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CIO-Interview: 'Apple behindert den Wettbewerb'
Quelle: Twint

CIO-Interview: "Apple behindert den Wettbewerb"

Twint-CIO Stefan Hediger setzt umfassend auf Outsourcing und wünscht sich von Apple Zugriff auf die NFC-Schnittstelle, um die Mobile-Payment-Lösung für den POS optimieren zu können.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2018/10

     

"Swiss IT Magazine": Würden Sie die Aussage, Twint stehe für die Digitalisierung am Point of Sale, unterschreiben?
Stefan Hediger: Das würde ich sehr gerne unterschreiben, allerdings ist diese Aussage nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Twint gibt es aus einer Reihe von Gründen. Twint ist eine Lösung, mit der Banken einen Teil ihrer digitalen Strategie umsetzen können. Vorerst beschränkt sich das noch auf den Bereich Payment, allerdings hat Twint das Potenzial weiter zu gehen. Stichworte hier sind digitale Prozesse im Bereich Marketing und Engagement und Value Added Services, also weiterführende Dienste, die beispielsweise am Point of Sale (POS) im Zusammenhang mit dem Smartphone möglich sind.


Folgendes Szenario: Ich wollte letzthin mein UBS-Konto bei Twint hinterlegen. Damit das geht, wird der UBS-Card­reader vorausgesetzt, den ich aber vor geraumer Zeit durch die UBS Access App ersetzt habe. Die ist toll, funktioniert jedoch für die Kontohinterlegung bei Twint nicht. Man braucht zwingend den Cardreader. Angesichts solcher Szenarien frage ich mich, wie weit die Digitalisierung bei Twint und den angeschlossenen Banken gedacht ist.
Sie müssen die verschiedenen Rollen von Twint sehen. Twint ist quasi die Schnittstelle zwischen dem Händler am POS oder im E-Commerce-Shop und dem Issuer – sprich den Banken, die die Kundenbeziehung unterhalten. Wir stellen in erster Linie sicher, dass diese beiden ein Geschäft abwickeln können. Nehmen wir nun Ihr Beispiel mit der UBS. Die UBS stellt ihre eigene Version der Twint-App her und greift dabei auf Interfaces und auf Libraries zurück. Wie die UBS das Onboarding umsetzt und das Autorisierungs- und Authentifizierungsverfahren gestaltet, ist Sache der UBS.
Trotzdem: Wenn es dann Mängel in der Funktionalität gibt, laste ich das Twint an, und nicht der UBS.
Das verstehe ich. Wir sind uns unserer Rolle bewusst und versuchen mit den Banken ihre Verfahren, die auf ihre Umgebung abgestimmt sind, so zu gestalten, dass Twint für den Kunden gut und nahtlos funktioniert. Die Bankenwelt arbeitet mit eingespielten Verfahren, muss umfassende Legal- und Governance-Prozesse im Hintergrund einhalten. Hierbei versuchen wir einfache und griffige Lösungen zu finden.

Wie gross ist der Einfluss von Twint letztlich denn auf solche Schwächen, wie ich sie beschrieben habe?
Nun, wir betreiben ein umfassendes Quality Management. Hierbei ist die grösste Herausforderung aber nicht bei der App zu finden, sondern der Integration mit den Kassen am POS. Es gibt Hunderte von verschiedenen Kassenlösungen, und wir müssen mit diesen Systemen ein Qualitätslevel erreichen, das sicherstellt, dass Kundentransaktionen einwandfrei funktionieren. Ich selbst mache monatlich selbst viele Dutzend Transaktionen. Bei solchen Tests entdecke ich immer mal wieder eine Optimierungsmöglichkeit, die wir dann umsetzen müssen.


Wo liegt denn am POS in erster Linie das Problem?
Der wichtigste Faktor ist die Geschwindigkeit. Wenn man den reinen Bezahl-Prozess nimmt, liegt Twint leicht hinter der Bezahlung mittels NFC-Karte zurück. Das würde sich ändern, wenn wir von Apple den Zugriff auf NFC oder RFID bekämen. Wenn wir aber das Einlesen einer Kundenkarte dazurechnen, die bei Twint hinterlegt werden kann, dann sieht das anders aus – dann ist man mit Twint schneller. Ein wichtiges Feature ist der QR-Code, weil er auch das Bezahlen an Orten möglich macht, wo es kein Terminal gibt und damit unsere Mitbewerber nicht hinkommen – etwa bei Parkuhren.
Wie problematisch ist das Vorgehen von Apple für Twint?
Die Apple-Anteile sinken auch in der Schweiz. Aber trotzdem können wir die NFC-Schnittstelle nicht gebrauchen, also arbeiten wir mit anderen Technologien. Falls sich dereinst Änderungen abzeichnen, könnten wir rasch reagieren. Ob dies einmal geschieht, wissen wir nicht.

