Wer hat es im Laufe seines Berufslebens nicht kennen gelernt, das ehemals etwas kunterbunte Lotus Notes? Die einen lieben es, die anderen können sich damit überhaupt nicht anfreunden. Dabei ging es nie um die technische Funktionalität, denn diese war an vielen Stellen ihrer Zeit weit voraus. So verfügte Notes zum Beispiel von Beginn an, und seitdem sind mittlerweile sage und schreibe 30 Jahre vergangen, über eine integrierte End-to-End-Verschlüsselung.
Die Abneigung gegenüber Notes bezieht sich in den meisten Fällen auf die in die Jahre gekommene und an einigen Stellen nicht allgemeinen Standards entsprechende Benutzeroberfläche. Auch wenn bisher noch nicht alle Wünsche der Community erfüllt worden sind, wurde Notes mit der Ende 2019 vorgestellten und unmittelbar danach verfügbaren Version 11 von HCL in ein modernes Gewand gepackt und damit das alte «Lotus» endlich in Rente geschickt. Wer heute von Notes spricht, sollte also wirklich nicht mehr an das etwas aus der Zeit gefallene Produkt von einst denken, sondern an eine moderne, aufgeräumte Lösung.
Notes wurde aber nicht nur optisch auf Vordermann gebracht, die ganze Notes-/Domino-Plattform wurde an vielen Stellen komplett neu gedacht. Aber was ist neu und was könnten Anwender, die sich mit dem Gedanken eines Wechsels beschäftigen, dazu bewegen, doch bei der bestehenden Plattform zu bleiben?
Nachfolgend die wichtigsten Neuigkeiten und Neuerungen mit der Mobile-Lösung Nomad, dem Web Client Verse und der Entwicklungsumgebung Volt.
Die Mobile-Lösung – HCL Nomad
Praktisch seit der Einführung von Smartphones gab es auch den Bedarf, Daten und Dokumente auf eben diesen verfügbar zu machen. Für E-Mail, Kalender und persönliche Kontakte wurden rasch entsprechende Lösungen verfügbar. Wie die Anwender anderer Lösungen wurden diesbezüglich auch Notes-Anwender lange vertröstet. HCL stellt nun mit HCL Nomad eine voll funktionsfähige Implementierung von Notes auf dem iPhone, dem iPad, Android Tablets und im Laufe des Jahres auch auf Android Smartphones zur Verfügung. «Voll funktionsfähig» bedeutet in diesem Zusammenhang nicht weniger, als dass bestehende Notes-Applikationen ohne jegliche Code-Anpassungen auf den genannten Devices genutzt werden können. Wohlgemerkt, inklusive lokaler Datenhaltung und Volltextsuche und mit kompletter Integration in die Notes-eigene PKI-Lösung. Auch werden die Daten bei der Synchronisation mit dem Backend (dem Domino-Server) verschlüsselt, was die Implementierung einer eigenständigen VPN-Lösung in vielen Fällen überflüssig macht. Schliesslich können Nomad Clients, wie alle Notes Clients, zentral verwaltet und konfiguriert werden.
Der Web Client – HCL Verse
Für Anwender, die primär mit E-Mail und Kalender arbeiten, sind die Installation und der Support eines Fat Clients heute kaum noch zu rechtfertigen. Den bevorzugten Browser starten, URL, Name und Passwort eingeben und fertig. Das ist es, was auf E-Mail und Kalender fokussierte Anwender heute völlig zurecht erwarten. Mit HCL Verse, einem modern gestalteten Web Mail Client mit ortsunabhängiger Volltextsuche und der Möglichkeit lokaler Datenhaltung, will HCL diesen Ansprüchen nun gerecht werden.
Damit die Sicherheit im Informationsfluss gegeben bleibt, wurde Verse in die von Notes/Domino bekannte PKI-Infrastruktur integriert. Ein Verse-Benutzer kann somit von Notes verschlüsselte E-Mails lesen und auch versenden.
