CIO-Interview: 'Die Anliegen der Mitarbeiter ernst ­nehmen'
Quelle: BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn

CIO-Interview: "Die Anliegen der Mitarbeiter ernst ­nehmen"

Seit 14 Jahren leitet Martin Ittig die IT der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn und stellt sich mit einem schlanken Team den Herausforderungen eines Bahnbetriebs.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/05

     

Swiss IT Magazine: Vor kurzem wurde das gesamte Bahnleitsystem der Gornergrat Bahn, als erstes weltweit, in eine Siemens-­Cloud verschoben. Inwiefern hat das Projekt die IT-Abteilung der Matterhorn Gotthard Bahn tangiert?
Martin Ittig: Das Leitsystem aller Strecken, welche die Matterhorn Gotthard Bahn betreibt, war nie im Verantwortungsbereich der Informatik. Die Projektverantwortung lag bei unserer Infrastruktur-Abteilung und bei Siemens, welche die Cloud auch in seinen Rechenzentren betreibt. Jedoch wurde im Cloud-Projekt, wie auch in früheren Leitsystemprojekten mit Siemens, unsere IT-Abteilung in einer beratenden Position hinzugezogen. Auch weil die Infrastruktur-Abteilung sowie Siemens sich für unsere Sichtweise interessiert haben, etwa um allfällige Hürden zu erkennen.


Welche Punkte wurden da konkret besprochen?
Die Bahnleittechnik der Gornergrat Bahn war vorher ein in sich geschlossenes System. Mit der Verschiebung in die Cloud kamen neue Themen, wie etwa Remote-Zugänge für Siemens, auf. Da stellt sich dann auch schnell die Frage bezüglich der Sicherheit. Zudem haben wir als Informatikabteilung mit allen betroffenen Parteien allfällige Cloud-Berührungsängste besprochen. In der Leittechnik selbst haben wir als IT-Abteilung aber keinen Einfluss.
Wieso ist gerade die Gornergrat Bahn Vorreiter in Sachen Bahnleitsystem aus der Cloud?
Die Gornergrat Bahn ist aufgrund der betrieblichen Verhältnisse, wie der Fahrt auf Sicht und der relativ geringen Fahrgeschwindigkeiten, für ein entsprechendes, vom Bund bewilligtes Projekt inklusive Pilot gut geeignet. Zudem hat die Implementierung der Cloud-Lösung auch wirtschaftliche Hintergründe. Die Infrastruktur für ein Bahnleitsystem ist kostenintensiv. Bei der Siemens-Cloud basiert das Business-Modell auf einem Lizenz-Geschäft. Das Leitsystem wird dabei samt erforderlicher IT-Infrastruktur und Anwendungssoftware zentral beim Dienstleister aufgebaut und dann virtuell per Cloud zur Verfügung gestellt. Die Gornergrat Bahn hat so die Möglichkeit, alle nötigen Funktionen als Service zu beziehen, ohne die notwendige Hard- und Software selber betreiben und unterhalten zu müssen.


Wie ist die Informatik bei der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn aufgestellt?
Ich sehe uns als mittelgrosses Unternehmen mit einer eher kleinen IT-Abteilung. Das ganze Konstrukt der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn ist relativ weitläufig und etwas kompliziert. Die IT-Abteilung ist dabei, wie das gesamte Personal, der AG Matterhorn Gotthard Bahn angegliedert. Jedoch ist unsere Informatik-Abteilung auch für auf dem Papier eigenständige Bereiche, wie beispielsweise das BVZ Asset Management, verantwortlich. Organisatorisch ist das Ressort Informatik der BVZ Holding in zwei Glieder aufgeteilt. Einerseits in das Team IT Services, welches fünf Mitarbeiter beschäftigt, und andererseits ins Team IT Business mit ebenfalls fünf Mitarbeitern, wovon drei Personen eher in der Entwicklung und zwei als Business-Analysten arbeiten. Das IT-Services-Team stellt den Betrieb der Informatik gemäss definiertem Servicemanagement sicher. Ihre Themengebiete sind dabei etwa Server und Virtualisierung, Kommunikation und Peripherie, Personal Computing und Business sowie die Administration. Das IT-Business-Team kümmert sich um Konzeptions- und Entwicklungsaufgaben. So werden Business Cases identifiziert, analysiert und schliesslich auch im Einklang mit den Geschäftsanforderungen auf der Fachseite erarbeitet. Das Team kümmert sich um neue Lösungsansätze sowie um die Effizienzsteigerung bei bestehenden Lösungen.
Für wie viele Personen stellen Sie IT bereit?
Fest angestellt sind rund 630 Mitarbeitende. Dazu kommen noch temporär Angestellte, sodass wir von etwa 650 bis 700 Personen sprechen. Über 200 davon sind allein im Fahrbetrieb im Einsatz, die teilweise mit Firmen-Tablets und -Smartphones ausgestattet sind. Dies ist für die IT-Abteilung etwa bei den Updates eine Herausforderung, denn vor allem die Personen im Fahrbetrieb haben Schichtpläne und sitzen nicht an einem fixen Arbeitsplatz. Ein simples und einmaliges Wartungsfenster ist bei uns unmöglich.

