Die Projekt- und Teamarbeit ist heute in den meisten Unternehmen gängige Praxis. Dies wirkt sich auf die Designs ihrer Teamentwicklungsmassnahmen aus. Sie zielen heute meist darauf ab, die Leistung bestehender Teams zu steigern oder die bereichs- und hierarchieübergreifende oder gar standort- beziehungsweise unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern. Die Teams, die heute an Teamentwicklungsmassnahmen teilnehmen, haben also häufig bereits – geht man von den vier Stufen der Teamentwicklung «Forming», «Storming», «Norming», «Performing» nach Bruce Tuckmann aus (siehe Grafik) – zumindest die ersten zwei Stufen durchlaufen. Es klemmt aber noch beim Performing: Der gemeinsame Output stimmt nicht.
Ziel: die Wirksamkeit erhöhen
Die Ursachen hierfür können vielfältig sein. Zum Beispiel, dass das Team beim «Norming» – als es die Regeln für die Zusammenarbeit definierte – gewisse Dinge vergass. Oder dass die Arbeitsanforderungen sich so stark geändert haben, dass die einmal getroffenen Vereinbarungen nicht mehr tragfähig sind. Oder dass neue Mitglieder mit anderen Vorstellungen von der Zusammenarbeit ins Team kamen. In all diesen Fällen geht es nicht um ein klassisches Team Building – also das Neuformieren eines Teams. Vielmehr sollen die Zusammenarbeit verbessert und die Wirksamkeit erhöht werden.
Das wirkt sich auf das Design der Massnahmen aus. Eher «out» sind nicht erst seit der Coronakrise Survival Trainings, bei denen die Teilnehmer zum Beispiel in einem Schlauchboot gemeinsam einen reissenden Fluss hinab fahren. Sie kommen, wenn überhaupt, nur noch im Vertrieb zum Einsatz. Und dort haben sie meist auch eine Incentive-Funktion. Auch der High-Ropes-Anlagen-Boom ist abgeebbt. Die Hochseilgärten werden heute primär noch zum Entwickeln des Teamspirit genutzt. So lassen Unternehmen zuweilen neu formierte Projektteams gemeinsam einen Parcours durchlaufen, damit zwischen deren Mitgliedern persönliche Beziehungen entstehen. Ähnlich verhält es sich bei virtuellen Teams, deren Mitglieder sich – ausser in Videokonferenzen – im Arbeitsalltag nie oder nur selten sehen, denn die Erfahrung der Unternehmen zeigt: Wenn die Teammitglieder sich persönlich kennen und verstehen lernen, funktioniert die Zusammenarbeit besser und es entstehen weniger Konflikte.
Beim Weiterentwickeln bestehender Teams setzen die Unternehmen jedoch zumeist auf andere Instrumente. Und zwar unabhängig davon, ob die Teams nur aus Mitarbeitern einer Abteilung oder eines Bereichs, mehrerer Abteilungen oder Bereiche oder gar verschiedener Unternehmen bestehen.
So führen heute manche Unternehmen Teamseminare durch, bei denen die Teilnehmer gemeinsam kochen. Bei anderen malen sie grossformatige Bilder. Das Ziel hierbei ist stets: Aus den Verhaltensmustern, die die Teilnehmer beim Lösen der Teamaufgabe zeigen, sollen in der Reflektionsphase zunächst Rückschlüsse auf das Verhalten im Arbeitsalltag gezogen werden. Und in der anschliessenden Transferphase? In ihr sollen Vereinbarungen getroffen werden, um die Zusammenarbeit zu verbessern und die Performance zu steigern.
Mitarbeiter sind offener und selbstkritischer
Als Begründung für diesen Umweg wurde in der Vergangenheit oft genannt, dass die Teilnehmer zunächst ihr Verhalten zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen oder dem Bau eines Iglus reflektieren, und wenn Knackpunkte angesprochen werden, nicht sogleich eine Verteidigungshaltung einnehmen – anders ist dies, wenn man unmittelbar ihr Verhalten am Arbeitsplatz thematisiert.
Zunehmend erachten die Unternehmen solche Umwege als überflüssig, denn: Die (jungen) Mitarbeiter heute sind, verallgemeinert formuliert, andere Typen als die Mitarbeiter vor 20 oder gar 30 Jahren. Zumindest die jungen Leute, die das Potenzial für exponierte Positionen haben, sind teamfähiger und offener für neue Aufgaben als dies die Mitarbeiter früher waren. Ausserdem sind sie kritikfähiger und flexibler in ihrem Verhalten.
Deshalb müssen die Unternehmen weniger Überzeugungsarbeit leisten, wenn es um nötige Verhaltensveränderungen geht. Auch weil die meisten Mitarbeiter verinnerlicht haben: Letztlich werden wir als Individuen und als Team daran gemessen, welchen Beitrag wir zum Erreichen der Unternehmensziele leisten. Bewusst ist dies heute fast allen Mitarbeitern. Unklar ist ihnen aber oft noch, was dies für ihre Alltagsarbeit und diejenige des Teams bedeutet.
