In Führungsseminaren wird regelmässig betont: Führungskräfte sollten einen wertschätzenden, von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang mit ihren Mitarbeitern pflegen. Doch im Arbeitsalltag spüren die Betroffenen hiervon oft wenig. In ihm herrscht nicht selten ein eher rauer Umgangston und selbst die einfachsten Benimm-Regeln für das menschliche Miteinander werden vergessen.
Da geht zum Beispiel ein altgedienter Mitarbeiter in den Ruhestand, ohne dass zuvor ein Vorgesetzter mal vorbeischaut, ihm die Hand schüttelt und ein Wort des Dankes sagt. Da wird zum Beispiel eine hochqualifizierte und -engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken gegen Vorhaben äussert, vom Vorgesetzten vor versammelter Mannschaft angeraunzt: "Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz." Da erhält zum Beispiel eine Controllerin vom Chef, der zwei Zimmer weiter sitzt, zehn Minuten vor Feierabend per Mail die Anweisung, sie müsse bis nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten, obwohl dieser weiss: Sie muss ihr Kind pünktlich vom Hort abholen.
Der Ton wird in vielen Unternehmen rauer
Die Reihe der Beispiele liesse sich beliebig fortsetzen. Die Anekdoten aus dem Betriebsalltag, die man als Trainer in Seminaren hört, ergeben hierfür einen grossen Fundus. Und regelmässig hört man von den Teilnehmern: "Das Klima in unserem Betrieb hat sich verschlechtert. Der Umgangston wird immer rauer." Das fängt bei den sogenannten mittleren Führungskräften an. Sie sind um ihre "Sandwich-Position" als Mittler zwischen den "Chefs ganz oben" und den "Werkern" auf der operativen Ebene nicht zu beneiden. Denn sie bekommen die Nervosität und Hektik, die in den Chefetagen vieler Unternehmen herrscht, meist unmittelbar zu spüren. Und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen, geben sie diesen nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter.
Dabei gilt die Faustregel: Der Umgangston wird umso rauer, je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kommt und je einfacher die Mitarbeiter aufgrund ihrer (geringen) Qualifikation ersetzbar wären. Denn auch in vielen Unternehmen gilt: Den Letzten beissen stets die Hunde.
Mitarbeiter mutieren zu Human-Kapital
Schon lange existiert denn auch in den meisten (grösseren, als Holding strukturierten) Unternehmen nicht mehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es sich früher in Begriffen wie die Siemens- oder Bosch-Familie artikulierte. Und in welchen Betrieben nennen sich die Mitarbeiter heute noch stolz wie früher zum Beispiel "Opelaner"? Nur in ganz wenigen Unternehmen ist dies noch der Fall! In den meisten regiert heute – obwohl in ihnen eine bereichs- und funktionsübergreifende Team- und Projektarbeit praktiziert wird – das Einzelkämpfertum; zumindest, wenn es hart auf hart kommt. Jeder ist, überspitzt formuliert, mit dem eigenen Überleben beschäftigt.
Das überrascht zum Teil. Denn die Wirtschaft in der DACH-Region boomte über ein Jahrzehnt – auch wenn aktuell gewisse Konjunktureintrübungen erkennbar sind. Doch noch immer stimmen die Zahlen der meisten Unternehmen. Deshalb könnten die Verantwortlichen an der Spitze eigentlich relaxt sein und die Herausforderungen – vor denen ihre Unternehmen zweifellos unter anderem aufgrund der Digitalisierung stehen – ganz entspannt und systematisch angehen.
Psycho-Druck mindert die intrinsische Motivation
Das tun sie aber nicht. Stattdessen wird der Druck im "Kessel", teils auch getrieben durch die unersättlichen Finanzmärkte, immer weiter erhöht, mit der Konsequenz, dass das Betriebsklima stets rauer wird. Zugleich wird jedoch betont: "Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich eigeninitiativ und -verantwortlich für das Erreichen der Ziele des Unternehmens engagieren."
Doch woher sollen diese kommen, wenn die Mitarbeiter zugleich registrieren, dass sie eigentlich nur noch Human-Kapital sind, das je nach Bedarf auf- und abgebaut sowie eingesetzt wird? Wenn Mitarbeiter diesen Widerspruch spüren, dann gehen sie zu Recht emotional auf Distanz zum Unternehmen, und ihre Handlungsmaxime lautet wie bei den Kapitalgebern: "Wie ziehe ich aus der Beziehung den grössten Profit?"
Mitarbeiter müssen Wertschätzung spüren
Wenn in den offiziellen Verlautbarungen der Unternehmen immer wieder von einem partnerschaftlichen, von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang miteinander die Rede ist, dann müssen dies die Mitarbeiter auch im Betriebsalltag spüren. Dann ist es schlicht ein No-go, dass ein altgedienter Mitarbeiter ohne ein Wort des Dankes in den Ruhestand entlassen wird. Denn dann denken alle verbleibenden Mitarbeiter: "Dieses Schicksal droht auch mir einmal." Dann ist ebenso ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn eine Fachkraft sachlich begründete Einwände artikuliert, diese vor der versammelten Mannschaft massregelt. Denn dann denken alle Anwesenden: "Ich halte künftig besser meinen Mund." Und dann ist es auch ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn sie von einem Mitarbeiter kurzfristig Mehrarbeit erwartet, ihm dies einfach per E-Mail mitteilt, statt sich vom Stuhl zu erheben und dies dem oder der Betroffenen persönlich mitzuteilen. Denn sonst denken alle Mitarbeiter, die davon erfahren: "Meine beziehungsweise unsere persönlichen Interessen, Ziele und Verpflichtungen interessieren hier offensichtlich niemanden. Warum soll ich mich dann für das Unternehmen – mehr als es mir nützt – engagieren?"
