Blockchain und die dezentrale Zukunft
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Blockchain und die dezentrale Zukunft

Von Jan Seffinga und Arno Pernthaler

Blockchain nennt sich die Technologie hinter digitalen Währungssystemen wie Bitcoin. Darüber hinaus kann sie ganze Industrien, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen so revolutionieren, wie es bisher nur infolge der rasanten Entwicklung des Internets in den 90er-Jahren möglich war.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2018/06

     

"Bitcoin ist ein Betrug", war die Bemerkung des JPMorgan-Chase-Geschäftsführers Jamie Dimon im September vergangenen Jahres. Beginn dieses Jahres hat er sich schliesslich gezwungen gesehen, seine kontrovers diskutierte Aussage zu korrigieren. "Ich bereue meine Kritik an Bitcoin", so Dimon letzthin und hob gleichzeitig das bedeutsame Potential der Blockchain-Technologie hervor. Besagte Technologie stellt die Basis für Kryptowährungen dar und kann Daten und Programme sicherer machen, indem sie diese dezentralisiert anlegt. Spätestens jetzt sind sich die Experten einig, dass sich die Blockchain als "Internet der Werte" (engl. "Internet of Value") mit dem globalen Durchbruch des "Internets der Information" (engl. "Internet of Information"), wie man es in den letzten zwanzig Jahren miterleben durfte, gut vergleichen lässt.

An der Blockchain-Technologie kommt künftig keine Organisation mehr vorbei, die den technologischen Wandel der kommenden Jahre in ihrem Ökosystem als Vorreiter meistern will. Die 2008 initiierte dezentrale Open-Source-Technologie ermöglicht Peer-to-Peer-Transaktionen, also ohne Mittelsmann wie eine Bank oder Zahlungsinstitutionen wie Paypal oder Apple Pay, beispielsweise im Zusammenhang mit Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether. Aufgrund des Echtheitsnachweises in einer Blockchain und der gesicherten Rückverfolgbarkeit digitaler Veränderungen von Daten bringt diese mittlerweile immer mehr Anwendungen hervor, die weit über die Lancierung (Initial Coin Offering, ICO) und den Handel (Crypto Trading) mit einer Kryptowährung hinausgeht.


Ein weiterer Vorteil der Blockchain besteht darin, die Daten­existenz und -qualität bei allen involvierten Teilnehmern eines Ökosystems sicherstellen zu können. Eines der Hauptprobleme beim Datenmanagement ist die Nachweisbarkeit, die Übereinstimmung, die Struktur und das Format der Daten. Diese können nun einfach durch das intelligente Blockchain-Protokoll behoben werden, welches dafür sorgt, dass die Daten intakt und nicht manipulierbar sind. Positiver Nebeneffekt sind massgebliche Kosteneinsparungen, da Datenfehler, Redundanzen und zeitaufwendige Korrekturen reduziert werden.

Was die Blockchain ausmacht

Einfach dargestellt ist die Blockchain eine Datenbank. Was sie von einer gewöhnlichen Datenbank aber unterscheidet, ist die Art und Weise, wie sie angelegt ist und wie Daten gehandhabt werden. Eine herkömmliche Datenbank ist auf einem zentralen Server angelegt, den sein Administrator kontrolliert; die Datenbank selbst wird von einem Verwalter geführt. Die Benutzer der Datenbank haben keine andere Wahl als dieser zentralen Verwaltung dahingehend zu vertrauen, dass deren Inhalt weder von internen noch von externen Eindringlingen unterlaufen wird. Im Vergleich dazu läuft eine Blockchain nicht auf einem zentralen Server, sondern auf einem Netzwerk von Computern, wo jeder Teilnehmer, der auf den Inhalt der Blockchain zugreifen kann, eine vollständige und identische Kopie erhält.


Vertrauen zwischen den Teilnehmern ist auch ohne eine zentrale Verwaltung der Blockchain gewährleistet, da alle vergangenen Einträge durch eine kryptografische Verbindung weder manipuliert noch gelöscht werden können. Neue Einträge in die Blockchain oder Veränderungen derselben setzen voraus, dass sich die Mehrheit der Teilnehmer darüber einig ist. Der entscheidende Vorteil der Blockchain-Technologie liegt in der Tatsache, dass in der Wertschöpfungskette die Vermittler überflüssig werden, da die Transaktionen direkt laufen können.

Private und öffentliche Blockchain – wo liegt der Unterschied?

