Swiss IT Magazine: Könnte Heineken Switzerland ohne IT überhaupt noch Bier brauen?Rolf Nüesch: Ich denke, es würde kaum ein Unternehmen in der Schweiz mehr richtig funktionieren ohne IT – auch wir nicht. Aber Bier brauen, das ginge schon. Die Rezepturen existieren zum Glück nicht nur in den Computern, sondern auch noch in den Köpfen unserer Braumeister. Jedoch kommt IT auch im Brauprozess zum Einsatz, vorwiegend zur Kontrolle, damit die Rezepturen eingehalten werden und die Mischverhältnisse stimmen. Aber ich bin überzeugt, ein gutes Bier kann man auch ohne IT brauen.
Können Sie ausführen, welches die Eckpfeiler der IT von Heineken Switzerland sind und wie die IT-Infrastruktur organisiert ist?Heineken Switzerland gehört zu einem Verbund von diversen Ländergesellschaften unter dem Heineken-Konzerndach, was natürlich auch Einfluss auf die IT hat. Das Herzstück unserer IT sind sicher unsere beiden Rechenzentren. Wir nutzen zum einen eine gehostete Server-Infrastruktur in Frankfurt, wo SAP läuft. Dann betreiben wir selbst noch ein Rechenzentrum hier in Luzern, das aus rund 70 Servern besteht, auf denen unsere lokalen Anwendungen laufen.
Macht der Betrieb von zwei Rechenzentren Sinn?Optimal ist diese Situation nicht. Das Ziel muss sein, alles im selben Rechenzentrum betreiben zu können, wo alle Anwendungen sicher und kostengünstig laufen. Und auf dieses Ziel arbeiten wir hin, das wollen wir realisieren. Doch wir brauchen für gewisse Aufgaben, Druckjobs beispielsweise oder Schnittstellen, unsere Server-Infrastruktur vor Ort.
Können Sie ausführen, was alles durch den Konzern vorgegeben ist und was Sie noch lokal machen dürfen?Heineken gewährt uns relativ viele Freiheiten. Der Konzern bietet auf globaler Ebene zwar umfangreiche Leistungen an, auf die die Ländergesellschaften zurückgreifen können. Wir müssen diese Angebote aber nicht alle nutzen, sondern machen das nur, wenn die Leistung stimmt – sowohl qualitativ wie auch preislich. Manchmal verlangen es die Umstände, dass wir eine hohe Flexibilität brauchen oder eine benötigte Leistung gar nicht geboten wird oder für uns nicht passt. Dann helfen wir uns selbst. Sehen Sie, auf unseren Servern in Luzern laufen aktuell rund 60 Applikationen – viele davon Klein- und Kleinstapplikationen. Für einen externen Provider ist es enorm schwierig, so viele Applikationen bereitzustellen. Es macht schlicht keinen Sinn, so etwas in ein grosses Rechenzentrum auszulagern. Deshalb muss unser Ziel zuerst lauten, die Zahl der Applikationen zu reduzieren und so unsere Applikationslandschaft zu vereinfachen und zu standardisieren. Erst dann wird es allenfalls möglich, die Rechenzentren zu konsolidieren und so die die Kosten weiter zu reduzieren.
Also ist es so, dass Sie komplett frei sind, ob und welche IT-Infrastruktur Sie vom Konzern beziehen?Gewisse Dinge sind schon vorgegeben. Aber der Konzern ist sich bewusst, dass es Bereiche gibt, bei denen es sinnvoller ist, diese lokal und nicht durch einen zentralen Dienst bereitzustellen. Dies ist wie erwähnt vor allem dann der Fall, wenn eine hohe Flexibilität gefragt ist oder wenn sich IT und Business sehr häufig abstimmen müssen. Ein Beispiel ist etwa unsere Software, mit der wir Zahlungen machen. Hier sind wir darauf angewiesen, dass die Applikation bei einer Störung schnellstmöglich wieder da ist. Ausserdem ist die Lösung klein und sehr spezifisch für die Schweiz und ihre Eigenheiten beim Zahlungsverkehr gebaut. So eine Applikation muss nicht in Frankfurt gehostet werden, wo sie viel weiter weg ist von den Leuten, die sie nutzen und verstehen. Ich denke auch nicht, dass das günstiger käme. Und bei solchen Anwendungen muss ich mit dem Konzern auch keine Diskussion darüber führen, ob es nicht sinnvoller wäre, sie zentral zu hosten. Das ist aber nur ein Beispiel aus vielen.
