Swiss IT Magazine: Wie viele Minuten oder Stunden war die Website von Blacksocks in diesem Jahr bereits offline?Samy Liechti: Ein paar Minuten vielleicht. Wir haben unsere angestrebte Verfügbarkeit von 99,9 Prozent in diesem Jahr eigentlich immer erreicht.
Ist diese Verfügbarkeit das wichtigste Kriterium, das Ihre IT erfüllen muss?Eine hohe Verfügbarkeit der Website muss man heute eigentlich voraussetzen können. Das Problem sind all die Drittsysteme, die an die Plattform angeschlossen sind. Wenn ein Payment-Provider oder der Lieferant eines Payment-Providers ein Problem hat, dann haben auch wir ein Problem. Inzwischen müssen im E-Commerce so viele Komponenten zusammenspielen, dass die Komplexität relativ hoch ist.
Ist diese Komplexität auch Ihre grösste Herausforderung?Die grösste Herausforderung ist aktuell vor allem die Geschwindigkeit der Website, zum einen im Hinblick auf das Kunden-Erlebnis, zum anderen wegen des Google-Rankings. Die Arbeit an der Geschwindigkeit geniesst bei uns deshalb höchste Priorität. Content mit hohem Tempo auszuliefern, wird zunehmen komplexer. Nehmen wir als Beispiel die Desktop-Version unserer Seite. Hier haben wir ein Video implementiert, und für die möglichst optimale Implementation dieses Videos gibt es gefühlt 1000 verschiedene Wege, wobei es gilt, den bestmöglichen zu finden. Gefordert werden wir aber auch beim Zusammenspiel zwischen Front- und Backend und bei der Integration der Drittsysteme. Mir nützen die besten Drittsysteme nichts, wenn sie die Ladezeiten und damit den Bestellprozess ausbremsen. Denn Fakt ist: Die Nutzer sind nicht mehr bereit, Wartezeiten in Kauf zu nehmen, und von Google wird man ebenfalls abgestraft, wenn man Content nicht rasch genug bereitstellt.
Können Sie in groben Zügen ausführen, wie Ihre E-Commerce-Plattform aufgebaut ist?Als wir vor rund 18 Jahren gestartet sind, fanden wir keine Datenbank-Lösung, die sinnvoll ein Abo hätte abwickeln können. Also haben wir selber eine Lösung basierend auf einer MySQL-Datenbank entwickelt, die auch heute noch im Einsatz ist und sich inzwischen praktisch zu einem ERP weiterentwickelt hat – inklusive Lagerverwaltung, Bestellbewirtschaftung, Aboverwaltung und einigem mehr. In dieses ERP haben wir Schnittstellen gebaut, etwa zu unserer App, die direkt ins Backend Kundendaten einliest. Ende April werde wir zudem einen physischen Re-Order-Button lancieren, mit dem der Kunde auf Knopfdruck bestellen kann und der ebenfalls direkt ans ERP angebunden wird. Ebenfalls aus der Datenbank werden zudem Abo-Erneuerungen gesteuert, der ganze Rest übernimmt das Frontend, also der Shop, der mit dem Backend laufend abgeglichen wird.
Gab es nie Überlegungen, die ERP-Eigenentwicklung durch eine Standardsoftware abzulösen?Unsere eigene Lösung ist dermassen auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten, dass ich der festen Überzeugung bin, der Betrieb und die Weiterentwicklung kommen uns günstiger als mit einer Standardsoftware. Unsere Lösung funktioniert für uns bestens, und so arbeiten wir nach dem Motto: "Never change a running System."