Wie ist das wettbewerbsrechtlich?
Aus meiner Sicht behindert Apple den Wettbewerb.


Wie viel Einfluss haben Sie auf die eigentliche App?
IT-seitig haben wir Einfluss auf die Sicherheitsaspekte, auf die Architektur und auf Qualitätsfragen. Was das Interface oder die Usability angeht, ist die Rolle der IT eher beratend. Die eigentliche Usability wird vom Produktmanagement definiert – in enger Zusammenarbeit mit uns. Die Banken bringen ihre eigenen Vorstellungen bezüglich Usability und Ideen, bedingt durch ihre Corporate Identity, ein. Das belebt die Diskussion und führt zu letztlich besseren Lösungen.

Gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Apps der Banken?
Für den Kunden sind die Unterschiede gering, aus technischer Sicht aber gibt es doch einige Unterschiede. Das ist allerdings kein Problem für uns, weil wir nicht ein Dutzend Apps entwickeln müssen, sondern nur unsere eigene Twint-Prepaid-App. Für die Banken stellen wir wie erwähnt die Libraries und Interfaces bereit, und sie bauen basierend darauf ihre individuellen Apps.
Kommen wir weg von der App und hin zur eigentlichen Twint-IT. Wie sieht Ihre grundlegende IT-Strategie aus?
Grundsätzlich besteht unsere IT aus einem verhältnismässig kleinen Team von 20 Leuten. Wir verfolgen dabei die Idee, intern ein Spezialisten- und Management-Team zu beschäftigen und die eigentliche Arbeit outzusourcen. Wir arbeiten aktuell mit einem Netz bestehend aus zwölf Partnern in der Schweiz, aber auch rund um den Globus. Intern kümmern wir uns also vor allem um die Koordination, um das Release Management, beschäftigen uns mit Budgets und behandeln Betriebs- und Qualitätsthemen.


Wieso dieses ausgeprägte Sourcing?
Der Grund ist einfach: Wir haben Spezialisten in der Schweiz gesucht, diese aber nicht in genügendem Ausmass gefunden. Gerade in den Bereichen, in denen wir Fachkräfte brauchen würden, ist es in der Schweiz enorm schwierig, diese zu finden. Und wir haben gute Erfahrungen mit dem Outsourcing gemacht. In Ho Chi Minh City beispielsweise kümmern sich mittlerweile zehn Leute um einen Teil der Back-end-Entwicklung. Diese Mitarbeiter engagieren sich stark, sind tief drin in den Produkten, und die Zusammenarbeit in virtuellen Teams funktioniert bestens.
Fintech im Ausland entwickeln zu lassen erscheint mir allerdings heikel.
Wir haben von Beginn weg klare, strikte Regeln aufgestellt. Es wurde von Anfang an definiert, dass unter keinen Umständen Kundendaten die Landesgrenzen verlassen dürfen. So wird im Ausland nur gecodet und entwickelt, wobei wir unsere Offshore-Entwickler bestmöglich und flexibel unterstützen. Letztlich liefern sie aber lediglich Artefakte, die hier zum grossen Ganzen zusammengefügt werden.

Wie viele Leute arbeiten denn gesamthaft gesehen für Twint im Bereich IT?
Im August waren es 78 Mitarbeiter, auch wenn nicht alle 100 Prozent und permanent für Twint arbeiten, sondern abhängig von Projekten.


Wie steht es um die Arbeitgeberattraktivität von Twint? Wird Twint eher als hippes Fintech-Start-up oder eher als etwas steriler Postfinance-Ableger gesehen?
Postfinance ist einer von sieben Aktionären, hat also in der Wahrnehmung keinen spezifischen Einfluss mehr. Wir beschäftigen ein sehr bunt gemischtes Team an Mitarbeitenden, es herrscht ein Fintech-Start-up-Groove, der junge Ingenieure sicherlich anzieht. Sucht man aber etablierte Leute, wird es schwieriger, weil die oft ein anderes Umfeld bevorzugen. Denn wir sind sehr schnell unterwegs, die Anforderungen sind sehr hoch, und ab einem gewissen Alter ist das für viele Spezialisten oft nicht mehr die präferierte Umgebung.

Ihnen selbst passt der Start-up-­Groove?
Ich habe das bewusst gesucht, und ja, ich schätze das Arbeitsklima enorm. Es gibt keine feste Zeit, wann ich im Büro bin, keine feste Zeit, wann ich das Büro verlasse. Es spielt gar keine Rolle mehr, wo ich gerade bin. Ich arbeite in den Büros in Zürich, in Bern, zuhause – was am besten in meine Tagesplanung passt. Dafür muss man aber auch bereit sein, Sonder­einsätze zu leisten, egal wo man gerade ist.

