Swiss IT Magazine: Herr Klee, es ist wieder Zeit für Winterreifen. Toll fürs Geschäft, aber auch für Sie als IT-Leiter?
Oliver Klee: Wir haben zwei Mal im Jahr Saison, einmal im Frühjahr und einmal im Herbst. Das merken wir in der IT natürlich, der Peak geht jeweils steil nach oben. Wir können quasi am Wetterbericht ablesen, was morgen auf das System zukommt. Spätestens wenn Schnee vorhergesagt wird, dann ist richtig etwas los. Wir müssen uns aber nicht speziell darauf vorbereiten, denn unser System ist für solche Spitzen ausgelegt. Und weil wir alles komplett virtualisiert haben, können wir problemlos und sehr schnell neue Server schalten, wenn wir sie brauchen.
Und das restliche Jahr über liegt alles brach?
Jein. Die Hardware-Leistung wird dann anders verteilt, die Last verschiebt sich. Viele Dinge wie beispielsweise das Reporting, das während der Reifenzeit zweitrangig ist, weil man schlicht keine Zeit dafür hat, kommen dann zum Zug.
Wie sieht Ihre Server-Landschaft überhaupt aus?
Bei uns in Aarau blickt man mittlerweile in einen fast leeren Server-Raum. Bis vor fünf Jahren hatten wir noch alles hier im Hause stehen. Als dann ein Hardware-
Refresh anstand, haben wir uns entschieden, die ganze Server-Infrastruktur in ein grosses Rechenzentrum in Deutschland auszulagern. Wie bereits erwähnt, haben wir alle Server virtualisiert, auf Basis von Citrix Xenserver. Darauf läuft Xenapp, das heisst, wir haben auch alle Desktops und Anwendungen virtualisiert. In unseren Filialen findet man heute nur noch einen Router und Thin Clients von Fujitsu, die das entsprechende Citrix-Protokoll ausführen und mit der Scout Enterprise Management Suite verwaltet werden, mehr nicht.
Von wie vielen Usern sprechen wir?
Wir zählen aktuell rund 350 User für Pneu Egger und das andere, auch zur Contitrade-Gruppe gehörende Schweizer Unternehmen Adam Touring, für das wir den IT-Betrieb ebenfalls sicherstellen. Der Löwenanteil sind Citrix-, also Thin-Client-
Nutzer. Es gibt aber hier bei uns am Hauptsitz auch noch ein paar klassische PCs, beispielsweise für Mitarbeiter, die noch ein CD-Laufwerk brauchen.
Wieso nutzen Sie ein Rechenzentrum in Deutschland und nicht in der Schweiz?
Das Rechenzentrum gehört Contitrade und wir haben, als der Wechsel anstand, unsere ERP-Software bereits als Service daraus bezogen. Insofern lag der Schritt nahe, auch die Hardware dorthin auszulagern. Wir haben damit heute quasi eine eigene Private Cloud mit klar definierten Anforderungen an Verfügbarkeit und Geschwindigkeit. Und wie das Ganze realisiert wird, darüber muss ich mir nicht mehr den Kopf zerbrechen. Ich weiss gar nicht mehr, wie viel Blech eigentlich für uns arbeitet. Das ist für mich auch nicht mehr relevant, solange alles läuft und die Leistung stimmt.
Was ist mit den Kosten? Sind die durch die Auslagerung gestiegen oder gesunken?Wenn ich mich mit dem Taschenrechner hinsetzen würde, dann wären wir mit einer eigenen, internen Lösung vielleicht schon günstiger gefahren. Dafür haben wir jetzt den grossen Vorteil, dass wenn die Leistung beispielsweise im Herbst nicht mehr ausreicht, einfach auf Zuruf weitere Ressourcen bereitgestellt werden können. Wenn wir selber in der Verantwortung wären, müssten wir dazu erst einmal Hardware kaufen, konfigurieren, einbauen und ich meine Team-Mitarbeiter zusätzlich binden. Das ist nun nicht mehr mein Problem.
Wie viele Personen arbeiten bei Pneu Egger heute noch in der IT?Drei. Und das hat sich, seit ich hier vor zehn Jahren angefangen habe, nicht verändert – obwohl wir mittlerweile unter anderem den Server-Betrieb ausgelagert haben. Wir haben dafür neue Services dazubekommen, wie beispielsweise die gesamte Telefonie, haben wir doch vor ein paar Jahren komplett auf VoIP umgestellt. Auch die ganze Mobiltelefonie wird inzwischen durch uns administriert. Mit 40 Filialen von Pneu Egger und noch einmal 40 von Adam Touring sowie 350 Usern sind wir natürlich auf die Hilfe von externen Partnern angewiesen. So gibt es beispielsweise im Rechenzentrumsbetrieb Leute, die für uns arbeiten. Auch für die ERP-Software, die wir nutzen und die man nicht einfach von der Stange kaufen kann, sind Entwickler für uns im Einsatz.