Welche Dienste beziehen Sie denn beispielsweise zentral?Im Prinzip alle Applikationen, die standardisiert sind. Am wichtigsten hierbei ist sicher SAP. SAP wird in Frankfurt betrieben, wo es eine ganze Crew hat, die sich um die Anwendung und auch um die Bedürfnisse der einzelnen Ländergesellschaften rund um SAP kümmert. Das ist sinnvoll und sicher auch günstiger, als wenn wir das lokal umsetzen würden. Günstiger auch deshalb, weil Heineken global über eine beachtliche Einkaufsmacht verfügt und entsprechende Bedingungen aushandeln kann, von denen wir hier dann auch profitieren können.
Dass ein globaler Konzern den Ländergesellschaften IT-seitig so viele Freiheiten gibt, ist ungewöhnlich.Das ist sicher so, und das ist ein grosser Vorteil. Dazu muss man anfügen, dass die Heineken-Gruppe in den letzten zehn Jahren durch Akquisitionen sehr stark gewachsen ist. Mit jeder Akquisition hat Heineken jeweils auch wieder länder- und gesellschaftsspezifische Applikationen übernommen. Das alles abzulösen durch eine standardisierte, globale Lösung ist alles andere als einfach. Heineken fährt grundsätzlich die Strategie, den Ländergesellschaften relativ viele Freiheiten zu geben – das gilt auch für die IT. Dies hängt wohl damit zusammen, dass das Biergeschäft im Kern ein sehr lokales Geschäft ist, auch wenn ein Weltkonzern dahinter steht. Lokale Applikationen, die die Ländergesellschaften vor Ort am besten unterstützen, wurden deshalb bislang auch so belassen.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass Heineken diese Strategie eines Tages ändern wird und Ihnen vorschreibt, welche Applikationen zu nutzen sind?Nein, ich würde so einen Schritt eher als Chance sehen. Wie gesagt, wenn standardisierte Anwendungen passen, ist das nur zu unserem Vorteil. Und wenn eine Standardapplikation nicht passt, muss man entweder versuchen, sie passend zu machen, oder sich dann halt einen anderen Weg suchen.
Gibt es denn Bestrebungen in diese Richtung?Die gibt es durchaus. Standardisierung anzustreben, ist schliesslich vernünftig und effizient. Aber: Die Prozessabwicklung muss gewährleistet sein, damit das Business funktionieren kann und nicht das Gefühl hat, von der IT gepiesackt zu werden. Oberstes Ziel der IT muss sein, das Business zu unterstützen.
Eichhof hier in Luzern wurde 2008 durch Heineken übernommen. Welche Auswirkungen hatte die Übernahme aus IT-Sicht?Das Jahr 2008 beziehungsweise die Zeit nach der Übernahme war geprägt durch zwei Organisationen, die sich finden mussten. Es ging darum, Systeme zu harmonisieren und zu standardisieren. Die Phase, in der das stattgefunden hat, war sehr kritisch, weil daneben das laufende Geschäft weitergeführt werden musste. Das Ganze war sehr aufwendig, komplex und anspruchsvoll, aber für mich stellt sich heute rückblickend eigentlich nicht mehr die Frage nach vor- oder nachher.
Ist diese Phase denn absolut reibungslos gelaufen?Nein, das ist auch kaum möglich. Natürlich war die Zeit eine Berg- und Talfahrt, und zwar nicht nur für die IT, sondern vor allem auch für deren Nutzer. Sie mussten sich an neue, unbekannte Systeme gewöhnen. Prozesse waren nicht zu 100 Prozent klar. Hinzu kamen Geschichten wie etwa die, dass wir vor der Übernahme mit Outlook gearbeitet haben, dann auf Lotus Notes migrieren mussten, um kurze Zeit später dann wieder auf Outlook zu wechseln. Solche Dinge fordern IT wie User gleichermassen, aber: Das gehört halt dazu, die Welt insbesondere in der IT verändert sich täglich.
Können Sie mir etwas zu aktuellen Projekten erzählen, mit denen Sie und Ihr Team sich beschäftigen?Wir versuchen, dem Business aus der IT Werkzeuge und Funktionalitäten in die Hand zu geben, dass Prozesse einfacher, effizienter, transparenter und schneller abgewickelt werden können und dass der Kunde das ebenfalls positiv zu spüren bekommt. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Aussendienstmitarbeiter dank dessen, dass unser CRM heute komplett auf dem Tablet läuft, dem Kunden unsere Produkte und Informationen besser präsentieren kann. Das ist ein Projekt, das wir jüngst umgesetzt haben. Inzwischen sind unsere Aussendienstmitarbeiter nur noch mit Tablets unterwegs.
