«Mehr Mut!»
Quelle: Ruben Ung

«Mehr Mut!»

Von Marcel Gamma

Angst, Dialogverfahren, Freihänder und mögliche Flexibilisierungen prägten die Konferenz zur IT-Beschaffung der öffentlichen Hand.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/09

     

Die Negativschlagzeilen über die IT-Beschaffung der öffentlichen Hand leuchteten schon zu Konferenzbeginn von der Leinwand. Manche der 350 Teilnehmer der fünften IT-Beschaffungskonferenz (Besucherrekord) erwarteten wohl ein erneutes Donnerwetter, diesmal von Franz Grüter, SVP-Nationalrat, Mitglied der einflussreichen Finanzkommission des Nationalrats und IT-Unternehmer. Doch in seiner differenzierten Rede erteilte Grüter Lob («viele IT-Projekte laufen sehr gut»), aber nannte das Beschaffungswesen auch sehr statisch, beklagte die Zahl von «Freihändern» und forderte, vermehrt «Werke bestellen, statt Arbeit auf Abruf einzukaufen.»


Speziell grosse Projekte müssten messbare Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen bringen, sagte er, während er «Lösung eines Bedürfnisses» als wünschbares Ziel nicht erwähnte. Zudem wünschte er sich mehr Mut und mehr Dialogverfahren, um Innovationen zu fördern. Dialogverfahren müssen von oben gestützt werden, präzisierte Grüter im Gespräch, «das stärkt auch das Rückgrat.»

«Dialogverfahren bietet Potential»

Es war kein Zufall, dass Dialogverfahren ein wichtiges Thema waren: So zeigte Thomas Fischer (Leiter Beschaffungskonferenz Kanton Bern), dass im Rahmen der Revision BöB/IVöB künftig mehr Flexibilität (Dialog, Rahmenverträge, Auktionen) und Effizienz für Bund und Kantone zu erwarten sind. Dialogverfahren seien nicht zentral umstritten, so Fischer, aber dürften «eher selten bleiben». Sie seien unvertraut, komplex und aufwändig. «Bei grossen, komplexen Beschaffungen bieten sie Potential,» so Fischer und erhoffte sich ebenfalls mehr Mut dank neuer Flexibilität.

Eine sehr gut besuchte Fachsession zum Dialogverfahren verdeutlichte die Spannungsfelder. Basierend auf Erfahrungen mit IT- und Rollmaterial-Beschaffung erläuterte Consultant Bertrand Barbey, in komplexen Projekten seien Zusagen über das Leistungsverhalten des Gesamtsystems kaum möglich. Zudem müsse eine qualifizierte Kooperation Unternehmer – Besteller herrschen und wegen der zu erwartenden Change Requests sei ein funktionsfähiges Eskalationsmanagement erfolgskritisch. In den «AGB SIK IKT ist dies zu wenig geregelt,» so Barbey.


Erste Praxiserfahrungen hat das VBS mit einem «CMS Managed Service mit Lifecycle Management für 13 Jahre» gesammelt. Anhand Beispielen der «extrem strukturierten Dialoge» (Daniel Hagmann, GS VBS) samt strikten Verhaltensregeln bis hin zur Weiterverwendung der Dialogergebnisse wurde deutlich, dass man vom Term «Dialog» nicht zu viel erwarten sollte. Auch als Beispiel für mehr Innovation im Sinne Grüters konnte das Projekt mit seinen präzisen Anforderungen nicht dienen. Der Dialog habe zur Vertiefung und Anpassung der Angebote gedient, sagte der Submissionsgewinner, ein anderer meinte, innovativ sei die Vorgabe eines Managed Service. Zufrieden bilanzierte VBS-Hagmann, «die Qualität der Angebote nahm durch den Dialog stark zu».

Wieviel Transparenz ist möglich?

Aber wie löst man das Spannungsfeld zwischen dem Ausschöpfen von Ideen der Anbieter und dem Beschaffungsrecht? «Wieviel Transparenz wird vom Markt angenommen?» fragte die BBL-Juristin Michèle Remund. Eine Antwort hatte niemand.

Die weiteren Fachsessions boten vielfältige Informationen, von technischen Aspekten bis hin zu vergabe-rechtlichen Fallen. Eine Session widmete sich, von der swissICT-Fachgruppe «Lean, Agile, Scrum» betreut, agilen Beschaffungen. Dabei wurde mit Bezug auf die deutsche Bundeswehr postuliert, man könne auch ein Kriegsschiff agil bauen. Selbst die oft enthusiastischen Agile-Vertreter lächelten skeptisch.

Zu viele Freihänder?

Gegen Ende des Tages leuchteten weitere negative Schlagzeilen von der Leinwand. Die Folie zeigte Samuel Rutz vom bürgerlichen Think­tank Avenir Suisse. Er monierte die Zahl von Freihändern in der IT, die einen effizienten und transparenten Umgang mit Staatsmitteln und den Wettbewerb erschweren würden. Im IT-Bereich würden oft Abhängigkeiten und Komplexität als Gründe für freihändige Vergaben angeführt. Einzelne Fälle anerkannte Rutz, doch seien Probleme auch hausgemacht, sagte er gestützt auf eine britische Studie: fehlendes Know-how, Aversion vor Anbieterwechsel, Intransparenz oder Informationsvorsprünge. Als mögliche Lösungen nannte er u.a. Stückelung von grossen Aufträgen, offene Systeme und besseren Wissenstransfer.

Zumindest zu letzterem konnte die von swissICT mitorganisierte Konferenz beitragen, es herrschte 2016 eine optimistischere, weniger angespannte Stimmung, ein Beschaffer verstieg sich gar zur Aussage, das IT-Beschaffungswesen werde sich beruhigen.


Marcel Gamma ist Kommunikationsleiter von swissICT und seit 2014 im Programmkomitee der IT-Beschaffungskonferenz




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