Wo liegen weitere Herausforderungen für ihre Informatik-Abteilung?
Unsere Konzernstruktur ist so aufgebaut, dass gewisse Abteilungen öffentlich finanziert sind. Das heisst für die IT-Abteilung, dass gewisse Projekte, wie beispielsweise die Erneuerung der Kommunikationsinfrastruktur 2014, von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden. Diese Projekte unterliegen damit den Regelungen und Gesetzen des Bundes und somit den Vorgaben für öffentliche Ausschreibungen. Dazu kommt, dass wir aufgrund der Unternehmensstruktur mehrere und teils recht unterschiedliche Anspruchsgruppen haben. Für uns bedeutet das bei IT-Projekten zum Teil aufwändige Abklärungs- und Aufklärungsrunden.


Wie sieht die interne IT-Infrastruktur bei der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn aus?
Wir haben zwei Rechenzentren, die standortunabhängig funktionieren und synchronisieren. Das heisst, dass ein Datacenter komplett ausfallen kann und der produktive Betrieb der Matterhorn Gotthard Bahn zu 100 Prozent weiter funktioniert. Zudem haben wir bereits 2008, im Gegensatz zu anderen Bahngesellschaften, die gesamte Kommunikation aus der Infrastruktur-Abteilung herausgelöst und als Dienst in die Informatik integriert. Das gesamte Netzwerk zur internen Kommunikation liegt bei den IT Services. Und ein nettes Detail, das wir uns als Bahngesellschaft leisten können: Wir haben ein eigenes Glasfasernetz, das uns gehört und in unseren Bahntrassees liegt. Das bringt einen guten Datendurchsatz auf dem gesamten Netz der Matterhorn Gotthard Bahn.
Inwiefern ist Kostendruck in der Informatikabteilung von BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn ein Thema?
Ich persönlich begegne der Angelegenheit Kostendruck immer mit etwas Distanz. Seitens der Informatik haben wir in den letzten Jahren sehr stark optimiert, vor allem im Service-Bereich, und damit einen grossen Beitrag zur Gesamtwirtschaftlichkeit beigetragen. Viele der massgeblichen Kostentreiber, die es heute gibt, sind Anforderungen, die vom Unternehmen an die Informatik gestellt werden und gar nicht so sehr die Plattformen per se. Für die BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn gilt aber generell, dass auch wir die Wirtschaftlichkeit der einzelnen IT-Initiativen nachweisen müssen.


Sie sind seit 14 Jahren bei der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn tätig. Wie hat sich die Informatik im Unternehmen in dieser Zeit verändert?
Vor dem 1. Januar 2003 gab es die Brig Visp Zermatt Bahn sowie die Furka Oberalp Bahn, welche dann fusionierten. Ich bin seit dem ersten Tag der neuen Gesellschaft, also seit dem 1. Januar 2003, mit an Bord. Beat Britsch, der damalige Finanzchef der BVZ Holding/Matterhorn Gotthard Bahn, war ein Visionär und wollte in der neugeschaffenen Gesellschaft neue Strukturen schaffen. Dazu gehörte auch der Neuaufbau der Informatikabteilung. Zusammen mit einer zweiten Person habe ich dann begonnen, auf der grünen Wiese die Informatik der Matterhorn Gotthard Bahn aufzubauen. Positiv war, dass wir damals weder grosse Vorschriften noch grosse Vorgaben hatten. Nach und nach haben wir dann begonnen, eine Windows-Domäne zu bauen, die PCs zu integrieren und das Betriebssystem zu standardisieren. Das brauchte auch etwas Geduld. Für viele Mitarbeiter war es neu, mit klaren Vorgaben für die Funktionalitäten ihres Computers zu arbeiten. Rückblickend lässt sich aber sagen, dass wir dank der Standardisierung, die wir seit Tag eins vorangetrieben haben, heute so schlank aufgestellt sind.
Mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich im Moment?
Der Fokus liegt momentan sicherlich auf Geschäftsprozessen, Kollaborationsformen und dem übergeordneten Thema Datensicherheit. Dazu gehört unter anderem auch, dass wir die Anliegen unserer Mitarbeiter ernst nehmen. Unsere Business-Analysten waren bis vor kurzem viel bei den Mitarbeitern und haben ihre Ideen und Wünsche rund um Informatik-Themen aufgenommen und unter dem Begriff Digitale Roadmap zusammengefasst. Die Resultate, es waren insgesamt 118 Inputs, haben wir nicht etwa quantifiziert, sondern in Initiativen kombiniert. In einem zweiten Schritt sind wir mit den Inputs an die Geschäftsleitung getreten, damit diese eine Priorisierung aus ihrer Sicht vornimmt. Jetzt sind wir daran, auf dieser Basis das weitere Vorgehen und die Umsetzung im Detail zu definieren. Zudem überarbeiten wir unsere Sharepoint-Umgebung. Wir haben relativ früh Sharepoint eingeführt und nun feststellen müssen, dass das Kollaborationswerkzeug heute nicht mehr unseren Anforderungen entspricht. Nun bauen wir zusammen mit einem Partner unser Intranet um, so dass dieses auch als Kollabora­tionswerkzeug genutzt werden kann. Und wir testen in einer Pilotgruppe eine einheitliche Telefonie-Plattform auf Basis von Alcatel Open Touch. Darüber hinaus hatten wir im letzten Jahr mit perfiden Ransomware-Angriffen zu kämpfen und arbeiten daran, zusätzliche Abwehrprodukte vorzubereiten, welche schon bald ausgerollt werden sollten.