Können Sie noch etwas mehr zum angesprochenen Order-Button erzählen?Der Button funktioniert mit WLAN und muss vom Kunden via WPS in sein Netzwerk eingebunden werden. Ist das passiert, schickt der Button eine MAC-Adresse, die wir dem Kunden zuordnen können. Der Kunde hat zum Button eine Produktpräferenz hinterlegt, und drückt er den Knopf, wird sofort eine Bestellung ausgelöst, die mittels Lichtsignal beim Kunden bestätigt wird. Die WLAN-Variante ist ein Kompromiss, ursprünglich wollten wir einen Button mit SIM-Karte. Diese Lösung wäre allerdings zu teuer geworden. Die Überlegung hinter dem Button ist, dass der typische Mann in der Regel an Socken oder Unterwäsche denkt, wenn er aus der Dusche steigt – eine Situation, in der er kein Endgerät zur Hand hat. Wir sind nun gespannt, wie viele Bestellungen der Button generieren wird.
Sie haben vorhin erklärt, dass das Frontend den ganzen Rest übernimmt. Können Sie das ausführen?Als wir von zirka anderthalb Jahren unseren Shop neu gebaut haben, haben wir dies mit dem Anspruch getan, dass der Shop den Kunden kennen soll. Dazu brauchen wir alle verfügbaren Daten – sprich der Shop muss wissen, ob der Kunde bereits einmal bestellt hat, was er bestellt hat, aber auch Dinge wie die Schuhgrösse des Kunden. Denn warum soll der Kunde seine Schuhgrösse angeben müssen, wenn der Shop diese bereits kennt? Solche Daten sammelt der Shop und übergibt sie dem Backend.
Worauf basiert Ihr Frontend, für welche Technologie haben Sie sich bei der Neugestaltung des Shops entschieden?Hier muss ich etwas ausholen. Wir werden als relativ kleines Unternehmen aus Sicht der Kunden mit den grossen Playern gemessen. Das bedeutet, wir dürfen uns keine Fehlentscheide leisten, schon gar nicht, wenn es um den Neubau der Plattform geht. Kommt hinzu, dass unser Redesign einen mittleren bis grösseren sechsstelligen Betrag gekostet hat. Wenn wir hier nun aufs falsche Pferd setzen, kann uns das das Genick brechen. Entsprechend schwierig war der Technologie-Entscheid. Wir haben uns nach vielen Gesprächen letztlich für Drupal Commerce entschieden, weil für uns die Verschmelzung von Content und Commerce wichtig war.
Stehen Sie auch heute noch hinter dem Entscheid?Schwierige Frage. Vielleicht würde ich heute, nachdem wir mit dem System anderthalb Jahre gearbeitet haben, anders entscheiden. Andererseits ist es manchmal besser, sich für etwas zu entscheiden, das beinahe richtig ist, als einen Entscheid zu lange hinauszuzögern. Und es ist wahnsinnig schwierig, abzuschätzen, wie sich eine E-Commerce-Plattform entwickelt. Nehmen wir Magento als Beispiel: Vor nicht allzu langer Zeit galt Magento als die State-of-the-Art-Lösung im E-Commerce, und heute sucht Magento Geld für die Entwicklung der Version 2.0, und niemand weiss, wie es weitergeht. Setzt man zu früh auf eine Lösung, hat man nur Probleme; setzt man zu spät darauf, hat man eine veraltete Umgebung. Das macht es nicht einfach. Was ich oft beobachte ist, dass neue, grössere Player im E-Commerce auf die grossen Lösungen setzen in der Hoffnung, nichts falsch zu machen. Doch gerade dieser Entscheid für grosse Lösungen ist falsch, weil diese Lösungen dermassen unflexibel sind, dass es selten passt.
Was vermissen Sie denn bei Drupal Commerce?
Die Plattform läuft relativ gut, Arbeit bereitet uns vor allem die Optimierung der Geschwindigkeit. Hier ist es ein wenig wie bei Eile mit Weile – drei Schritte nach vorne, ein Schritt zurück. Das hat allerdings nicht unbedingt mit Drupal zu tun. Fakt hingegen ist, dass man bei den grossen Open-Source-Lösungen wie Drupal immer relativ viel Code mitschleppt, den man eigentlich gar nicht braucht. Neuere Ansätze gehen eher in die Richtung, dass man mit kleineren Modulen und klar definierten Schnittstellen arbeitet. So kann man viel präziser das verwenden, was man wirklich braucht. Als wir vor zwei Jahren mit unserer Entwicklung begonnen haben, zeichnete sich dieser Trend allerdings erst ab.