Die Beziehungen im Team gezielt entwickeln
An diesem Punkt setzen fast alle modernen Teamentwicklungsmassnahmen an. In ihnen wird oft folgendes Vorgehen praktiziert: Zunächst werden mit einem Analysetool wie dem Connection Scan der Charakter und die Intensität der Beziehungen zwischen den Teammitgliedern ermittelt. Untersucht werden Fragen wie: Wie viel Bereitschaft zur Kooperation besteht im Team? Wer wird einbezogen, wer eher ausgegrenzt? Und: Wer kommuniziert mit wem wie oft?
Die hierbei gewonnenen Informationen werden grafisch so aufbereitet, dass eine Art Landkarte der Beziehungen zwischen den Teammitgliedern entsteht. In ihr gibt der Abstand zwischen den Personen Auskunft über die Intensität von deren Beziehung und die Frequenz, mit der sie miteinander kommunizieren. Zudem gibt die jeweilige Farbe die Zahl der Verknüpfungen der betreffenden Person wider, so dass die aktiven Hotspots und die eher inaktiven Kältezonen in dem Beziehungsnetzwerk sichtbar werden.
Hierauf aufbauend fragen sich die Teammitglieder unter Anleitung eines Beraters anhand der Herausforderungen, vor denen sie stehen: Wo besteht bei uns ein Veränderungsbedarf? Welche Kältezonen sollten eher Hotspots sein, damit das Team optimal funktioniert? Und: Was sollte sich hierfür im Bereich Zusammenarbeit, Information und Kommunikation ändern? Wer sollte zum Beispiel mit wem intensiver kooperieren und kommunizieren?
Aus diesem Abgleich leiten die Teammitglieder Regeln für das kollektive und individuelle (Kommunikations- und Informations-)Verhalten ab. Sie verständigen sich also auf Standards, die künftig für ihre Zusammenarbeit gelten – stets mit dem übergeordneten Ziel, die Wirksamkeit der einzelnen Mitglieder im Team und dessen Performance zu erhöhen.
Herausforderung: Entwicklung «virtueller» Teams
Dieses Vorgehen gewinnt speziell beim Entwickeln bereichsübergreifender sowie standort- und unternehmensübergreifender Teams an Bedeutung, denn bei ihnen handelt es sich in der Regel um mehr oder minder virtuelle Teams. Entsprechendes gilt für Teams, deren Mitglieder häufig im Home Office arbeiten. Denn für die vorgenannten Teams gilt: Ihre Mitglieder treffen sich nicht mehr nahezu täglich und tauschen sich hierbei auch über ihre (Zusammen-)Arbeit aus. Sie kommunizieren vielmehr weitgehend digital und mit Hilfe solcher Collaboration Tools wie Microsoft Teams. Deshalb besteht bei solchen Teams oft die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit gezielt zu organisieren und die Teamentwicklung mit System zu forcieren.
Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb steigt die Nachfrage nach solchen Teamentwicklungsmassnahmen. Gemeinsam ist ihnen: Das persönliche Sich-begegnen, -kennenlernen und -erleben spielt in ihnen eine zentrale Rolle, damit zwischen den Teammitgliedern eine Beziehung und Vertrauen entstehen. Entsprechend sind die Entwicklungsmassnahmen konzipiert. Eines ihrer Ziele ist stets: Die Teammitglieder sollen beim Lösen gemeinsamer Aufgaben die jeweils anderen als Menschen kennen und verstehen lernen. Das heisst, gerade bei den Teamentwicklungsmassnahmen für virtuelle Teams wird oft nachträglich nochmals bewusst die erste Phase des Teamentwicklungsprozesses nach Tuckmann, das sogenannte «Forming», durchlaufen, denn dieses kommt beim Bilden virtueller Teams oft zu kurz – primär weil die Mitglieder an verschiedenen Orten arbeiten.
Hieraus erwachsen häufig Defizite im Bereich Norming, die im Alltag zu Konflikten führen. Dies gilt insbesondere für virtuelle Teams, deren Mitglieder einen sehr unterschiedlichen beruflichen und kulturellen Background haben. Das ist speziell bei länderübergreifenden Projektteams oft der Fall. Bei ihnen ist die Gefahr gross, dass – wenn die Phase des wechselseitigen Sich-kennen- und -verstehen-lernens sozusagen übersprungen wurde – aufgrund der Irritationen, die im Arbeitsalltag auftreten, das Miteinander von Stereotypen geprägt wird, wie «die Amerikaner sind oberflächlich», «die Südländer sind faul» oder «die Deutschen sind Bedenkenträger».
Herausforderung: Entwicklung multinationaler Teams
Deshalb spielt gerade in den Teamentwicklungsmassnahmen für multinationale Teams ausser dem Forming auch das Norming – also das Sich-verständigen auf gemeinsame Regeln für die Zusammenarbeit und Kommunikation – eine zentrale Rolle, denn das, was den Teammitgliedern wichtig ist, hat stets auch kulturelle Wurzeln.
Der Autor
Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens
Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede.
(Quelle: Machwürth Team International)