Ist Open Source Software nun ein alter Zopf oder ein brandaktuelles Thema? Beide Betrachtungsweisen stimmen: Es gibt unterdessen Open-Source-Projekte wie beispielsweise den Grafikeditor Gimp (GNU Image Manipulation Program), der gerade in diesen Wochen sein 25-jähriges Jubiläum feiert. Auch ist es bereits über zwanzig Jahre her, seit der Begriff Open Source durch die Open-Source-Initiative ins Leben gerufen wurde – im Informatik-Zeithorizont fast eine Unendlichkeit.
Und dennoch ist das Thema Open Source Software zurzeit so relevant wie nie zuvor: Noch nie gab es so viele Open-Source-Projekte wie heute; gemäss der Open-Source-Informations-Plattform Open Hub sind es weltweit über 497´000 Projekte und auf Github sind gar über 128 Millionen öffentliche Repositories registriert. Der Einsatz von Open Source Software in Firmen und Behörden wächst gemäss der Schweizer Open-Source-Studie 2018 fortlaufend. Hatten beispielsweise 2012 erst 50 Prozent der befragten Organisationen ein Open-Source-Server-Betriebssystem wie Linux verwendet, waren es 2015 bereits 68 Prozent und im Jahr 2018 schon 71 Prozent. Man darf gespannt sein, wie sich diese und weitere Zahlen 2021 bei der erneuten Durchführung der Open-Source-Studie entwickeln werden.
Auch das öffentliche Verständnis für Software-Entwicklung nimmt zu und damit wird auch die Forderung nach Transparenz des Quellcodes immer präsenter. Sehr gut war dies jüngst bei der Lancierung der Swisscovid App sichtbar geworden: Es war eines der zentralen Argumente des Bundesamts für Gesundheit und der Entwickler bei der ETHZ und EPFL, dass sowohl die Algorithmen als auch der komplette Quellcode dieser Datenschutz-technisch heiklen Mobile App offengelegt und unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht wurde. So konnten das Parlament, der Bundesrat, die Forschenden und die Unternehmen, welche die App entwickelten, der Bevölkerung glaubhaft vermitteln, dass sie keine Angst vor Datensammlungen durch den Staat oder Private haben mussten. Das Argument Open Source steht somit heute für Technologie-Transparenz und schafft dadurch Vertrauen und Akzeptanz.
Eigennützige Software-Geschenke
Wie der Bund die Swisscovid App unter einer Open-Source-Lizenz publiziert hat, so geben auch immer mehr Firmen und Behörden eigene Software-Entwicklungen als Open-Source-Lösungen frei. Dazu verwenden sie meistens eigene Profile auf Github, der weltweit grössten Open-Source-Entwicklungs-Plattform. Der neue Schweizer Open Source Github Benchmark zeigt, dass Schweizer IT-Firmen, aber auch Hochschulen, Behörden, Medienhäuser oder Versicherungen, aktiv Open Source Software veröffentlichen. So kommt beispielsweise der Open-Source-Anbieter Camptocamp auf 719 Github-Repositories
(www.ossbenchmark.ch). Das aktivste Bundesamt, Swisstopo, und die SBB haben jeweils 66 Open-Source-Projekte freigegeben. Beeindruckend ist ebenfalls, dass auch vollständig privatwirtschaftliche Firmen aus der hoch kompetitiven Finanzbranche wie Baloise oder Axa Winterthur auf der Liste der Top 25 Schweizer Open Source Contributors erscheinen.
Da fragt man sich zurecht: Warum machen die das? Warum verschenken sogar gewinnorientierte Unternehmen ihre wertvolle, sehr aufwändig programmierte Software, sodass Konkurrenten diese einfach kopieren können? Das ist eine berechtigte Frage, die nicht intuitiv beantwortbar ist, und zudem sind die Motivationsgründe unterschiedlich: Einerseits bringt die verbreitete Anwendung von Software sozusagen automatisch bessere Qualität des Quellcodes hervor: Wird die Software von mehr Personen auf unterschiedlichsten Systemen getestet, werden Fehler schneller gefunden und Optimierungen eher umgesetzt. Dies hat schon Linus Torvalds erkannt: «With many eyeballs, all bugs are shallow.»
Andererseits bringt eine breit eingesetzte Software den Besitzern auch den Vorteil, dass diese die Kosten für die langfristige Weiterentwicklung nicht allein tragen müssen. So hat beispielsweise die Stadt Bern Ki-Tax, die Applikation für die Verwaltung der Gutscheine für Kindertagesstätten, auf ihrem Github-Profil veröffentlicht. Nun besteht die Erwartung, dass mittelfristig andere Städte die Software zunächst Nutzen und sich anschliessend an den Weiterentwicklungsarbeiten beteiligen. So werden diese Open-Source-Freigaben nicht aus Nächstenliebe erbracht, sondern wie ein Zeitungsartikel kürzlich trefflich formulierte, handelt es sich dabei um «Eigennützige Software-Geschenke». Gleichzeitig haben auch die Anbieter erkannt, dass sie durch die Open-Source-Lizenz die ursprünglich im Auftragsverhältnis entwickelte Software nun auch bei anderen Kundenprojekten einsetzen können. So hat die Firma DV Bern, die als Entwickler von Ki-Tax ursprünglich eher erschrocken war ob den Open-Source-Plänen der Stadt Bern, letztlich den eigenen Business-Nutzen des neuen Open-Source-Projekts erkannt.
