen.

- Interdisziplinäre Teams
Die besten Ergebnisse werden von interdisziplinären Teams erzielt, die eine hohe Diversität aufweisen, so auch bei der Umsetzung von Web-Projekten. Erlauben Sie keine Abgrenzung von Abteilungen oder Spezialistentum und forcieren Sie jederzeit eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe in gemischten Teams. Transparent und ohne eigene Agenda. Jede Entscheidung ist eine zeitgleich erfolgte, sorgfältige Abwägung von Strategie, Technik, Kommunikation und dem dynamischen Verhalten bei der Interaktion.

- Regelmässige Realitäts-Checks
So ziemlich alle Arbeitsergebnisse müssen sich immer wieder an der Realität messen. Im Rahmen der Umsetzung heisst dies, dass in den Steuerungstreffen nicht Excel und Powerpoint gezeigt werden, sondern ein funktionierender Zwischenstand der Software und Testergebnisse.

Das normale Testing des Produktes auf Spezifikationstreue und technische Qualität gehört immer zum Projekt und, ein guter Projektleiter vorausgesetzt, für Sie als Auftraggeber kaum besondere Beachtung benötigt, ausser dass in der Planung genug Zeit dafür veranschlagt sein muss.

Rollout und Betrieb

Ist das angestrebte Produkt oder zumindest ein MVP umgesetzt, so beginnt die anspruchsvollste Phase: die Nutzung. Dafür muss im Rahmen des Rollouts eine ideale Ausgangslage geschaffen werden. Einerseits stehen dabei die Menschen im Zentrum: Die eigenen Mitarbeiter als Ihre wichtigsten Kunden und Multiplikatoren. Und andererseits exzellente Prozesse im Rahmen der Nutzung und Weiterentwicklung des Produktes. Jede Reklamation ist eine Chance zur Verbesserung.


Man muss bereit sein, Sonderfälle und Probleme kulant zu lösen und erlauben Sie, dass Verbesserungsvorschläge und technische Fehler schnell umgesetzt werden können. Dazu braucht es auch nach dem Livegang sowohl Budget wie auch einen Teil des Teams, das bei der Entwicklung involviert war. Grundlage für einen erfolgreichen Betrieb ist zudem ist auch eine leistungsfähige Überwachung, welche qualitative Aspekte erfasst und in der Lage ist, proaktiv zu alarmieren. Was häufig nicht mehr als Teil des Web-Projektes betrachtet wird, ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Also planen Sie auch diesen als Teil des Projektes.

Fazit

Die technischen Aspekte sind die Pflicht eines jeden Web-Projektes. Die Kür eines erfolgreichen Web-Projektes ist Ihre Führungsaufgabe als Auftraggeber, denn Projekte haben vor allem mit Menschen zu tun. Menschen, die umsetzen, Menschen, die als Multiplikatoren davon erzählen und Menschen, die das Produkt nutzen. Kümmern Sie sich in erster Linie um diese drei Gruppen.

Tun Sie dies und bleiben Sie genug nah dran. Dies muss nicht in allen Steuerungstreffen sein. Aber wenn die Auftraggeber in den wichtigen Augenblicken des Projektes nah an den Menschen sind, so entsteht auch ein gutes Ergebnis. Oder um mit einem letzten Zitat aus dem agilen Manifest zu enden: «Build Projects around motivated Individuals. Give them the Environment and Support they need, and trust them to get the Job done.» Zu Deutsch: Planen Sie Projekte um motivierte Menschen und geben Sie diesen das Umfeld, die Unterstützung und das Vertrauen, um den Job zu erledigen.

Jürg Stuker

Jürg Stuker bezeichnet sich als Techie mit riesigem Respekt vor kreativen Menschen, die unkonventionelle Lösungen suchen und umsetzen. Er arbeitet seit über 20 Jahren an digitalen Projekten mit einem Fokus auf Nutzererlebnis und war 13 Jahre lang CEO der Digitalagentur Namics. Heute interessieren ihn Unternehmen in ihren «Sturm und Drang»-Jahren, weshalb er sich unter anderem als Angel Investor engagiert.
Info: www.stuker.com


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