Viele Erfolgsgeschichten der Informatik begannen in Garagen. Aber nicht diejenige von «Virtopsy» . Diese begann in einer halbvergessenen Baracke der Uni Bern, als Mitte der 1990er Jahre Rechtsmediziner und 3D-Spezialisten eine Idee hatten, die sich zur Revolution der Forensik entwickelte.
Sie wollten die Trennungen in der traditionellen Rechtsmedizin auflösen, bei welcher Kriminaltechniker den Tatort untersuchen und die Rechtsmediziner anschliessend Opfer autopsieren. «Virtopsy» («virtuelle Autopsie» ) kombiniert heute und weltweit erstmals beide Untersuchungen und dies in modernster 3D-Technologie: die Forensiker scannen den Tatort digital und die Rechtsmediziner das Opfer mit MRI und Computertomograf (CT), zusätzlich kommt ein Roboter zum Einsatz, der via Schnittstelle mit dem CT verbunden ist. So kann ein Mensch samt allen Auffälligkeiten als detaillierter 3D-Körper abgebildet werden.
Digitale 3D-Dokumentation für die Ewigkeit
«Virtopsy» kann in der Folge den Tatort, Täter und Opfer kombinieren und einen Tathergang in 3D-Bildern wiedergeben. Dies erleichtert es vor Gericht, bspw. die Aussagen von Tätern zu verifizieren oder zu widerlegen. «Die gute Dokumentation bildet das Fundament jeden Kriminalfalles» , erläutert Professor Dr. Michael Thali, Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Zürich (IRM-UZH) und Leiter des Virtopsy-Teams.
Die Vorteile sind gut nachvollziehbar: Die digitalen Scans können personenunabhängig untersucht werden und man kann von Auge schwer erkennbare Verletzungen aufdecken. Und dies rasch: Eine Erstuntersuchung ist innert Sekunden möglich, während früher allein die Untersuchung eines Schädels 30 Minuten kostete.
Zudem kann die virtuelle Autopsie den Gebrauch eines Skalpells ersparen und – nicht zuletzt – können Taten und Verletzungen auch Jahre später in 3D analysiert werden.
Weltweiter Einsatz
Diese neuartigen Möglichkeiten haben die TV-Stars von «CSI» bereits entdeckt und lösten mehrere Fälle mit «Virtopsy» . Auch immer mehr reale Strafverfolger setzen heute nach anfänglicher Skepsis auf die Schweizer Pionierleistung. Das Team von Thali tritt an Konferenzen in «Virtopsy» -Sessions auf und schult Forensiker weltweit. Auch dass die US-Armee ihre getöteten Soldaten virtuell autopsiert, ist auf Virtopsy zurückzuführen.
Im Uni-Campus in Zürich-Irchel arbeitet ein 10köpfiges Team aus Radiologen, Rechtsmedizinern sowie Software-Ingenieuren und Medizininformatikern am Projekt, denn «50 Prozent von «Virtopsy» ist Informatik und 50 Prozent Rechtsmedizin» , sagt Thali.
Dies überzeugt die unabhängige, interdisziplinäre Fachjury des Swiss ICT Award: «Virtopsy ist ein herausragendes Beispiel, was dank IT alles möglich ist – in einem Bereich, wo IT gar nicht vermutet wird.»
Game-Technologie für Richter
Für das Team kam die Auszeichnung mit dem «Swiss ICT Special Award» eher überraschend. «Es macht speziell Freude, dass wir auch ausserhalb unseres Fachs wahrgenommen werden» , sagt Thali.
Kontinuierlich wird «Virtopsy» weiterentwickelt, Thalis Team evaluiert dabei speziell die Entwicklungen der Game- und Filmindustrie. Das resultiert in einer nächsten Weltpremiere, denn man will erreichen, dass Richter mit «Virtopsy» und «Oculus Rift» -Brillen z.B. eine Schiesserei am Tatort massstabsgetreu in 3D «erleben» können.
Überflüssig sei die traditionelle Rechtsmedizin trotzdem nicht, so Thali, «aber wir machen regelmässig Fortschritte.»
Und der perfekte Mord?
Stellt sich noch eine, zentrale Frage: Ist nun der perfekte Mord unmöglich? Thali schmunzelt. «Wird in der modernen Forensik eine Leiche untersucht, so ist der perfekte Mord sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich geworden.»
Mehr über Virtopsy Filme und Publikationen:
www.virtopsy.com und
www.irm.uzh.ch
Swiss ICT Award 2015
Der Swiss ICT Special Award an «Virtopsy» wird am 11.11.2015 im Rahmen der Vergabe aller Swiss ICT Awards im KKL Luzern überreicht. Die Teilnahme ist kostenlos und nur auf Anmeldung mit Code möglich. Mitglieder haben einen Code erhalten. Andernfalls melden Sie sich rechtzeitig (der Anlass ist jeweils ausgebucht): 043 336 40 20, award@swissict.ch