Wer hat die Plattform für Sie gebaut?
Unser Partner ist Ufirst, ein E-Commerce-Spezialist hier in Zürich. Uns war vor allem wichtig, dass der Partner in unserer Nähe ist, weil sich Probleme so besser lösen lassen. Ausserdem wollten wir keinen allzu grossen Partner, weil ich für diesen Partner ein kleiner Fisch gewesen wäre – mit der entsprechenden Priorisierung.
Gibt es aus heutiger Sicht Dinge, die Sie rund um die Entwicklung der neuen Plattform anders machen würden?
Über den Drupal-Entscheid haben wir gesprochen, hier denke ich, es gibt heute elegantere Lösungen. Ausserdem wollten wir vielleicht zu viel auf einmal. Allenfalls wäre es besser gewesen, mit weniger zu starten und dann laufend auszubauen. Sicher bin ich mir aber nicht.
Wann steht der nächste Neu- oder Umbau der Plattform an?
Die aktuelle Plattform wird auf drei Jahre abgeschrieben. Dann müssen wir evaluieren, ob ein Neubau nötig ist. Ich könnte mir vorstellen, dass wir allenfalls nicht mehr so einen radikalen Schritt machen. Ein kompletter Neubau der Plattform, so wie wir es zuletzt gemacht haben, ist auch immer mit unglaublich grossen Risiken verbunden. Ein Parallelbetrieb war nicht möglich, weil wir die Datenbankstruktur im Hintergrund anpassen mussten, und egal wie viel man testet, alle Eventualitäten lassen sich nicht aus der Welt schaffen. Beim letzten Mal ging der Wechsel reibungslos über die Bühne, doch garantieren kann man das nicht. Und ob der Kunde eine neue Plattform akzeptiert, sieht man erst in freier Wildbahn. Wenn eine optimierte Plattform läuft, muss man sich also gut überlegen, wie viel Risiko man eingehen will und ob man nicht besser laufend weiteroptimiert und in kleinen Schritten Anpassungen vornimmt.
Können Sie noch etwas über aktuelle Projekte erzählen?
Ein aktuelles Projekt ist der angesprochene Order-Button. Ausserdem sind wir mit ETH Juniors an einem Projekt, bei dem es um Machine Learning für die Kundensegmentierung und die individuelle Kundenansprache geht. Aktuell geschieht die Kundensegmentierung im ERP. Künftig soll sie ausgelagert werden und selbstlernend sein.
Wie muss ich mir das vorstellen? Letztlich sprechen wir ja von einem Sockenabo, wozu braucht es hier Machine Learning?
Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel: Wir unterscheiden zwischen klassischen schwarzen Socken und sogenannten Funky Socks, also farbigen Socken. Einem Kunden, der bislang nur schwarze Socken gekauft hat und der vielleicht bereits im Frühherbst des Lebens steht, muss ich keine farbigen Socken zeigen. Dieser Kunde will mehr vom gleichen, und das möglichst einfach. Wenn ich nun aber einen Kunden habe, der Inspiration sucht, muss ich ihm etwas anderes als schwarze Socken vorlegen. Ich muss mir überlegen, wie ich ihn durch den gesamten Sales-Tunnel führe, wie das Storytelling aussieht, nachdem er gekauft hat, ob er affin ist auf Promotionen und wie hoch die Chance ist, dass er wieder einmal Socken kauft. Das kann man für jeden Kunden berechnen und entsprechend die Kommunikation und die Inhalte aussteuern, und zwar mit einer gewissen Automatisierung im Marketing. Hier den richtigen Grad an Automatisierung zu finden, ist dann die nächste Herausforderung.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie als kleiner Unternehmen an den grossen Playern gemessen werden. Warum denken Sie ist das so?