Zu unterscheiden sind Blockchain-Anwendungen im privaten oder öffentlichen Bereich. Bei einer privaten Blockchain interagieren die Teilnehmer in einem privaten Netzwerk von Computern, das einem oder mehreren autorisierten, zentralen Gründern gehört, die wiederum verwalten und regulieren das Netzwerk. Die private Blockchain funktioniert dabei ähnlich wie ein verteiltes Hauptbuch oder Register, auf welches nur autorisierte Teilnehmer zugreifen können. Private Blockchains können ein entscheidender Baustein sein, um Geschäftsprozesse zu vereinfachen, zu automatisieren und deren Vertrauenswürdigkeit zu steigern – und dabei Ressourcen sparen.

Um diese Vorteile auf ganze Industrien ausweiten zu können und durch Netzwerkeffekte zu steigern, verbünden sich zunehmend Unternehmen zu Konsortien. Denn in einem offenen Ökosystem vereint können sie den Nutzen der Blockchain um ein Vielfaches erhöhen. Etliche Industrien, die unter enormem Kostendruck stehen, experimentieren mit der Blockchain-Technologie, um etwa die Einhaltung regulatorischer Vorschriften mit nicht manipulierbaren Daten zu gewährleisten. Analysten erwarten, dass dank neuer Anwendungen mit Blockchain-Technologie jährlich 15 bis 20 Milliarden Dollar allein in der Finanz­industrie, der Versicherungsbranche und dem Gesundheitswesen weltweit eingespart werden können.
Konkrete Anwendungsbeispiele aus der Finanzindustrie sind Joint-Ventures von Bankinstituten, die im Bereich des KYC (engl. Know Your Customer, was mit "Kenne deinen Kunden" zu übersetzen ist) gemeinschaftlich die Legitimationsprüfung von bestimmten Neukunden zur Verhinderung von Geldwäsche durchführen. Die erfasste und überprüfte Information des Kunden bezüglich seiner Herkunft, wie sein Geschäftsmodell aussieht und woher die Finanzströme stammen, werden auf der Blockchain gespeichert und stehen für alle Finanzinstitute zum Abruf bereit – manipulationssicher und mit allen versiegelten historischen Eintragungen. Dies geschieht selbstverständlich nur im Einverständnis mit dem Kunden. Sein Vorteil ist, dass er in Zukunft ganz einfach eine neue Bankenbeziehung eröffnen kann, da er seine neue Bank ermächtig, diese Daten zu verwenden.


Unter einer öffentlichen Blockchain versteht man ein Netzwerk von Computern, dem jede Entität autonom und frei beitreten kann, um Informationen oder Transaktionen eintragen zu können. Es gibt keine zentralen Verwalter. Das Netzwerk reguliert sich selbst über ein Protokoll, das die Prozesse und Abwicklungen der Blockchain-Datenbank festlegt und von der Mehrheit der Teilnehmer des Netzwerks bestimmt wird. Anwendungen solcher öffentlichen Blockchains sind in der Realwirtschaft noch wenige vorhanden – vielmehr sind sie bekannt in Zusammenhang mit Kryptowährungen wie Bitcoin. Es gibt jedoch immer mehr Start-ups und Institutionen, die sich dem Nutzen der von dieser Technologie abgeleiteten Plattformen zu Eigen machen wollen. Sie könnten aller Voraussicht nach sogar ganze Industrien umkrempeln. Viele dieser gegründeten Start-ups sind im sogenannten Crypto Valley (angelehnt an Silicon Valley) der Stadt Zug, das unter anderem von der Financial Times als das globale Zentrum für Blockchain- und Kryptoentwicklungen bezeichnet wurde, anzutreffen.
Gründer und Entwickler von öffentlichen Blockchain-Geschäftsmodellen wie auch etablierte Institutionen nutzen Blockchain im Zusammenhang mit Initial Coin Offerings (ICOs), eine neue Crowdfunding-Methode ähnlich wie Initial Public Offering (IPO). Sie basieren auf der Ausstellung von sogenannten Tokens oder Coins, welche man vereinfacht auch als Aktien der Kryptowährung-Start-ups bezeichnen könnte. Derartige Start-ups reichen von Immobilienmaklern, zu Unterhaltungs-Apps bis hin zu Digitalbanken, die sich Finanzierungen über ICOs beschaffen und die auf Tokens basierte Kryptowährung als integralen Bestandteil ihres Produktes anbieten. Die Frage, ob ­diese Tokens als Zahlungstoken, Nutzungstoken oder Anlagetoken angesehen werden, muss bei einem Initial Coing Offering stark berücksichtigt und überprüft werden. Die Finanzmarktaufsicht Finma hat diesbezüglich eine Wegleitung definiert – es kann jedoch noch zu weiteren regulatorischen Eingriffen kommen.


