In den letzten Jahren pilgerten ganze Heerscharen von Managern ins Silicon Valley, um sich von den dort ansässigen IT- und High-Tech-Unternehmen inspirieren zu lassen. Und nicht selten brachten sie von ihren Reisen angeblich ganz neue, revolutionäre Management-Methoden mit, die sie zuhause als Heilsbringer präsentierten.
Hierzu zählt die Methode Objectives and Key Results (OKR), die seit ein, zwei Jahren auch im deutschsprachigen Raum Einzug hält. Unter anderen nutzt Google sie seit fast 20 Jahren, um seine ambitionierten Ziele zu erreichen. Ein wesentliches Kennzeichen dieser Methode zur Umsetzung der Unternehmensstrategie ist: Die Zieldefinition erfolgt unter Einbezug der Mitarbeitenden; jedoch anders als bei vielen klassischen Zielvereinbarungssystemen nicht im Jahres-Rhythmus, sondern in der Regel in Drei-Monats-Intervallen. Dadurch soll auch die Agilität der Unternehmen steigen.
OKR-Historie und Philosophie
Die OKR-Methode ist jedoch nicht die neue Management-Wunderwaffe, als die sie die auf das Einführen dieser Methode spezialisierten Berater gern präsentieren. Sie existiert seit den 1980er-Jahren. In ihr entwickelte Andy Grove, ein ehemaliger Intel-Manager, auf der Basis des Management by Objectives (zu Deutsch: Führen über Ziele) ein Konzept zum Umsetzen von ambitionierten Unternehmensstrategien.
Zentrale Anforderungen an ein solches System waren für ihn, dass es einfach und flexibel sein müsse und dass die Mitarbeitenden in den Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung einbezogen werden müssten. Als Schlüssel hierzu erachtete er die beiden simplen Fragen, die in Unternehmen von jedem zu beantworten sind: "Wo will ich hin?" (Objectives) und "Woran messe ich, ob ich mein Ziel erreicht habe?" (Key Results).
In den 90er Jahren stellte John Doerr, ein Freund von Grove, die OKR-Methode bei Google vor. Er definierte OKR als "eine Management-Methode, die hilft, alle Aktivitäten in einer Organisation auf die gleichen, wichtigsten Ziele zu fokussieren". Seit 1999 nutzt Google die Methode erfolgreich, um quartalsweise die Ziele und Prioritäten festzulegen und seine ambitionierten Ziele zu erreichen. Deshalb übernahmen andere US-amerikanische Unternehmen wie Linkedin, Oracle und Twitter die Methode.
Der OKR-Planungsprozess
Die Arbeit mit der OKR-Methode funktioniert wie folgt: Ausgehend von der Strategie legt das Top-Management eines Unternehmens fünf Ziele (Objectives) zum Beispiel für das kommende Quartal fest. Diese werden durch maximal vier Messgrössen (Key Results) operationalisiert, um den Fortschritt bis Ende des Quartals zu messen.
Dabei beschreiben die Objectives das "Was", das zu erreichen ist. Sie geben somit die Richtung vor und sollten der OKR-Philosophie zufolge zugleich ambitioniert und motivierend sein. Die Key Results hingegen beschreiben, "Wie" das jeweilige Quartalsziel erreicht werden soll. Diese Beschreibung erfolgt jedoch nicht in Form von Aktivitäten, die zu ergreifen sind, sondern messbaren Schlüsselergebnissen, die Auskunft über den Fortschritt geben und mit denen am Quartalsende reflektiert werden kann, ob die Key Results erreicht wurden. Diese sind faktisch Teilziele, die es auf dem Weg zum Erreichen der übergeordneten Ziele, also der Objectives, zu erreichen gilt.
Kurzzyklische OKR-Planung
Die kurzzyklische Planung bei der OKR-Methode kommt dem Wunsch vieler Unternehmen nach einer Erhöhung der Agilität und Reaktionsgeschwindigkeit ihrer Organisation entgegen. Zudem müssen die Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden beim Arbeiten mit der Methode für sich definieren, was sie im kommenden Quartal vorhaben und was sie in dieser Zeit definitiv in Angriff nehmen möchten. Das sorgt für die gewünschte Prioritätensetzung und beugt einem Verzetteln vor.
Die kurzzyklische Planung hat Vor- und Nachteile. Manche Unternehmen beziehungsweise Unternehmensbereiche lassen sich nur schwer mit Quartalszielen führen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Je tiefer man in eine Organisation eindringt, umso leichter lassen sich meist Ziele mit einem kurzzyklischen Charakter formulieren. Deshalb entfaltet die OKR-Methode speziell, wenn es um die Strategieumsetzung auf der operativen Ebene geht, ihre Vorzüge – unabhängig davon, ob das Ziel zum Beispiel lautet, eine Software-Lösung in einem definierten Zeitraum zu entwickeln.