Um was kümmern Sie und Ihr Team sich?
Bei mir ist es vornehmlich Konzept- und Projektarbeit, aktuell vor allem im Bereich der Digitalisierung von Prozessen, die eben noch nicht digitalisiert worden sind. Die gesamte Kommunikation zwischen Verkauf und Werkstatt läuft heute beispielsweise noch komplett auf Papier. Dann steht bei uns, während VoIP für viele andere Unternehmen noch ein ganz neues Thema ist, bereits die nächste Generation an. Mein Team und ich kümmern uns ausserdem auch selber um die Hardware-Ausrüstung in den Filialen. Wir bekommen von unserem Netzprovider zwar eine Dateninfrastruktur samt Verkabelung bereitgestellt, das Aufstellen der Clients und das Anbinden an unser Netzwerk, das ist dann aber noch unsere Aufgabe.
Wie steht es um den Support?
Den stellen ebenfalls mein Team und ich sicher. Weil wir alles langjährige Mitarbeiter mit Filialerfahrung sind, können wir unseren Mitarbeitenden dabei nicht nur einen Dienst erweisen, wenn eine bestimmte Anwendung oder der Client nicht läuft. Auch wenn jemand nicht genau weiss, wie er etwas im Point-of-Sales-System verbuchen muss, helfen wir gerne weiter. Gleichzeitig gibt es noch eine lokale Key-User-Organisation, deren Mitglieder den Filialen ebenfalls zur Seite stehen, wenn sie Fragen haben. So ist die ganze Last auf mehrere Schultern verteilt und es kann sichergestellt werden, dass immer jemand erreichbar ist, auch an speziellen Feiertagen wie dem Maienzug.
Lassen Sie uns noch etwas über das angesprochene Digitalisierungsprojekt sprechen. Um was geht es hier genau?
Stellen sie sich vor, Sie kommen zu Pneu Egger und brauchen neue Reifen. Jetzt muss diese Information ja irgendwie von vorne im Verkauf, wo Sie entscheiden, welche Reifen es sein sollen, nach hinten in die Werkstatt gelangen, damit die gewünschten Reifen dann möglichst schnell montiert werden können. An der Stelle soll das Papier, auf dem heute alle dafür nötigen Informationen stehen, durch Tablets und eine entsprechende App ersetzt werden. Gleichzeitig können wir damit auch die Rückmeldungen verbessern und beschleunigen. Wenn der Werkstattmitarbeiter beim Abnehmen des Rades beispielsweise sieht, dass die Bremsscheibe defekt ist, muss er aktuell seinen Arbeitsplatz verlassen, den richtigen Verkäufer finden und der dann mit dem Kunden Kontakt aufnehmen. Das geht einfacher.
Dazu benötigen Sie vermutlich spezielle Tablets.
Nein, überhaupt nicht, das geht alles mit ganz normalen Tablets. Natürlich braucht es eine spezielle Schutzfolie und Schutzhülle, wir hantieren ja schliesslich mit Fahrzeugen. Da gibt es Öl, und so ein Gerät kann jederzeit herunterfallen. Wir haben dafür aber bereits eine Lösung gefunden und bei der ersten Vorführung waren einige Mitarbeiter schon schwer überrascht, als ich das Tablet aus Handhöhe einmal quer durch den Raum geschmissen habe – und nichts passiert ist. Klar sind die Tablets so nicht mehr ganz so stylisch und hübsch wie sie aus dem Karton kommen, aber es geht ja um die Funktion.
Wann werden die Tablets in den Filialen ausgerollt?
Im Moment sind wir noch mit dem Aufbau der Infrastruktur, die wir dafür benötigen, beschäftigt. Die ganze IT war bis jetzt verkabelt und wir hatten keinen Grund, überall ein WLAN einzurichten. Das holen wir nun nach. Gleichzeitig sind wir mit der Entwicklung einer entsprechenden App beschäftigt, denn das Tablet alleine löst die Sache noch nicht. Es gibt bereits erste App-Entwürfe, sogenannte Mock-ups, wobei uns hier die Meinung unsere Endnutzer sehr wichtig ist. Sie sind es, die das Ding am Ende bedienen müssen, und wir binden sie darum eng in die Entwicklung mit ein. Wie gross muss beispielsweise ein bestimmter Button sein? Klar ist, dass klitzekleine Icons nicht in Frage kommen. Aber wie gross er genau sein sollte, das ist vom Schreibtisch im Büro aus nur schwer zu beantworten.
