Vor 25 Jahren verfügte jede Person, die sich gut oder auch nur halbwegs mit IT auskannte, über eine Jobgarantie mit hohen Saläraussichten. Staatlich organisierte Lehren und Studiengänge an den Universitäten führten zu einer Formalisierung der IT-Ausbildung und der Jobrollen. Momentan führt der Verband SwissICT circa 40 Berufe der ICT in seinem Buch auf. Im März kommt die achte Auflage auf den Markt mit fünf neuen Berufsbildern und neuen ICT-Rollen. Die Hausaufgaben scheinen gemacht – trotzdem hat sich die Zahl der arbeitslosen IT-Fachkräfte zwischen 2008 und 2014 verdoppelt.
Qualitativer Mismatch
So lautet der Fachbegriff, wenn die von IT-Mitarbeitern auf dem Arbeitsmarkt angebotenen Kompetenzen nicht den Anforderungen der Unternehmen entsprechen. Die Gründe sind mannigfaltig: keine Grundausbildung, Altersdiskriminierung, Fachkräfte aus dem Ausland, fehlende Vernetzung oder ungenügendes Selbstmarketing.
Weiterbildungen können ein Gegenmittel zum qualitativen Mismatch sein. Nur wie, wo, wann sich weiterbilden? Das Angebot ist riesig, der Dschungel dicht, Zeit und Budget dagegen knapp. Mit welcher Weiterbildung hole ich mir eine Job-Garantie? Wenn die Antwort auf diese Frage einfach wäre, würde jeder diese Weiterbildung besuchen.
Das Geheimnis liegt im Mix von Theorie und Praxis, in einer ständigen Auseinandersetzung und in einer strategischen Planung.
Neue Lernformen wie beispielsweise MOOC eröffnen neue Möglichkeiten zur Weiterbildung. (Quelle: iStock Photo)
Strategische Planung
Eine Analyse der grossen IT-Trends zeigt auf, wohin sich die Anforderungen in Unternehmen entwickeln werden. Ein strategisch denkender IT-Arbeitnehmer beginnt früh, seine Fähigkeiten in diese Richtung zu entwickeln. Sobald sich ein Trend verdichtet, sollte eine vertiefende Weiterbildung in Betracht gezogen werden. Als Beispiel kann die Verschiebung von eigenen Servern hin zu Cloud-Infrastrukturen genannt werden.
Weiterbildung in Cloud-Themen haben sicherlich einen positiven Effekt auf die Arbeitsmarkt-Attraktivität. Ein Blick auf die neuen Microsoft-MCSE-Zertifikate zeigt zudem, welche Trends Microsoft in Zukunft als "strategisch" betrachtet:
• Mobility
• Cloud
• Productivity
• Data Management and Analytics
• App Builder
Es ist wahrscheinlich keine schlechte persönliche Weiterbildungsstrategie, einem globalen Player wie Microsoft zu folgen, zumal sich Microsoft gerade neu erfindet und sicherlich selber die strategischen Hausaufgaben erledigt hat. IT-Fachkräfte wählen vorzugsweise eine Weiterbildung, die ihre bestehenden Qualifikationen in einer dieser Stossrichtungen weiterentwickelt.
T-Shaped-Profile
Zukünftige Jobs befinden sich also oft zwischen den Bereichen und Fachabteilungen, denn Probleme in Unternehmen bestehen darin, die verschiedenen Betriebslogiken miteinander zu verbinden. Dazu benötigen Unternehmen "Übersetzer" und "Brückenbauer". Wir sprechen von "T-Shaped"-Jobprofilen. Das Dach des "T" stellt die Breite der Kenntnisse dar, der Stamm die Tiefe in einem besonderen Bereich wie zum Beispiel IT. Um in Unternehmen der neuen Arbeitswelt einen hohen Mehrwert zu bieten, müssen wir lernen, Fäden in andere Bereiche hinein zu spinnen.
Denken wir ein Beispiel mit den oben genannten Zertifikaten von Microsoft durch: Sie sind verantwortlich für die Erhöhung der Produktivität mit Office 365. Was technisch klingt, wird im Kontext des Modern Workplace vielfältiger. Es geht um Einstellung, Kultur und Prozesse. Eine strategische Planung der Weiterbildung umfasst betriebswirtschaftliche und kulturelle Komponenten sowie modernes Projektmanagement. Es muss also bei moderner Weiterbildung immer um dasselbe gehen: das passende Skill Set, um ein Problem in einem Unternehmen zu lösen.
Weitere Beispiele von Kompetenzen, die zwei und mehr Bereiche zusammenbringen, finden sich zuhauf:
• DevOps: Symbiose aus Infrastruktur und Software-Entwicklung
• Digital Product Designer: Design Thinking und App-Entwicklung
• FinTech: Technische Lösungen für die Finanzbranche
• Digital Service Management: Cloud-Verständnis, agile Projektmethoden, Wissen über Service-Prozesse
• Augmented Reality: Mobile Software Engineer
Für alle diese Bereiche gibt es Weiterbildungen, bei Online-Anbietern, privaten Schulen und im Hochschulumfeld. Eine Weiterbildung und eine persönliche Positionierung als Brückenbauer bringt gute Arbeitsmarktchancen mit sich.
MOOC – die globale Bühne
Mit der Massive-Open-Online-Courses (MOOC)-Bewegung finden Weiterbildungswillige einen unglaublichen Fundus an hochwertigen Lerninhalten von verschiedenen Universitäten und Industriepartnern online. Die schiere Anzahl wirkt überfordernd. Die Eingrenzung passiert entlang der oben genannten Strategien: eigene Basis, strategischer Trend und Vernetzung mit angrenzenden Disziplinen aufgrund persönlicher Interessen.