Ein Beispiel eines traditionellen Unternehmens, das den Kryptowährungs-Trend erkannt und für ein erstaunliches Medienecho gesorgt hat, ist die Firma Kodak, die den Kodakcoin auf den Markt bringen möchte, um Fotos und deren Lizenzbedingungen von Fotografen auf der Blockchain abzuspeichern. Interessenten können somit Fotos mit dem Kodakcoin direkt vom Fotografen kaufen, ohne Urheberrechte zu verletzen. Damit möchte Kodak die Fotografie demokratisieren und für eine faire Vergütung der Künstler sorgen.

Schwierigkeiten, Risiken und Kritiken

International etablierte, öffentliche Blockchain-Technologien wie zum Beispiel Bitcoin sind für viele Anwendungen zu langsam, weil ein höchst aufwändiges Rechenverfahren von Computern nötig ist, um die Sicherheit vor Manipulationen zu gewährleisten. Das führt dazu, dass sich wenige starke Unternehmen entwickeln, die ihre Rechnerkapazität bündeln und so den Grossteil neuer Einträge in die Blockchain beglaubigen. Dieser Vorgang nennt sich Konsensus-Mechanismen. Daraus entsteht das Risiko, dass das ursprünglich dezentrale Netzwerk von Computern doch von einigen zentralen Organisationen kontrolliert wird. Dazu kommt der massive Stromverbrauch, der für die Rechenverfahren benötigt wird. Allein auf Bitcoin-Transaktionen fallen derzeit zirka 0,2 Prozent des globalen Energiekonsums. Würde man dagegen den Teilnehmerkreis der Blockchain auf wenige Entitäten einschränken, würde die Plattform ungleich schneller und günstiger. Beispiele solcher Bestrebungen sind unter anderem Konsortien internationaler Grossbanken, die dann allerdings genau zu jenen zentralen Instanzen gehören, die den Nutzen einer Blockchain wiederum infrage stellen. Ein weiteres, nennenswertes Risiko liegt in der noch etwas unreifen Technologie. Daraus resultierend erzielt die Blockchain noch nicht in allen Bereichen der Wirtschaft den erwarteten Durchbruch. Der Fokus des Blockchain-Fortschritts muss daher auf die Geschwindigkeit und Sicherheit gesetzt werden.


An den Lösungen der noch offenen Fragen und Herausforderungen, wie etwa die Verantwortung und Rechenschaft bei öffentlichen Blockchains, leisten Fachexperten als auch Regulatoren bereits gute Arbeit. Schritt für Schritt sollen öffentliche Blockchain-Netzwerke sicher und geregelt genug sein, so dass die Blockchain mit ihren Eigenschaften eine grosse Zahl an Vertrauensanforderungen erreichen kann, die heute Geschäftsprozesse sowie Interaktionen belasten.

Ausblick

Im vergangenen Jahr erlebte die Blockchain-Technologie ­eine zunehmend exponentiell-wachsende Innovationsphase, die sich dadurch auszeichnet, dass sich vorhandene Geschäftsprozesse und Modelle verbessern, jedoch nicht grundsätzlich verändern. Schon jetzt ist festzustellen, dass die Anwendung und Verbreitung der Blockchain in mehreren Geschäfts­feldern so schnell stattfindet, wie es bisher nur aus der rasanten Entwicklung des Internets in den 90er-Jahre bekannt war. Das Ver­trauen in die Technologie wächst stetig, und bereits im laufenden Jahr könnten grössere Umwälzungen anstehen. Die Wirksamkeit der Blockchain in der Bekämpfung von Korruption allein stellt eine mächtige Einsatzmöglichkeit dar. Wie sehr Politik und öffentliche Verwaltungen aber tatsächlich bereit sind, im Sinne von Kostensenkung, Sicherheit und Transparenz in diese Richtung zu investieren, wird sich weisen.

Die Autoren

Jan Seffinga (links) ist Partner Financial Services Consulting bei Deloitte und verantwortlich für Planung, Leitung und Durchführung von grossen Transformationsprojekten sowie offizieller Blockchain und Crypto Currency Lead für die Schweiz. Arno Pernthaler (rechts) ist Digital-Strategie-Berater bei Deloitte mit Fokus auf disruptive Technologie und war u.a. in Deloitte EMEA Center of Excellence für Blockchain Technologie in Dublin tätig.


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