Entsprechend reagieren die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft, weil sie etwas möchte, plötzlich an das Wir appelliert. "Wir sollten...", "Wir wollen...", "Wir müssen...". Dann sagen zwar alle mit den Lippen Ja und täuschen das gewünschte Engagement vor, doch faktisch denken sie: "Und was habe ich davon? Die können mich mal."
Auf scheinbare Kleinigkeiten achten
Deshalb sollten Führungskräfte bei ihrer Führungsarbeit stets daran denken: Wie viel Respekt und Wertschätzung sie ihren Mitarbeitern entgegenbringen, zeigt sich für diese in vielen (scheinbaren) Kleinigkeiten. Unter anderem darin, wieviel Zeit sie sich für ihre Mitarbeiter nehmen und wie aufmerksam sie ihnen zuhören, wie kompromissbereit sie bei Interessengegensätzen und Zielkonflikten mit ihren Mitarbeitern sind, oder wie sie auf Fehler und Versäumnisse von ihnen reagieren.
Denn sonst ist die Gefahr gross, dass man als Führungskraft irgendwann nur noch von Opportunisten und Ja-Sagern umgeben ist, die Engagement für die Bereichs- und Unternehmensziele zwar heucheln, aber nicht zeigen.
Der Autor
Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (
www.kraus-und-partner.de), die 2019 zum achten Mal in Folge als "Top Consultant Mittelstand" ausgezeichnet wurde. Der Autor mehrerer Change- und Projektmanagement-Bücher hat eine Professur an der Technischen Universität Clausthal und ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe und der IAE in Aix-en-Provence.
(Quelle: Dr. Kraus & Partner)
Wie viele Personalstrategien hat Ihr Unternehmen?
Vor einigen Monaten besuchte ich einen Technologiekonzern, um einen Artikel über dessen Personalstrategie zu schreiben. Nach dem üblichen Vorgeplänkel fragte ich dessen Personalvorstand: "Und welche Personalstrategie hat Ihr Unternehmen?" Der Vorstand dachte einige Sekunden nach, dann schaute er mich an und sagte: "Eigentlich mehrere! Unseren Top-Executives pudern wir das Hinterteil. Unsere Leistungs- und Know-how-Träger fördern und fordern wir. Und bei unserem Fussvolk lautet die Strategie: Alles soweit möglich standardisieren und die Kosten minimieren."
Faktisch verfolgen heute die meisten grösseren Unternehmen eine ähnlich differenzierte Personalstrategie – auch wenn ihre Personalverantwortlichen dies nur selten so offen wie der Konzernvorstand im Vier-Augen-Gespräch sagen. Sie differenzieren bei ihrer Personalpolitik genau danach, wie wichtig die Personen beziehungsweise Personengruppen für das Erreichen der Unternehmensziele sind, und wie leicht sie im Bedarfsfall – zum Beispiel aufgrund der Arbeitsmarkt-Situation – ersetzt werden können. Und die Antwort entscheidet darüber, welche Personalpolitik praktiziert wird.
Eng mit dieser Entwicklung verknüpft ist der Befund, dass inzwischen fast alle Kapitalgesellschaften eine Holding-Struktur mit zahlreichen Tochtergesellschaften haben, die ihrerseits wiederum nicht selten Tochtergesellschaften haben. Eine Folge hiervon: Heute haben die Mitarbeiter, die unter einem Dach scheinbar für ein- und dasselbe Unternehmen arbeiten, faktisch oft unterschiedliche Arbeitgeber, die nicht nur völlig unterschiedliche Entlohnungssysteme haben, sondern auch eine unterschiedliche Personalpolitik praktizieren.
Dabei gilt die Faustregel: In den outgesourcten Unternehmen weht meist ein rauerer Wind als in der Zentrale der Holding. Und: Je niedriger die Relevanz der outgesourcten Teile aus Sicht der Konzernspitze für den Unternehmenserfolg ist, umso respektloser ist der Umgang.
Das registrieren die Mitarbeiter selbstverständlich, denn sie sind nicht dumm. Deshalb fragen sich auch manche, die heute noch zur sogenannten Kernmannschaft zählen, wie lange sie noch zu den hofierten Mitarbeitergruppen gehören – was sich letztlich auf ihre Identifikation mit dem Unternehmen auswirkt.
Zugleich appellieren die Unternehmensoberen im Bedarfsfall jedoch immer noch gerne an das "kollektive Wir", gerade so, als würden in ihrer Organisation noch alle im selben Boot sitzen. Dabei ist dies in den meisten Unternehmenskonglomeraten nicht mehr der Fall. Ähnlich verhält es sich, wenn die Unternehmensführer fordern: "Die bereichsübergreifende Zusammenarbeit muss sich verbessern". Dann wäre oft die Aussage zutreffender: "Die Zusammenarbeit zwischen den zu unserer Holding zählenden Unternehmen muss sich verbessern…" – aufgrund der vielen Bereiche, die inzwischen ausgegliedert wurden und faktisch eigenständige Profitcenter sind und nun (welch Wunder) auch so agieren.
Hier wurde in den letzten Jahren viel Porzellan zerschlagen, wenn es um das Thema Identifikation mit dem (Gesamt-)Unternehmen geht. Das Silodenken, das heute viele Manager beklagen, haben sie in den zurückliegenden ein bis zwei Jahrzehnten nicht selten selbst produziert.
(Bernhard Kuntz, Die Profilberater)