Zielabstimmung: Top-down- und Bottom-up-Prozess
Sind auf der obersten Ebene die Objectives und die Key Results definiert, werden diese auf die nächste Ebene (zum Beispiel die Bereiche) heruntergebrochen. Dies geschieht bei der OKR-Methode nicht in einem reinen Top-down-Verfahren. Vielmehr werden die Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden in den Prozess eingebunden. Eine Faustre-gel dabei lautet: Rund 60 Prozent der Ziele kommen von oben und circa 40 Prozent werden Bottom-up definiert. Das bedeutet: Die jeweils nächste Ebene kann neben den von oben kommenden Zielen auch Ziele definieren, von denen sie überzeugt ist, dass diese dem Erreichen des übergeordneten Ziels dienen. Dieser Prozess mündet in einer Art Verhandlung zwischen der oberen und unteren Ebene, in der ein Agreement über die zum Beispiel im kommenden Quartal zu erreichenden Objectives und Key Results erzielt wird.
Ein zentrales Element der OKR-Methode ist: Alle Objectives und Key Results werden bereichs- und hierarchie-übergreifend veröffentlicht – auch um zu verhindern, dass die Ziele widersprüchlich sind. Die OKR-Philosophie emp-fiehlt, die Methode nicht mit dem Vergütungssystem zu verknüpfen – unter anderem, weil die definierten Ziele und damit verbundenen Key Results sehr ambitioniert sein sollen. Eine Zielerreichung von 100 Prozent soll nahezu un-möglich sein, damit die Mitarbeitenden auch animiert werden, über neue Lösungswege nachzudenken.
Unterjähriger Umsetzungsprozess
Die OKR sind hinsichtlich ihrer unterjährigen Umsetzung sehr agil gestaltet. Dahinter steckt folgende Idee: Plane für den nächsten Zeitraum, setze um und prüfe Dein Ergebnis und setze Dich insbesondere damit auseinander, was Du hierbei gelernt hast. Die Abbildung auf dieser Seite zeigt, wie sich in der Regel der unterjährige Umsetzungsprozess gestaltet. Dabei sollte man jedoch nicht unterschätzen, welchen Zeitaufwand das quartalsweise Festlegen der OKR (auf jeder Ebene) und deren Abstimmung erfordern.
Das bereichs- und hierarchieübergreifende Abstimmen der OKR soll sicherstellen, dass alle Aktivitäten in der Organisation auf die gleichen und wichtigsten Ziele ausgerichtet sind. Zudem versuchen die Unternehmen durch den Einsatz der OKR-Methode meist folgende organisationsentwicklerischen Ziele zu erreichen: Herunterbrechen der strategischen Ziele auf die Team- und Mitarbeitendenebene, Vereinbaren inspirierender und herausfordernder Ziele, Erzeugen eines horizontalen Alignments (Vermeiden eines Silo-Denkens), Verminderung der zentralen Steuerung und Stärkung der Selbstorganisation.
Zu beachtende Einflussfaktoren bei der Einführung
Beim Einführen der OKR-Methode sollte das Management eines Unternehmens folgende Einflussfaktoren berücksichtigen:
• Was ist das generelle Ziel der OKR-Einführung in unserer Organisation?
• Wie hoch ist deren Reifegrad hinsichtlich der Themen Problemlösungsdenken und Agilität?
• Welche weiteren Systeme zur Strategieumsetzung und Zielvereinbarung gibt es bereits (z.B. Balanced Scorecard, Management by Objectives)?
• Wie binden wir die OKR an das bestehende KPI-System an?
• Welchen Mix aus Top-down- und Bottom-up-Zielabstimmung wählen wir?
• Welche Hierarchieebenen binden wir im ersten Schritt ein?
• Wer treibt intern den OKR-Einführungsprozess voran?
• Wie messen wir den Erfolg der OKR-Einführung?
• Wie gestalten wir den Veränderungsprozess und die Kommunikation?
Abschliessende Bewertung
Die OKR-Methode ist keine neue Wunderwaffe, weder für das Führen von Mitarbeitenden und Teams, noch zum Erhöhen der Agilität von Unternehmen. Sie ist jedoch eine bewährte Methode zur Strategieumsetzung insbesondere auf der operativen Ebene.
Dabei sollten jedoch zwei Punkte nicht vergessen werden:
• Das Definieren der Objectives und Key Results allein befähigt die Mitarbeitenden nicht, diese – auf teils neuen Wegen – zu erreichen. Deshalb setzt das Arbeiten mit der OKR-Methode eine Führungskultur voraus, bei der sich die Führungskräfte als Befähiger bezihehungsweise Coaches ihrer Mitarbeitenden verstehen. Und:
• Den Mitarbeitenden sollten Tools wie der PDCA-Zyklus oder der A3-Report an die Hand gegeben werden, mit denen sie das systematische, eigenständige Lösen von Problemen einüben können.
Weitere Vorzüge der OKR-Methode sind: Sie lässt sich einfach mit solchen Managementsystemen wie Hoshin Kanri und der Balanced Scorecard verknüpfen, die eher auf das Erreichen der mittel- und langfristigen Ziele abzielen. Zudem harmoniert sie mit dem KVP- und Lean-Gedanken, da es auch bei ihr letztlich um ein kontinuierliches Sich-Verbessern und Steigern der Performance geht.
Die Autorin
Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung Kudernatsch Consulting & Solutions, Strasslach bei München, die Unternehmen bei der Strategieumsetzung unterstützt. Die promovierte Betriebswirtin ist ausgebildete OKR-Masterin und Autorin des Buches "Hoshin Kanri – Unternehmensweite Strategieumsetzung mit Lean-Management-Tools".
www.kudernatsch.com
(Quelle: Kudernatsch Consulting & Solutions)