Swiss IT Magazine»: Herr Vetter, Sie sind seit rund acht Jahren CIO bei Bucherer. Wie hat sich die IT der Gruppe in dieser Zeit verändert?
Roger Vetter: Wir haben in den letzten acht Jahren die IT-Struktur von Bucherer in vielen Projekten stark vorangetrieben. Das Unternehmen ist in kurzer Zeit erheblich gewachsen, das stellt die IT vor entsprechende Herausforderungen. Das Team bei Bucherer war klein, aber sehr loyal und geprägt von Mitarbeitenden mit sehr hohem Spezialistenwissen. Durch den strategischen Fokus auf andere Bereiche kam es dabei im IT-Bereich zu einem gewissen Investitionsstau. Mit der Verpflichtung des neuen CEO verschrieb sich das Unternehmen jedoch einer konsequenten Wachstumsstrategie, im Rahmen derer wir unter anderem im Jahr 2013 in Paris eines der grössten Uhren- und Schmuckgeschäfte eröffnet haben.
Bucherer ist ein internationales Unternehmen. Wie ist die IT-Infrastruktur aufgebaut?
Die IT-Infrastruktur von Bucherer besteht im Grunde genommen aus drei geografischen Clustern. Zum einen England und die USA, wo wir grössere Akquisen getätigt haben, sowie die DACH-Region mit Dänemark. In Kontinentaleuropa befindet sich die ursprüngliche IT-Infrastruktur des Konzerns, während England nur sehr klein ist. In den USA schliesslich kümmert sich ein Team interner Mitarbeiter zusammen mit Outsourcing-Partnern um die IT von Tourneau, die Niederlassung von Bucherer in den USA. Dieses Team ist sehr autark. In der Schweiz wiederum wickeln wir relativ viele Projekte inhouse ab. So haben wir eigene Hardware im Einsatz, die in zwei Rechenzentren untergebracht ist. Wir betreiben ein eigenes Rechenzentrum an unserem Hauptsitz und verfügen darüber hinaus über eine georedundante Colocation-Lösung. Im Bereich der Endgeräte wiederum sind wir recht klassisch aufgestellt. Das sind im Headquarter hauptsächlich Notebooks und Thin Clients, in den Verkaufsgeschäften mehrheitlich Thin Clients. Bucherer hatte aber schon vor etwa 20 Jahren mobile Plasma-Screens an den Beratertischen, ähnlich den heutigen Tablets, mit denen das Verkaufspersonal die Kunden betreut hat. So wurde etwa die gesamte Zahlungsabwicklung darüber getätigt. Heute setzen wir Kassensysteme ein, die ebenfalls mobil sind. Wir verfolgen einen Best-of-Breed-Ansatz mit zentralen Systemen wie Kassen, ERP und CRM sowie eine Gruppentourismus-Lösung. Letztere ist eine Besonderheit. Wir haben viele Reisegruppen, die unsere Stores besuchen. Dafür haben wir eine Software-Lösung, ähnlich denen, die in der Hotellerie genutzt werden. Luzern ist heute ja bekanntlich ein Must See für Gruppenreisen und Bucherer hat in dieser Entwicklung sicher eine Vorreiterrolle eingenommen. Wir arbeiten dabei mit Tour Operators zusammen, bringen die Touristen zu uns in die Geschäfte und betreuen sie umfassend. Dabei ist das gesamte ICT-Ecosystem stark gewachsen, vor allem in den letzten vier bis fünf Jahren. Das Ziel ist nun, die Systeme in den unterschiedlichen Clustern in eine einheitliche globale Plattform zu überführen und Synergien zu nutzen.
Welche IT-Ressourcen stehen Bucherer denn zur Verfügung?Was die personellen Ressourcen angeht, so sind für Bucherer Kontinentaleuropa 32 IT-Fachleute im Einsatz, die zentral von Luzern aus rund 1800 Mitarbeitende betreuen, zwei Drittel davon Verkaufsberater. Von diesen 32 sind fünf IT-Mitarbeitende für die Infrastruktur zuständig, während fünf Leute den Office-Support machen und vier Spezialisten die Kassen unterhalten. Der Rest ist verteilt auf Projekte und das Application Management. In den USA sind rund ein Dutzend Leute stationiert, welche für knapp 500 Mitarbeitende zuständig sind. Und in UK schliesslich orchestriert ein IT-Koordinator die rund 200-köpfige Belegschaft mit den Outsourcing-Partnern.
Das ist ein relativ kleines Team. Werden Sie auch durch externe Partner unterstützt?Gerade im Bereich der Key-Applikationen arbeiten wir viel mit Partnern zusammen, denn wir entwickeln grundsätzlich keine eigenen Lösungen. Für die wichtigsten Systeme setzen wir Branchenlösungen ein. Mit den Anbietern arbeiten wir dann jeweils sehr eng zusammen, sodass deren Fachleute fast schon zur Bucherer-Familie gehören. Da unser Bedarf an IT-Ressourcen für die Entwicklung stark schwankt, macht es für uns kaum Sinn, die dafür benötigten Mitarbeiter intern zu beschäftigen. Die Partner sind also zentral für die Weiterentwicklung unserer Systeme wie das ERP, die Kassen- und Tourismuslösung, das CRM und die E-Commerce-Plattform.
Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Niederlassungen ausserhalb der Schweiz?Man kann sagen, dass wir in Europa eine sehr homogene IT-Landschaft haben. Das ist die angestammte Bucherer-Welt, in der alles zentral über Luzern läuft. Hier haben wir auch externe Dienstleister, die uns unterstützen. Mit UK geht es vor allem darum, Budget-Abstimmungen zu machen, also beispielweise um die Konsolidierung von Finanzzahlen. Dafür braucht es Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen ERP- und BI-Systemen, die nach unseren Vorgaben entwickelt und integriert werden müssen. Ansonsten war bisher die bewusste Strategie, UK und die USA autark operieren zu lassen. Jetzt sind wir allerdings mittendrin in der bereits angesprochenen Konsolidierungsphase. Wir haben eben erste das Evaluationsprojekt abgeschlossen. Wir werden nun eine globale ERP-Plattform hochfahren sowie ein globales POS-System. Das ist eine Besonderheit, denn Point-of-Sale-Systeme sind sonst in der Regel lokal verankert. Wir haben aber einen Anbieter evaluiert, der in seiner Lösung alles vereint, sodass wie diese weltweit ausrollen können. Das wird ein grosses Projekt, das rund drei bis vier Jahre in Anspruch nehmen wird. Dies auch deshalb, weil im Prozess-Management und bei der Standardisierung Nachholbedarf besteht. Deshalb stehen die Definition und das Reengineering von Prozessen jetzt im Vordergrund. Wir wollen zurück zu Standards. Das heisst, dass wir die Funktionsreserven, die ein globales ERP-System bringt, auch nutzen wollen. Wir werden deshalb in Luzern ein internationales Team bilden, das für die Rollouts verantwortlich sein wird. Wir werden zuerst im deutschsprachigen Europa live gehen, dann gestaffelt in Frankreich, UK und in den USA.
Hat sich der Stellenwert der IT im Unternehmen in den letzten Jahren gewandelt?Ja, sehr sogar. Wir konnten in den letzten Jahren viel in die IT investieren. So haben wir die personellen Ressourcen seit 2012 praktisch verdoppelt, 40 Mitarbeitende sollen es total werden. Und auch die finanziellen Ressourcen für die Infrastruktur und neue Key-Applikationen wurden aufgestockt. Gerade in den Bereichen Netzwerk und Security haben wir sehr viel investiert und setzen nur Lösungen und Produkte von Top-Brands ein. Daher kann man sagen, dass die IT bei Bucherer einen sehr hohen Stellenwert geniesst, sowohl in der Geschäftsleitung als auch im Business.
Was bedeutet die Digitalisierung für ein Unternehmen wie Bucherer?Bei uns steht ganz klar der Kunde im Fokus beziehungsweise die sogenannte Customer Experience. Wir versuchen, die Kunden auf ihrer Customer Journey möglichst nahtlos zu begleiten. Wir wollen sie online abholen und in eines unserer Geschäfte bringen. Die Herausforderung für uns liegt darin, dass viele Kunden sich zwar online über eine Uhr für mehrere tausend Franken informieren, jedoch letztendlich doch in der Boutique kaufen möchten. Also müssen wir sie dahin bringen, wo geschultes Verkaufspersonal sie betreuen kann. Dafür müssen wir alle verfügbaren Kanäle für ein stringentes Kundenerlebnis kombinieren. Unser Augenmerk liegt zurzeit also sehr stark auf der Digitalisierung des stationären Handels und der Verbindung mit dem Online-Handel. Potenzial sehen wir im Online-Bereich vor allem mit unserem neuen Produkt der Certified Pre-Owned Watches. Unsere Uhrmacher zertifizieren Uhren aus Vorbesitz und wir geben darauf zwei Jahre Garantie. Dabei ist eines der Ziele, neue Online-Kundschaft zu gewinnen.
In welchen Bereichen der Bucherer-IT sehen Sie Potenzial für Innovationen?Ideen haben wir viele, aber etwas davon auch wirklich umzusetzen, ist für mich wahre Innovation. Augmented Reality wird künftig eine wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel halten die Kunden ihre Hand unter ein transparentes Tablet und sehen dann, wie eine bestimmte Uhr an ihrem Handgelenk aussehen würde. Im Moment sind solche Projekte noch nicht umgesetzt. In der neuen Flagship Boutique in Düsseldorf arbeiten wir mit Digital-Signage-Screens, der Rest der Einkaufserfahrung ist für die Kunden wie gehabt sehr haptisch. Dennoch glaube ich, dass es wichtig ist, Ideen zu produzieren, auch wenn diese nicht sofort umgesetzt werden können. Spannende Technologien gibt es viele. Im Fokus steht dabei immer der Kunde. Neue Technologien erlauben uns, die Kunden viel gezielter durch ihre Customer Journey zu begleiten und damit für diese einen echten Mehrwert generieren.