Können Sie noch etwas mehr zu den Aufgaben erzählen, die ihr Team hier in der Schweiz ausübt?
Hauptsächlich kümmert sich das Team in der Schweiz um die Aspekte Security, Architektur, um DevOps und den Betrieb. Beim Rest handelt es sich um Führungsaufgaben, es gibt Verantwortliche für die Entwicklung, für das Engineering, das Release Management.

Gibt es Bereiche, die nie und nimmer ausgelagert werden dürfen?
Kernfunktionen bezüglich Security und Architektur zählen hier dazu, diese beiden Kernelemente müssen zwingend im Haus bleiben. Zudem ist der Betrieb nicht ausgelagert – nicht mehr, muss ich dazu anfügen. Bis Anfang August dieses Jahres war das anders, jetzt haben wir den Betrieb selber übernommen.


Warum?
Der Hauptgrund waren die Auflagen der Banken an den Outsourcing-Partner, die nicht mehr erfüllt werden konnten.
Wo läuft denn der Betrieb jetzt?
Wir setzen auf eine Cloud-Lösung, womit wir im Finanzumfeld sicherlich auch eine Vorreiterrolle übernehmen. Der Entscheid, als Finanzdienstleister auf eine Cloud-Plattform zu setzen, hat zu Diskussionen geführt.

Bedingt durch?
In erster Linie Security- und Legal-Aspekte. Wir haben auf unserer Lösung sogenannte Customer Identifier Data, die es mit allen Mitteln zu schützen gilt. In einer Cloud ist man mit Themen wie Hypervisoren konfrontiert, wo teils Daten gemeinsam über einen bestimmten Punkt laufen. Da tauchen Sicherheitsthemen auf, die man sorgfältig abklären muss.


Was hat denn den Ausschlag für den Cloud-Entscheid gegeben?
Der Entscheid für die Cloud ist ein Entscheid für die Zukunft. Die ICT als Ganzes wird sich in Richtung Cloud orientieren, allein schon aus Kostenüberlegungen. Hinzu kommen Flexibilität und Agilität. Mit klassischen Modellen kann man eine zeitgemässe Weiterentwicklung fast nicht mehr sicherstellen. Wir arbeiten dauernd an neuen Konzepten, machen A/B-Tests, müssen innert Kürze eine neue Plattform bereitstellen können, um etwas zu testen, und diese dann wieder einstellen, wenn der Test vorbei ist. Dass setzt schnelle, flexible Plattformtechnologien voraus, die kostengünstig betrieben werden können. Ich glaube die Diskussionen, die wir geführt haben, werden innerhalb der Banken für andere Produkte weitergeführt.
Was würden Sie als Ihre grösste Herausforderung bezeichnen?
Ich denke, hier geht es den meisten CIOs gleich: Die Kosten im Griff zu haben, ist eine grosse Herausforderung. Von uns wird Innovation verlangt, wir müssen effizient sein, eine stabile Finanzplattform mit einem hohen Anspruch an Sicherheit betreiben, und dabei die Kosten im Griff haben – das ist nicht immer ganz einfach. Eine zweite Herausforderung ist, Kunden von den Vorteilen von Mobile Payment überzeugen zu können. Es ist wichtig, viele Kunden zu überzeugen, denn der Wert von Twint für die Kunden wächst mit der steigenden Zahl von Nutzern, die die Lösung regelmässig einsetzen. Da spielt der klassische Netzwerk-Effekt, insbesondere für P2P-Zahlungen. Im E-Commerce sind wir zufrieden, dort liegt die Usage teils im zweistelligen Prozentbereich, aber am POS müssen wir uns noch steigern.


Können Sie etwas zu aktuellen Projekten erzählen?
Ein Projekt, an dem wir arbeiten, betrifft den sogenannten Web2App- oder App2App-Switch. Damit gemeint ist der automatische Sprung nach einem Kauf von einer mobilen Website, einem mobilen Webshop oder einer App zu Twint und wieder zurück. Das ist komplex. Dann haben wir ja jüngst die Möglichkeit zur Bezahlung von Parkgebühren mittels Twint präsentiert – das wollen wir vorantreiben. IT-seitig hat uns die angesprochene Migration auf die Cloud-Plattform zuletzt beschäftigt. Weitere Projektthemen betreffen die Effizienzsteigerung in der App-Entwicklung, Continuous Integration und Continuous Deployment sowie Automation und Containerization.
Nebst Twint haben aktuell vor allem Apple Pay und Samsung Pay eine Bedeutung in der Schweiz. Denken Sie, am Ende des Tages hat es Platz für mehrere Anbieter?
Ich denke schon, ja. Ich denke vor allem, der Markt wird sich noch enorm wandeln. Was der Kunde in Zukunft effektiv benutzt, wird gar nicht so entscheidend sein. Viel wichtiger wird sein, was technisch im Hintergrund abgewickelt wird. Hier wird es künftig nur ganz wenige Anbieter geben, und ich bin der Überzeugung, dass die Offenheit des Systems – so wie Twint es bietet – letztlich entscheidend für den Erfolg sein wird sowie die Art und Weise, wie einfach digitale Transaktionsprozesse abgewickelt werden.