Und drittens sind Firmen auf Github deshalb aktiv mit Open-Source-Publikationen, weil sie sich dadurch mehr Visibilität und damit Arbeitgeber-Attraktivität versprechen. Bekanntlich herrscht in der Informatikbranche weiterhin ein Fachkräftemangel, insbesondere wenn es um sehr spezialisierte Entwickler von Open-Source-Technologien geht. Da sich diese Top-Leute quasi den Arbeitgeber aussuchen können, ist es für sie wichtig, dass auch die Developer-Philosophie des Jobs passt. Ist nun ein IT-Anbieter oder auch ein anderer IT-Arbeitgeber wie eine Versicherung oder eine Behörde auf Github mit vielen Repositories und involvierten Members präsent, so ist zu erwarten, dass dort eine lebendige Open-Source-Entwicklerkultur herrscht, was attraktiv ist für gute Fachleute.
Open-Source-Freigabe auf Gesetzesebene vorgesehen
Noch vor einigen Jahren wurde politisch und juristisch gestritten, ob auch staatliche Stellen Open Source Software freigeben dürften. Der Stein des Anstosses war das Schweizerische Bundesgericht, das seit jeher sehr klar auf Open-Source-Anwendungen und -Entwicklungen gesetzt hat. So wollte die interne Informatikabteilung auch anderen Gerichten die eigens entwickelte Gerichtsverwaltungs-Software zugänglich machen – ähnlich wie das beispielsweise Swisstopo seit vielen Jahren mit dem Quellcode des Geoportals macht. Nur brüskierte das die Berner Firma Weblaw, da damit ihr Geschäftsmodell torpediert wurde: Sie wollte weiterhin ihre eigene Software an Gerichte verkaufen und argumentierte deshalb, dass sich das Bundesgericht ordnungspolitisch inkorrekt verhalte und im Markt die Privaten konkurrenziere. Die Folge davon waren mehrere politische Vorstösse und juristische Gutachten auf nationaler und kantonaler Ebene. Letztlich führten diese dazu, dass nun den Behörden auf Gesetzesebene die Freigabe von Open Source Software explizit erlaubt wird.
So sieht der Kanton Bern in seinem neuen «Gesetz über die digitale Verwaltung» vor, dass die Freigabe von Open Source Software durch kantonale Stellen explizit erlaubt ist. Und auch das neue nationale «Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben», das im Dezember 2020 endlich in die Vernehmlassung kommen soll, enthält einen entsprechenden Passus. Damit sollen letztlich auch Bundesstellen offiziell Open-Source-Freigaben tätigen dürfen, obwohl dies in der Praxis durch Swisstopo, Meteoschweiz oder die Bundeskanzlei schon lange praktiziert wird.
Tatsächlich ist diese heutige Open-Source-Tätigkeit der Bundesämter unproblematisch. Gemäss dem «Praxis-Leitfaden Open Source Software in der Bundesverwaltung» dürfen Ämter bereits heute explizit Open Source veröffentlichen, wenn sie bereit sind, die Verantwortung selbst zu tragen – und das sind sie, da sie wie erwähnt davon klar profitieren. Künftig wollen beispielsweise auch das Bundesarchiv und das Bundesamt für Umwelt im Rahmen ihrer Linked-Open-Data-Aktivitäten den neu entwickelten Quellcode als Open Source veröffentlichen, so wie dies bereits in der öffentlichen Ausschreibung des 20-Millionen-Projekts vorgesehen war. Die erwähnten Beispiele zeigen, dass in Zukunft mit noch vielen weiteren Open-Source-Freigaben durch Behörden und Unternehmen gerechnet werden kann und deshalb das Thema Open Source wohl auch in den nächsten Jahren weiter an Relevanz gewinnen wird.
Neue Entwicklung des OSS Directory
Das OSS Directory zeigt schon seit über zehn Jahren an, welche der über 200 in der Schweiz und Deutschland ansässigen Open-Source-Anbieter für welche der über 800 Open-Source-Lösungen professionelle Dienstleistungen anbieten. Über 400 Kundenreferenzen dokumentieren den Einsatz von Open Source Software in der Wirtschaft und Verwaltung. Nun wird Anfang 2021 das OSS Directory in einem neuen Design und einer vollständig überarbeiteten Technologie-Grundlage lanciert.
www.ossdirectory.com
Call for Partners für die Open Source Studie Schweiz 2021
Die Open-Source-Studie wird alle drei Jahre von der Universität Bern im Auftrag der Vereine CH Open und swissICT durchgeführt. Dabei werden rund 1000 Firmen und Behörden in der Schweiz befragt, ob und welche Open-Source-Lösungen sie einsetzen und welche ihre Gründe und Herausforderungen dabei sind. Noch bis am 15. Januar 2021 läuft der Call for Partners für die Studie, bei der sich Open-Source-Anbieter und -Nutzer beteiligen können.
Weitere Informationen bei der Geschäftsstelle von CH Open: info@ch-open.ch
www.oss-studie.ch
Der Autor
Matthias Stürmer ist Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Universität Bern. Mit seiner Forschungsstelle und den Dozenturen für Digitale Transformation (Institut für Informatik) und Digitale Nachhaltigkeit (Institut für Wirtschaftsinformatik) befasst er sich im Rahmen von Vorlesungen, Forschungsprojekten und Dienstleistungen mit Open Source Software. Er ist ausserdem seit 15 Jahren Vorstandsmitglied von CH Open, dem Förderverein für Open Source Software in der Schweiz.