Schauen wir uns zum Beispiel die Sektion Computer Science der Plattform Edx.org an, auf der auch Microsoft Inhalte online und oft kostenlos anbietet. Datenbank-Administratoren, die sich für den Trend "Data Science" interessieren, finden zum Beispiel das Harvard Professional Programm, bei dem sie sich die Grundlagen selbständig erarbeiten können. Im Design der Weiterbildung ist bereits eine gewisse Vernetzung der Inhalte angelegt:
• Programmieren mit R
• Visualisierung
• Statistik
• Werkzeuge
• Machine Learning
New Learning – ständig, dafür weniger
"Lieber fünf Mal am Tag essen als eine grosse Portion", lautet eine Theorie, wie man körperlich fit bleiben kann. Dies gilt auch für Weiterbildungen. Eine solide Grundausbildung ist die Basis; als Reaktion auf die sich schnell ändernden Trends in der IT sollte sich jedoch jede Fachkraft mindestens einmal in der Woche einen kurzen Wissens-Snack zu Gemüte führen. Das Angebot dafür ist riesig. Auf Edx.org, der erwähnten Plattform, finden sich mehr als 500 Angebote zum Thema Computer Science. Ein kurzer Blick auf Meetups in Zürich zeigt ein grandioses Angebot: Blockchain, IoT, Azure, Cloud, Hacker, Elastic, Digital Transformation, .NET User Group, Microsoft 365, Coders Only, OpenTechSchool und weitere mehr.
Mit dem regelmässigen Besuch von thematisch an den eigenen Bereich angrenzende Meetups erweitern auf Job-Markt-Attraktivität ausgelegte Strategen das persönliche Know-how-"T", ganz im Sinne von T-Shaped-Profilen. Zudem sollte man diese Gelegenheiten nutzen, die eigenen Interessen, Talente und Vorlieben abzustecken. Eine Weiterbildung bringt dann am meisten, wenn sie zwar strategisch, aber dennoch mit Leidenschaft gewählt ist.
"Vernetzen", "lernen", "Neues ausprobieren" gehört heute zu jeder Jobrolle. Und die Vernetzung mit Gleichgesinnten öffnet Türen, falls es doch dazu kommt, dass man aus welchen Gründen auch immer einen neuen Job suchen muss. Linkedin beispielsweise ist heute viel mehr als eine Adresskartei. Die Plattform gehört Microsoft und hat mit Slideshare und Lynda.com zwei Plattformen integriert, über die Lern-Content en masse zur Verfügung steht. Die Konsumation von Linkedin-Inhalten, eigene Meinungen dazu sowie selbst verfasste Beiträge unterstützen bei der aktiven Beschäftigung mit den aktuellen Hot Topics und demonstrieren zukünftigen Arbeitgebern hohes Engagement und Expertise.
Praxis, Praxis, Praxis – und Erfolge feiern
Grundpfeiler der Weiterbildungsplanung sind also die strategische Ausrichtung bezüglich der eigenen Wissensbasis und nachhaltiger Trends, Vernetzung mit angrenzenden Gebieten sowie eine ständige Auseinandersetzung. Nur fehlt es den Personalverantwortlichen bei der Einstellung von Fachkräften oft an Praxiserfahrung und Umsetzungswissen. Dieses "Praxis-Paradoxon" entsteht, wenn wir keinen Job aufgrund mangelnder Praxis und keine Praxis aufgrund eines fehlenden Jobs bekommen. Was tun?
Die praktische Anwendung von frisch Erlerntem muss so früh wie möglich integriert werden. Weiterbildung von heute muss helfen, spezifische Job-Herausforderungen in Unternehmen zu bewältigen.
Moderne Weiterbildungen lösen begleitend im Coaching-Verfahren ganz konkrete Unternehmensprobleme und sichern damit den Praxisbezug. Auch bei Online-Kursen wie dem vorher erwähnten Harvard-Professional-Lehrgang dient ein Praxisprojekt als Abschlussarbeit, die von Experten bewertet wird. Diese Praxisarbeit kann dem Bewerbungsdossier beigelegt werden, sodass Rekrutierende auf den ersten Blick sehen, welche praktischen Erfolge erzielt wurden. In den angelsächsischen Ländern sind diese praktischen Success Stories bereits weit verbreitet, in der Schweiz zählen oft akademische Papiere mehr, wobei auch hier ein Trend zur konkreten Beweisführung der Lösungskompetenz zu beobachten ist.
Fazit
Ähnlich wie bei Unternehmen müssen auch Arbeitnehmer mehr und mehr ihre Weiterbildungen strategisch planen, sich ständig als Experten auf ihrem Gebiet positionieren und mittels Erfolgsgeschichten die Beweisführung ihres praktischen Mehrwerts erbringen. Weiterbildungen auf der anderen Seite fokussieren mehr und mehr auf die Lösung von konkreten Problemen innerhalb von Unternehmen und werden von Unternehmen mitgetragen. Als Beispiel einer solchen Weiterbildung kann die Digital Product School genannt werden, die in Zusammenarbeit mit grossen Industriefirmen eine in die betrieblichen Abläufe integrierte Weiterbildung anbietet.
Der Autor
Lorenz Kurth ist dipl. Ing. Kommunikation & Informatik FH. Er stiess 2014 zu Digicomp. Nach seinem Studium an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) arbeitete er zwei Jahre im Ausland und sammelte Erfahrung in der interkulturellen Kommunikation. Als Product Manager bei Digicomp ist Lorenz Kurth für die Bereiche Microsoft Professional, Amazon Web Services, Oracle, Red Hat und Network & Telecom verantwortlich.