Im März hat Comparis eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass nur 1,2 Prozent der Nutzer das Handy zum Bezahlen nutzen. Es hiess, die Lösungen seien für den Anwender zu kompliziert. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Die Situation erinnert mich an die Anfänge des Kartengeschäfts, die ich bei Postfinance begleitet habe. Ich erinnere mich an die langsamen Modems der Zahlterminals, an die Schlangen an den Kassen mit Leuten, die mit Bargeld in der Hand hinter den Kartenzahlern warteten. Heute müssen wir über die Akzeptanz der Kartenzahlung nicht sprechen. Doch bis die Geschwindigkeit stimmte und sich das Verhalten der Konsumenten änderte, brauchte es viel Zeit. Und man darf nicht vergessen, dass der Stellenwert von Bargeld aus verschiedenen Gründen in der Schweiz halt schon noch hoch ist. Ich bin überzeugt davon, dass Twint diejenige Lösung sein wird, die das Bargeld vielerorts verschwinden lassen wird.


Dass aber der Durchbruch von Twint Zeit und ein Umdenken braucht, hat jedoch nichts damit zu tun, dass die Lösung zu kompliziert ist.
Einfachheit ist einer der Schlüssel, Zuverlässigkeit ein Anderer. Um Akzeptanz beim Kunden zu schaffen, muss ich dem Kunden zehn Mal eine gute Erfahrung bieten können. Wenn es einmal nicht funktioniert, wird der Kunde unsicher und überlegt sich beim nächsten Mal, ob er nicht doch besser die Karte benutzt. Eine Verhaltensänderung im täglichen Gebrauch des Menschen herbeizuführen, ist herausfordernd. Ich gehe davon aus, dass es noch etwas Zeit braucht, bis wir bei der grossen Masse die Verhaltensänderung herbeigeführt haben.

Zum Unternehmen

Twint wurde 2014 als Tochter von Postfinance gegründet, die gleichnamige App für Android und iOS ist im Herbst 2015 erschienen. Im Mai 2016 folgte der Zusammenschluss mit dem Konkurrenten Paymit. Die Twint-App ermöglicht bargeldloses Bezahlen im Web, am Point of Sale oder an Automaten – entweder mittels QR-Code oder Beacon. Zudem kann man mit Twint auch Geld an andere Twint-Nutzer senden. Nebst der von über 65 Banken genutzten Twint-Prepaid-App haben insgesamt zwölf Schweizer Banken eigene Versionen von Twint im Angebot. Twint ist im Besitz von verschiedenen Banken sowie von Six und von Worldline. (mw)


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Kommentare
Es kommt mir vor wie bei der Einführung der Privatradios in der Schweiz. Kurz bevor die erste Konzession an Radio 24 vergeben wurde, hat die SRG noch schnell DRS 3 lanciert. In der Schweiz gibt es viel zu viel Firmen, die immer meinen sie müssten das Rad neu erfinden, dass dann enorme Beträge verschlingen, siehe siroop, und dann eingestellt werden. Wie wäre es mit mehr Innovation, Fantasie und Mut, aber bevor das eine Firma im Ausland schon auf dem Markt gebracht hat? Der wahre Grund für Twint ist doch ein Anderer, die Banken wollen an Apple und Android nichts bezahlen und somit nicht auf die lukrativen Gebühren verzichten. Deshalb wird noch schnell etwas gebastelt das weder Fisch noch Vogel ist.
Sonntag, 4. November 2018, tino

Ah wenn doch nur Apple NFC freigeben würde.... Seit Jahren ist NFC bei Android frei verfügbar und Android hat mehr User als Apple in der Schweiz. Aber Twint unterstützt NFC auch bei Android nicht. Kann das Geschwätz nicht mehr hören. Würden die Banken Google Pay und Apple Pay nicht massiv behindern würde Twint schon längst Geschichte, so gehts halt noch zwei Jahre
Mittwoch, 3. Oktober 2018, Kein Twint User mehr



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