Gibt es noch weitere Projekte?Unzählige. Erwähnen möchte ich vielleicht noch ein relativ grosses Projekt, das sich der papierlosen Kommissionierung inklusive Routenoptimierung widmet. Im Wesentlichen geht es dabei darum, Aufträge möglichst effizient bereitzustellen, die Lastwagen möglichst optimal zu beladen und die Fahrzeuge höchstmöglich auszulasten sowie die Routen optimal zu planen. Aktuell sind wir daran, eine Applikation zu implementieren, die sich der Laderaumoptimierung annimmt, so dass jedes Fahrzeug unter Berücksichtigung aller Faktoren bestmöglich beladen werden kann. Und das alles papierlos – sprich, es gibt keine Rüstlisten mehr auf denen steht, welcher Kunde welche Menge Getränke bekommt, sondern die Lagermitarbeiter wie auch die Chauffeure arbeiten mit Tablets. Das Projekt ist insofern auch herausfordernd, weil wir eine IT-Lösung für Mitarbeiter bereitstellen müssen, die vielleicht etwas weniger IT-affin und an Papier gewöhnt sind.
Gibt es sonst noch ein Projekt, das Sie erwähnen möchten?Wir sind aktuell daran, Sharepoint zu evaluieren und planen die Einführung für kommendes Jahr. Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen. Sharepoint soll zum einen unser bisheriges Dokumenten-Management-System ablösen. Zum anderen erhoffe ich mir eine Vereinfachung der Kommunikation innerhalb des Unternehmens und neue Möglichkeiten für die Mitarbeiter in der Art und Weise, wie sie kommunizieren können. Sharepoint ist ein sehr mächtiges Tool.
Können Sie ausführen, wie Ihr Team strukturiert ist?
Unser IT-Services-Team ist verantwortlich für die Infrastruktur, inklusive Rechenzentrum, Telefonie und Deployment. Viereinhalb Mitarbeiter kümmern sich hierbei um rund 600 Nutzer. Daneben beschäftigen wir fünf Mitarbeiter, die die angesprochenen rund 60 Applikationen betreuen und die unter anderem die Standardlösungen, mit denen wir arbeiten, auf unsere Bedürfnisse anpassen. Ebenfalls der IT angegliedert ist der Bereich Data Management, eine zentrale Stelle mit sechs Mitarbeitern, die sich um Stammdaten kümmert.
Ein Dauerthema im Gespräch mit IT-Leitern ist der Fachkräftemangel. Was wissen Sie hierzu zu erzählen?
Für gewisse Positionen ist es relativ einfach, Fachkräfte zu rekrutieren. Sobald man Spezialisten sucht, wird das Gefälle bei den Bewerbungen aber rasch sehr gross. Aber als guter Arbeitgeber mit vernünftigen Strukturen ist es nach wie vor möglich, auch im IT-Bereich gute Mitarbeiter rekrutieren.
Sie selbst sind schon lange für dieses Unternehmen tätig. Was reizt Sie nach wie vor an Ihrem Job?
Die neuen Herausforderungen, die immer wieder auf mich warten. Ich denke oft, dass irgendwann der Tag kommen wird, an dem die häufigsten Probleme mit der sehr heterogenen Applikationslandschaft und der optimalen Prozessabwicklung ab der Stange gelöst werden können. Die Bestrebungen gehen auch in diese Richtung, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Herausforderungen bereits in den kommenden zwei, drei Jahren kleiner werden. Und selbst dann warten neue Herausforderungen – Projekte, für die jetzt die Zeit fehlt. Ich denke da zum Beispiel an die grossen Themen wie Digitalisierung.
Zum Unternehmen
Heineken Switzerland ist die Nummer zwei im Schweizer Biermarkt und hält hierzulande einen Marktanteil von rund 20 Prozent. Zum Unternehmen gehören die bekannten Schweizer Biermarken Calanda, Eichhof, Ittinger, Haldengut oder Ziegelhof. Heineken Switzerland ist seit 1984 in der Schweiz präsent und hat seinen Hauptsitz seit der Übernahme von Eichhof im Jahr 2008 in Luzern. Das Unternehmen beschäftigt zusammen mit der Tochtergesellschaft Stardrinks, die Gastrobetriebe und unabhängige Detailhändler beliefert, rund 760 Mitarbeiter.
(mw)
(Quelle: Heineken Switzerland)