Die Entwicklungsumgebung – HCL Volt
Spezialisierte Applikationsentwickler sind in den meisten Unternehmen eher Mangelware. Aus Kostengründen hat man meist nicht sehr viele davon und diejenigen, die man hat, sind typischerweise immer sehr beschäftigt. Dieser Herausforderung will HCL mit Volt begegnen. Die komplett im Browser laufende Lösung bietet IT-versierten Anwendern die Möglichkeit, selbst Anwendungen auf einer Drag-and-Drop-Oberfläche zu entwickeln. Im Gegensatz zu anderen Lösungen bietet Volt dabei verschiedene Optionen, um bestehende Daten zu integrieren. So können beispielsweise Daten aus SQL-Datenbanken abgefragt oder bestehende Sharepoint-Listen als Datenquelle verwendet werden. Auch lassen sich Workflows in Volt einfach abbilden. Volt läuft auf einem Domino-Server und ist dort in wenigen Minuten eingerichtet.
Die grosse Herausforderung – Kommunikation
Die neben den technischen Aspekten wohl grösste Herausforderung für HCL stellt die Kommunikation dar. In dieser Beziehung ist HCL aktuell noch nicht wirklich besser als IBM. Für die Community erfreulich, engagiert sich HCL aber an zahlreichen Community-Veranstaltungen rund um den Globus. So war zum Beispiel ein ganzes Team von HCL an der Veranstaltung der Swiss Notes User Group (SNoUG) im November 2019 in Zürich. Daneben bemüht sich HCL – hierzulande trotz einer lokalen Niederlassung eher unbekannt – um einen besseren Auftritt in der Öffentlichkeit, zuletzt etwa mit der Teilnahme des CEO am WEF in Davos. Gleichwohl, der Funke, den man bei den HCL-Mitarbeitern und auch innerhalb der Community deutlich spürt, will sich noch nicht so recht auf den Markt übertragen. Um dem entgegen zu wirken, muss HCL viel mehr als bis anhin zeigen, dass man mit Notes/Domino interessante neue Wege beschreitet, und dies ohne Bruch mit der bestehenden, über einen langen Zeitraum gewachsenen Basis.
Ausblick
Allein schon der stattliche Kaufpreis von 1,8 Milliarden Dollar dürfte klar machen, dass HCL die IBM Collaborations-Produkte nicht übernommen hat, um sie langsam sterben zu lassen. HCL will damit Geld verdienen und legt dafür grossen Einsatz an den Tag. So sind die drei genannten Neuerungen gemäss der offiziellen Kommunikation aber nur der erste Schritt. HCL will vor allem dort punkten, wo Mitbewerber Schwächen zeigen. So hat zum Beispiel das Thema On-Prem für HCL einen wesentlich höheren Stellenwert als dies beim einen oder anderen Mitbewerber der Fall ist. Weiter will HCL Drittprodukte wie zum Beispiel SAP, Office, Confluence und VoIP-Clients besser integrieren, war es doch gerade auch die ungenügende Integrationsfähigkeit von Notes, welche das Produkt über die Jahre ins Abseits geraten liess.
HCL hat sich viel vorgenommen und die letzten 18 Monate gezeigt, dass man gemachte Versprechen hält. Man darf also weiter gespannt sein, welche Neuerungen vom indischen Software-Haus kommen und ob es gelingt, Notes wieder zu seinem alten Glanz zurückzuführen.
Der Autor
Helmut Sproll befasst sich seit 1993 mit Collaborations- und Dokumentenmanagement-Lösungen (DMS) von IBM und hat in dieser Zeit an zahlreichen Projekten mitgewirkt oder diese selbst geleitet. Er ist Inhaber und Geschäftsführer von Cross-Works, einem Spezialisten für DMS mit Sitz in Winterthur, und deckt in dieser Funktion primär die Bereiche Marketing und Verkauf ab. Seit gut sechs Jahren ist er darüber hinaus auch Präsident der SNoUG.