Haben Sie auch Blockchain-Lösungen im Einsatz?Wir haben uns zusammen mit einem grossen Schweizer Provider auch mit der Blockchain auseinandergesetzt. Gerade im Bereich der Certified-Pre-Owned-Uhren schien das Thema spannend, um deren Historie aufzuzeichnen und die Rückverfolgbarkeit zu dokumentieren. Doch für uns ist die Blockchain noch zu wenig fassbar und ihr Nutzen für unser Geschäft zu wenig transparent, denn letztlich können wir dieselben Daten auch einfach in einer Datenbank ablegen – das ist eine provokative Aussage, das ist mir bewusst. In Zukunft wird es dafür aber sicher Anwendungsfälle geben, zum Beispiel wenn man die Komponenten einer Uhr bis zu ihrem Ursprung, also zur Gewinnung des Rohstoffs, zurückverfolgen will. Doch dafür müssten auch die Rohstofflieferanten und die gesamte Lieferkette involviert werden.
Was beschäftigt Sie als CIO derzeit am meisten?
Das ist sicher der Spagat zwischen dem bevorstehenden globalen Rollout des neuen ERP/POS-Systems und dem täglichen Business. Diese beiden Dinge während einer längeren Zeit parallel zu managen, wird eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Gleichzeitig müssen wir auch sicherstellen, dass unsere Initiativen im Bereich der Innovation und der Digitalisierung nicht darunter leiden. In diesem Spannungsfeld die richtige Balance zu finden, wird mein Team und mich sehr stark beschäftigen. Im Gegenzug gibt es aber auch Projekte, die wir vorläufig nicht mit Hochdruck weiterverfolgen, weil der Tourismus aufgrund der Coronakrise eingebrochen ist und sich voraussichtlich erst in ein bis zwei Jahren wieder erholen wird. Diese nie dagewesene Krise hat einen entsprechend hohen Einfluss auf Prioritäten, Budgets und Ressourcen.
Und was schätzen Sie an Ihrer Rolle besonders?
Dass ich jeden Tag dazu lerne. Und zwar, weil ich sehr interessante Menschen in meinem Team habe. Alle haben unterschiedliche Ausrichtungen, was den Austausch enorm spannend macht. Ich lerne aber auch vom Business, denn das sind meistens diejenigen User, welche die spannendsten Ideen haben, die sie dann an uns herantragen. Letztlich macht aber vor allem das Unbekannte und doch Bekannte den Reiz meiner Rolle als CIO aus, wie ich zu sagen pflege. Der Wandel, in dem wir uns gegenwärtig befinden, ist extrem schnell. Das zwingt uns, unsere Strategie täglich zu überdenken. Wobei Digitalisierung für mich zum Modewort geworden ist, das oft missverstanden wird, denn ich selbst digitalisiere schon seit über 20 Jahren. Früher hatte die IT noch eine Support-Funktion. Aber sowohl bei uns als auch allgemein im Retail-Bereich ist die IT immer mehr zu einem Produktionsfaktor geworden. Spannend ist bei Bucherer, dass wir Menschen aller Altersklassen beschäftigen, die auf unterschiedlichen Wegen mit der IT in Berührung gekommen sind. Sie alle müssen sich heute mit IT auseinandersetzen, und uns obliegt die Aufgabe, sie abzuholen und ihnen die Technologie näher zu bringen.
Roger Vetter
Roger Vetter ist in Luzern aufgewachsen, unweit vom Hauptsitz von Bucherer. Der heute 48-Jährige ist gelernter Elektrozeichner und arbeitete nach seiner Ausbildung als Elektroplaner im Bereich Haustechnik. Ende der 90er Jahre wechselte er dann in die IT-Branche. Beim Distributor Also mit Sitz in Emmen war er zunächst als Netzwerkadministrator tätig. Schon bald bekleidete er erste Führungsfunktionen und wurde 2007 als Head of IT in die Geschäftsleitung von Also Schweiz berufen. Dort blieb er bis 2012, dann kehrte er nach Luzern zurück und wechselte zum Uhren- und Schmuckkonzern Bucherer, wo er die Rolle des CIO übernahm.
Zum Unternehmen
Das 1888 in Luzern gegründete Familienunternehmen Bucherer gehört in Europa zu den traditionsreichsten Häusern der Uhren- und Schmuckbranche. Das Fachgeschäft bietet seiner internationalen Kundschaft ein breites Sortiment an Luxusuhren bekannter Marken an. Bucherer ist an 36 Standorten in Europa vertreten: mit 17 Verkaufspunkten in der Schweiz, zehn Niederlassungen in Deutschland, einer Boutique in Wien, einem Geschäft in Paris, einem Geschäft in Kopenhagen und sechs Boutiquen in London. Unter der Marke Tourneau führt Bucherer im amerikanischen Markt 32 Geschäfte. Das Unternehmen wird in dritter Generation von Jörg G. Bucherer geführt und beschäftigt über 2400 Mitarbeitende. Auch heute noch befindet sich der Hauptsitz in Luzern.
(luc)