Wenn ich als E-Commerce-Anbieter eine langsame Website mit schlechten Features und einem komplizierten Bestellvorgang habe, kann ich vom Kunden kein Verständnis erwarten, weil ich klein bin und nicht so viel Geld für die Entwicklung aufwerfen konnte. Insofern ist das nicht nur ein Problem von uns, sondern von jedem kleineren E-Commerce-Anbieter. Als Amazon damals One-Click-Checkout eingeführt hat, haben die Kunden diese Funktionen plötzlich von jedem Anbieter verlangt. Oder wenn man Video auf seiner Website implementiert, muss das Filmmaterial auf höchstem Niveau sein, sonst geht der Schuss nach hinten los. Und gemessen wird man an dem, was die Leute kennen – bei visuellem Material ist das letztlich Hollywood. Doch wir sind nicht Hollywood, müssen uns also umso mehr anstrengen, mit kleineren Mitteln die Ansprüche zu befriedigen. Und es geht noch weiter, über die Technologie hinaus. Nehmen wir Themen wie Same-Day-Delivery oder Gratis-Retouren. Wenn das zum Standard wird, ist man fast gezwungen, mitzumachen. Die Latte wird immer höher gesetzt, und man kann es sich fast nicht erlauben, nicht mitzuziehen, auch wenn es zum Teil Wahnsinn ist. Eine Gratis-Rücksendung für ein Paar Socken anzubieten, die nach Australien geliefert werden, ist schlicht ein Irrsinn.
Wir haben bislang vor allem über Ihre E-Commerce-Plattform gesprochen. Was ist sonst noch an IT im Einsatz?
Unsere übrige IT ist wenig spektakulär. Wir haben einen kleinen Server im Büro, den wir für die interne File-Verwaltung verwenden, und für den ganzen Rest setzen wir auf die Cloud. Mir war es seit jeher ein Anliegen, dass wir arbeiten können, ohne eine E-Mail-Schwemme zu produzieren. Also haben wir uns überlegt, welche Informationen für unsere Mitarbeiter zugänglich sein sollen, was sie als Push-Nachricht erhalten müssen und was sie einfach nachschauen können sollen. So setzen wir beispielsweise auf Highrise, eine einfache CRM-Software, mit der sich ein Team organisieren und austauschen kann. Oder wir arbeiten mit Trello, einer Projektmanagementlösung, mit der wir Workflows abbilden und jeder Mitarbeiter – auch solche von extern – selbst nachschauen kann, wie weit ein Projekt ist. IT ist für uns heute ein Gebrauchsgegenstand. Ich selbst arbeite auf drei mobilen Geräten, einem Laptop und drei verschiedenen Desktops, doch das spielt keine Rolle, weil alles Web-basiert ist und ich überall auf dieselben Daten zugreife.
Nichtsdestotrotz muss jemand die Infrastruktur betreuen.
Für die Telefonie, das Netzwerk und für Sicherheitsaspekte inklusive Backup haben wir einen externen IT-Dienstleister. Doch die IT für das Daily Business braucht eigentlich keine Betreuung. Unser zweitältester Mitarbeiter nach mir ist 32 Jahre alt. Der Umgang mit IT-Tools, der Betrieb der Systeme, ist für diese Mitarbeiter so selbstverständlich wie das Bedienen der Kaffeemaschine.
Zum Unternehmen
Blacksocks ist ein Schweizer E-Commerce-Anbieter, der im Abo Socken sowie Unterwäsche, T-Shirts, Polos und Hemden verkauft und diese als Dienstleistung regelmässig liefert, ohne dass sich der Kunde darum kümmern muss. Das Grundangebot sieht so aus, dass der Kunde drei Mal im Jahr drei Paar Socken geliefert bekommt, und dafür eine Jahresgebühr (bei genanntem Beispiel etwa 98 Franken) bezahlt. Blacksocks wurde mit Fokus auf Socken im Jahr 1999 gegründet, unterhält heute nebst dem Büro in Zürich auch einen Sitz in den USA und liefert heute in 127 Länder. Die Firma, die intern lediglich neun Mitarbeiter beschäftigt und viel mit externen Partnern arbeitet, zählt 130’000 Kunden, wovon 60’000 in den letzten 18 Monaten aktiv waren.
(mw)