Wer entwickelt diese App?
Das sind hauseigene Entwickler – also nicht von Pneu Egger, sondern von Contitrade. Die selben Mitarbeiter betreiben, pflegen und entwickeln auch bereits unser ERP-System weiter.
Was ist das für ein ERP-System, das Sie nutzen?
Unser ERP basiert auf Microsoft Dynamics AX. Darauf laufen verschiedene Anpassungen und Weiterentwicklungen, mit denen das System an den Reifenhandel adaptiert wurde beziehungsweise adaptiert wird. Für die Buchhaltung und das Controlling nutzen wir ausserdem noch SAP.
Welche Software kommt in Ihrem Unternehmen sonst noch zum Einsatz?
Natürlich Office, also Word, Excel und Powerpoint. Für E-Mail, Kalender, Kontakte und spezielle Anwendungen setzen wir nach wie vor auf Lotus Notes. Das ist es dann auch schon. Auf unseren Thin Clients sieht es wirklich sehr sparsam aus. Wir versuchen, den Medienbruch in den Filialen und bei den Verkäufern so klein wie möglich zu halten und alle Prozesse, die sie brauchen, in möglichst wenige Applikationen zu packen.
Wieso setzen Sie eigentlich auf Thin Clients?
Sie reduzieren die Unterhaltskosten massiv. Die Geräte sind zum einen sehr günstig in der Anschaffung. Zum anderen läuft auf ihnen neben der angesprochenen Scout Enterprise Management Suite nur ein ziemlich abgespecktes Linux-Derivat namens eLux, dessen einzige Aufgabe es eigentlich ist, eine Verbindung zum Server im Rechenzentrum herzustellen. Ruft nun eine Filiale an und wir stellen fest, dass der Client nicht mehr läuft, nehmen wir ganz einfach einen neuen aus der Box, fügen seine Mac-Adresse unserem Netzwerk hinzu und schicken ihn ab. In der Filiale muss er dann nur noch verkabelt werden und weiter geht’s. Nur so ist es uns überhaupt möglich, die ganze Client-Infrastruktur mit nur drei Leuten zu managen.
Was für Herausforderungen stehen Sie aktuell sonst noch gegenüber?
Es warten momentan überall da grosse Herausforderungen, wo bisher analoge Prozesse digitalisiert werden können. Wir wollen nämlich nicht einfach etwas digitalisieren, weil es möglich ist, sondern nur, wenn wir auch einen Benefit für unsere Geschäftsfelder sehen. Weiter gibt es auch immer wieder Herausforderungen, wenn wir neue Geschäftsbereiche erschliessen – heute geht ja kaum mehr etwas ohne IT. Darum ist die IT bei Pneu Egger seit diesem Jahr auch Teil der Geschäftsleitung.
Wären all die angesprochenen Entwicklungen und Projekte auch ohne Contitrade möglich?
Nein, wären sie nicht, darum sind wir sehr froh über die Zugehörigkeit zur Contitrade-Gruppe. Zudem sind wir stolz, in einigen Bereichen oft auch die Vordenker für neue Lösungen zu sein, die dann in anderen Niederlassungen und Gesellschaften ebenfalls zum Einsatz kommen. Ein Beispiel dafür ist die Integration unseres Telefoniesystems ins ERP. Wenn ein Kunde heute bei uns anruft und seine Nummer bereits bekannt ist, sieht der Mitarbeiter direkt im ERP-System, um wen es sich handelt und kann auf Knopfdruck Informationen zu den letzten Verkäufen, zum Fahrzeug oder vielen anderen Dingen abholen.
Auch bei Pneu Egger werden also viele Daten gesammelt. Ist Big Data beziehungsweise sind entsprechende Big-Data-Lösungen ein Thema?
Auf die Frage, was Big Data genau ist, kriegt man heute genauso viele Antworten wie es Anbieter gibt. Im Moment ist das für mich ein fürchterliches Buzzword. Bei uns, beziehungsweise bei Contitrade, gibt es aber aktuell ein echtes Big-Data-Projekt. Dabei geht es um die Preisgestaltung, die eine immer grössere Herausforderung darstellt. Viele unterschätzen nämlich die Menge an Produkten, die wir anbieten. Oder wussten Sie, dass wir vom PKW über das Motorrad bis zum LKW heute 120’000 unterschiedliche Artikel führen? Dazu gehören die Reifen, aber auch Zubehör, wie zum Beispiel Felgen und Dienstleistungen.
(mv)