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Digitale Beratung: Mehr Chancen als Risiken

Die digitale Transformation der Wirtschaft macht vor dem Consulting-Business nicht halt. Zu Recht, denn die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet viele Möglichkeiten, Beratungsprozesse zu optimieren.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2020/10

     

Beratung kennen wir heutzutage noch vor allem als Face-­to-Face-Beratung, bei der die Berater und ihre Klienten sich persönlich treffen. Sei es, wenn es um das Thema Finanzierung, das Planen technischer Anlagen oder das Durchführen von Transformationsprojekten in Unternehmen geht. Inwieweit dies auch künftig der Fall sein wird, ist seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie fraglich, denn spätestens durch dieses Ereignis etablierten sich auch in der Beratung digitale Kommunikations- und Kooperations-­Tools – Tools, die im Unternehmenskontext im Zuge der Globalisierung und zunehmenden Vernetzung oft schon lange im Einsatz waren. So wurde zum Beispiel das Collaboration-Tool Microsoft Teams bereits 2017 weltweit von mehr als 200’000 Unternehmen genutzt. Wie viele es heute sind, ist unbekannt. Microsoft verkündete jedoch im Juli, dass inzwischen 20 Millionen Anwender täglich diesen Dienst nutzen – Tendenz stark steigend. Folglich dürfte sich auf die Zahl der Unternehmen vervielfacht haben.

Berater sind keine Vorreiter bei der Digitalisierung

Ursprünglich bezeichnete der Begriff Digitalisierung rein das Überführen von Daten aus einer analogen in eine digitale Speicherform. Zunehmend wird hiermit jedoch auch das Übertragen von Aufgaben, die bisher Menschen wahrnahmen, auf Computersysteme gemeint. Mit den Herausforderungen und Chancen, die sich hieraus ergeben, befassen sich branchenübergreifend viele Unternehmen.

Die Automobilbranche denkt seit Jahren über selbstfahrende Autos nach und die Banken befassen sich mit dem Thema Machine Learning in Zusammenhang mit der Robotic Process Automation (RPA). Und die Beratungsbranche? Sie blieb hiervon bis zum Ausbruch der Corona­krise weitgehend unberührt. Berater reisten weiterhin wie ehedem durch die Welt, nur, dass sie anders als zur Jahrtausendwende auch einen Laptop und ein Smartphone in der Tasche hatten. Für eine effektivere Gestaltung der Beratungsprozesse selbst wurden die Möglichkeiten der Digitalisierung jedoch kaum genutzt.


Das änderte sich schon vor Corona allmählich – unter anderem, weil ausser dem Klassiker Skype von den IT-Unternehmen immer mehr Tools auf den Markt gebracht wurden, die eine Kommunikation und Kollaboration über die Distanz digital ermöglichen. So zum Beispiel das Tool Microsoft Teams. Der Treiber dieser Entwicklung war in der Regel jedoch nicht die Consulting-Industrie. Der Impuls zur stärkeren Nutzung der modernen Kommunikations- und Kollaborations-­Tools ging vielmehr meist von ihren Klienten aus.

Dieser Trend ist zu begrüssen, denn aus der Nutzung dieser Tools im Beratungsprozess ergeben sich Vorteile sowohl für die Beratungsunternehmen als auch für deren Kunden. Die Beratung, wie wir sie bisher kannten, fand in der Regel beim Kunden statt. Damit verbunden waren oft hohe An- und Rückreise- sowie nicht selten Übernachtungskosten, die von den Kunden zusätzlich zum eigentlichen Beraterhonorar zu entrichten waren – nur dafür, dass sich der Berater auf den Weg zu ihnen machte und bei ihnen vor Ort präsent war.

Digitalisierung ermöglicht neue Beratungsformate

Deshalb fragte sich eine wachsende Zahl von Unternehmen zu Recht: Ist dies im digitalen Zeitalter noch zeitgemäss oder kann eine Beratung nicht auch «remote», also mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnik, erfolgen? Dies fragten sich die Unternehmen auch, weil eine intensivere Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik folgenden Vorteil hat: Es werden auch kürzere Beratungseinheiten möglich.


Denn eine persönliche Face-to-Face-­Beratung rechnet sich für die Kunden, aufgrund der direkt oder indirekt von ihnen zu bezahlenden An- und Abreisezeiten sowie Reisekosten der Berater, in der Regel nur, wenn diese mindestens einen Tag vor Ort sind und für das Unternehmen arbeiten. Anders ist dies bei einer digitalen Beratung: Dann stimmt, da die Reisezeiten und -kosten entfallen, oft auch bei ein-, zweistündigen Arbeits- und Beratungssessions, für beide Seiten die Input-und-Output-Relation. So wurden denn auch schon vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verstärkt kurzfristige Beratungen via Skype und Facetime seitens der Kunden nachgefragt und die angesprochenen Kollaborations-Tools im Beratungsprozess zunehmend genutzt. Und die Pandemie? Sie wirkte diesbezüglich wie ein Brandbeschleuniger mit der Konsequenz, dass so mancher Berater fortan die meiste Zeit vor einem Monitor mit Kamera sass. Zu Recht, denn in den Unternehmen ist der Einsatz dieser Tools bei der standort- und unternehmensübergreifenden Team- und Projektarbeit schön längst gängige Praxis. Warum sie also nicht für die Beratungsarbeit nutzen?