Welche Projekte stehen sonst noch an?
In Zukunft werden sicherlich Themen wie die Cloud-Lösung von Siemens bei der Gornergrat Bahn weitere Aufmerksamkeit erfordern. Das zeigen auch die Auswertungen, die wir mit unseren Business-Analysten gemacht haben. Unsere Rolle wird zukünftig sicherlich sein, die IT für solche Projekte bereitzumachen und zu öffnen. Wir sehen je länger je mehr, dass sich die Informatik mit dem Bahnbetrieb vermischt. Zudem ersetzen wir alle vier bis fünf Jahre alle Endgeräte. Der nächste Lauf steht in der Grössenordnung 2018 an.
Auf welche abgeschlossenen Projekte sind Sie besonders stolz?
Wir haben im letzten Jahr ziemlich viel erreicht. So haben wir per 1. Januar 2017 ein neues ERP in Betrieb genommen sowie ein neues Dispositionssystem für Personal und Rollmaterial eingeführt. Beide Projekte sind aus IT-Sicht sehr gut gestartet. Zudem haben wir auch die gesamte Verkaufsplattform neu konstruiert und den alten elektronischen Verkaufskanal ersetzt. Das System teilen wir mit den Jungfraubahnen und beziehen es über eine Cloud-Schnittstelle. Und im Hinblick auf die ganzen 14 Jahre, die ich hier bin, ist sicherlich zu betonen, dass in den ganzen Jahren die Netzwerkinfrastruktur nur ein einziges Mal ausgefallen ist. Hinzu kommen viele kleinere Einzelprojekte, welche wir umgesetzt haben.


Ist es wichtig für Sie und ihr Team, dass auf abgeschlossene Projekte angestossen wird?
Ja, sehr sogar. Wir stossen sogar auf Dinge an, die wir abgelöst beziehungsweise abgestellt haben. Beispielsweise, als wir den alten elektronischen Verkaufskanal abgeschaltet haben. Das Ding hat uns einige Male auf Trab gehalten und nun freuen wir uns, dass es abgelöst werden konnte.
Welche IT-Themen werden sich in der Schweizer Landschaft Ihrer Meinung nach in Zukunft etablieren?
Die Cloud ist in meinen Augen nicht wirklich etwas Neues. Schon lange bevor man von der Cloud gesprochen hat, haben Informatik­abteilungen rund um den Globus IT Services von Drittdienstleistern bezogen. Heutzutage spricht zudem fast jeder vom Internet of Things. In dieser Sache bin ich persönlich etwas vorsichtiger. Denn als Bahngesellschaft haben wir bereits heute Fahrzeuge, die grosse Datenlieferanten sind. Das wird in Zukunft sicher noch zunehmen. Stichwort "führerloses Fahren" – hier wird aus meiner Sicht momentan noch zu wenig Fokus auf die IT-Sicherheit solcher Technologien gelegt. Dies sollte meines Erachtens Priori­tät geniessen, noch bevor von Digitalisierung und Cloud-Technologien gesprochen wird.

Zum Unternehmen

Der BVZ-Konzern ist ein Unternehmen mit Fokus auf den Bahnverkehr, welches in den Kantonen Wallis, Uri und Graubünden tätig ist. Mit rund 630 Mitarbeitenden erbringt die Unternehmensgruppe sowohl öffentliche Verkehrs- als auch Tourismusdienstleistungen. Hinzu kommen der Autoverlad, der Gütertransport und der Immobilienbereich sowie Beteiligungen am Matterhorn Terminal und an den Zermatter Bergbahnen. (asp)


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