Beim Change den Erfolgsfaktor Mensch beachten

Doch so einfach, wie es zunächst erscheint, erweist sich ein Digitalisieren der Beratung in vielen Fällen nicht, denn ein wichtiger Faktor darf nicht unberücksichtigt bleiben: der Faktor Mensch. Er spielt insbesondere bei Change- und Transformationsprojekten eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Bei komplexen und konsequenzenreichen Themen wie einer Reorganisation oder Sanierung, wäre es aus Mitarbeitersicht geradezu absurd, wenn die Berater den damit verbundenen Change-Prozess nur online, beispielsweise per Videokonferenz, begleiten würden. Dies würde sich auch auf die Qualität der Beratung auswirken, denn durch die räumliche Distanz und die Möglichkeit, sich einfach auszuklinken, wenn man – zumindest sachlich-fachlich – scheinbar nichts mehr zu besprechen hat, entstünde eine emotionale Kälte, die für den Erfolg des Change-­Projekts nicht förderlich wäre. Deshalb wird vermutlich, wenn ein Reisen und Konferieren wieder problemlos möglich sein wird – zum Beispiel, weil ein Corona-Impfstoff entwickelt wurde – der Einsatz beispielweise von Video­chat-Tools in solchen Projekten vermutlich nur eine On-top-Leistung sein; beispielsweise zum Durchführen von Ad-hoc-­Coaching-Sessions, wenn unerwartet Probleme auftauchen, die kurzfristig einer Lösung bedürfen. In der Praxis wird sich das Bestreben, den Beratungsprozess zu digitalisieren, voraussichtlich stets auf einem schmalen Grat bewegen, bei dem es permanent neu einzuschätzen gilt, wo und wann der Einsatz digitaler Techniken Sinn macht und wo und wann es einer persönlichen Face-to-Face-Kommunikation bedarf.

Digitale Beratungsstrukturen auf- und ausbauen

Dessen ungeachtet wird sich die Consultingbranche in den kommenden Jahren mit den Themen Digitalisierung ihrer Leistungen und Einsatz digitaler Tools im Beratungsprozess intensiv befassen müssen, denn der Prozess der Digitalisierung der Wirtschaft macht vor ihr nicht Halt.

Deshalb beschloss die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (K&P) schon vor drei Jahren, ihre Tools zur digitalen Beratung mit System auszubauen. So arbeitet sie aktuell zum Beispiel an der Optimierung einer Software, die es jedem K&P-Berater ermöglicht, das Wissen der gesamten Organisation nach Bedarf abzurufen. Noch gleicht diese Software einer firmeninternen Wissensdatenbank, die den Kunden noch keinen unmittelbar für sie erkennbaren individuellen Nutzen bietet. Ermöglicht man den Kunden jedoch, wie geplant, mit ihren Fragestellungen einen direkten Zugang auf diese Wissensdatenbank, um bei Bedarf eigenständig Antworten auf Fragen und Lösungen für Probleme zu finden, sieht die Sache anders aus.


Bei den meisten grösseren Unternehmensberatungen ist es wie bei K&P üblich, dass ihre Berater das in Projekten gesammelte Daten- und Faktenwissen für Folge- und Anschlussprojekte in irgendeiner Form speichern und dokumentieren. Schwierigkeiten bereitet ihnen zum Teil aber noch – wie vielen Unternehmen – das Speichern des sogenannten Erfahrungswissens, das den Experten-Status oft erst begründet. Durch das Einführen einer digitalen Ebene der Wissensspeicherung verknüpft mit einer kollegialen Beratung wird auch das Teilen und Weitergeben dieser Wissensform erleichtert.

Für die Kunden der Beratungsunternehmen ergibt sich daraus unter anderem folgender Vorteil: Angenommen ein Berater arbeitet schon längere Zeit für ein Unternehmen, geniesst er in dessen Organisation in der Regel eine hohe Akzeptanz. Angenommen nun, es kommen, aus welchen Gründen auch immer, neue oder weitere Berater ins Unternehmen, dann stossen diese oft auf Vorbehalte. Diese können minimiert werden, wenn sich der Neue oder die Neuen im Vorfeld mittels der Wissensdatenbank das Wissen ihrer Kollegen aneignen, mit denen die Kundenorganisation schon lange erfolgreich zusammenarbeitet. Das spart zudem Zeit und Geld, weil die neuen, externen Berater nicht erst wieder von den Firmeninternen eingearbeitet werden müssen.

Die digitale Beratung in den Beratungsprozess integrieren

Eine digitale Beratung umfasst also mehr als nur die Ebenen Kommunikation und Kollaboration. Sie dient auch dazu, Beratungsprozesse zu beschleunigen und zu ­effektivieren. Dabei darf das (partielle) Digitalisieren der Beratung jedoch nie zu einem Vernachlässigen des Faktors Mensch in den Veränderungsprozessen und -projekten führen.

Beachten die Berater und ihre Klienten dies, liegen in der digitalen Beratung grosse Optimierungs- und Einsparpotenziale in zeitlicher und finanzieller Hinsicht – für alle Prozessbeteiligten. Auch die Qualität der Beratung steigt – unter anderem, weil die Berater bei einem akuten Bedarf nicht erst anreisen müssen, was oft erst Wochen später möglich ist. Deshalb ermöglicht eine (partielle) Digitalisierung der Beratung auch eine bessere Betreuung der Kunden. Diese Chancen gilt es, bei der erforder­lichen Umgestaltung der Geschäftsprozesse in den Beratungsunternehmen im Zuge der (partiellen) Digitalisierung ihres Business zu nutzen.

Die Autorin

Vanessa Griebel ist ­(Online-) Marketing- und Business-Development-Managerin bei der Unternehmens­beratung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal.


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